Lehre

Angebot und Nachfrage

ZARA hat aus dem Wiener Wahlergebnis gar seltsame Schlüsse gezogen.Ingo Lauggas sprach darüber mit Dieter Schindlauer, Obmann von "Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit".


Ich fand die Stellungnahme von ZARA zum Wiener Wahlergebnis einigermaßen überraschend und befremdlich. Zunächst einmal wundert mich, dass behauptet wird, die 15%, die nun FPÖ gewählt haben, seien nicht den harten Kern der rassistisch motivierten WählerInnen. Wie kommt Ihr zu der Annahme?

Sie sind sicher ein harter Kern, aber ein Großteil von diesen Leuten ist noch nicht so gefestigt, dass man sie sinnvoll und richtigerweise als RassistInnen bezeichnen kann. Das ist der eigentliche Inhalt des Statements. Dass sie rassistisch gehandelt haben, indem sie die FPÖ wählten, steht außer Frage, aber sie sind nicht "verloren", zumindest nicht alle von ihnen. Ein großer Teil dieser Leute hat die Entscheidung als Ausweg dafür gesehen haben, was in ihnen vorgeht. Sie haben die FPÖ gewählt, weil sie eine klar rassistische Schiene fährt, aber eigentlich würden sie sich einen anderen Umgang wünschen, anders als das Angebot der FPÖ. Man muss sich bemühen, diese anderen Angebote auch zu machen. Offenbar ist die FPÖ die einzige, die auf die Unsicherheiten zum Thema "Ausländer", oder wie auch immer das dann heißen mag, ganz konkret eingeht. In den Umfragen sieht man, dass die Leute ungern bekennen, FPÖ zu wählen. Man hat den Eindruck, dass sie sich nicht wohl fühlen dabei und auf Angebote warten, mit denen sie etwas anfangen können. Der "Ausländer raus"-Wahlkampf der FPÖ ist kein echtes Angebot, sondern spricht nur dumpfe Gefühle an. Das Gegenangebot von den anderen ist meist eine diffuse Buntheit, man soll es toll finden, in so einer multi-ethnischen Gesellschaft zu leben. Das ist ein Lifestylezugang zur Multikulturalität, mit dem viele Leute, die dieses Thema ganz anders erleben, nichts anfangen können. Es ist ein verfehlter Zugang, der die Leute in die Arme derer treibt, die eine ganz klare Position anbieten: Weg damit, Pummerin statt Muezzin. Das ist für einen Großteil der Leute in Wirklichkeit inakzeptabel.


Warum soll man die politische Aussage der Plakate und der Geste, diese Partei zu wählen, nicht ernst nehmen? In Eurem Text ist die Rede von "unbearbeiteten Gefühlen" und davon, dass dies "keine wirkliche Politik" sei: Weshalb dieser beschönigende und entpolitisierende Umgang?

Die einfache Lösung, die sich aufgrund dieses erschreckenden Wahlergebnisses anbietet, wäre zu sagen: Da haben wir jetzt die 15% gefunden, die kann man vergessen, das sind rechte, überzeugte RassistInnen, die lassen wir aus und achten nur darauf, dass sie das, was sie wollen, nie umsetzen können - das war's dann. Ich denke, dass es viel mehr Potenzial gibt, diese Thematik zu bearbeiten. Man sollte es noch viel ernster nehmen, als es auf die FPÖ-WählerInnen zu beschränken, und z.B. eingestehen, dass etwas in der Vermarktung nicht passt, etwa davon, was es heißt, anti-rassistisch zu sein und zu agieren. Das betrifft auch uns als NGO's, dass wir scheinbar noch lernen müssen, wirklich klar zu vertreten, warum man gegen Rassismus auftritt. Irgendwas kommt nicht klar rüber, sonst würden nicht so viele Leute in die komplette Gegenposition hineinkippen. Die Angebote, mit der Thematik anders, nicht rassistisch umzugehen, sind offenbar noch viel zu knapp. Auch die anderen Parteien sollten sich jetzt nicht in der Sicherheit wiegen, dass sie alle, die dafür anfällig sind, in die andere Ecke abgeschoben haben und sie deshalb die nächsten 15 Jahre das Thema nicht anfassen brauchen, weil das eh die anderen machen, und wer ein Problem hat, soll halt die FPÖ wählen.


Warum nützt eine Einrichtung wie ZARA ihre Autorität und Öffentlichkeit nicht dazu, z.B. das Schweigen der Grünen scharf zu kritisieren, statt zur Empathie mit FPÖ-WählerInnen aufzurufen?

