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3.2 Das klassische ideale Gas

Einige Modellsysteme zeichnen sich dadurch aus, daß ihre Energie als Summe der Quadrate ihrer mikroskopischen Variablen geschrieben werden kann. Das beliebteste Beispiel ist das klassische ideale Gas, mit $E \equiv E_{kin}$ $= (m/2)\sum v_{i}^{2}$. Die Forderung $E \leq E_{0}$ bzw. $E \approx E_{0}$ beschreibt dann eine hochdimensionale Kugel oder Kugelschale. Es lohnt sich daher, die geometrischen Eigenschaften solcher Körper genauer zu betrachten. Allerdings beschäftigen wir uns nur aus Gründen der mathematischen Einfachheit mit $n$-Kugeln. Diejenigen Eigenschaften des hochdimensionalen Phasenraums, die in der Statistischen Mechanik benötigt werden, lassen sich mutatis mutandis auch für anders geformte Energieflächen herleiten (z. B. für den $n$-Rhombus, der der Bedingung $\sum_{i} \sigma_{i} = const$ für wechselwirkungsfreie Spinsysteme entspricht).

VOLUMEN UND OBERFLÄCHE HOCHDIMENSIONALER KUGELN
Für die folgende Diskussion ist es vorteilhaft, neben dem Kugelradius $r_{0}$ eine Variable zu verwenden, die dem Quadrat des Radius entspricht. Im Zustandsraum von wechselwirkungsfreien Vielteilchensystemen entspricht nämlich $r_{0}^{2}$ einer Energie (siehe Gl. 3.7, 3.8 und Tabelle 3.1); gerade diese ist aber bei einem isolierten System vorgegeben.

Im folgenden setzen wir daher $z_{0} \equiv r_{0}^{2}$.

Achtung:
Bei der folgenden Diskussion sollte man sich daran erinnern, daß in den physikalischen Anwendungen das Quadrat des Kugelradius jeweils der Gesamtenergie des betreffenden Systems entspricht. Die Energie ist aber eine extensive Größe, d. h. sie wird mit zunehmender Anzahl der Freiheitsgrade zunehmen: $z_{0} \propto n$.

VOLUMEN
Das Volumen einer n-dimensionalen Kugel vom Radius $r_{0} = \sqrt{z_{0}}$ ist

\begin{displaymath}
V_{n}(z_{0}) = C_{n}   r_{0}^{n} = C_{n}   z_{0}^{n/2} \; \; {\rm mit} \; \;
C_{n} = \frac{\pi^{n/2}}{(n/2)!}
\end{displaymath} (3.9)

wo $(1/2)! = \sqrt{\pi}/2$ und $(x+1)!=x!(x+1)$. Nützlich ist folgende Rekursionsformel:
\begin{displaymath}
C_{n+2} = \frac{2 \pi}{ n+2}   C_{n}
\end{displaymath} (3.10)

BEISPIELE: $ C_{1}=2, \; \; C_{2}=\pi, \;\; C_{3}= \pi^{3/2}/(3/2)! =
4 \pi / 3, \;\; C_{4}= \pi^{2}/2,
\;\; \dots \; C_{12}= \pi^{6}/720, \dots $
Für große $n$ gilt, bei Verwendung der Stirling-Näherung für $(n/2)!$,
\begin{displaymath}
C_{n} \approx \left[ \frac{2 \pi e}{n} \right]^{n/2} \frac{1...
...pprox \frac{n}{2} ( \ln \pi + 1) - \frac{n}{2} \ln \frac{n}{2}
\end{displaymath} (3.11)

Sobald die Stirling-Näherung gilt, also für $n \geq 100$, läßt sich das Kugelvolumen so schreiben:
\begin{displaymath}
V_{n}(z_{0}) \approx \frac{1}{\sqrt{\pi n}}
\left( \frac{2 ...
...\ln \left( \frac{2 \pi e}{n} z_{0} \right) - \ln \sqrt{\pi n}
\end{displaymath} (3.12)

Für sehr hohe $n$($\geq 500$) erhalten wir für den Logarithmus des Volumens (die Formel für das Volumen selbst ist wegen der hohen Exponenten dann schon schwer zu handhaben) den Ausdruck


\begin{displaymath}
\ln V_{n}(z_{0}) \approx
\frac{n}{2} \ln \left( \frac{2 \pi e}{n} z_{0} \right)
\end{displaymath} (3.13)



