Lehre

Koloniale Kontinuitäten

Vida Bakondy und Renée Winter untersuchen anhand der Analyse eines Filmes „Afrikarepräsentationen im Österreich der 1950er Jahre im Kontext von (Post-)Kolonialismus und (Post-)Nationalsozialismus“.

Euer Buch nimmt Ausgang bei Marcus Omofuma; ist das nur ein politisches Statement oder ist diese Verbindung auch inhaltlich verankert?

Renée Winter:
Das war unser Ausgangspunkt für die Frage, wo man mit historischer Forschung bei aktuellen politischen Gegebenheiten anknüpfen kann. Es zieht sich nicht durch das ganze Buch, aber es geht um die Grundfrage nach den historischen Vorläufern der Bilder von Schwarzen Menschen bzw. von Afrika in Österreich. Rund um den Tod von Marcus Omofuma ist das ja zum Ausdruck gekommen, auch in der Kriminalisierung der Proteste, in der Operation Spring.

Vida Bakondy:
Es war beides, historisches Interesse und politisches Statement, auch indem wir bewusst dieses Plakat „Wo ist Omofuma?“ hineingenommen haben, das auf den NS anspielt.

Wie argumentiert Ihr die Verknüpfung zwischen (Post-)Kolonialismus und (Post-)Nationalsozialismus?

VB:
Es gab viele Verflechtungen des Film-Projektes mit dem NS-Regime: Ernst Zwilling, der Leiter der Expedition, war Teil der nationalsozialistischen kolonialrevisionistischen Bewegung, und auch der Regisseur Albert Quendler war NSDAP-Mitglied. Während der NS-Zeit gab es in Österreich massive koloniale Propaganda, und die beiden waren bei weitem nicht die einzigen, die nach Afrika gefahren sind. Sie haben dabei dieses Bild von einem ursprünglichen Afrika, das es zu bewahren gelte, aber auch die Sorge um die möglichen „Vermischungen“ mit westlichen Elementen, die Sorge um die „ethnische Reinheit“. Dieser Aspekt war uns wichtig, und Österreich ist ja eine post-nationalsozialistische Gesellschaft, in der es strukturelle und biographische Kontinuitäten mit dem NS gibt. Bemerkenswert ist dabei die Funktion des Filmes als moralische Rehabilitierung. Er wurde in der zeitgenössischen Rezeption als etwas sehr Außergewöhnliches dargestellt, weil er versucht habe, das echte Afrika zu zeigen: ohne die Weißen, so wie es „wirklich“ ist. Unsere These lautet, dass der Film in der österreichischen Rezeption von französischen und britischen Kolonialfilmen abgegrenzt wurde, die als rassistisch angeprangert wurden, um sich dadurch auch moralisch ein bisschen von der NS-Vergangenheit zu rehabilitieren.

Geht diese Überaffirmation des „Ursprünglichen“ in eine andere Richtung als gegenwärtige Diskurse im Kontext von Migration und Abschottung, oder gibt es eine Kontinuität zwischen „altem“ Exotismus und modernem Rassimus?

RW:
Die vermittelten Bilder sind sehr aktuell: Afrika wird stereotyp beschrieben, mit Krankheit und Irrationalität in Verbindung gebracht, und Darstellungsstrategien wie Infantilisierung und Sexualisierung finden sich auch in heutigen Afrika-Darstellungen. Es existieren zwar unterschiedliche Bilderwelten für die, die hier sind und die, die woanders sind, aber die Gemeinsamkeit besteht darin, dass Zuschreibungen vorgenommen werden, die auf Naturalisierungen und Biologisierungen beruhen. Denken wir an Partik-Pablé, die im Parlament von der „Natur der Schwarzafrikaner“ gesprochen hat: sie bedient sich sehr wohl kolonialer Stereotype und sozusagen kolonialer Theoriebildung. Kriminalisierung hier und Infantilisierung/Exotisierung woanders hängen zusammen.

Welches ist der theoretisch-methodische Background Eurer Arbeit?

RW:
Wir haben unterschiedliche Ansätze wie Cultural Studies, Filmwissenschaften, feministische Film- und Repräsentationstheorien verbunden...

