Univ. Doz. Dr. Franz Embacher
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Einige Bemerkungen zur Rolle des elektronischen Mediums im Projekt "CD-ROM Mathematik"

Juli 1997

Im folgenden wollen wir unsere Vorstellungen über die innovativen Möglichkeiten eines multimedialen Lehrmittels anhand unseres Projekts "CD-ROM Mathematik" darlegen.

Der Stoff ist zunächst, ebenso wie in einem Buch, in Kapiteln eingeteilt. Unsere Grundkonzeption besteht in der Einheit verschiedener "Ebenen", die sich in all diesen Kapiteln wiederfinden, und innerhalb derer jeweils verschiedene Möglichkeiten angesiedelt sind, das elektronische Medium zur Unterstützung des Lernprozesses zu nützen. Die wichtigsten Ebenen sind
 

Text
Beispiele
Fehler
Wissenswertes - Historisches
 
(wobei wir zusätzlich zwei Schwierigkeitsgrade anbieten, worauf hier der Kürze halber nicht eingegangen wird).

In der Textebene wird "im Stil eines Lehrbuchs" der fachliche Stoff vorgestellt. (Gerade dies fehlt in vielen der heute auf dem Markt befindlichen elektronischen Mathematik-Lernhilfen). Wir wollen an dieser Stelle nicht die konkrete didaktische Aufbereitung des Stoffs erörtern. (Klarerweise wird unser wissenschaftlicher, didaktischer und persönlicher Stil einfließen. Es sei nur angemerkt, daß sich die Darstellung auch an schwächeren SchülerInnen und Menschen, die den Zweiten Bildungsweg einschlagen, orientiert und entsprechend einfühlsam gestaltet sein soll). Hier geht es uns vor allem um etwas anderes:

Das elektronische Medium bietet eine strukturelle Gestaltungsmöglichkeit, die im Schlagwort "Navigationssystem" zusammengefaßt werden kann. Vereinfacht gesagt, geht es dabei um die Möglichkeit, mit Hilfe von hyperlinks (die ähnlich wie im World Wide Web funktionieren) Rückgriffe auf frühere (logisch vorgelagerte) Stoffteile --- die ja auch in der konventionellen Buchform theoretisch gegeben sind --- erheblich zu vereinfachen. Einerseits handelt es sich dabei um eine schlichte Hilfe, die langes Blättern in Stichwortverzeichnissen und das Suchen nach Querverweisen zu einem großen Teil überflüssig macht. Andererseits kann bei gezielter, didaktisch fundierter Plazierung dieser Verbindungen der logische Aufbau der Präsentation unterstrichen werden. Vereinfacht gesagt: die "logische Struktur der Mathematik" selbst, ebenso wie der "momentane Standort" im Hinblick auf das logische Ganze des Stoffs, können durch ein gezielt entwickeltes hypertext-design unterstrichen und vom Lernenden besser verstanden werden. Wird eine inflationäre Verwendung von hyperlinks (wie sie leider vom World Wide Web, aber auch von CD-ROM-Produkten her bekannt ist) vermieden, und werden die Zieladresse und der Sinn jedes links kurz beschrieben, so kann man sich also eine gewisse strukturelle Verwandschaft zwischen dem Aufbau des Stoffs und seiner Einbindung in das elektronische Medium zunutze machen. Letzteres wird nicht einfach ein für den Benützer bequemes Medium, sondern erleichtert entscheidend den im Zentrum stehenden mathematischen Erkenntnisprozeß, den wir als das wesentliche Ziel jeglichen Mathematikunterrichts ansehen.

Die "horizontale" Navigation, d.h. das Bewegen innerhalb des in Kapiteln angeordneten Stoffgebäudes, wird unterstützt durch eine graphisch ansprechende und die logische Struktur hervorhebende Darstellung, die sowohl zum Anwählen gewünschter Stellen als auch als "Orientierungsplan" dient. (Siehe beigelegtes Diagramm; dieses versteht sich nur als veranschaulichendes Beispiel und ist noch nicht die endgültige Version).

Darüberhinaus bestehen auf der Textebene natürlich auch Möglichkeiten, die über jene der traditionellen Buchform hinausgehen, insbesondere, was die Visualisierung mathematischer Sachverhalte (z.B. Graph einer Funktion, Ableitung einer Funktion) und die Einbeziehung interaktiver Elemente betrifft.

Die Beispielebene bietet - neben den oben erörterten navigatorischen Möglichkeiten, die natürlich nicht strikt auf die Textebene beschränkt sind - des weiteren die volle Ausnützng der interaktiven Elemente eines multimedialen Lehrmittels. Wir verzichten hier auf Details (die sehr stark vom jeweiligen Stoffgebiet abhängen) und beschränken uns auf die Stichworte Demonstrationsbeispiele, interaktive Beispiele, schrittweise Hilfe beim Lösen von Beispielen, Fehlerkorrektur (manchmal ist sogar Fehlererkennung und -analyse möglich), Visualisierung, Erfolgsbewertung und Selbstkontrolle. Die Hypertext-Technologie unterstützt die Verbindung zur Textebene, also gewissermaßen die Verbindung zwischen mathematischer Theorie und Beispielrechnen. Niemand wird abstreiten, daß die Herstellung dieser Verbindung in der Schulpraxis (und auch bei den üblichen Formen des Nachhilfeunterrichts) extrem schwierig ist. Wiederum unterstützt das elektronische Medium hier Prozesse, die "an sich" vom Medium unabhängig sind.

