Lehre

Uneinverstandenes Handeln

Ein aus einer Tagung hervorgegangener Band fragt nach der Aktualität 'subversiver' künstlerischer Konzepte, nach ihrer Beeinflussung durch gegenwärtige Umbrüche und nicht zuletzt nach der Rolle von 'Subversion' im aktuellen Verhältnis von Kunst und Politik.

Ist es nicht eine aporetische Welt, in der wir leben? Da haben wir auf der einen Seite das Individuum, vernutzt, verwertet und gebeutelt, dem vom herrschenden System eine dem entsprechende Subjektivität auferlegt wird, die es nur noch die Wahl hat zu affirmieren, um sich der Kommunikation nicht gänzlich zu entziehen; und auf der anderen Seite die Kunst, die einzusehen hat, dass sie die Gesellschaft, von der sie sich abzusetzen versucht, nicht verleugnen kann, weil sie sonst hinter sie zurückfiele und gar nur noch affirmativ oder irrelevant sein kann: sie steht dann zwar noch für Utopie, kann diese aber nicht mehr darstellen. Politisches, selbst aufrührerisches Handeln kann nur noch innerhalb bestehender gesellschaftlicher Strukturen erfolgen, und wenn Subversion überhaupt noch möglich ist, „dann nur als eine, die von den Bedingungen des Gesetzes ausgeht, d.h. von den Möglichkeiten, die zutage treten, sobald sich das Gesetz gegen sich selbst wendet und unerwartet Permutationen seiner selbst erzeugt.“ (Judith Butler)

Die gute Nachricht aber: Subversionen florieren da und dort, und ihnen widmet sich ein Sammelband dieses Titels, der das „Verhälntis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart“ unter die Lupe nehmen will und dabei unterschiedlichste Ansätze zu unterschiedlichsten (künstlerischen) Bereichen zwischen zwei Deckeln versammelt. Vorweg bemühen sich die HerausgeberInnen um eine nicht gerade unproblematische Kategorisierung von 'Subversion' und orten demnach eine politisch-revolutionäre und eine künstlerisch-avantgardistische Subversion, einen minoritären bzw. Untergrund-Begriff sowie einen dekonstruktivistischen Begriff der Subversion; die den Bereichen Literatur, Theater, Fotografie, Film & Fernsehen und Bildende Kunst & Mode zugeordneten Beiträge des Bandes rufen – nach einem vorangestellten Theorie- und Geschichte-Teil – diesen oder jenen dieser Begriffe auf, problematisieren ihn und/oder nutzen ihn für die untersuchten ästhetischen Gegenstände. Das ganze wird, nicht unhübsch, von einem Prosatext von Florian Neuner buchstäblich unterlaufen, der „den Wahrheitsanspruch der wissenschaftlichen Texte konterkariert“.

Spannend, fundiert und wunderlich

Letzterer wird von den Texten selbst unter anderem durch ihre jeweilige theoretische Einbettung erhoben, was irgendwann redundant ist, werden die Beiträge nicht isoliert sondern in einem Zug gelesen: am Schluss kann man bestimmte Diederichsen-Passagen schon auswendig. Und hat einen durchaus differenzierten Judith Butler-Auffrischungskurs hinter sich: doch die starke Präsenz ihrer Theorien steht auch für eine der strukturellen Stärken des Buches, dass nämlich „Gender-Themen“ nicht in den üblichen einschlägigen Abschnitt abgeschoben wurden, sondern gewissermaßen transversal auch in vielen Texten verhandelt werden und von Bedeutung sind, die sich nicht vordergründig mit Fragen des Geschlechts oder mit Queer Theory (als einen 'klassischen' Topos von Subversion) befassen. So wie etwa in dem guten Text von Natalie Bloch über die Theaterpraxis von René Pollesch (dem übrigens das Bild des „gebeutelten Restsubjekts“ am Eingang dieser Rezension entnommen ist), der den schönen Dialog zitiert: „(Im Bordell) wird Subjektivität als Mann oder Frau verkauft. – Obwohl du Subjektivität als Mann oder Frau GESCHENKT BEKOMMST! Und wie immer bekommt man etwas geschenkt, was man nicht HABEN WILL!“

