Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Oskar Baum
Lieber Oskar, seid Ihr aber gute, präzise und einfühlsame Menschen.
Alles was Du mir vorbereitet hast und was Du mir rätst, ist nötig
und ist ausgezeichnet. Ich werde also kommen, vielleicht nicht gerade am
Fünfzehnten, aber wohl vor dem Zwanzigsten, es ist mir sogar willkommen,
früher kommen zu können, denn mein Madrider Onkel ist für
den August angesagt, ohne dass noch das Datum feststünde, und
so könnte es geschehen, dass ich etwa am 20. August (er bleibt
gewöhnlich vierzehn Tage) in Prag wieder sein müßte, um
ihn zu sehen. Den genauen Tag meiner Ankunft zwischen 15. und 20. Juli
werde ich Euch noch telegraphieren, wenn Ihr so gut seid, zu allem andern
auch noch die Vermittlung mit der Wirtin zu übernehmen. Auch noch
aus andern Gründen ist mir das Datum sehr angenehm, denn hierher,
wo es übrigens recht schön bei Ottla ist, kommen um diese Zeit
Gäste, der Platz würde vielleicht etwas beengt, dagegen kann
ich dann noch Ende August herkommen; Ottla bleibt wahrscheinlich bis Ende
September.
Du merkst vielleicht, dass ich Nötiges und Unnötiges durcheinanderschreibe,
und das hat seinen guten oder schlechten Grund. Von allem andern abgesehn,
was mich nach Georgental treibt (die Freude, mit Dir, mit Euch ein wenig
zusammenzuleben ; in der Nähe Deiner Arbeit zu sein; ein wenig Zürauer
Zeit zu verkosten, die mir, mit allem was ich damals war, weit verschwunden
ist; ein wenig die Welt zu sehn und mich davon zu überzeugen, dass
es auch noch anderswo atembare Luft gibt - selbst für meine Lungen
- eine Erkenntnis, durch die zwar die Welt nicht weiter wird, aber irgendein
nagendes Verlangen beruhigt), abgesehen von dem allen habe ich einen äußerst
wichtigen Grund, zu fahren - meine Angst. Du kannst Dir diese Angst gewiß
irgendwie vorstellen, aber bis in ihre Tiefe kannst Du nicht kommen, dafür
bist Du zu mutig. Ich habe, aufrichtig gesagt, eine fürchterliche
Angst vor der Reise, natürlich nicht gerade vor dieser Reise und überhaupt
nicht nur vor der Reise, sondern vor jeder Veränderung; je größer
die Veränderung ist, desto größer zwar die Angst, aber
das ist nur verhältnismäßig, würde ich mich nur auf
allerkleinste Veränderungen beschränken - das Leben erlaubt es
allerdings nicht -, würde schließlich die Umstellung eines Tisches
in meinem Zimmer nicht weniger schrecklich sein als die Reise nach Georgental.
Übrigens nicht nur die Reise nach Georgental ist schrecklich, auch
die Abreise von dort wird es sein. Im letzten oder vorletzten Grunde ist
es ja nur Todesangst. Zum Teil auch die Angst, die Götter auf mich
aufmerksam zu machen; lebe ich hier in meinem Zimmer weiter, vergeht ein
Tag regelmäßig wie der andere, muß natürlich auch
für mich gesorgt werden, aber die Sache ist schon im Gang, die Hand
der Götter führt nur mechanisch die Zügel, so schön,
so schön ist es, unbeachtet zu sein, wenn bei meiner Wiege eine Fee
stand, war es die Fee "Pension". Nun aber diesen schönen
Gang der Dinge verlassen, frei unter dem großen Himmel mit dem Gepäck
zum Bahnhof gehe, die Welt in Aufruhr bringen, wovon man freilich nichts
merkt als den Aufruhr im eigenen Innern, das ist schrecklich. Und doch
muß es geschehn, ich würde - es müßte nicht allzulange
dauern - das Leben überhaupt verlernen. - Also zwischen dem Fünfzehnten
und Zwanzigsten. Grüße alle. Dank auch Deiner Frau Sekretärin.
- dass ich noch am gleichen Abend in Georgental sein werde, ist ausgezeichnet.
Das ist wohl Georgental-Ort?
Dein Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at