VB:
... aber die meisten Texte zum Postkolonialismus kommen aus dem anglo-amerikanischen Raum. Wir haben die Frage aufgeworfen, wie sich diese Theorien auf den österreichischen Kontext anwenden ließen. Wir wollten damit arbeiten und sie für die Analyse von österreichischen Repräsentationen von Otherness nutzbar machen. Whiteness-Studies waren wichtig, um zu fragen, inwiefern der Film spezifische Formen von Weiß-Sein reproduziert. Es gibt immer wieder Verweise auf weiße Menschen, auf „die Zivilisation“, und wir stellten uns die Frage, welche Funktion dieser Film in Österreich hatte.

Ein Problem ist doch auch, dass kaum wahrgenommen wird, was es außerhalb der Zentren an theoretischen Ansätzen gibt.

VB:
Deshalb haben wir für unsere Arbeit auch geschaut, was es von Schwarzen TheoretikerInnen zu Filmen wie diesem oder zu Repräsentationen Schwarzer Menschen im deutschsprachigen Raum gibt. So war der Sammelband „Farbe bekennen“ Ende der 80er Jahre eines der ersten Bücher von afro-deutschen Frauen, die auf die Präsenz von Schwarzen Menschen in Deutschland und deren Repräsentationen hingewiesen haben. Wichtig war auch der Kameruner Patrice Nganang, der viel zum nationalsozialistischen kolonialen Film geschrieben hat.

RW:
Oder den Text von Hito Steyerl in „Spricht die Subalterne deutsch?“, die von Schwierigkeiten und Möglichkeiten spricht, postkoloniale Theorien auf den postnationalsozialistischen deutschen Kontext anzuwenden.

Haltet Ihr es für einen brauchbaren Begriff, aktuelle politische Verhältnisse, auch in Österreich, „postkolonial“ zu denken?

RW:
Ich denke schon, denn es geht um die Übernahme von Diskursen oder Vorstellungswelten. Auch wenn Österreich nicht selbst Kolonien in Afrika hatte, waren Leute an „Entdeckungsfahrten“ beteiligt oder haben Museumssammlungen aufgebaut. Zum anderen die Spektakel-Ebene wie Völkerschauen in Wien oder das Urania-Kino, in dem seit den 20er Jahern kontinuierlich über alle Regimewechsel hinweg Filme über „fremde Länder“ gezeigt wurden.

VB:
Ganze wissenschaftliche Disziplinen wie Anthropologie oder „Völkerkunde“ entstehen zu einer Zeit, in der sich die europäische Herrschaft im afrikanischen Raum und anderswo längst manifestiert. Österreichische Forscher haben mit den kolonialen Regimen zusammengearbeitet und dadurch erst die Möglichkeit für ihre Forschungen bekommen. Zum anderen gab es die kolonialistische Propaganda des NS-Regimes, und diese Bilder und Diskurse verschwinden ja nicht einfach, sondern wirken sehr wohl noch weiter. Deshalb halte ich es für produktiv, diesen Ansatz zu wählen. Stuart Hall betont auch, dass Kolonisation nicht nur ein Herrschafts- und Machtsystem war, sondern auch ein Erkenntnis- und Repräsentationssystem. Insofern hatte es auch für Österreich Geltung.

Heißt das konkret, dass es in einer aktuellen politischen Kritik in Bezug auf Migration oder Rassismus sinnvoll ist, von kolonialen Praxen zu sprechen? Cultural Studies sind nicht zuletzt auch eine Modeerscheinung, und man sollte sich fragen, ob bestimmte Begriffe nicht nur modisch, sondern auch hilfreich sind.

VB:
Migrationsbewegungen existieren auch aufgrund von ökonomischen Ungleichheiten, und Österreich steht nicht außerhalb eines globalen Systems. Österreich hat offiziell gesehen keine koloniale Vergangenheit. Aber als ich in Kamerun arbeitete, habe ich die Erfahrung gemacht, dass trotz der Differenzierung zwischen den einzelnen Ländern Europa in erster Linie als Ganzes wahrgenommen wird. Die Leute sagen: Ihr seid ja auch hergekommen und habt euch genommen, was ihr wolltet – nun holen wir uns unser Recht zurück und kommen nach Europa.


Vida Bakondy, Renée Winter: "Nicht alle Weißen schießen." Afrikarepräsentationen im Österreich der 1950er Jahre im Kontext von (Post-)Kolonialismus und (Post-)Nationalsozialismus. Studienverlag 2007

Erschienen in MALMOE # 40 (Februar 2008), als Teil des Schwerpunkts "Postkoloniales Sprechen"

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