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Max Brod an Franz Kafka
[Prag ]
Lieber Franz,
Ich hätte dir schon längst schreiben sollen, dass es mir
gut geht. M. schreibt täglich und sehr nett. Die Sache mit W. ist
vielleicht wirklich erledigt, sogar der mir unbegreifliche Formalismus
der Bilder-Rückgabe hat stattgefunden. Und sie dankt mir in jedem
Brief dafür, dass ich sie "festgehalten" habe. Natürlich
sind noch einige unaufgeklärte Punkte. Zum Beispiel: dass sie
jetzt in den letzten Leipziger Tagen besonders viel mit seiner Schwester
verkehrt, die ihn zwar liebt, aber doch (relata refero) ganz auf Emmys
Seite steht, was sich in Äußerungen kundgibt wie: "Na,
was sich der dumme Junge bloß eingebildet hat". -Das ist nicht
zu durchdringen, wird nie ganz zu durchdringen sein. - Oder die Tatsache,
dass Emmy sehr bös über ihn schreibt u. a.: "Ich sehe
jetzt ein, dass von seiner Seite alles nur nackte häßliche
tierische Eifersucht war". Sie schreibt das mit so vollständig
gutem Gewissen, dass ich geradezu erschrecke. Als ob W nicht wirklich
allen Anlaß gehabt hätte, eifersüchtig zu sein, - so nimmt
sie es ihm übel. - Aber auch ich ruhe nun ein wenig aus. Ist nach
Pascal der Zweifel ein gutes Ruhekissen für einen starken Kopf, warum
sollte es die Unlogik nicht sein. Für mich ist sie jedenfalls das
Süßeste, was es gibt. Früher dachte ich: weil ich sehr
logisch veranlagt bin. Jetzt aber sehe ich allmählich ein, dass
meine logischen Talente nie sehr groß waren, eigentlich nur künstlich
aufgezüchtet, zum Verständnis von Kant oder gar Fichte nie hinreichend,-geblieben
aber ist die starke Anziehungskraft, die alles In-sich-Widerspruchsvolle
für mich hat.
Von gestern an ist M. wohl schon in Berlin. Hoffentlich
gut untergebracht. - Und was die Hauptsache ist: am Freitag nächster
Woche fahre ich für 2 Tage nach Berlin, um ihr bei Einrichtung des
neuen Studiums und Lebens zu helfen. - Wie ist es nun, möchtest du
nicht mitkommen? Am Freitag 15. September 2 Uhr, Wilsonbahnhof? Das Wetter
ist wohl für Planá nicht mehr besonders günstig. Berate
dich doch mit Ottla, ob dein Gesundheitszustand eine kleine Reise erlaubt.
Deutschland ist so billig. Du ersparst geradezu, wenn du mit mir
kommst. Das nächste Mal fahre ich erst am 30. Oktober; also überlege
dir's schnell. Schreibe mir, damit ich dir ein Zimmer in Berlin besorgen
kann, wenn du mitkommen willst. - Aber bitte: nur Du! Du weißt, warum.
- Ich wäre sehr froh, wenn du dich zu dieser Reise entschließen
würdest. Es kommt aber alles darauf an, wie es mit deiner Gesundheit
steht. Vielleicht könntest du dann am Montag mit mir zurückfahren
und noch ein paar Tage in Schandau bleiben, wo ich eine sehr schöne
ruhige Veranda für dich weiß.
Ich fürchte, dass ich dich diesmal in
Prag mit meiner Affäre zu sehr in Anspruch genommen und gar nicht
nach dir gefragt habe. Deshalb schreibst du mir jetzt auch nicht. Du kannst
es tun. Ich bin doch schon wieder ein wenig aufgetaut. Lese Speyer
"Schwermut der Jahreszeiten" mit größtem Entzücken.
Sag mal, was hat dir eigentlich an dem Buche nicht gefallen? Das
ist mir ein Rätsel. Vielleicht ist Monte Carlo und die geplante Hochzeit
von Lehrer und Christine etwas weniger erlebt als das Schulgut, Blanche
und die perverse Liebe zur Schwester (von der übrigens, wenn ich nicht
irre, auch in Speyers Roman viel die Rede ist.). - Wir taten Unrecht, so
wenig über das Buch, so wenig über unsere Kunst zu reden. - Aber
ich war toll, bin es eigentlich auch noch heute so ziemlich, mit kleinen
Pausen. - Ich habe am ganzen Körper gezittert, als ich die Briefe
las, in denen M. ihren Abschied von W. sehr unsentimental, antisentimental
beschreibt. Ich saß auf der niedrigen Steinrampe vor dem Veitsdom
und konnte kaum lesen, weil die Hand, in der ich den Brief hielt, immer
so hin und her wackelte. Selten habe ich Gott so gedankt wie damals (es
war am Tage nach unserem letzten Gespräch, Nachmittags darauf.) Baum
ist in Prag, ich habe ihn noch nicht gesehen. Doch erzählt blinder
von Unglücksfällen - das Essen war schlecht - Oskar hat 3 Pfund
abgenommen (angeblich) - ein richtiger Instinkt also hat dich von dieser
Reise abgehalten. Hoffentlich rät er dir jetzt zu meiner Reise zu
und ebenso richtig! - Oskar hat die ganzen Ferien mit der Roman-Umarbeitung
zu tun gehabt und dann hat Scherl - abgelehnt. Ist das ein ekelhaftes Vieh!!
- Felix hat Dienstmädchensorgen. - Ich: Dalles infolge Marksturzes.
Stelle Kritiken zu einem Buch zusammen.
Max
Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.
Speyer: Die Erzählung Schwermut der Jahreszeiten von Wilhelm Speyer (1887-1952) war 1922 bei Ernst Rowohlt in Berlin erschienen.
Winder: Ludwig Winder (1889-1946), "der Oskar Baum besonders nahestand" (PK 142). Siehe Anm. 23 oben.
zu einem Buch: Max Brod, Sternenhimmel. Musik- und Theater erlebnisse, Prag: Orbis-Verlag/München: Kurt Wolff 1923.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |