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[Tagebuch, 2. November 1911; Donnerstag]

2 XI 11 Heute früh zum erstenmal seit langer Zeit wieder die Freude an der Vorstellung eines in meinem Herzen gedrehten Messers.

In den Zeitungen, im Gespräch, im Bureau verführt oft das Temperament der Sprache, dann die aus einer gegenwärtigen Schwäche geborene Hoffnung auf plötzliche desto stärkere Erleuchtung schon im nächsten Augenblick, oder starkes Selbstvertrauen ganz allein oder bloße Nachlässigkeit oder ein großer gegenwärtiger Eindruck den man um jeden Preis auf die Zukunft abwälzen will oder die Meinung, dass gegenwärtige wahre Begeisterung jede Zerfahrenheit in der Zukunft rechtfertige oder die Freude an Sätzen, die in der Mitte durch ein oder zwei Stöße gehoben sind und den Mund allmählich zu seiner ganzen Größe öffnen, wenn sie ihn auch viel zu rasch und gewunden sich schließen lassen oder die Spur der Möglichkeit eines entschiedenen auf Klarheit angelegten Urteils oder das Bestreben der eigentlich beendeten Rede noch weiterhin Fluß zu geben oder das Verlangen, das Thema in Eile zu verlassen wenn es sein muß auf dem Bauch oder Verzweiflung, die einen Ausweg für ihren schweren Athem sucht, oder die Sehnsucht nach einem Licht ohne Schatten - alle diese können zu Sätzen verführen, wie: "Das Buch das ich eben beendet habe, ist das schönste, das ich bisher gelesen habe oder ist so schön, wie ich noch keines gelesen habe. "

Um zu beweisen, dass alles was ich über sie schreibe und denke falsch ist, sind die Schauspieler (abgesehen von Hr. und Fr. Klug) wieder hier geblieben, wie mir Löwy, den ich gestern abend getroffen habe, erzählte; wer weiß ob sie nicht aus dem gleichen Grunde heute wieder weggefahren sind, denn Löwy hat sich im Geschäft nicht gemeldet, trotzdem er es versprochen hat. Es gieng gestern noch der Sohn des Cafehauswirtes Hermann -

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at