Subjektivität wird auch von Mark Terkessidis in einer Art theoretischem Leitartikel thematisiert, der mit einem weiteren „Katalog“ aufwartet, diesmal einen „der subversiven Taktiken“ von Sinnzersetzung bis Hybridität; er stellt aber sehr schlüssig in Frage, dass „Identität“ je subversiv wirksam sein kann, weil sie letztendlich „nur als Status quo beschrieben werden kann und nicht als Mittel zur Veränderung“: keine Subversion ohne Umsturzgedanken. Terkessidis wirft auch eine immer wiederkehrende Frage auf: Wird Subversion durch ihre theoretisch-wissenschaftliche Verhandlung nicht absorbiert, wenn sie – wie etwa bei den Cultural Studies – von einer Praxis zum Analyseinstrumentarium (pop)kultureller Vorgänge wird? Und allgemeiner und beunruhigender: Kann es in dieser „Gegenwart“ so etwas wie wirksame künstlerische Subversion überhaupt noch geben, und wenn ja, woran sollen wir sie erkennen?

Wie so viele Sammelbände ist auch dieser vor allem in seiner Qualität sehr heterogen: Man freut sich über spannende Texte wie den von Patricia Gonzalbez Cantó über die fotografischen Strategien von Claude Cahun und Cindy Sherman oder über fundierte Artikel wie den von Helga M. Treichl über das „Verhüllen und Präsentieren als Ästhetik des Politischen“; man ärgert sich über Texte wie jenen von Karen Wagels, die die Schlichtheit ihrer Beobachtungen zur Rezeption einer queeren Fotoausstellung hinter Bergen von Theorie verbergen zu können glaubt; und man wundert sich über den Beitrag von Inga Betten, die allen Ernstes behauptet, es stünde „eine Analyse, die sich mit den medialen Strategien der (Selbst-)Inszenierung der Zapatistas beschäftigt“, noch aus.

Anything goes?

Ein Problem des letztgenannten Textes ist symptomatisch für das ganze Buch: gefühlten Dutzenden von Definitionen von 'Subversion' steht ein an keiner Stelle geklärter Begriff von 'Ästhetik' gegenüber. Doch wenn das Spiel der Zapatistas mit dem Blickregime damit zu tun hat, dann fielen ja wohl auch die literarisch wertvollen Texte des Subcomante Marcos darunter – ist die EZLN gar ein Gesamtkunstwerk? Und ist dann nicht jede Äußerung von, sagen wir emanzipatorischer Politik auf ihre Weise 'ästhetisch', und 'Subversion' ihr Synonym? Kreisen die labyrinthischen Wege „von einer Subversion der Subversion über die affirmative Subversion zu den Aporien der Subversion“ (Thomas Ernst) schlussendlich nicht einfach nur um wie auch immer politisch gemeinte oder verstehbare künstlerische Praxis?

Im Grunde hieße das, dass Kunst jenseits von Behübschung oder Unterhaltung per definitionem 'subversiv' sein muss, um überhaupt auf dieser Ebene diskutierenswert zu sein. Das käme allerdings der Verwässerung dieses Begriffs schlechthin gleich, und paradoxerweise leistet dieser so heterogene Band – bei aller Definitionsambition und Katalogisierungswut – in seinem Gesamteindruck ausgerechnet dieser konzeptuellen Unschärfung Vorschub.

Thomas Ernst, Patricia Gozalbez Cantó, Sebastian Richter, Nadja Sennewald und Julia Tieke (Hgg.): „SUBversionen. Zum Verhälntis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart“, transcript Verlag, Bielefeld 2008

Erschienen in MALMOE # 45 (Februar 2009)

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