BEISPIEL: Sei $n=1000$ und $z_{0}=1000$. Dann gilt für das Volumen: $\ln V_{1000}(1000) \equiv 500 \ln (2 \pi e) - \ln \sqrt{1000 \pi}
= 882.76$


OBERFLÄCHE
Für die Oberfläche einer n-dimensionalen Kugel gilt
\begin{displaymath}
O_{n}(z_{0}) = \frac{d V_{n}(z_{0})}{dr_{0}} = n C_{n}z_{0}^{(n-1)/2}
\end{displaymath} (3.14)

BEISPIELE:

$\displaystyle V_{1}(z_{0})=2 r_{0} ,$   $\displaystyle \;\; O_{1}(z_{0})= 2$  
$\displaystyle V_{2}(z_{0})=\pi z_{0},$   $\displaystyle \;\; O_{2}(z_{0})= 2 \pi r_{0}$  
$\displaystyle V_{3}(z_{0})=(4 \pi / 3) r_{0}^{3},$   $\displaystyle \;\; O_{3}(z_{0})= 4 \pi
z_{0}$  
$\displaystyle V_{4}(z_{0})=( \pi^{2} / 2) z_{0}^{2},$   $\displaystyle \;\; O_{4}(z_{0})= 2
\pi^{2} r_{0}^{3}$  

Nützlich ist auch die folgende Darstellung der Oberfläche:
\begin{displaymath}
O_{n}(r_{0}) = \int_{-r_{0}}^{r_{0}} dr_{1}
\frac{r_{0}}{r_{2}} O_{n-1}(r_{2})
\end{displaymath} (3.15)

mit $r_{2} \equiv \sqrt{r_{0}^{2}-r_{1}^{2}}$. Daraus ergibt sich nämlich, daß die ,,Masse`` einer Kugelschale längs einer Achse ($r_{1}$) gemäß der folgenden Dichtefunktion verteilt ist:
\begin{displaymath}
p_{n}(r_{1}) = \frac{r_{0}}{r_{2}}
\frac{O_{n-1}(r_{2})}{O_{n}(r_{0})}
\end{displaymath} (3.16)

BEISPIELE: Sei $r_{0}=1$; dann ist (siehe Abb. 3.2)

$\displaystyle p_{2}(r_{1})$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{1}{\pi} (1-r_{1}^{2})^{-1/2}$  
$\displaystyle p_{3}(r_{1})$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{1}{2} \;\; (also \; konstant!)$  
$\displaystyle p_{4}(r_{1})$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{2}{\pi} (1-r_{1}^{2})^{1/2}$  
$\displaystyle p_{5}(r_{1})$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{3}{4} (1-r_{1}^{2})$  
  $\textstyle \dots$    
$\displaystyle p_{12}(r_{1})$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{256}{63 \pi} (1-r_{1}^{2})^{9/2}$  

ANWENDUNG: Wir nehmen an, daß in einem System $n$ Freiheitsgrade der translatorischen Bewegung vorhanden seien. (Beispiel: $n$ Teilchen, die sich in einer Dimension bewegen können, oder $n/3$ Teilchen in $3$ Dimensionen). Die Quadratsumme aller Geschwindigkeiten (Energie!) sei vorgegeben, ansonsten sei jede mögliche Kombination der Werte von $v_{1}, v_{2}, \dots$ gleich wahrscheinlich. Dann liegen alle ,,Phasenraumpunkte`` $\vec{v} \equiv \{ v_{1} ... v_{n} \}$ gleichmäßig auf der Kugeloberfläche $O_{n}(\vert v\vert^{2})$, und die Einzelgeschwindigkeit $v_{1}$ tritt mit der Wahrscheinlichkeitsdichte 3.16 auf.

Mit zunehmender Dimensionalität zeigt diese Dichtefunktion ein zunächst rasch wechselndes Verhalten (siehe Abb. 3.2). Teilen sich nur zwei Teilchen eine Gesamtenergie $mv^{2}/2$, dann ist die Geschwindigkeit eines der beiden Teilchen wahrscheinlich in der Nähe des möglichen Maximalbetrags, während das andere Teilchen eine geringe Geschwindigkeit aufweist. Im Gegensatz dazu liegt für höhere Dimensionen (= Teilchenzahlen) das Maximum der Wahrscheinlichkeitsdichte $p_{n}(v_{1})$ eher um Null. Bei $n=3$ (also 3 Teilchen in einer Dimension, oder 1 Teilchen in 3 Dimensionen) sind alle möglichen Werte von $v_{1}$ gleich wahrscheinlich.

