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An Robert Klopstock
Es ist vielleicht besser den Brief schriftlich zu beantworten.
Im Ganzen enthält er das, was ich schon vorher wußte und was
Sie wenden mögen, wie Sie wollen, ohne daraus etwas anderes machen
zu können als das, was es ist: Sie sind von der Substanz enttäuscht
und behaupten sich und mir gegenüber, von der Relation enttäuscht
zu sein. Das ist natürlich nicht nur für Sie eine Qual, sondern
auch eine große Qual, die Sie mir antun. Sie nähern sich ja
gewiß der Aufdeckung dieses Irrtums, aber vorläufig scheint
noch einige Zeit bis dahin nötig zu sein, Rettung wird ja auch die
Aufdeckung nicht bringen, wie überhaupt hier nur Enttäuschung
zu finden ist; je tiefer man gräbt, desto tiefere Enttäuschung.
Unrecht haben Sie, wenn Sie eine so einschneidende Unterscheidung zwischen
Matlar und Prag machen. Sie waren in Matlar ebenso fortwährend enttäuscht.
Auch die dortigen "großen Gebirge" sind wahrhaftig nicht
jene, zwischen denen das Paradies lag.
Was die Bemerkung hinsichtlich [ein durchgestrichenes, unleserlich gemachtes
Wort] betrifft, so ist das verhältnismäßig eine unwesentliche
Kleinigkeit, aber warum ich dabei Unrecht gehabt haben soll, wenn Sie etwas,
was ich in Geschwätzigkeit Ihnen als großes Geheimnis anvertraut
habe, vor einem Dritten (mag es auch nur das ganz uninteressierte Frl.
Irene gewesen sein) mit einer Art Behagen laut erzählen und als ich
Sie zurückhalten will, es noch mit Lust und Lächeln wiederholen
- warum ich dabei Unrecht gehabt haben soll, kann ich nicht verstehn.
Recht haben Sie aber mit dem, was Sie über die Frage nach der Traurigkeit
sagen. Das war allerdings eine unehrliche Verlegenheitsfrage, aber warum
soll gerade ich solche Verlegenheitsfragen nicht stellen dürfen, ich,
für den sie erfunden worden sind?
Die angebliche "Unebenbürtigkeit" besteht darin, dass
wir verzweifelte Ratten, die den Schritt des Herrn hören, nach verschiedenen
Richtungen auseinander laufen, z. B. zu den Frauen, Sie zu irgendjemandem,
ich in die Literatur, alles allerdings vergeblich, dafür sorgen wir
schon selbst durch die Auswahl der Asyle, durch die Auswahl der besondern
Frauen u. s. w. Das ist die Unebenbürtigkeit.
Dabei kann ich zugeben, dass zwischen mir in Matlar und Prag doch
ein Unterschied besteht. Ich habe inzwischen, nachdem ich durch Wahnsinnszeiten
gepeitscht worden bin, zu schreiben angefangen und dieses Schreiben ist
mir in einer für jeden Menschen um mich grausamsten (unerhört
grausamen, davon rede ich gar nicht) Weise das Wichtigste auf Erden, wie
etwa einem Irrsinnigen sein Wahn (wenn er Ihn verlieren würde, würde
er "irrsinnig" werden) oder wie einer Frau ihre Schwangerschaft.
Das hat mit dem Wert des Schreibens, wie ich auch hier wiederhole, gar
nichts zu tun, den Wert erkenne ich ja übergenau, aber ebenso auch
den Wert, den es für mich hat... Und darum halte ich das Schreiben
in zitternder Angst vor jeder Störung umfangen und nicht nur das Schreiben,
sondern auch das dazu gehörige Alleinsein. Und wenn ich etwa gestern
sagte, dass Sie nicht Sonntag abend, sondern erst Montag kommen sollen
und Sie zweimal fragten: "abend also nicht?" und ich also wenigstens
auf die zweite Frage antworten mußte und sagte: "Ruhen Sie
sich einmal aus", so war das eine restlose Lüge, denn ich meinte
mein Alleinsein.
Dieser Unterschied also besteht sehr stark gegenüber Matlar, sonst
aber keiner, freilich auch nicht der, dass ich hier weniger "machtlose
(wie Sie es richtig ausdrücken) wäre, als ich es in Matlar war.
Das Inliegende ist abend bei halbwegs guter Festigkeit geschrieben worden.
In der zum Teil schlaflosen, zum Teil schlafzerstörten Nacht habe
ich einen andern Brief noch ausgedacht, der mir aber jetzt am hellen Tag
doch auch wieder unzeitgemäß scheint. Nur dieses: Jedenfalls
verdient die Wahrheit und Schönheit Ihres Briefes und die Wahrheit
und Schönheit Ihres Blicks, dass ich mit meiner Wahrheit und
meiner Häßlichkeit antworte. Das habe ich aber auch seit jeher
getan, mündlich und schriftlich, seit dem ersten Nachmittag im Liegestuhl,
seit dem ersten Brief nach Iglo und es ist eben das allerquälendste,
dass Sie mir nicht glauben (während ich Ihnen glaube) oder noch
ärger, dass Sie mir sowohl glauben als nicht glauben, aber sowohl
mit dem Glauben als dem Nichtglauben mich schlagen und jedenfalls immerfort
mit der an den Lebensnerv gehenden Frage: "Warum sind Sie nicht anders
als Sie sind?" mich anbohren, anbrennen.
Übrigens enthält Ihr Brief doch eine Neuigkeit, die mir erst
im Zusammenhang mit Ihrem Stottern vor dem Doktor klar wird, die ich aber
doch nicht glaube. Seit jeher stand in Besprechungen und Briefen folgendes
zwischen uns fest: In Budapest können Sie nicht studieren, aus drei
Hauptgründen, weil Sie in die Welt müssen, weil Sie in der Nähe
Ihrer Cousine nicht: leben können, vor allein aber wegen der politischen
Verhältnisse. Fast in allen Briefen haben Sie das wieder bekräftigt.
So heißt es noch in dem Brief, in welchem Sie den Paß zuletzt
verlangten, dass die Aufenthaltsbewilligung des Preßburger Ministeriums
unbedingt in den neuen Paß hinübergenommen werden müsse,
weil ein Aus-Ungarn-nicht-Hinauskommen unter den gegenwärtigen Verhältnissen
den Tod bedeutet. (Das erschien mir zwar übertrieben, aber es genügte
jedenfalls, dass Sie von ferne daran glaubten, um Budapest als Studienort
für Sie auszuschließen.) Und in dem allerletzten Brief aus Budapest
heißt es wieder, dass Sie neben. der Cousine nicht leben können.
Budapest also war unmöglich, das erkannte ich an, aber von mir war
dabei keine Rede, von mir war erst dann die Rede, als es sich darum handelte,
unter den Universitäten außerhalb Budapests zu wählen.
dass Sie dann mit Rücksicht auf mich und Sonstiges Prag wählten,
hielt ich für richtig, aber alles nur unter der Voraussetzung, dass
Budapest unmöglich war, aber unmöglich ohne Rücksicht auf
mich. Darin will nun Ihr gestriger Brief eine Änderung herbeiführen.
Darin haben Sie Unrecht.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at