Lehre

„Alternative Plattformen schaffen“

Wie positionieren sich alternative Medien in Zeiten des Wahlkampfes? Wie sieht ihr Umgang mit den bevorstehenden Nationalratswahlen aus, worüber und über wen wird berichtet, wo wird die Kritik angesetzt und in welcher Form wird diese geäußert? Geht es um konkrete politische Interventionen oder möglicherweise um eine grundlegende institutionelle Kritik im Zuge der Wahlgeschehnisse? MALMOE lud Senol Akkilic von der deutsch-türkischsprachigen Zeitung Öneri, Alexandra Bader von Fraueninternetportal ceiberweiber.at und Saskya Rudigier vom feministischen Monatsmagazin an.schläge zu einer Gesprächrunde ein, um ihr Selbstverständnis als Medium in Bezug auf die Wahlen zu diskutieren.

MALMOE: Für alternative Medien stellt sich vor den Wahlen die Frage, ob und wie mit dieser speziellen Situation des öffentlichen Diskurses umgegangen werden soll. Die an.schläge bringen hierzu einen eigenen Schwerpunkt, oder?

Saskya Rudigier: Ja, wir machen einen Schwerpunkt, in dem die jeweils listenersten Frauen der Parteien zu Wort kommen.

Nun sagt ihr, dass ihr wollt eine „Gegenöffentlichkeit“ schaffen wollt – was ist damit jenseits des Schlagwortes gemeint, wie unterscheidet sie sich von der Mainstream-Öffentlichkeit?

S.R.: Der Feminismus ist noch immer nicht im Malestream verankert. Deshalb ist es nötig, unsere Stimme einzubringen, um feministische Anliegen breiter zu diskutieren. Im Wahlkampf heißt das konkret, dass wir einerseits Frauenpolitik analysieren und andererseits eben auch Frauen-Politikerinnen zu Wort kommen lassen.

Auf der Seite von ceiberweiber findet sich derzeit ein ausgesprochen ausführlicher Bericht über das Frauenprogramm der SPÖ. Inwieweit birgt diese Form der Berichterstattung und der Auseinandersetzung die Gefahr, zur Wahlkampfbühne gemacht zu werden?

Alexandra Bader: Das Wichtigste ist zunächst, Kommentar und Bericht voneinander zu trennen, was in den Mainstream-Medien gerne vergessen wird. Das mit der SPÖ ist ein Zufall: Hätte die ÖVP eine Pressekonferenz zu dem Thema gemacht, wäre ich eben dort hingegangen. Bei uns kommen – im Rahmen unserer Möglichkeiten – alle Parteien vor, die eine Chance haben, ins Parlament zu kommen. Als Internet-Medium haben wir den Vorteil, dass auch relativ rasch auf Reaktionen eingegangen werden kann. Speziell im Wahlkampf beobachten sich die Pressesprecher der Parteien ja gegenseitig. Aber als Bühne für deren Hickhack sind Alternativmedien sicher nicht da, das können die im NEWS machen, wir wollen eher die Informationen bringen, auf die die WählerInnen ein Recht haben: Im letzten Nationalratswahlkampf wurde der SPÖ-Frauenkongress von keinem Medium außer uns erwähnt.

Öneri ist ein Medium mit einer sehr spezifischen Zielgruppe. Wie wirkt sich das auf euren Umgang mit Wahlen und Wahlkampf aus?

Senol Akkilic: Man muss sich bewusst sein, dass Wahlkämpfe eben Wahlkämpfe sind. Unsere Hauptfrage ist, wann endlich einE MigrantIn in den Nationalrat kommt. Das gibt es in Österreich nämlich immer noch nicht und das wird es auch nach diesen Wahlen nicht geben. Bei einer Veranstaltung zu den Jubiläumsfeierlichkeiten 2005 haben wir die verantwortlichen Politiker aller Parteien danach befragt und dabei viel Kopfnicken geerntet, Gusenbauer und Van der Bellen waren natürlich dafür. Danach haben sie das offenbar gleich wieder vergessen. MigrantInnen taugen natürlich als Wahlkampfthema, doch leider haben alle Parteien von BZÖ bis zu den Grünen sehr ähnliche Standpunkte: Man muss selektieren und entscheiden, welche Ausländer man ins Land lässt und welche nicht. Das ist eine realitätsferne Politik, die der Bevölkerung da vorgegaukelt wird. Dieser Tage wird nun darüber geredet, illegales Pflegepersonal zu legalisieren, nachdem man vor einem Monat ein restriktives Zuwanderungsgesetz präsentiert hat… das ist keine seriöse Politik.