Annäherung an die Maxwell-Boltzmann-Verteilung: Für sehr große $n$ gilt

\begin{displaymath}
p_{n}(v) \approx \frac{1}{\sqrt{2 \pi \langle v^{2} \rangle}}
\exp \{-v^{2}/2 \langle v^{2} \rangle \}
\end{displaymath} (3.17)

wo $\langle v^{2} \rangle = 2 E_{0}/nm$. Die Maxwell-Boltzmann-Verteilung kann somit allein aus dem Postulat gleicher a priori-Wahrscheinlichkeit und den geometrischen Eigenschaften hochdimensionaler Kugeln hergeleitet werden.
Abbildung: Masseverteilung $p(r_{1})$ einer $(n-1)$-dimensionalen Kugeloberfläche längs einer Achse. Mit zunehmender Dimension konzentriert sich die Masse immer mehr um den Achsenmittelpunkt. Interpretiert man die Kugelfläche als Menge aller Phasenraumpunkte mit gegebener Gesamtenergie $E_{k} = (m/2) \sum v_{i}^{2}$, dann ist $p(r_{1}) \equiv p(v_{i})$ die Verteilungsdichte für die einzelne Geschwindigkeitskomponente $v_{i}$.
\begin{figure}\includegraphics[width=300pt]{fig/f1px1.ps}
\end{figure}


Applet Sinai: Start

Simulation: Sinai-Billard. Darstellung der Winkelverteilung $p(\phi)$
und der Verteilungsdichte einer Geschwindigkeitskomponente, $p(v_{x})$.
[Code: Sinai]






Applet Harddisks: Start

Simulation: $N=1$ bis $3$ harte Scheiben in einem 2D Käfig mit reflektierenden Wänden.
Darstellung der Winkelverteilung $p(\phi)$ und der Verteilung einer Geschwindigkeitskomponente, $p(v_{1x})$.
Demonstration der Verteilung nach Abbildung 3.2. [Code: Harddisks]






Applet Hspheres: Start

Simulation: Eine harte Kugel in einem Käfig mit reflektierenden Wänden.
Darstellung der Verteilung einer Geschwindigkeitskomponente.
Demonstration des Sonderfalles $n=3$ (d.h. $p(v_{1x})=const$) nach Abbildung 3.2. [Code: Hspheres]






Applet LJones: Start

Simulation: $N$ LJ-Teilchen in 2D-Box mit periodischen Randbedingungen.
Darstellung von $p(v_{1x})$.
[Code: LJones]






ZWEI SELTSAME EIGENSCHAFTEN VON HYPERKUGELN
Wir haben erfahren, daß Kugeln in hochdimensionalen Räumen ungewohnte geometrische Eigenschaften aufweisen. Für die Statistische Physik sind die folgenden Befunde von größter Bedeutung:

VOLUMEN EINER KUGELSCHALE
Das Verhältnis zwischen dem Volumen $\Delta V_{n}(r_{0}-\Delta
r, r_{0})$ einer dünnen ,,Haut`` nahe der Kugeloberfläche und dem Gesamtvolumen der Kugel ist
\begin{displaymath}
\frac{\Delta V_{n}}{V_{n}} = \frac{r_{0}^{n}-(r_{0}-\Delta r...
...}{r_{0}})^{n} \longrightarrow 1-\exp
\{-n(\Delta r / r_{0}) \}
\end{displaymath} (3.18)

oder, in den Größen $z_{0}$ und $\Delta z$:
\begin{displaymath}
\frac{\Delta V_{n}}{V_{n}}
\longrightarrow 1-\exp [-\frac{n}{2}\frac{\Delta z}{z_{0}} ]
\end{displaymath} (3.19)

Für $n \rightarrow \infty$ geht dieses Verhältnis gegen $1$, und zwar unabhängig davon, wie dünn die Schale ist!



Bei sehr hohen Dimensionen ist das gesamte Volumen einer Kugel unmittelbar unter der Oberfläche konzentriert:
\begin{displaymath}
\Delta V_{n}(z_{0},\Delta z) \longrightarrow V_{n}(z_{0}), \;\;\; n » 1
\end{displaymath} (3.20)



BEISPIEL: $n=1000$, $\Delta r = r_{0}/100$ $ 
\rightarrow  $ $\Delta V / V = 1 - 4.3 \cdot 10^{-5}$


