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An Felice Bauer
Dein heutiger Brief kam erst mit der zweiten Post. Heißt das, dass
Dein Auge noch am Morgen entzündet war und Du nicht ins Bureau gegangen
bist? Aber dann hättest Du es mir vielleicht in einer kleinen Nachschrift
gesagt? Aber war es wirklich nur ein Stäubchen oder Härchen,
das Dir ins Auge kam? Das stört zwar, aber es entzündet doch
das Auge nicht? Und gibt es niemand bei Euch, der das Augenlid aufzuklappen
versteht, dass man das Auge reinigen kann? Ich allerdings könnte,
trotzdem mich große, blutige Operationen
wenigstens früher wenig störten, gerade solche kleine Handgriffe
am Körper niemals vornehmen und kaum mitansehn, denn sie erinnern
mich daran oder bringen es mir zu Bewußtsein oder lassen es mich
glauben, dass der Bau des Menschen doch etwas grauenhaft Primitives
ist und innerhalb des Organischen soviel Mechanisches hat. Fürchtest
Du Dich am Ende auch, Dir das Lid aufklappen zu lassen? Ich kann wirklich
bei dem Gedanken schaudern, dass man an Dir diesen - im übrigen
natürlich ganz unschuldigen - Handgriff machen muß.
Liebste, es wäre heute eine gute Gelegenheit zu folgendem Versprechen:
Du verpflichtest Dich und nennst für diese Verpflichtung eine glaubhafte
Bürgschaft, dass Du mir über jedes Unwohlsein - Sorgen in
der Ferne helfen wenig es abzuhalten - gleich, deutlich und wahrhaftig
schreibst, so schreibst, dass über das tatsächlich Geschriebene
hinaus keine schlimmere Auslegung sich aufdrängt. Siehst Du ich verlange
gar nicht, dass Du ins Schlimme übertreibst und die Übertreibung
durchsichtig ist, so wie ich es - allerdings weniger aus Rücksicht
auf Dich, als vielmehr infolge meiner Anlage - regelmäßig tue.
Gestern bekam ich den Korrekturbogen Deiner kleinen Geschichte [Das Urteil].
Wie schön im Titel unsere Namen sich aneinander schließen! Möchtest
Du, bis Du die Geschichte lesen wirst, nicht bedauern, Deine Zustimmung
zur Nennung Deines Namens (es heißt natürlich nur Felice B.)
gegeben zuhaben, denn die Geschichte wird niemandem, und solltest Du sie
zeigen, wem Du willst, gefallen können. Dein Trost oder eine Art von
Trost liegt darin, dass ich Deinen Namen hinzugesetzt hätte,
auch wenn Du es mir verboten hättest, denn die Widmung ist zwar ein
winziges, zwar ein fragwürdiges, aber ein zweifelloses Zeichen meiner
Liebe zu Dir, und diese Liebe lebt nicht von der Erlaubnis, sondern vom
Zwang. - Im übrigen hat die Verwahrung noch Zeit, die Herausgabe des
Buches hat sich verspätet, es wird wohl noch Monate dauern, ehe es
kommt. -
Liebste! Sieh nur, wie die Zeit des Nichtschreibens - sie scheint vor mir
endlos zu liegen - mich herumwirft. Den ganzen Abend freute ich mich darauf,
Dir zu schreiben und nun, da ich es tue, bin ich müde oder tue so,
als wäre ich es, und schließe den Brief mit stumpfen Augen und
aufgestülpten Lippen.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at