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An Felice Bauer

vom 13. zum 14. II. 13
 


Dein heutiger Brief kam erst mit der zweiten Post. Heißt das, dass Dein Auge noch am Morgen entzündet war und Du nicht ins Bureau gegangen bist? Aber dann hättest Du es mir vielleicht in einer kleinen Nachschrift gesagt? Aber war es wirklich nur ein Stäubchen oder Härchen, das Dir ins Auge kam? Das stört zwar, aber es entzündet doch das Auge nicht? Und gibt es niemand bei Euch, der das Augenlid aufzuklappen versteht, dass man das Auge reinigen kann? Ich allerdings könnte, trotzdem mich große, blutige Operationen

wenigstens früher wenig störten, gerade solche kleine Handgriffe am Körper niemals vornehmen und kaum mitansehn, denn sie erinnern mich daran oder bringen es mir zu Bewußtsein oder lassen es mich glauben, dass der Bau des Menschen doch etwas grauenhaft Primitives ist und innerhalb des Organischen soviel Mechanisches hat. Fürchtest Du Dich am Ende auch, Dir das Lid aufklappen zu lassen? Ich kann wirklich bei dem Gedanken schaudern, dass man an Dir diesen - im übrigen natürlich ganz unschuldigen - Handgriff machen muß.

Liebste, es wäre heute eine gute Gelegenheit zu folgendem Versprechen: Du verpflichtest Dich und nennst für diese Verpflichtung eine glaubhafte Bürgschaft, dass Du mir über jedes Unwohlsein - Sorgen in der Ferne helfen wenig es abzuhalten - gleich, deutlich und wahrhaftig schreibst, so schreibst, dass über das tatsächlich Geschriebene hinaus keine schlimmere Auslegung sich aufdrängt. Siehst Du ich verlange gar nicht, dass Du ins Schlimme übertreibst und die Übertreibung durchsichtig ist, so wie ich es - allerdings weniger aus Rücksicht auf Dich, als vielmehr infolge meiner Anlage - regelmäßig tue.

Gestern bekam ich den Korrekturbogen Deiner kleinen Geschichte [Das Urteil]. Wie schön im Titel unsere Namen sich aneinander schließen! Möchtest Du, bis Du die Geschichte lesen wirst, nicht bedauern, Deine Zustimmung zur Nennung Deines Namens (es heißt natürlich nur Felice B.) gegeben zuhaben, denn die Geschichte wird niemandem, und solltest Du sie zeigen, wem Du willst, gefallen können. Dein Trost oder eine Art von Trost liegt darin, dass ich Deinen Namen hinzugesetzt hätte, auch wenn Du es mir verboten hättest, denn die Widmung ist zwar ein winziges, zwar ein fragwürdiges, aber ein zweifelloses Zeichen meiner Liebe zu Dir, und diese Liebe lebt nicht von der Erlaubnis, sondern vom Zwang. - Im übrigen hat die Verwahrung noch Zeit, die Herausgabe des Buches hat sich verspätet, es wird wohl noch Monate dauern, ehe es kommt. -

Liebste! Sieh nur, wie die Zeit des Nichtschreibens - sie scheint vor mir endlos zu liegen - mich herumwirft. Den ganzen Abend freute ich mich darauf, Dir zu schreiben und nun, da ich es tue, bin ich müde oder tue so, als wäre ich es, und schließe den Brief mit stumpfen Augen und aufgestülpten Lippen.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at