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An Milena Jesenská
17)
Wie müde Du bist in dem Samstag-Abend-Brief. Ich hätte viel zu
dem Brief zu sagen, aber der Müden sage ich heute nichts, bin ja auch
müde, eigentlich zum erstenmal seit meiner Ankunft in Wien mit ganz
unausgeschlafenem gequälten Kopf. Ich sage Dir nichts, sondern setze
Dich nur in den Lehnstuhl (Du sagst Du hättest mir nicht genug Liebes
getan, aber gibt es mehr Liebe und Ehrung als mich dort sitzen zu lassen
und davor zu sitzen und bei mir zu sein), jetzt setze ich Dich also in
den Lehnstuhl und weiß nicht wie das Glück umfassen mit Worten
Augen Händen und dem armen Herzen, das Glück, dass Du da
bist und doch auch mir gehörst. Und dabei liebe ich doch gar nicht
Dich, sondern mehr, sondern mein durch Dich mir geschenktes Dasein.
Von Laurin erzähle ich heute nichts, auch von dem Mädchen
nicht, das alles wird schon irgendwie seinen Weg gehn, wie fern das alles
ist.
F
Was Du über den armen Spielmann sagst, ist alles
richtig. Sagte ich, dass er mir nichts bedeutet, so war es nur aus
Vorsicht, weil ich nicht wußte, wie Du damit auskommen würdest,
dann auch deshalb weil ich mich der Geschichte schäme, so wie wenn
ich sie selbst geschrieben hätte und tatsächlich setzt sie falsch
ein und hat eine Menge Unrichtigkeiten, Lächerlichkeiten, Dilettantisches,
zum Sterben Geziertes (besonders beim Vorlesen merkt man es, ich könnte
Dir die Stellen zeigen) und besonders diese Art Musikausübung ist
doch eine kläglich lächerliche Erfindung, geeignet das Mädchen
aufzureizen alles was sie im Laden hat im höchsten Zorn, an dem die
ganze Welt teilnehmen wird, ich vor allen, der Geschichte nachzuwerfen,
bis so die Geschichte, die nichts besseres verdient, an ihren eigenen Elementen
zugrundegehen. Allerdings gibt es kein schöneres Schicksal für
eine Geschichte als zu verschwinden und auf diese Weise. Auch der Erzähler,
dieser komische Psychologe wird damit sehr einverstanden sein, denn wahrscheinlich
ist er der eigentliche arme Spielmann, der diese Geschichte auf möglichst
unmusikalische Weise vormusiciert, übertrieben herrlich bedankt durch
die Tränen aus Deinen Augen.
1] von dem Mädchen: Julie Wohryzek, vgl. Brief
vom [31. Mai 1920], Anm. 3.
2] über den armen Spielmann: Franz Grillparzers
Erzählung. Vgl. Brief vom [4. bis 5. Juli 1920] Montag früh,
S. 85, und die Anm. 1 zu diesem Brief.
Dienstag etwas später
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at