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It’s the Hegemony, stupid!
Zum fünften Band der Ausgewählten Schriften Stuart Halls
IM UMFELD DER
CULTURAL STUDIES IST ZUWEILEN EIN HANG zu etwas feierlichen Titeln zu
orten: What is Cultural Studies anyway? fragte etwa Richard Johnson
schon Mitte der 1980er Jahre, Cultural Studies in the Future Tense, in
eine Zukunftsform bringen wollte Lawrence Grossberg 2010, und nichts
weniger als Die Zukunft der Cultural Studies zu verhandeln war das
Ansinnen Rainer Winters in einem 2011 bei Transcript erschienenen
Sammelband. Darin fand sich auch der Nachdruck eines mit
Posthegemoniale Macht betitelten Aufsatzes, der einlöste, was das
„Post-“ in der Überschrift befürchten ließ:
Scott Lash
attestiert darin dem Hegemonie-Konzept zwar „einen großen
Wahrheitswert“ und anerkennt, dass es „de facto als
Kristallisationspunkt für Cultural Studies als Wissenschaftsdisziplin“
betrachtet werden kann; es habe „für eine bestimmte Epoche“ jedenfalls
Gültigkeit besessen, doch neige sich die inzwischen ihrem Ende zu: weil
„Macht heute weitgehend posthegemonial ist“. Den „höchsten Respekt“,
den er dennoch „vor den ursprünglichen Fragestellungen in der Tradition
Stuart Halls“ habe, verstaut er in einer Fußnote.
IM FÜNFTEN
BAND DER AUSGEWÄHLTEN SCHRIFTEN STUART HALLS hingegen erweisen wir
seinem Denken dahingehend Respekt, dass wir Hall als einen zeigen, der
anders als der weichgespülte Mainstream der zeitgenössischen
Kulturstudien bis zuletzt nichts an kritischer Kraft eingebüßt und
gezeigt hat, wie kulturellen und politischen Phänomen der Gegenwart mit
einem marxistisch geschärften Analyseinstrumentarium zu begegnen ist.
Und nicht ohne Grund führt der Band, der Texte versammelt, die zwischen
1980 und 2011 entstanden sind, auch den Begriff Hegemonie im Titel, ein
Konzept, das sich durchaus als Klammer der Artikel zu Staats- und
Krisentheorie, zu Populismus und Thatcherismus, Neoliberalismus und
Kulturtheorie erweist – auch und gerade der jüngsten.
An dem
Tag, als mein Herausgeberexemplar eintraf, verstarb Stuart Hall. Damit
war besiegelt, dass er kein Opus Magnum hinterlässt. Die Ausgewählten
Schriften machen somit ein in vielen kleinen und großen Texten,
Interviews und Polemiken entfaltetes kritisches Denken nachvollziehbar,
das Ideologie, Kultur und Rassismus analysierte, die Frage der
Identität in ungekannter Weise stellte, die (Theorie-)Geschichte der
Cultural Studies reflektierte und der Diskussion um Repräsentation neue
Wendungen gab. Zu keinem Zeitpunkt stand dabei in Frage, dass wir es
hier mit einer Theoriebildung zu tun haben, die sich immer politisch
eingreifend verstand. Die im fünften Band versammelten Texte zu Staat,
Demokratie und Globalisierung gruppieren sich auch dort, wo sein Name
nicht fällt, um Antonio Gramscis Hegemoniekonzept, das sich damit als
alles andere als überholt erweist.
IN DEN TEXTEN ZUR
STAATSTHEORIE ETWA BRINGT Stuart Hall die Rolle des Staates bei der
Herstellung von Bedingungen in Erinnerung, dank derer eine ganze
Gesellschaft den Bedürfnissen der Herrschenden angepasst wird: dafür
muss jedoch sowohl das politisch-ideologische, als auch das ökonomische
Terrain beherrscht werden, was die Bildung eines klassenübergreifenden
Blocks erst ermöglicht und die wesentlichen Teile der popularen Klassen
dafür einnimmt. Neben der Auseinandersetzung mit Nicos Poulantzas,
unmittelbar nach dessen Tod 1980, ist es überaus erhellend, die
durchaus polemisch geführte Diskussion über die Bedeutung des
autoritären Populismus für den Thatcherismus nachzuvollziehen, die Hall
Mitte der 80er Jahre mit Bob Jessop, Simon Bromley und anderen in der
New Left Review führte.
‚Autoritärer Populismus‘ ist ein
absichtlich widersprüchlicher Begriff, der „eine Bewegung in Richtung
einer ‚autoritären‘ Form demokratischer Klassenpolitik von oben“
beschreiben sollte, die „paradoxerweise“ darin wurzelte, was Hall als
„‚Transformismus‘ der Unzufriedenheit der Massen“ bezeichnete (124).