Das ist eine sehr verkürzte Darstellung. Die Kernaussage ist, die FPÖ-WählerInnen nicht zu vergessen. Was den Wahlkampf der Grünen betrifft, teile ich die Einschätzung, dass sie zu dieser Thematik nichts gesagt haben. Sie haben sich bedeckt gehalten, wie alle anderen auch. Unser Aufruf gilt diesen Parteien, sich etwas einfallen zu lassen, und sich endlich auch zu bekennen, denn das fehlt völlig. Es gibt noch immer die Idee, dass Rassismus einfach eine Meinung ist, wir haben es nicht geschafft, einen gesellschaftlichen Grundkonsens zu haben, der sagt: Nein, das geht bei uns nicht. Es ist eher so, dass sich alle irgendwie durchlavieren und sich nichts überlegen. Aber wer locker von kultureller Vielfalt spricht, muss auch benennen koennen, was denn der eigene Beitrag dazu ist. Man kann nicht zuerst zulassen, dass es soweit kommt, und dann das Problem benutzen, um sich abzuputzen und zu sagen: Ja, grauslig, was die da machen, und dass die Leute auch noch so blöd sind, die zu wählen... Das ist viel zu kurz gegriffen, das reicht nicht als Legitimation aus, sich jetzt nicht oder nur halbherzig damit zu beschäftigen.
Man müsste mal in den eigenen Reihen schauen, wie es den Leuten damit geht: Gibt es die Probleme, die da aufgegriffen werden, tatsächlich, und wenn ja, wer verursacht sie? Dieser Diskurs ist leider ein Minderheitendiskurs, auch innerhalb derer, die sich damit beschäftigen. Auch die anderen Kräfte müssen sich anschauen, wie sie selbst mit Rassismus oder auch mit niedrigschwelligerer Diskriminierung umgehen, welche Konzepte sie anbieten. Erst wenn diese Angebote kommen, kann man feststellen, wer so sehr in der rassistischen Ideologie gefestigt ist, dass er auch dann noch dabei bleibt.


In Eurem Statement gibt es einen Passus, den ich besonders befremdlich fand; es geht um von Rechts besetzte Termini, und Ihr fordert, dass etwa "Heimat" mit positiven Inhalten befüllt werden müsste. Was ist der Sinn davon, mit den Rechten um die Besetzung solcher Begriffe zu konkurrieren?

Es gibt Begriffe, die so tief emotional verwurzelt sind, dass man dazu eine klare Position haben sollte. Die Linken jedoch haben für den Begriff Heimat entweder eine Leere oder eine Abneigung, was aber mit dem realen Gefühl, das dahinter steht, nichts zu tun hat. Es ist als Konzept in uns allen angelegt, denn man muss wissen, wo man dazu gehört und hingehört; erst dann kann man für diesen Bereich Verantwortung übernehmen und erst dann kann man wirklich zulassen, diese Heimat mit anderen zu teilen. Dazu brauche ich aber eine Idee davon, denn für meine Grundhaltung, wo ich hingehöre, brauche ich Worte. Ich halte Ideen wie "Ich bin Weltbürger, ich bin überall genau gleichermaßen zu Hause, und so sollen es auch alle anderen machen" für eine Utopie, die sich mit realen Emotionen so spießt, dass man sich relativ rasch selbst belügt. Wenn der Begriff nur von einer Seite befüllt wird, dann bleibt dieses Unwohlsein mit den angelegten Emotionen.
Bei unseren Trainings zeigt sich, dass allen, die zu uns kommen, sei es als Flüchtlinge oder MigrantInnen, zugestanden wird, dass sie eine Heimat haben, dass sie eine Kultur haben, die sie unter Umständen mitbringen können, dass man ihnen jetzt eine neue Heimat anbietet. Wenn man diese Begriffe also auf jemand anderen übersetzt, tun sich alle leicht. Da schauen sich die Linken plötzlich gern irgendwelche Folklore an, und ich frage mich, was sie da verloren haben. Wenn sie das für sich selbst nicht akzeptieren können, wieso soll das dann für die anderen so wertvoll sein und wertvoll sein dürfen. Das ist doch eigenartig.


Stimmt. Aber meine Konsequenz daraus ist genau das Gegenteil von dem, was Du sagst: Ich kritisiere diese Folklore und diese kulturelle Besetzung, statt sie auch für mich zu reklamieren. Die Identifikation über Herkunft ist doch der strukturelle Spatenstich für das ganze rassisitische Gebäude.

