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An Felice Bauer

3.III. 14 [1915]
 


Telegramm und Karte sind abgeschickt. Wochen der Arbeitsunlust, der Kopfschmerzen, der im engen Kreis ewig herumwandernden Gedanken sind hinter mir. Die Kopfschmerzen sind auch heute mächtig da (ich schlafe eben zu wenig), aber sonst ist es besser und wird auch besser werden. Zähigkeit fehlt mir eigentlich nicht, nur arbeitet sie meistens auf der Gegenseite.

Das Zimmer habe ich schon gekündigt, es hat viel Entschlußkraft gekostet. Fast jeden Morgen ist die alte Frau zu meinem Bett gekommen und hat mir neue Verbesserungsvorschläge zugeflüstert, mit denen sie die Ruhe in der Wohnung noch vermehren wollte. Die fertige Kündigung im Kopf, mußte ich noch danken. Als ich schließlich am vorletzten Tag den Mund zur Kündigung aufmachte, nahm sie gerade aus dem Kasten den Theatermantel ihrer Tochter (es gibt eine Art gelblicher Theatermäntel mit Spitzenkragen, die mich ganz trübselig machen, und dieser Mantel war ein solcher), sie wollte mit der Tochter abend zu einem kleinen Fest gehn, da wollte ich ihr nicht die Freude verderben und verschob die Kündigung auf den nächsten Tag. Es war übrigens nicht ganz so schlimm, wie ich es erwartet hatte, immerhin vertraute sie mir an, dass sie geglaubt habe, ich werde bis zu meinem Tode (über den Zeitpunkt drückte sie sich nicht näher aus) bei ihr bleiben. Das Zimmer, das ich jetzt gemietet habe, ist vielleicht nicht viel besser, immerhin ist es ein anderes Zimmer. Es war vielleicht nicht so sehr die Unruhe in der Wohnung, die mich von dort vertrieben hat, denn ich habe ja in der letzten Zeit fast gar nichts in meiner Arbeit erreicht, habe also im Gunde weder die Ruhe noch die Unruhe der Wohnung erproben können, es war vielmehr meine eigene Unruhe, ein Gefühl, das ich nicht weiter ausdeuten will.

Dagegen will ich Deinen Traum deuten. Hättest Du Dich nicht auf den Boden unter das Getier gelegt, hättest Du auch den Himmel mit den Sternen nicht sehn können und wärest nicht erlöst worden. Du hättest vielleicht die Angst des Aufrechtstehns gar nicht überlebt. Es geht mir auch nicht anders; das ist ein gemeinsamer Traum, den Du für uns beide geträumt hast.

In Deinem Brief sagst Du einmal im Scherz, ich soll nach Berlin kommen, und einmal im Ernst, was aus uns werden soll. Beides gehört zusammen. Sage offen, glaubst Du, dass wir in Prag eine gemeinsame Zukunft haben können? Es liegt durchaus nicht an Prag, wenn dies nicht möglich sein sollte. Es liegt auch nicht an äußerlichen Verhältnissen. Im Gegenteil. Wenn der Krieg nur halbwegs milde vorübergegangen sein wird, werden die Verhältnisse voraussichtlich ganz günstig sein. Denke nur, ich habe gerade jetzt K 1200-zubekommen, eine schöne Menge Geld an sich, das mich aber hier gar nicht freut, das ich vielmehr fast abwehren wollte, als sei es eine Vergrößerung des Hindernisses. Was meinst Du?

Noch einige Fragen: Warum schläfst Du schlecht und worin besteht das Schlechte Deines Schlafs? Wie kamst Du zu dem Briefumschlag? Warum liest Du so alte und nicht gute Bücher wie "Betrachtung"? Ein Vorschlag: Willst Du nur die Bücher, aber vollständig, lesen die ich Dir schicken werde? Du müßtest allerdings mit dem Briefband von Flaubert und Browning beginnen. Und im Sommer machen wir eine Reise.

Franz




Zimmer: Das Zimmer in der Bilekgasse.
Das Zimmer: Im Haus >Zum goldenen Hecht< in der Langen Gasse Katastralnummer 705, Nr. 18 (heute 16). Dort wohnte er als Untermieter bei einem Herrn Salamon Stein. Sein Zimmer, ein Balkon- und Eckzimmer im 5. Stock, bot eine besonders schöne Aussicht über die Dächer und Türme der Prager Altstadt auf den Laurenziberg jenseits der Moldau. Vgl. Brief vom 21. März 1915, S. 630f und Tagebücher (17. März 1915), S. 467.


Letzte Änderung: 4.3.2021werner.haas@univie.ac.at