Univ. Doz. Dr. Franz Embacher Petra Oberhuemer
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CD-ROM und Online-Galerie Mathematik

Projektbeschreibung

Jänner 1998
 

Zusammenfassung

 

1. Entwicklung multimedialer Lerneinheiten (Java-Applets)

Die heute zur Verfügung stehenden multimedialen Techniken erlauben die Gestaltung von Lehrmitteln, die Prozesse der mathematischen Begriffsbildung auf völlig neue Weise unterstützen können und die kein Äquivalent in Büchern besitzen. Dabei handelt es sich vor allem um dynamische Diagramme, d.h. graphische Darstellungen mathematischer Sachverhalte, in denen die Benützer durch ihre eigene Tätigkeit (im Allgemeinen durch das Betätigen eines Schiebereglers) dynamische Echtzeit-Veränderungen bewirken können. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit zwangsläufig auf die beweglichen Teile eines solchen Diagramms und kann zielgerichtet (z.B. durch numerische Ausgabefelder, in denen "Variable" sichbar "variieren") auf die in der Mathematik übliche symbolische Sprache weitergeleitet werden. So kann in vielen Kontexten einerseits besser zwischen "wichtig" und "unwichtig" unterschieden werden, andererseits fallen mathematische Abstraktionsprozesse und das Erlernen der dazu notwendigen Sprache leichter. Ein Diagramm im konventionellen Printmedium (das für professionelle Mathematiker einen bestimmten Sachverhalt klar und übersichtlich illustriert) besteht aus der Sicht vieler Lernender lediglich aus einer verwirrenden Ansammlung von Kurven, Hilfslinien und Symbolen. Selbst das von der Lehrperson an die Tafel gezeichnete Bild ist selten für alle SchülerInnen durchschaubar. Hinzugefügte Erläuterungen in Formelsprache bewirken in solchen Situationen selten Klarheit. Hingegen hat eine dynamische Version desselben Diagramms wesentlich bessere Chancen, einen Erkenntnisprozeß zu vermitteln. Bei der konkreten Umsetzung sind natürlich der jeweilige wissenschaftliche Hintergrund und das jeweilige didaktische Ziel zu berücksichtigen.

Einige Beispiele dynamischer Diagramme sind in der  Demo-Version einzusehen. Insbesondere das Beispiel "Zur Definition der Ableitung" zeigt, wie weitgehend die neue Lernform die Möglichkeiten des Unterrichtens und des Selbststudiums bereichern kann: Bereits bevor die rechnerischen Regeln des Differenzierens gelernt worden sind, können die Benützer alle wichtigen Grundbegriffe der Differentialrechnung, soweit sie eine geometrische Anschauung zulassen, einüben. Das umfaßt sogar das für Kurvendiskussionen benötigte Instrumentarium. Daneben werden die geometrischen Verhältnisse mit der nötigen abstrakten Symbolik gekoppelt. Ähnliches gilt etwa für das Beispiel Zeichenebene und Koordinatensystem, in dem es um die Vermittlung des Zusammenhangs zwischen der Position eines Punktes und seinen Koordinaten geht. Auch hier können Begriffe, die in weiterer Folge in stark formalisierter Form verwendet werden (Lösung von Gleichungssystemen und deren Interpretation als Schnittpunkt zweier Geraden) leicht eingeübt werden. Leider finden sich weder im Angebot traditioneller Lernsoftware noch am Internet viele in dieser Hinsicht geglückte Lehrmittel.

Alle für das Verständnis des Stoffs wesentliche Stationen werden auf die Einsatzmöglichkeit dynamischer Diagramme und ähnlicher Einheiten hin überprüft. Damit erfüllen sie für die "Zusammenschau" des Stoffganzen eine wichtige Funktion. (So weisen etwa die drei Beispiele "Der Anstieg einer Geraden", "Funktion und Funktionsgraph" und "Zur Definition der Ableitung" der Demo-Version bereits durch die konkrete Art der Ausgestaltung aufeinander und sind durchaus als "Stufen" in einem Lernprozeß zu sehen). Viele dieser Einheiten werden jedoch auch einzeln einsetzbar sein, insbesondere, wenn eine Lehrperson zur Verfügung steht (also im Schulunterricht und in Kursen der Erwachsenenbildung).

Aufgrund universeller Abrufbarkeit dieser Anwendungen im Internet werden sie als Java-Applets gestaltet. Ein Applet wird durch den einfachen Aufruf einer Internet-Seite in den lokalen Web-Browser geladen und dort ausgeführt. Dadurch ist umständliches "Downloaden" und Installieren von Software hinfällig (ein besonderer Vorteil für alle Anwender, die nur beschränkte Computerkenntnisse mitbringen), und es treten keine netzbedingten Wartezeiten während der Ausführung aus. Da die meisten heute verwendeten Browser Java-fähig (und überdies gratis erhältlich) sind, scheint dies mit Abstand die beste Lösung zu sein. Java-Applets sind natürlich auch problemlos in die umfassendere CD-ROM zu integrieren.
 