HYPERKUGELN UND HYPERZYLINDER
Das Kugelvolumen $V_{n}(z_{0})$ läßt sich auch folgendermaßen schreiben:
$\displaystyle V_{n}(z_{0})$ $\textstyle =$ $\displaystyle \int_{0}^{r_{0}} dr_{1} O_{n_{1}}(z_{1}) V_{n-n_{1}}(z_{2})$  
  $\textstyle \equiv$ $\displaystyle \int_{0}^{z_{0}} \frac{dV_{n_{1}}(z_{1})}{dz_{1}}  
dz_{1} V_{n-n_{1}}(z_{0}-z_{1})$  
  $\textstyle \equiv$ $\displaystyle \int_{0}^{z_{0}} dV_{n_{1}}(z_{1})   V_{n-n_{1}}(z_{0}-z_{1})$ (3.21)

wobei $r_{1} \equiv \sqrt{z_{1}}$.
BEISPIEL:

\begin{displaymath}
V_{6}(z_{0})= \int_{0}^{r_{0}} dr_{1} O_{3}(z_{1}) V_{3}(z_{...
...rac{4 \pi}{3} (z_{0}-z_{1})^{3/2}
= \frac{\pi^{3}}{6}z_{0}^{3}
\end{displaymath} (3.22)

Teilt man nun den Integrationsbereich $[0, z_{0}]$ in 3.21 in kleine Intervalle der Größe $\Delta z$, dann kann man näherungsweise schreiben
\begin{displaymath}
V_{n}(z_{0}) \approx \sum_{k=1}^{K} \Delta V_{n_{1}}(z_{k})  
V_{n-n_{1}}(z_{0}-z_{k})
\end{displaymath} (3.23)

mit $\Delta V_{n_{1}}(z_{k}) \equiv V_{n_{1}}(k \Delta z) -
V_{n_{1}}\left( (k-1) \Delta z \right)$.

Ebenso gilt für das Volumen der Kugelschale:

\begin{displaymath}
\Delta V_{n}(z_{0}) = \int_{0}^{z_{0}} dV_{n_{1}}(z_{1})   ...
...{K} \Delta V_{n_{1}}(z_{k})   \Delta
V_{n-n_{1}}(z_{0}-z_{k})
\end{displaymath} (3.24)

Nach Gleichung 3.20 kann man aber - für hohe Dimensionen $n$, $n_{1}$ und $(n-n_{1})$ - anstelle von $\Delta V$ immer auch $V$ schreiben. Daher gilt in solchen Fällen

\begin{displaymath}
V_{n}(z_{0}) \approx \sum_{k=1}^{K} V_{n_{1}}(z_{k})  
V_{n-n_{1}}(z_{0}-z_{k})
\end{displaymath} (3.25)

Die Summanden in den Gleichungen 3.24 und 3.25 variieren sehr stark. Für hohe Dimensionen dominiert jeweils ein einziger Term in der Summe; alle übrigen Terme können im Vergleich zu ihm vernachlässigt werden. Dieser Term ist durch die Bedingung
\begin{displaymath}
\frac{d}{dz} \left[ V_{n_{1}}(z) V_{n-n_{1}}(z_{0}-z) \right] = 0
\end{displaymath} (3.26)

zu identifizieren. Aus
\begin{displaymath}
\frac{d \left[ z^{n_{1}/2} (z_{0}-z)^{(n-n_{1})/2} \right]}{dz} = 0
\end{displaymath} (3.27)

folgt für das Argument $z^{*}$, das den Integranden in 3.21 bzw. den Summanden in 3.24 und 3.25 zum Maximum macht,
\begin{displaymath}
z^{*} = \frac{n_{1}}{n}   z_{0}
\end{displaymath} (3.28)

Wir haben somit eine bemerkenswerte Eigenschaft hochdimensionaler Kugeln gefunden, die sich in folgender Rechenvorschrift zusammenfassen läßt:











(Anmerkung: bei numerischen Überprüfungen dieser Relationen ist zu beachten, daß das Maximum der Funktion auf der rechten Seite von 3.31 bzw. 3.30 sehr scharf ist; man kann es daher leicht übersehen, wenn man das Intervall $[0, z_{0}]$ in regelmäßigen Schritten durchmustert. Man muß daher immer zuerst die Lage $z^{*}$ des Maximums bestimmen und kann dann in kleinen Schritten zu größeren oder kleineren $z$ gehen.)

