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Max Brod an Franz Kafka

[Prag ]

Donnerstag [7.9.1922]
 

Lieber Franz,

Ich hätte dir schon längst schreiben sollen, dass es mir gut geht. M. schreibt täglich und sehr nett. Die Sache mit W. ist vielleicht wirklich erledigt, sogar der mir unbegreifliche Formalismus der Bilder-Rückgabe hat stattgefunden. Und sie dankt mir in jedem Brief dafür, dass ich sie "festgehalten" habe. Natürlich sind noch einige unaufgeklärte Punkte. Zum Beispiel: dass sie jetzt in den letzten Leipziger Tagen besonders viel mit seiner Schwester verkehrt, die ihn zwar liebt, aber doch (relata refero) ganz auf Emmys Seite steht, was sich in Äußerungen kundgibt wie: "Na, was sich der dumme Junge bloß eingebildet hat". -Das ist nicht zu durchdringen, wird nie ganz zu durchdringen sein. - Oder die Tatsache, dass Emmy sehr bös über ihn schreibt u. a.: "Ich sehe jetzt ein, dass von seiner Seite alles nur nackte häßliche tierische Eifersucht war". Sie schreibt das mit so vollständig gutem Gewissen, dass ich geradezu erschrecke. Als ob W nicht wirklich allen Anlaß gehabt hätte, eifersüchtig zu sein, - so nimmt sie es ihm übel. - Aber auch ich ruhe nun ein wenig aus. Ist nach Pascal der Zweifel ein gutes Ruhekissen für einen starken Kopf, warum sollte es die Unlogik nicht sein. Für mich ist sie jedenfalls das Süßeste, was es gibt. Früher dachte ich: weil ich sehr logisch veranlagt bin. Jetzt aber sehe ich allmählich ein, dass meine logischen Talente nie sehr groß waren, eigentlich nur künstlich aufgezüchtet, zum Verständnis von Kant oder gar Fichte nie hinreichend,-geblieben aber ist die starke Anziehungskraft, die alles In-sich-Widerspruchsvolle für mich hat.

    Von gestern an ist M. wohl schon in Berlin. Hoffentlich gut untergebracht. - Und was die Hauptsache ist: am Freitag nächster Woche fahre ich für 2 Tage nach Berlin, um ihr bei Einrichtung des neuen Studiums und Lebens zu helfen. - Wie ist es nun, möchtest du nicht mitkommen? Am Freitag 15. September 2 Uhr, Wilsonbahnhof? Das Wetter ist wohl für Planá nicht mehr besonders günstig. Berate dich doch mit Ottla, ob dein Gesundheitszustand eine kleine Reise erlaubt. Deutschland ist so billig. Du ersparst geradezu, wenn du mit mir kommst. Das nächste Mal fahre ich erst am 30. Oktober; also überlege dir's schnell. Schreibe mir, damit ich dir ein Zimmer in Berlin besorgen kann, wenn du mitkommen willst. - Aber bitte: nur Du! Du weißt, warum. - Ich wäre sehr froh, wenn du dich zu dieser Reise entschließen würdest. Es kommt aber alles darauf an, wie es mit deiner Gesundheit steht. Vielleicht könntest du dann am Montag mit mir zurückfahren und noch ein paar Tage in Schandau bleiben, wo ich eine sehr schöne ruhige Veranda für dich weiß.

    Ich fürchte, dass ich dich diesmal in Prag mit meiner Affäre zu sehr in Anspruch genommen und gar nicht nach dir gefragt habe. Deshalb schreibst du mir jetzt auch nicht. Du kannst es tun. Ich bin doch schon wieder ein wenig aufgetaut. Lese Speyer "Schwermut der Jahreszeiten" mit größtem Entzücken. Sag mal, was hat dir eigentlich an dem Buche nicht gefallen? Das ist mir ein Rätsel. Vielleicht ist Monte Carlo und die geplante Hochzeit von Lehrer und Christine etwas weniger erlebt als das Schulgut, Blanche und die perverse Liebe zur Schwester (von der übrigens, wenn ich nicht irre, auch in Speyers Roman viel die Rede ist.). - Wir taten Unrecht, so wenig über das Buch, so wenig über unsere Kunst zu reden. - Aber ich war toll, bin es eigentlich auch noch heute so ziemlich, mit kleinen Pausen. - Ich habe am ganzen Körper gezittert, als ich die Briefe las, in denen M. ihren Abschied von W. sehr unsentimental, antisentimental beschreibt. Ich saß auf der niedrigen Steinrampe vor dem Veitsdom und konnte kaum lesen, weil die Hand, in der ich den Brief hielt, immer so hin und her wackelte. Selten habe ich Gott so gedankt wie damals (es war am Tage nach unserem letzten Gespräch, Nachmittags darauf.) Baum ist in Prag, ich habe ihn noch nicht gesehen. Doch erzählt blinder von Unglücksfällen - das Essen war schlecht - Oskar hat 3 Pfund abgenommen (angeblich) - ein richtiger Instinkt also hat dich von dieser Reise abgehalten. Hoffentlich rät er dir jetzt zu meiner Reise zu und ebenso richtig! - Oskar hat die ganzen Ferien mit der Roman-Umarbeitung zu tun gehabt und dann hat Scherl - abgelehnt. Ist das ein ekelhaftes Vieh!! - Felix hat Dienstmädchensorgen. - Ich: Dalles infolge Marksturzes. Stelle Kritiken zu einem Buch zusammen.

Max        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Speyer: Die Erzählung Schwermut der Jahreszeiten von Wilhelm Speyer (1887-1952) war 1922 bei Ernst Rowohlt in Berlin erschienen.


Winder: Ludwig Winder (1889-1946), "der Oskar Baum besonders nahestand" (PK 142). Siehe Anm. 23 oben.


zu einem Buch: Max Brod, Sternenhimmel. Musik- und Theater erlebnisse, Prag: Orbis-Verlag/München: Kurt Wolff 1923.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at