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Du hast damit ein Beispiel dafür genannt, wo sich Berichterstattung und politische Intervention überschnitten haben, was ja gerade für alternative Medien charakteristisch ist.

A.B.: Das sehe ich gar nicht so, wenn wer interveniert, dann sind es doch die Mainstream-Medien. Sie nehmen auf die Politik und das Alltagsleben Einfluss, indem sie z.B. gezielte Desinformationspolitik betreiben, und da sind es wohl eher die Alternativmedien, die die Realität darstellen.

Ich hatte „Intervention“ gar nicht negativ gemeint. Für mich ist redaktionelle Arbeit Teil meiner politischen Aktivität. Die Frage ist, ob die Wahlkampfsituation ein besonders guter oder schlechter Moment für politische Intervention ist. Geht es nicht möglicherweise um eine Bühne, auf der wir kleine Medien gar nicht erscheinen?

S.A.: Jeder Mensch soll seiner Stimme Ausdruck verleihen können, doch die Wirkung ist eine andere Sache, hört uns denn jemand zu? Außerhalb unserer Nischen ist es schwierig, uns Gehör zu verschaffen. Das ist auch eine finanzielle Frage, denn wir haben nicht die Möglichkeiten, ausgiebig zu recherchieren, und die Bereiche zu beleuchten, wo sich die Parteien bedeckt halten. Wir haben klarerweise eine subjektive Einstellung, und die versuchen wir, an unser Zielpublikum heranzubringen, aber ich denke, wir sind weit davon entfernt, ihre Wahlentscheidung zu beeinflussen.
Wahlkampfzeiten sind für uns aber auch eine wichtige Einnahmequelle, denn da machen die Parteien am ehesten Geld locker, auch wenn sie uns als Medium nicht ernst nehmen. Alternativmedien werden aber immer mehr geschwächt, speziell in Wien ist Stadtpolitik gleichbedeutend mit Parteipolitik, und es werden keine MigrantInnen-Medien außerhalb davon geduldet: Diese Zielgruppe ist offensichtlich nicht wichtig genug.

Aber abgesehen von den Wahlentscheidungen der Leute könnten doch in einem bestimmten Segment die Parteien selbst beeinflusst werden; ich könnte mir vorstellen, dass es z.B. für die frauenpolitischen Abteilungen der Parteien nicht völlig unwichtig ist, was in einem renommierten feministischen Magazin wie den an.schlägen steht.

S.R.:Wir haben einmal ein Interview mit Maria Rauch-Kallat gemacht, und als das dann erschienen ist, hat sie ihr Abo abbestellt, weil es ihr offenbar nicht gefallen hat. Ich denke, Wahlen sind schon wichtig, aber bedeutender ist es, über’s Jahr kontinuierlich kritisch zu berichten.

A.B.:Ich denke schon, dass es möglich ist, Einfluss zu nehmen. Ich habe z.B. Bei der Bundespräsidentenwahl 2004 analysiert, wie Ferrero-Waldner und Fischer von den Medien unterschiedlich behandelt wurden, und das hat sehr großes Echo gehabt. Ihr wurden nämlich viel mehr kritische Fragen gestellt, während Fischer patriarchal agieren konnte und die ganze Autorität des männlichen Politikers ausspielen konnte. Ein bestimmter mieser Umgang mit Frauen kann einfach nicht akzeptiert werden.

S.A.: Außerdem ist zu beobachten, wie sich auch Frauenbewegungen institutionalisieren: Wenn ich erst die Macht erreiche, hört es sich mit den Frauenrechten auf. Mit den Anliegen von MigrantInnen ist es ähnlich; kandidierende MigrantInnen müssen sich der Partei, die sie aufstellt, und den politischen Rahmenbedingungen anpassen.