Die anschauliche Deutung der Relation 3.30 ist verblüffend: auf einer logarithmischen Skala ist das Volumen der $n$-Kugel gleich dem Produkt der Volumina zweier Kugeln in den Unterräumen $n_{1}$ bzw. $n-n_{1}$. Dieses Produkt kann man aber als das Volumen eines in die $n$-Kugel eingeschriebenen Hyperzylinders mit ,,Grundfläche`` im $n_{1}$-Raum und ,,Höhe`` im Raum $n-n_{1}$ auffassen.

BEISPIEL: $n=1000$, $n_{1}=400$, $z_{0}=1000$: das Maximum der Größe $\ln f(z) \equiv \ln V_{400}(z) + \ln V_{600}(1000-z)$ liegt bei $z^{*}= 400$, und wir finden

$\displaystyle 500 \ln (2 \pi e)- \ln \sqrt{1000 \pi}$ $\textstyle \approx$ $\displaystyle 200 \ln (2 \pi e) -\ln \sqrt{400 \pi}
+ 300 \ln (2 \pi e) -\ln \sqrt{600 \pi}$  
$\displaystyle 1418.94 - 4.03$ $\textstyle \approx$ $\displaystyle 567.58 -3.57 + 851.36 -3.77$ (3.32)





Applet Entropy1: Start

Simulation: Hyperkugeln und -zylinder.
In eine gegebene Hyperkugel der Dimension $n$ werden Hyperzylinder eingeschrieben, deren
,,Grundflächen`` und ,,Höhen`` jeweils $n_{1}$ bzw. $n-n_{1}$ Dimensionen aufweisen.
Der Hyperzylinder mit dem größten Volumen wird identifiziert; sein logarithmisches Volumen ist
fast gleich dem der umschriebenen Kugel.
[Code: Entropy1]


DISKRETISIERUNG DES PHASENRAUMES; ENTROPIE
Je nach dem betrachteten Modellsystem sind die Mikrovariablen entweder kontinuierlich (klassisches Vielteilchensystem) oder diskret (quantenmechanische Systeme, Spingitter). Für das ,, Abzählen`` von Zuständen im Phasenraum ist die Einführung eines Rasters auch im kontinuierlichen Fall von Vorteil. Wir denken uns dazu den Phasenraum eines $N$-Teilchen-Systems in Zellen mit der Abmessung
\begin{displaymath}
g \equiv \Delta x   \Delta v
\end{displaymath} (3.33)

unterteilt.3.2

Betrachten wir nun den Fall des klassischen Gases (Fluids) mit Teilchenzahl $N$ und Volumen $V$. Im $3N$-dimensionalen Geschwindigkeits-Unterraum des $6N$-dimensionalen Phasenraums definiert die Bedingung $E_{kin}   \epsilon   [E,\Delta E]$ eine Kugelschale, deren Volumen im wesentlichen wieder gleich ist dem Volumen der eingeschlossenen Kugel. Die Anzahl der $\Delta v$-Zellen in (bzw. unterhalb) dieser Schale ist gegeben durch

\begin{displaymath}
\Sigma_{\vec{v}} (E,\Delta E) \equiv \frac{\Delta V_{3N}}{(\...
...N}} = C_{3N}\left( \frac{2E}{m}\right)^{3N/2}
/(\Delta v)^{3N}
\end{displaymath} (3.34)

Im Fall des idealen Gases kann man den Beitrag des Orts-Unterraumes berücksichtigen, indem man schreibt
\begin{displaymath}
\Sigma_{\vec{r}} = \frac{V^{N}}{\Delta x^{3N}}
\end{displaymath} (3.35)

Damit wird die Gesamtzahl der Zellen im $6N$-Raum
$\displaystyle \Sigma' (N,V,E) = \Sigma_{\vec{r}} \Sigma_{\vec{v}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle C_{3N}
\left[ \frac{V}{g^{3}} \left(\frac{2E}{m} \right)^{3/2} \right]^{N}$  
  $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{1}{\sqrt{3 N \pi}} \left( \frac{2 \pi e}{3 N}\right)^{3N/2}
\left[ \frac{V}{g^{3}} \left(\frac{2E}{m} \right)^{3/2} \right]^{N}$ (3.36)

Hier müssen wir einen Vorgriff auf die Quantenstatistik machen. Eine der Eigenschaften quantenmechanischer Objekte ist ja ihre Ununterscheidbarkeit. Es ist einzusehen, daß die Anzahl der voneinander verschiedenen Mikrozustände bei Berücksichtigung dieser Quanteneigenschaft anders lauten wird als dann, wenn wir die Teilchen als unterscheidbar betrachten. Eine genaue Analyse, die hier noch nicht durchgeführt werden kann, führt zu dem simplen Ergebnis, daß die Größe $\Sigma' (N,V,E)$ noch durch $N!$ zu dividieren ist. Die resultierende Größe
\begin{displaymath}
\Sigma(N,V,E) \equiv \Sigma' (N,V,E)/N!
\end{displaymath} (3.37)

ist dann tatsächlich proportional zur Gesamtzahl der physikalisch voneinander verschiedenen Mikrozustände. Diese Rechenvorschrift wird als Regel zur korrekten Boltzmann-Abzählung bezeichnet.