Der ‚autoritäre Populismus‘ des Thatcherismus baute auf die
sozialdemokratischen Law-and-Order-Politiken auf und aktivierte die
traditionalistischen Elemente des Alltagsverstandes, um einen Prozess
der ‚passiven Revolution‘ von unten in Gang zu setzen – alles
Einsichten, die sich ohne die Begrifflichkeiten Gramscis nicht einmal
benennen lassen. Auch wenn Hall Jessop & Co. unterstellt, sie haben
„das ganze gramscianische Terrain, in dem von Anfang bis Ende die
Diskussion über ‚autoritären Populismus‘ wurzelte, gründlich
fehlinterpretiert“, weiß er sich mit ihnen eins in der Absicht, „die
reale Komplexität des thatcheristischen Phänomens zu begreifen, um es
besser zerschlagen zu können“ (132).
NEBEN DIESEN, WENN MAN SO
WILL, „HISTORISCHEN“ Dokumenten ist Halls Beschäftigung mit Phänomenen,
mit denen auch wir heute konfrontiert sind, überaus gewinnbringend
nachzuvollziehen: Globalisierung, Krise und die neoliberale Hegemonie.
In der Globalisierung sah Hall „ein integriertes, expansionistisches
und missionarisches System“, das einerseits zunehmend „an weltweite
ökonomische, militärische und geopolitische Systeme angekoppelt wird“
(196), andererseits einer in vielerlei Hinsicht auch widersprüchlichen
Zustimmung der Menschen bedarf: Denn „damit die Globalisierung in der
herrschenden Form auch wirklich funktioniert, muss sie jeden Einzelnen
in ihren Bann ziehen. Jeder muss ein bisschen aussehen wie ein
Amerikaner“ (199). Dass wir es hier, wo die Rede von Werten ist, von
Konsumformen und Lebensarten, die einer Gesellschaft nach der anderen
übergestülpt werden sollen, also stets auch mit kulturellen Phänomenen
zu tun haben, bringt grundlegende Einsichten bereits der frühesten
Cultural Studies in Erinnerung, auf die Hall auch in diesen späten
Äußerungen rekurriert: „Natürlich ist Kultur nicht alles, aber sie ist
eine Dimension von allem“ (203).
Ganz in Einklang mit der
Absage an Ökonomismus und marxistischen Determinismen, die die frühen
Cultural Studies in den 1950er und 60er Jahren auszeichnete, steht auch
Doreen Masseys Bekenntnis, das sie in einem Dialog Zur Deutung der
Krise äußerte, den sie 2010 mit Stuart Hall führte: Sie habe neben
Althusser auch Gramscis Gefängnishefte „wieder hervorgeholt“, um zu
analysieren, wie eine wirtschaftliche Krise stets auch eine
philosophische und politische Krise ist, weswegen „wir uns nicht bloß
aufs Ökonomische beschränken“ sollten. „Auf keinen Fall“, bestätigt
Hall, vielmehr müsse man auch die „Daseinsbedingungen“ der
gegenwärtigen Krise ins Auge fassen, die verschiedenen
gesellschaftlichen Ebenen somit – „Wirtschaft, Politik, Ideologie,
Alltagsverstand usw.“ –, die ineinandergreifen oder gar verschmelzen
(211f.). Implizit und explizit durchzieht das Hegemonie-Konzept die
ganze Auseinandersetzung. Hall benennt die neue Ökonomie und ihre
‚Hegemonisierung‘ des Alltagsverstands, die zu erkennen ist, „wenn eine
Sache so absolut selbstverständlich geworden ist, dass sie für die
gewöhnlichen Leute zur einzigen Weise wird, sich die Welt
zurechtzulegen und zu bestimmen, was gut ist und was nicht, was sie
unterstützen sollen und was nicht, was ihnen nützt und was der
Gesellschaft nützt“ (215).
DAS FÜHRT IN DEN KERN EINER DER
HAUPTFRAGEN, die den ‚späten‘ Hall, wie es nun wohl leider heißen muss,
umtrieben: „Ist der Neoliberalismus hegemonial?“ (247) Einer allzu
leichtfertigen Bejahung dieser Frage stehen die theoretischen
Grundlagen des Hegemonie-Konzepts selbst entgegen: Denn Hegemonie ist
nie als Zustand zu denken, sondern als stets umkämpfter und
unabgeschlossener Prozess. Auch wenn „das neoliberale Projekt seine
Cheerleader hat“ (249), nahm Hall zum einen sehr wohl den steigenden
Skeptizismus ihm gegenüber in der Gesellschaft wahr und setzte zum
anderen und vor allem auf die antagonistischen, auf die
ausgeschlossenen gesellschaftlichen Kräfte, die „die Basis von
Gegenbewegungen, Widerstand, alternativen Strategien und Visionen“
sind; sie belegen, dass „die Geschichte nie abgeschlossen ist, sondern
als Horizont stets eine offene Zukunft bietet“ (252). Davon dürfen wir
uns gemeint fühlen.
Stuart
Hall: Populismus, Hegemonie, Globalisierung. Ausgewählte Schriften 5,
hg. v. Victor Rego Diaz, Juha Koivisto und Ingo Lauggas. Argument,
Hamburg 2014
Erschienen in MALMOE 67 (2014) Nach
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