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Allein daran sieht man ja auch, dass man dem ganzen demokratischen Modell ja auch sehr skeptisch gegenüberstehen kann. Inwieweit könnte eine grundsätzliche Institutionenkritik dazu führen, überhaupt sehr distanziert mit dieser Wahlsituation umzugehen?

S.A.: Aber welche Möglichkeiten haben wir? Das ist ja die wichtigste Frage. Wir haben früher, als MigrantInnen bzw. Nicht-ÖsterreicherInnen kein Wahlrecht gehabt haben, versucht, mit Parallelwahlen die Aufmerksamkeit auf eine Außenseiterszene zu lenken: Wir haben in Wahllokalen Wahlurnen aufgestellt wie reguläre Parteien, d.h. es war eine Möglichkeit zu zeigen, diese Menschen haben kein Wahlrecht, die können nicht im Demokratiespiel mitmachen. Das ist auf Interesse gestoßen seitens der Medien und auch die Politiker haben sich dafür interessiert. Das Problem ist, dass wir derzeit die Entwicklung in der MigrantInnenszene haben, dass „Neo-Österreicher“ keine Verbindung mehr zu den rechtlosen MigrantInnen haben und die Meinung vertreten: „Ich kann eh nichts ändern“.
Eine Vernetzung unter den alternativen Medien könnte dazu führen, dass wir zu Wahlzeiten mit anderen Vorstellungen auftreten. Es geht z.B. darum, von den Steuern, die wir zahlen, auch etwas für uns zu bekommen. Wie können wir die Stadt Wien dazu bewegen, dass der Informationsdienst seine Politik so gestaltet, dass alle zum Zug kommen. Es geht immer um die finanziellen Mittel und wir müssen dementsprechend auch gewisse Themen aufarbeiten: Was heisst es etwa, als Alternativmedium in einer Metropole zu arbeiten? Was heisst es, gemeinsame Linien zu finden? Wir haben derzeit eine zerstreute Situation, die Menschen kommen zuwenig zusammen, um sich auseinanderzusetzen. Es gibt SPÖ- und ÖVP-MigrantInnen, mittlerweile auch BZÖ-Migranten, demnächst werden wir wohl auch Freiheitliche Migranten haben. Gibt es überhaupt außerhalb der Parteien eine Möglichkeit, sich zu bewegen? Darüber muss eine Diskussion geführt werden, aber diese Diskussion findet nicht statt.

A.B.:Alternativmedien könnten sich auch mehr aufeinander beziehen, oder sich auch zitieren, um sich mehr Gehör zu verschaffen. Das ist immer eine Strategie, wie man von unten mehr erreichen kann.

S.A.: Eine Tatsache ist ja, dass die repräsentative Demokratie auch repräsentative Medien produziert; ohne Auseinandersetzung mit der repräsentativen Demokratie kann es auch keine Auseinandersetzung mit repräsentativen Medien geben. Dabei gibt es so viele NichtwählerInnen, und die sind auch nicht mit diesen Machtstrukturen zufrieden: Parlament und Landtag, das interessiert viele Menschen nicht mehr. Wir versuchen in unserer Redaktion eine Möglichkeit zu finden, von diesen Mehrheitsentscheidungen wegzukommen. Abstimmungen grenzen ja andere aus. Wie können wir andere Lösungsmethoden entwickeln und gleichberechtigte Zugänge schaffen, auch untereinander? Ist das überhaupt erwünscht? Jeder ist KapitänIn ihrer/seines eigenen Schiffes und wird hin und hergetrieben. So sieht die Situation aus. Vielleicht kann man zusammenkommen?

A.B.:Man kann auf jeden Fall gemeinsame Strategien einüben, z.B. zu Pressekonferenzen zu gehen. Nur braucht es dafür Vorbereitung und eine gewisse Professionalität. Es wäre toll, wenn sich alternative Medien dieses Wissen auch gegenseitig weitergeben zu können.

Ich bin ja ausgesprochen skeptisch in Bezug auf die jetzt schon mehrfach geäusserte Vorstellung, dass alternative Medien die Rolle haben, die Kritik zu üben, die sonst unterbleiben würde, dass also diese „Gegenöffentlichkeit“ immer am Mainstream gemessen wird. In Wirklichkeit kann es ja nie darum gehen, tatsächlich mit den an.schlägen gegen NEWS anzutreten oder mit Öneri gegen den ORF. Hat das Gefühl des Nicht-ernst-genommen-werdens nicht auch damit zu tun, dass dieser Anspruch nicht erfüllbar ist? In dieser Hinsicht sind die Alternativmedien alle zusammengenommen – so vernetzt sie auch seien – doch chancenlos.

