Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

vom 14. zum 15. II. 13
 


Selbst wenn ich es nicht seit einigen Tagen schon beabsichtigt hätte, heute ins Theater zu "Hidalla" zu gehn (Wedekind und seine Frau spielen natürlich), ich hätte es nach Deinem heutigen zweiten Brief unweigerlich, Liebste, tun müssen. Denn sieh, so weit wir auch entfernt sind und so wenig es irgendjemand merkt oder wenigstens glauben will, uns verbindet ein fester Strick, wenn es schon Gott nicht gefällig sein will, dass es eine uns umschließende Kette werde. Aber wenn Du nun, Liebste, zu "Professor Bernhardi" gehst, so ziehst Du mich an jenem zweifellosen Strick eben mit und es ist die Gefahr, dass wir beide in die schlechte Literatur verfallen, die Schnitzler zum größten Teil für mich darstellt. Um uns nun aber davor zu bewahren, hatte ich die Pflicht, dem Zug des Strickes nicht ganz nachzugeben, sondern zu Hidalla zu gehn, um Dich ein wenig von dem "Professor" abzuhalten, ein wenig wahre, gut geschnittene Wedekindsche Worte Deinem für "Professor Bernhardi" klopfenden Herzen zukommen zu lassen und die Schnitzlerischen Eindrücke, die zu mir heute abend herüberwehn und die ich gierig aufnehme, weil sie von Dir, Liebsten, kommen, ohne Schaden der Seele zu ertragen. Denn ich liebe den Schnitzler gar nicht und achte ihn kaum; gewiß kann er manches, aber seine großen Stücke und seine große Prosa sind für mich angefüllt mit einer geradezu schwankenden Masse widerlichster Schreiberei. Man kann ihn gar nicht tief genug hinunterstoßen. Die Stücke, die ich von ihm gesehen habe (Zwischenspiel, Ruf des Lebens, Medardus) sind mir noch vor dem zuschauenden Blick vergingen, und während ich zuhörte, habe ich sie vergessen. Nur vor seinem Bild, vor dieser falschen Verträumtheit, vor dieser Weichmütigkeit, an die ich auch mit den Fingerspitzen nicht rühren wollte, kann ich verstehn, wie er aus seinen zum Teil vorzüglichen anfänglichen Arbeiten (Anatol, Reigen, Leutnant Gustl) sich so entwickeln konnte. - In dem gleichen Brief rede ich gar nicht von Wedekind.

Genug, genug, wie schaffe ich nur gleich wieder den Schnitzler fort, der sich zwischen uns legen will, wie letzthin die Lasker-Schüler. Warst Du, Liebste, allein im Theater? Und warum so plötzlich? Ist Dein Auge also schon in Ordnung, ganz in Ordnung? Jetzt nach dem Nachtmahl sah ich im Abendblatt ein Bild Eueres neuen prinzlichen Brautpaares. Die zwei gehn in einem Karlsruher Park spazieren, sind ineinander eingehängt, haben aber, damit noch nicht zufrieden, auch noch die Finger verschlungen. Wenn ich diese verschlungenen Finger nicht 5 Minuten lang angesehen habe, dann werden es eben 10 Minuten gewesen sein.

Heute mittag hätte ich ein Loch gebraucht, um mich darin zu verstecken; ich habe nämlich im neuen Heft des "März" die Besprechung meines Buches von Max gelesen; ich wußte, dass sie erscheinen wird, aber ich kannte sie nicht. Es sind schon paar Besprechungen erschienen, natürlich nur von Bekannten, nutzlos in ihrem übertriebenen Lob, nutzlos in ihren Anmerkungen und nur als Zeichen der irregeleiteten Freundschaftlichkeit, der Überschätzung des gedruckten Wortes, des Mißverstehen des Verhältnisses der Allgemeinheit zur Literatur zu erklären. Sie haben dies schließlich mit der größten Anzahl der Kritiken überhaupt gemeinschaftlich und wären sie nicht ein trauriger, allerdings bald sich verbrauchender Stachel für die Eitelkeit, man könnte sie ruhig gelten lassen. Maxens Besprechung aber übersteigt alle Berge. Weil eben die Freundschaft, die er für mich fühlt, im Menschlichsten, noch weit unter dem Beginn der Literatur, ihre Wurzel hat und daher schon mächtig ist, ehe die Literatur nur zu Atem kommt, überschätzt er mich in einer solchen Weise, die mich beschämt und eitel und hochmütig macht, während er natürlich bei seiner Kunsterfahrung und eigenen Kraft das wahre Urteil, das nichts als Urteil ist, geradezu um sich gelagert hat. Trotzdem schreibt er so. Wenn ich selbst arbeiten würde, im Fluß der Arbeit wäre und von ihr getragen, ich müßte mir über die Besprechung keine Gedanken machen, ich könnte Max in Gedanken für seine Liebe küssen, und die Besprechung selbst würde mich gar nicht berühren! So aber - Und das Schreckliche ist, dass ich mir sagen maß, dass ich zu Maxens Arbeiten nicht anders stehe als er zu den meinen, nur dass ich mir dessen manchmal bewußt bin, er dagegen nie.

Habe ich aber in meinem dummen Kopf wirklich keine freundlichem Sonntagsgedanken für Dich, Liebste, Liebste! Wenn ich nicht wußte, dass alles Schlechte, was aus mir gegen Dich fließt, vor Dir, bestes Wesen, ins Gute sich verwandeln muß - ich würde Dir solche Dinge wahrhaftig nicht schreiben.

Ich lege Dir einen Brief meines Madrider Onkels (Alfred Löwy] (er ist 60 Jahre alt, Eisenbahndirektor) zu beliebiger Beurteilung bei. Möchtest Du mich nicht, Liebste, bei Gelegenheit auch hie und da einen Brief aus Deiner Verwandtschaft lesen lassen, von Deiner Budapester oder Dresdner Schwester z.B.? Damit ich auch den Kreis um Dich verstehen lerne, in den ich mich eingeschlichen habe. Auch Dein Bücherverzeichnis habe ich noch nicht. Kann man von der, die man liebt, auch zuviel verlangen? Wenn ich es, Liebste, tue, dann sag es mir. Das wäre ein schlechter Tausch, dass ich eine Kenntnis über Dich bekäme, dass aber dafür in Deinem Herzen ein Widerstreben, und sei es das winzigste, entstünde.

Franz




Hidalla: Frank Wedekinds Schauspiel Hidalla oder Sein und Haben. Die Prager Erstaufführung im Neuen Deutschen Theater fand am 12. Februar 1913 statt.


die Besprechung meines Buches: Max Brods Rezension von Betrachtung "Das Ereignis eines Buches", in der Wochenschrift März (München) 1913, 7, (Februar) S. 268 ff. Wiederabgedruckt in Kafka-Symposion zus. gest. vonn Jürgen Born, Ludwig Dietz, Maldom Pasley, Paul Raabe und Klaus Wagenbach, Berlin 1965, S. 129 ff. (Im weiteren zitiert als Kafka-Symposion.)


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at