 

2.  Einrichtung der Online-Galerie am Internet

Applets oder Gruppen von Applets, die losgelöst vom Stoffganzen sinnvoll eingesetzt werden können, werden bereits im Laufe des Sommersemesters 1998 am Internet zur Verfügung gestellt. Das garantiert von Anfang an eine ständige Bewährungsprobe in der Unterrichtspraxis und die Möglichkeit, kurzfristig Rückmeldungen von LehrerInnen und SchülerInnen zu erhalten und diese korrigierend zu berücksichtigen. Diese Aktivitäten werden in Zusammenarbeit mit dem an der Universität Wien laufenden NetScience-Projekt durchgeführt.

NetScience ist eine Initiative, mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologien Brücken zwischen Schule und Universität zu bauen und ist vor allem um naturwissenschaftliche Fächer zentriert. Dabei wird auf Mehrsprachigkeit (z.B. durch Einbeziehung einer slowenischen Partnerschule) und die Entwicklung von Angeboten zu fächerübergreifendem Unterricht Wert gelegt. Phase 1 begann im Herbst 1997,  Phase 2 liegt gegenwärtig zur Begutachtung zur weiteren Unterstützung beim  European Schoolnet vor. NetScience 2 sieht die Erstellung konkreter Unterrichtseinheiten in Form kleinerer themenzentrierter Projekte sowie die Entwicklung einer Applet-Sammlung vor und setzt sich zum Ziel, die Landschaft der zur Verfügung stehenden Online-Lehrmittel nachhaltig zu bereichern und - auch international relevante - Maßstäbe zu setzen. Bei der Antragstellung wurde ihm die Unterstützung durch das Bundesministerium für Unterricht und Kulturelle Angelegenheiten zuteil. Der Beginn von Phase 2 ist mit Anfang Sommersemester 1998 angesetzt.

Die Online-Galerie wird (voraussichtlich unter dem Namen "Mathe online") im Rahmen der Website von NetScience angeboten werden. Damit ergibt sich die Möglichkeit,  Mathematik-Applets bereits während der Entwicklungsphase einer größeren Schulöffentlichkeit zu präsentieren und in eine mehrere Unterrichtsfächer umfassende Initiative zu einzubetten.
 
 

3.  Test der Online-Galerie im AHS- und BHS-Unterricht
 
Integraler Bestandteil von NetScience ist die laufende Anwendung und Erprobung der entwickelten Unterrichtseinheiten. Zahlreiche AHS- und BHS-LehrerInnen haben sich bereits an einer Teilnahme interessiert gezeigt. Sie werden nicht nur die
Anwendung und Evaluation des Materials (Erfassung der Erfahrungen durch Fragebogen an alle Beteiligten, auch der SchülerInnen) durchführen, sondern sind auch in die Entwicklung miteinbezogen. (Für eine Auflistung der Namen und Schulen aller bis Dezember 1997 feststehenden Beteiligten, siehe den Antrag NetScience 2).

Durch die Zusammenarbeit mit NetScience ist die praktische Erprobung der Online-Galerie in einem vergleichsweise großen Rahmen sichergestellt. Die Evaluationsergebnisse werden einen methodisch ausgewiesenen Test unseres didaktischen Ansatzes darstellen und sollen in einschlägigen Fachzeitschriften publiziert werden.

 
 
4.  Test der Online-Galerie in der Erwachsenenbildung
 
Neben den Tests in AHS und BHS wird die Online-Galerie in Kursen der Erwachsenenbildung erprobt und evaluiert werden. Dies wird gemeinsam mit der pädagogischen Referentin des Verbands Wiener Volksbildung, Dr. Elisabeth Brugger, durchgeführt werden. An mehreren Wiener Volkshochschulen (Ottakring, Floridsdorf, Meidling sowie an der VHS Wien-Nord-West, die unter dem Namen "Cyber-Bar" einen freien Internet-Zugang eingerichtet hat) werden in Zusammenarbeit mit DirektorInnen und KursleiterInnen geeignete Anwendungs- und Testsituationen hergestellt werden. Hierfür kommen Kurse zur Vorbereitung von Berufsreifeprüfung und Studienberechtigungsprüfung, EDV-Kurse und allgemeine Bildungsangebote (wie Seniorenakademie) in Frage.

Adaptionen von Projekten im Bereich der elektronischen Medien auf die Bedürfnissen und Besonderheiten der Erwachsenenbildung werden von uns als besonders wichtig für die Zukunft dieses Bildungssektors eingeschätzt. Die Evaluationsergebnisse sollen ebenfalls in der einschlägigen Fachpresse publiziert werden.

