Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
[An Ottla Kafka: Postkarte]
Liebe Ottla, heute schreibe ich nur für den ganz unwahrscheinlichen
Fall, dass ich (vorausgesetzt natürlich dass keine Absage
von Dir kommt) Mittwoch früh nicht in Zürau sein sollte. Von
Max gezwungen gehe ich noch morgen Montag mit ihm wieder zum Professor,
er will ihm seine Einwände vortragen. Wie das aber auch ausfällt,
zunächst will ich nach Zürau jedenfalls fahren. Im übrigen
geht es mir ganz gut, nur das übermäßige Essen macht mich
traurig. Ich werde an Schnitzer schreiben, der mir vielleicht
Fasten anraten wird. Trübseliger Gegensatz: vorne unnötiges Essen
einführen, während innen die Krankheit ihre Gangart nach höherem
Belieben wählt. - Heute kommt Elli, da werde ich hören wie Du
Dich zum Ganzen stellst. Von F. kamen schon Briefe, so
fest, verläßlich, ruhig, nicht nachtragend wie sie eben ist.
Und ich antworte mit dem Schlag.
Franz
Ich werde an Schnitzer schreiben: Es handelt sich
um den in den Anmerkungen zu Nr. 9 erwähnten Warnsdorfer Fabrikanten
und Naturarzt, der Kafka übrigens nicht auf seine Anfrage antwortete
(vgl. Br 171). Trotzdem blieb Kafka weiterhin ein Anhänger seiner
Lehren. Im Oktober 1917 schrieb er an Felix Weltsch über Schnitzer:
" . . . man unterschätzt doch solche Leute leicht. Er ist ganz
kunstlos, daher großartig aufrichtig, daher dort, wo er nichts hat,
als Redner, Schriftsteller, selbst als Denker nicht nur unkompliziert .
. . sondern geradezu blödsinnig. Setze Dich ihm aber gegenüber,
sieh ihn an, suche ihn zu überschauen, auch seine Wirksamkeit, versuche
für ein Weilchen Dich seiner Blickrichtung zu nähern - er ist
nicht so einfach abzutun." (Br 187)
F.: Felice Bauer
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at