Jetzt läuft es eben so, dass gesagt wird: Dir darf ich das nicht nehmen, aber ich darf's nicht haben. Das ist ein Konzept, das nicht aufgeht, das ist in sich so verlogen, dass es einfach nicht funktionieren kann. Ich glaube, dass es so etwas wie Heimat gibt: die hat zwar etwas mit einem regionalen Kontext zu tun, aber außerhalb der herkömmlichen Definition. Wenn wir unsere realen Möglichkeiten anschauen zu agieren, was zu tun, irgendwo ganz eingebunden zu sein, dann sind wir eingeschränkt. Die Idee, überall gleich und überall gleich verantwortlich zu agieren, ist so ein überhöhter Anspruch, dass es wieder nicht mit dem Alltagsleben zusammenpassen kann. Ich kann dann mit vielen realen Situationen nicht umgehen, weil ich in einer Zwickmühle stecken bleibe und mich in leeren Phrasen und bemüht politisch korrektem Getue verliere.


Gerade die "Fest der Völker"-Abteilung ist doch politisch korrekt…

Nun, das ist die Frage, ob das wirklich p.c. ist, aber es ist sicher die Ebene, auf der die Leute das Gefühl haben, etwas zu tun: Machen wir was für die Vielfalt und schaun wir uns Bauchtanz an. Das ist ein völlig verkehrtes System und eine verkehrte Annäherung an so etwas wie Heimat. Man versucht, die rechten Rabauken zu umgehen und macht hinterrücks das Gleiche. Der Diskurs, den wir brauchen, sollte nicht die Begriffe ausklammern, die von rechts besetzt sind. Man sollte das, was damit gemacht wird, kritisieren, aber das Gefühl, das dahinter steht, das Konzept, das ich auch für mein eigenes Leben brauche, kann man auch anders sehen. Dann kann ich die Blut-und-Boden Kiste hinaustreiben und die Leute befähigen, in ihrem konkreten Alltag mit diesen Begriffen lockerer umzugehen und zwar so, dass es für sie stimmig ist. Jetzt trauen sich viele nicht einmal, so ein Wort anzurühren, weil es sie verdächtig macht. So etwas lähmt uns in unserem Vermögen, mit den Dingen umzugehen. Die von der anderen Seite kümmern sich ja auch nicht drum, die nehmen die Begriffe und besetzen sie mit dumpfen aber emotional griffigen Inhalten. Alle anderen, die das differenzierter sehen, müssen daran scheitern, wenn sie sich nicht einmal trauen, zu dem Begriff hinzugreifen. Man muss ihn gewissermaßen zuerst einmal zurück erobern, wenn man ihn loswerden will.


Ich denke, dass die in dem Text gewünschte postive Besetzung von "Zusammenhalt" schlussendlich zu einem Dazugehören und Nicht-Dazugehören führt. Dass also egal, wie menschenfreundlich das gemeint ist, ich sofort in der Ein- und Ausschlussmühle bin, deren Ergebnis NGO's wie ZARA zu bekämpfen haben.

Das stimmt schon, aber in der Tat fürchte ich, dass das eben so ist, dass man nicht überall dazugehört und mit allen Menschen auf dem gleichen Level Beziehungen hat. Es gibt viele verschiedene Abstufungen, wie nahe man sich tatsächlich ist. Man muss akzeptieren, dass man den Anspruch, in einem egalitären Netzwerk eins von vielen gleichwertigen mit allen gleich vernetzten Wesen zu sein, nicht leben kann. Man kann aber sehr wohl bei sich schauen, wie diese Ein- und Ausschlusskriterien funktionieren, wem man sich aus welchen Gründen näher fühlt als anderen. Das gehört ins Feld der Pädagogik: Von allen Stereotypen wissen wir, wie sie funktionieren, das haben wir im Kopf und können es nicht einfach wegschieben. Deshalb muss man es bewusst bearbeiten. Und bei einem Zugehörigkeitsgefühl wie Heimat muss ich eben schauen, wie ich dazu stehe, wie sehr mich das beeinflusst oder eben nicht. Ich glaube nicht, dass man sich davon automatisch lösen kann. Das sind keine Prozesse, die nur über den Intellekt laufen. Es ist ein mühsamer Weg, sich das zu erarbeiten und sich von den vorgegebenen Einschlusskriterien zu lösen.

www.zara.or.at

Erschienen in Malmoe # 29 / 2005