Lehre

Tel Aviv

Erstmals bleibe ich während eines Aufenthaltes in Israel die ganze Zeit über in Tel Aviv. Die Stadt in der Sonne dankt es mir mit einer unvermuteten Sonderausstellung zu Walter Benjamin im Kunstmuseum: Die zeitgenössischen Werke, die sich auf das Archiv des Exils beziehen, sind aber allesamt nichts gegen die Aura einer unreproduzierten Originalseite des Kunstwerk-Aufsatzes. Noch berauscht vom intellektuellen Fetisch vernehme ich von dem tödlichen Anschlag am Damaskustor in Jerusalem, der exakt zur selben Zeit stattgefunden hat. Trotz dieser immer währenden Bedrohung siehst du in Tel Aviv definitiv weniger Polizei auf den Straßen als in Wien. Diese Gesellschaft muss permanent um ihre Sicherheit bemüht sein und dabei noch „normal“ weiterleben. Beim Bier am Strand, wenn schöne Menschen an dir vorbeiskaten, während du lebensfrohen Körpern beim Capoeira im Sonnenuntergang zusiehst, wird dir klar: Sie meinen nicht nur diesen Staat, dessen Existenz sie nie ruhen lassen wird; die todeshungrigen Mörder meinen auch das schöne Leben – dieses Leben hier.

Dieser Text erschien 2016 in MALMOE als Teil einer Sammlung von Reiseglossen der Redakteur/innen: Redaktion unterwegs.