Die Ansiedlung einer eigenen Fehlerebene verrät vielleicht am ehesten unseren persönlichen didaktischen Stil. Hier kann auf systematische Weise die mathematische Reflexion (auch in häufig gemachten "Fehlern" steckt strukturelles Denken, und daraus läßt sich lernen) mit den navigatorischen und interaktiven Möglichkeiten verbunden werden.

Die Ebenen Wissenswertes mit besonderer Betonung alltagsrelevanter Bezüge mathematischer Strukturen und Historisches dienen - neben der Allgemeinbildung und dem Ansprechen weiterer Benützergruppen - der zusätzlichen Motivation. Wiederum bietet die Hypertext-Technologie die Möglichkeit, didaktisch wohldurchdachte Verbindungen zum "eigentlichen" Stoff zu erleichtern.

Die CD-ROM Mathematik soll verschiedensten Motivations-- und Lerntypen gerecht werden, d.h. sowohl Personen, die sich direkt von der Beschäftigung mit formalen Strukturen und Formeln (Textebene) her ansprechen lassen, als auch solchen, für die Visualisierungen und aktives (hier: interaktives) Handeln (Beispielebene), Selbstkritik (Fehlerebene) oder außermathematische Fragen (Ebenen für Wissenswertes und Historisches) als stimulierende Motivationen notwendig sind. Durch den gezielten Einsatz navitagorischer und interaktiver Elemente wird, zusätzlich zu den oben ausgeführten Zielen, die Selbständigkeit und Phantasie der Benützer in den Dienst der Vermittlung von Mathematik genommen.

Wie sehen die Rolle des elektronischen Mediums also darin, eine über die traditionelle Buchform hinausgehende Dimension der Unterstützung zu eröffnen. In manchen Situationen (insbesondere im Zweiten Bildungsweg, der oft von Menschen eingeschlagen wird, die die meisten - auch inneren - Bezüge zu ihrer Schulzeit bereits verloren haben und einem Beruf nachgehen, der Selbststudium oder Fernlernen notwendig macht) wird das multimediale Lehrmittel die Beschäftigung mit Mathematik auf dem erforderlichen Niveau erst ermöglichen. Es sei zusätzlich angemerkt, daß die Tendenz zu verschiedenen Formen des Selbst- und Fernstudiums (insbesondere bei Nachqualifikationen) einem globalen Trend entspricht. Die Notwendigkeit der Entwicklung entsprechender Lehrmittel wird auch von der Europäischen Union erkannt und in zahlreichen Programmen (die sich vor allem an transnationale Projekte richten) gefördert.

Die in das Produkt zu integrierenden Computer-Algebra-Systeme (CAS) spielen - gemeinsam mit einem Lexikon - in unserem Konzept die Rolle von Zusatzwerkzeugen, die jederzeit aufgerufen und benützt werden können.

Zum Stoffumfang der CD-ROM sei betont, daß neben den AHS- und BHS-Stoffgebieten auch die Einbeziehung von Kapiteln geplant ist, die in einzelnen Universitätsstudien (meist in Form von Lehrveranstaltungen während der ersten Semester) relevant sind. Die Aufnahme dieser Gebiete in ein einziges Lehrmittel, in dem die Mathematik vom Beginn des Oberstufenstoffs an dargestellt wird, in dem also ein direkter Anschluß der oft sehr formalen und für viele Studierende schwierigen Gebiete an den Mittelschulstoff gegeben ist, stellt wohl ohne große Übertreibung ein großes Bedürfnis dar.

Da die Kapitel- und Ebeneneinteilung weitgehend einem Modulsystem folgt, ist das Produkt andererseits auf eine besonders effiziente Einbeziehung zukünftiger Veränderungen und Erweiterungen hin (insofern "offen") konzipiert. Bei einer ökonomischen Handhabung des logischen Aufbaus wird es auch für die Benützer, sowie für Lehrer und Kursleiter, sehr leicht möglich sein, für gewisse Bildungsziele (Schultypen, verschiedene Nutzungsmöglichkeiten im Erwachsenenbildungsbereich, wie etwa Studienberechtugungsprüfung, und an Universitäten) einzelne Kapitel aus dem jeweils erforderlichen Curriculum wegzulassen. Der für verschiedene Schultypen etc. notwendige Stoffumfang und die erforderliche Tiefe in der Durchdringung des Stoffs kann außerdem von jedem Benützer abgefragt werden. (Dies wird durch die zusätzliche Teilung der Text- und Beispielebenen in zwei Schwierigkeitsgrade erleichtert).

Es sei angemerkt, daß dem Trend zur verstärkten Verwendung multimedialer Lernhilfen auch von derösterreichischen Bundesregierung Rechnung getragen wurde. (Siehe etwa den Bericht "Informationsgesellschaft", Wien 1997, Kapitel 7, insbes. Abschnitt 7.3: Prioritäten und Maßnahmen).

Wir hoffen, in ausreichender Weise unser didaktisches Konzept und den innovativen Charakter unseres Vorhabens dargelegt zu haben.