 
 
5.  Entwicklung des didaktischen Gesamtkonzepts unter Einsatz der Hypertexttechnologie
 
Die CD-ROM, die das angestrebte Endprodukt des Projekts darstellt, soll den Stoff sowohl im Einzelnen als auch im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen den verschiedensten Teilgebieten vermitteln. Die in der Online-Galerie angebotenen Applets werden dabei nur einen Teil darstellen. Der didaktische Ansatz bei der Erstellung einer verbindenden Struktur, die erst ein einheitliches Lehrmittel ausmacht, ist der Einsatz von Hypertext. Diese Technologie ist durch ihre Rolle im World Wide Web bereits vielen Menschen geläufig. Um eine inflationäre Vernetzung von "alles mit allem" zu vermeiden und das Navigationssystem an die "logische Struktur" des Stoffs zu koppeln, ist eine sorgfältige, wissenschaftlich und didaktisch ausgewiesene Gestaltung des Gesamtstoffs im Hinblick auf lernunterstützende Positionierung von Hyperlinks notwendig. Diese wird im Rahmen eines von der Österreichischen Nationalbank geförderten Teilprojekts durchgeführt werden.

Da unsere diesbezüglichen didaktischen Ausgangspositionen (zusammen mit einem Beispiel über die Strukturierung des Kapitels "Extremwerte") sehr ausführlich im Projektantrag an die Nationalbank (September 1997) formuliert worden sind, sei hier auf dieses Dokument verwiesen.
 

 
6. Erstellung geeigneter Übungsbeispiele und Zusatzmaterialien, Gestaltung des Endprodukts
 
Zusätzlich zu einer textmäßigen Bearbeitung des Gesamtstoffs werden Übungsbeispiele, die, sofern möglich, interaktiven Charakter haben und Möglichkeiten der Selbstkontrolle bieten, entwickelt. Als besonders wichtig erachten wir die systematische Besprechung von "Fehlern" (die ja bekanntlich immer einen wahren Kern haben, aus dem sich lernen läßt). Die Aufnahme von Anmerkungen über die Geschichte der Mathematik sowie eine Zusammenstellung von aus dem Alltag her bekannten Sachverhalten, die die Illustration mathematischer Ideen erlauben, und ein Lexikon mathematischer Begriffe erscheinen sinnvoll, um das Produkt abzurunden und auf möglichst viele unterschiedliche Benützerbedürfnisse abzustimmen. Ebenso ist die Aufnahme eines Computer-Algebra-Systems wünschenswert.

Die allgemeinen Gestaltungsprinzipien der CD-ROM und unsere konkreten Vorstellungen über den inhaltlichen Aufbau sind in der ersten Projektbeschreibung (April 1997) und in den Bemerkungen zur Rolle des elektronischen Mediums im Projekt CD-ROM Mathematik (Juli 1997) niedergelegt worden. Wir werden bei der Ausgestaltung der einzelnen Teilgebiete auf Mithife aus dem Mathematischen Instituts der Universität Wien (Univ. Prof. Dr. Hans Christian Reichel, Univ. Prof. Dr. Michael Grosser) zählen können.

Die CD-ROM soll besonders jenen Benützern, die auf das Selbststudium angewiesen sind und Probleme mit dem Erlernen mathematischer Strukturen haben (ob es sich nun um Nachhilfe oder Erwachsenenbildung handelt) einen einfühlsamen Einstieg bieten. Der Verwendbarkeit im Unterricht wird dadurch kein Abbruch getan. Weiters soll bei den fortgeschrittenen Stoffteilen kein inhaltlicher Abstrich gemacht werden. Das Produkt soll den Benützern - je nach ihren Zielen - nicht nur als Vorbereitung für verschiedene Prüfungen dienen (Studienberechtigungsprüfung, Berufsreifeprüfung, AHS- und BHS-Matura), sondern auch die Möglichkeit geben, Gebiete zu erlernen, die in universitären Bereichen relevant sind. Die Erlernung des dafür notwendigen beträchtlichen Maßes an Anstraktionsfähigkeit geschieht nach ähnlichen Gesetzmäßigkeiten wie in den "leichteren" Partien. Die CD-ROM soll daher ein vom didaktischen Gesichtspunkt einheitliches und vom inhaltlichen Gesichtspunkt her umfassendes Lehrmittel darstellen. Allerdings müssen wir einräumen, daß das Ausmaß, in dem wir diese Vorstellungen verwirklichen können, von der finanziellen Situation des Projekts in seinen späten Stadien abhängen wird. Ein übersichtliches Modulsystem wird es uns gestatten, im Hinblick auf die Ausgestaltung einzelner Kapitel und Verfeinerung der Darstellung flexibel zu sein. Es wird auch zu jedem späteren Zeitpunkt Veränderungen und Aktualisierungen möglich machen.

Die Produktion, Bewerbung und der Vertrieb des Endprodukts wird vom Verlag Hölder-Pichler-Tempsky, der seinen Schwerpunkt im Bereich naturwissenschaftlicher Lehrmittel angesiedelt hat, übernommen werden.

Als über die geplante Entwicklungsphase hinausgehende längerfristige Ziele wäre die Einbeziehung von Moduln zur Mathematik-Olympiade und eine sinnvolle Form der Nachbearbeitung (etwa in Form eines Workshops mit österreichischen FachdidaktikerInnen) wünschenswert. Letzteres könnte helfen, das Produkt über einen längeren Zeitraum hindurch dynamisch zu optimieren.

 
 
 
                                                                                Franz Embacher                        Petra Oberhuemer