Es ist bezeichnend für das physikalische ,,Gespür`` von J. W. Gibbs, daß er genau diese Regel zur richtigen Berechnung von $\Sigma$ fand, obwohl ihm die Quantenmechanik noch nicht bekannt war. Er schlug die $1/N!$-Regel ad hoc vor, um eine gewisse theoretische Schwierigkeit - das Gibbssche Paradoxon - zu beheben.

Die Größe $\Sigma(N,V,E)$ ist ein Maß für das verfügbare Phasenraumvolumen, gemessen in Einheiten $g^{3N}$. Der Logarithmus dieser Größe ist von besonderer physikalischer Bedeutung: er ist - bis auf einen Vorfaktor $k$ - identisch mit dem in der Thermodynamik definierten Entropiemaß $S(N,V,E)$. Zunächst ist diese Gleichsetzung noch eine Hypothese; wie sinnvoll die Identifizierung

\begin{displaymath}
S(N,V,E)=k \ln \Sigma(N,V,E)
\end{displaymath} (3.38)

ist, wird sich im folgenden Kapitel herausstellen.
Im Fall des klassischen idealen Gases erhalten wir (mit $\ln N! \approx N \ln N$, und unter Vernachlässigung von $\ln \sqrt{3N\pi}$ in Gl. 3.36)


\begin{displaymath}
S(N,V,E) \equiv k \ln \Sigma(N,V,E) =
Nk \ln \left[ \frac{V}{N} \left( \frac{4 \pi E e}{3 N m g^{2}}
\right)^{3/2} \right]
\end{displaymath} (3.39)



Diese Formel ist als Sackur-Tetrode-Gleichung bekannt.

Der Zahlenwert von $\Sigma$, und damit auch von $S$, ist zunächst noch von der Wahl der Rastergröße $g$ abhängig. Diese beunruhigende Tatsache kann durch folgende Bemerkungen entschärft werden:

$\bullet$
Wenn es nur um den Vergleich von Phasenraumvolumina geht, also z.B. um die Abzählung von Zellen in verschiedenen Energieschalen (oder in verschiedenen Teilen einer Energieschale), dann kommt es auf die Rastergröße nicht an.
$\bullet$
Es gibt eine kleinste physikalisch sinnvolle Rastergröße, die durch die quantenmechanische Unschärfe gegeben ist: $g_{min} = h/m$, mit der Planckschen Konstanten $h$.
BEISPIEL: $N=36$, $m=2$, $E=N=36$. Die mittlere Energie pro Teilchen sei also $= 1$, das mittlere Geschwindigkeitsquadrat ist somit $\langle v^{2}\rangle =1$. Der Käfig sei kubisch, mit $V=L^{3}=1$. Wir wählen einen groben Raster mit $\Delta x = \Delta v = 0.1$. Damit wird

\begin{displaymath}
S(N,V,E)/k = 36 \ln \left[ \frac{1}{36} \left(
\frac{4 \cdo...
...cdot 36 \cdot 2 \cdot 10^{-4}}
\right)^{3/2} \right] = 462.27
\end{displaymath} (3.40)

Aus Neugier bestimmen wir auch $\ln (\Delta \Sigma)$, wo $\Delta \Sigma$ das Phasenraumvolumen zwischen $E=35.5$ und $36.0$ ist:

\begin{displaymath}
\Delta \Sigma = \Sigma(36.0)-\Sigma(35.5)
= \Sigma(36.0) \le...
...( \frac{35.5}{36}\right)^{54}\right]
= \Sigma(36.0) \cdot 0.53
\end{displaymath} (3.41)

und daher

\begin{displaymath}
S(N,V, \Delta E) / k = 462.27 - 0.63 = 461.64
\end{displaymath} (3.42)

Der Zahlenwert der Entropie ist also schon bei einem so kleinen System unempfindlich gegenüber dem Austausch von Kugel- und Kugelschalen-Volumen!

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F. J. Vesely / StatPhys Tutorial, Deutsch, 2001-2003