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An Robert Klopstock

[Prag, Ende März 1923]
 

Es ist vielleicht besser den Brief schriftlich zu beantworten.

Im Ganzen enthält er das, was ich schon vorher wußte und was Sie wenden mögen, wie Sie wollen, ohne daraus etwas anderes machen zu können als das, was es ist: Sie sind von der Substanz enttäuscht und behaupten sich und mir gegenüber, von der Relation enttäuscht zu sein. Das ist natürlich nicht nur für Sie eine Qual, sondern auch eine große Qual, die Sie mir antun. Sie nähern sich ja gewiß der Aufdeckung dieses Irrtums, aber vorläufig scheint noch einige Zeit bis dahin nötig zu sein, Rettung wird ja auch die Aufdeckung nicht bringen, wie überhaupt hier nur Enttäuschung zu finden ist; je tiefer man gräbt, desto tiefere Enttäuschung.

Unrecht haben Sie, wenn Sie eine so einschneidende Unterscheidung zwischen Matlar und Prag machen. Sie waren in Matlar ebenso fortwährend enttäuscht. Auch die dortigen "großen Gebirge" sind wahrhaftig nicht jene, zwischen denen das Paradies lag.

Was die Bemerkung hinsichtlich [ein durchgestrichenes, unleserlich gemachtes Wort] betrifft, so ist das verhältnismäßig eine unwesentliche Kleinigkeit, aber warum ich dabei Unrecht gehabt haben soll, wenn Sie etwas, was ich in Geschwätzigkeit Ihnen als großes Geheimnis anvertraut habe, vor einem Dritten (mag es auch nur das ganz uninteressierte Frl. Irene gewesen sein) mit einer Art Behagen laut erzählen und als ich Sie zurückhalten will, es noch mit Lust und Lächeln wiederholen - warum ich dabei Unrecht gehabt haben soll, kann ich nicht verstehn.

Recht haben Sie aber mit dem, was Sie über die Frage nach der Traurigkeit sagen. Das war allerdings eine unehrliche Verlegenheitsfrage, aber warum soll gerade ich solche Verlegenheitsfragen nicht stellen dürfen, ich, für den sie erfunden worden sind?

Die angebliche "Unebenbürtigkeit" besteht darin, dass wir verzweifelte Ratten, die den Schritt des Herrn hören, nach verschiedenen Richtungen auseinander laufen, z. B. zu den Frauen, Sie zu irgendjemandem, ich in die Literatur, alles allerdings vergeblich, dafür sorgen wir schon selbst durch die Auswahl der Asyle, durch die Auswahl der besondern Frauen u. s. w. Das ist die Unebenbürtigkeit.

Dabei kann ich zugeben, dass zwischen mir in Matlar und Prag doch ein Unterschied besteht. Ich habe inzwischen, nachdem ich durch Wahnsinnszeiten gepeitscht worden bin, zu schreiben angefangen und dieses Schreiben ist mir in einer für jeden Menschen um mich grausamsten (unerhört grausamen, davon rede ich gar nicht) Weise das Wichtigste auf Erden, wie etwa einem Irrsinnigen sein Wahn (wenn er Ihn verlieren würde, würde er "irrsinnig" werden) oder wie einer Frau ihre Schwangerschaft. Das hat mit dem Wert des Schreibens, wie ich auch hier wiederhole, gar nichts zu tun, den Wert erkenne ich ja übergenau, aber ebenso auch den Wert, den es für mich hat... Und darum halte ich das Schreiben in zitternder Angst vor jeder Störung umfangen und nicht nur das Schreiben, sondern auch das dazu gehörige Alleinsein. Und wenn ich etwa gestern sagte, dass Sie nicht Sonntag abend, sondern erst Montag kommen sollen und Sie zweimal fragten: "abend also nicht?" und ich also wenigstens auf die zweite Frage antworten mußte und sagte: "Ruhen Sie sich einmal aus", so war das eine restlose Lüge, denn ich meinte mein Alleinsein.

Dieser Unterschied also besteht sehr stark gegenüber Matlar, sonst aber keiner, freilich auch nicht der, dass ich hier weniger "machtlose (wie Sie es richtig ausdrücken) wäre, als ich es in Matlar war.


Das Inliegende ist abend bei halbwegs guter Festigkeit geschrieben worden. In der zum Teil schlaflosen, zum Teil schlafzerstörten Nacht habe ich einen andern Brief noch ausgedacht, der mir aber jetzt am hellen Tag doch auch wieder unzeitgemäß scheint. Nur dieses: Jedenfalls verdient die Wahrheit und Schönheit Ihres Briefes und die Wahrheit und Schönheit Ihres Blicks, dass ich mit meiner Wahrheit und meiner Häßlichkeit antworte. Das habe ich aber auch seit jeher getan, mündlich und schriftlich, seit dem ersten Nachmittag im Liegestuhl, seit dem ersten Brief nach Iglo und es ist eben das allerquälendste, dass Sie mir nicht glauben (während ich Ihnen glaube) oder noch ärger, dass Sie mir sowohl glauben als nicht glauben, aber sowohl mit dem Glauben als dem Nichtglauben mich schlagen und jedenfalls immerfort mit der an den Lebensnerv gehenden Frage: "Warum sind Sie nicht anders als Sie sind?" mich anbohren, anbrennen.

Übrigens enthält Ihr Brief doch eine Neuigkeit, die mir erst im Zusammenhang mit Ihrem Stottern vor dem Doktor klar wird, die ich aber doch nicht glaube. Seit jeher stand in Besprechungen und Briefen folgendes zwischen uns fest: In Budapest können Sie nicht studieren, aus drei Hauptgründen, weil Sie in die Welt müssen, weil Sie in der Nähe Ihrer Cousine nicht: leben können, vor allein aber wegen der politischen Verhältnisse. Fast in allen Briefen haben Sie das wieder bekräftigt. So heißt es noch in dem Brief, in welchem Sie den Paß zuletzt verlangten, dass die Aufenthaltsbewilligung des Preßburger Ministeriums unbedingt in den neuen Paß hinübergenommen werden müsse, weil ein Aus-Ungarn-nicht-Hinauskommen unter den gegenwärtigen Verhältnissen den Tod bedeutet. (Das erschien mir zwar übertrieben, aber es genügte jedenfalls, dass Sie von ferne daran glaubten, um Budapest als Studienort für Sie auszuschließen.) Und in dem allerletzten Brief aus Budapest heißt es wieder, dass Sie neben. der Cousine nicht leben können. Budapest also war unmöglich, das erkannte ich an, aber von mir war dabei keine Rede, von mir war erst dann die Rede, als es sich darum handelte, unter den Universitäten außerhalb Budapests zu wählen. dass Sie dann mit Rücksicht auf mich und Sonstiges Prag wählten, hielt ich für richtig, aber alles nur unter der Voraussetzung, dass Budapest unmöglich war, aber unmöglich ohne Rücksicht auf mich. Darin will nun Ihr gestriger Brief eine Änderung herbeiführen. Darin haben Sie Unrecht.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at