S.A.: Es geht nicht darum, sich zu messen. Wir erzeugen eine Medienkultur. Hauptmedium ist derzeit entweder Fernsehen oder Internet, es geht eine Kultur des Lesens und Schreibens verloren. Die Mainstream-Medien vermitteln alle die gleichen Informationen, haben aber das Monopol, eine Machtstellung, die das Töten der Neugierigkeit unter den Menschen immer mehr fördert. Dem entgegenzuwirken heißt auch, über andere Informationsquellen zu verfügen. Kann es überhaupt eine Vernetzung, einen Informationspool geben, um Informationen auszutauschen, die über Mainstream-Medien nicht getragen werden?

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Das war es aber, was ich meinte: Dass das Bereitstellen von Informationen nur ein kleiner Teil einer kritisch-politischen journalisitischen Arbeit sein kann. Speziell in der österreichischen Innenpolitik haben wir doch in den letzten Jahren gesehen, dass das Problem nicht ist, ob die problematischen oder ungeheuerlichen Dinge bekannt sind, sondern wie damit umgegangen wird. Müsste nicht eine publizistische politische Intervention andere Prioritäten haben, als nur kostenlos oder unkompliziert an Agenturmeldungen angedockt zu werden?

S.A.: Jeder hat hier Internetzugang, darum geht es tatsächlich nicht. Ein wichtiger Punkt ist auch die Häufigkeit des Erscheinens, wenn wir einmal im Monat rauskommen, sind Informationen z.T. schon veraltet, und wenn die Leute jeden Tag immer frische, massenweise Informationen bekommen, besteht nicht mehr das Interesse, eine Nachricht von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten. Wie kann man das lösen? Es gibt viele offenen Fragen. Man kann über die Form des Informationsaustausches reden, aber ich sehe leider doch immer wieder verschiedene Plattformen, wo man sich zweimal trifft und dann ist es aus. Und das ist eine schlechte Tradition, das muss eine Wende erfahren. Was passiert mit den Jugendlichen, den Folgegenerationen? Können wir auch Jugendliche, universitäre Kreise ansprechen? Gemeinsame Plattformen schaffen find ich sehr wichtig, auch die Auseinandersetzung mit der Stadt Wien. Es gibt in diesem Land auch Leute die nicht rot, grün, schwarz oder sonstwas sind, was ist mit denen?

A.B.: Eine Möglichkeit wäre, dass sich Alternativmedien bestimmte gemeinsame Forderungen überlegen und diese zum Thema machen, speziell während der Wahlkampfzeiten.

S.A.: Mir geht aber auch eine gewisse Art von Aktionismus ab. Wir haben als Öneri versucht, alternative Plattformen zu schaffen, das hieß „Talksalon“: Einmal haben wir „Muslime in Wien“ und einmal die Gemeinderatswahlen diskutiert. Ich glaube, dass die Öffentlichkeit sichtbare Diskussionen und lebhafte Beteiligung braucht, nicht nur schriftliche Auseinandersetzungen. Viele Menschen wollen nur in ihrer eigenen Suppe rühren, aber der Kreis der Menschen, die sich für so etwas interessieren würden, ist sehr wohl vorhanden. Eine andere Idee wäre, teilweise mehrsprachig zu erscheinen, also einzelne Texte auf beispielweise türkisch oder serbokroatisch abzudrucken. Es gibt mittlerweile Leute in Wien, die diese Sprachen auch lernen und das lesen würden ... Multikulturalität auch auf sprachlicher Ebene. Ich merke eine geistige Sturheit, was die Sprachen betrifft, ein Leugnen der Vielfalt. Die sprachliche Vielfalt sollte auch in der Medienlandschaft vorkommen.


Moderation: Ingo Lauggas
Transkription: Kati Morawek

Erschienen als "Diskursiv" in MALMOE # 34 (September 2006)

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