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An Grete Bloch

1. VII. 14
 


Liebes Fräulein Grete, wieder spät, es wird kein ausführlicher Brief. Ich treibe mich viel in der freien Luft und im Wasser herum, fühle mich aber nicht wohl, habe Müdigkeit in allen Gelenken bis zu Schmerzen, liege, wenn ich zuhause bin, nur auf dem Kanapee, bewundere Ihre Arbeitsfähigkeit und begreife sie nicht, habe eine Arbeit angefangen liegen und kann kaum die Hand heben, um sie fortzusetzen. Klagen scheint mir das Überflüssigste, was es auf der Welt gibt und gerade dazu, nur dazu reicht die Kraft gerade noch aus. Übrigens nicht einmal vollkommen dazu, wie Sie bemerkt haben.

Sie machten letzthin eine Bemerkung über gemeinsam geschriebene Karten. Ich habe darüber nachgedacht. Sie haben unrecht und recht. Alles, was ich von Berlin bekomme, ist mir lieb aber, im Augenblick unbewußt, muß auch das Verlangen vorhanden sein, lieber jeden allein für sich zu haben, nicht gemeinsam; den Einzelnen liebe ich, die Gemeinsamkeit nicht so; ich bin ungesellig bis zum Verrücktsein, nicht nur für mich, sondern für alle, die ich liebe. Eine Krankheit, vielleicht eine behebbare.

F. wird Ihnen gesagt haben, dass ich von Sonntag in einer Woche nach Berlin fahre oder vielmehr über Berlin in den Urlaub. Ich weiß also nicht, ob ich nächsten Sonntag in Dresden sein werde; habe auch noch eine kleine allerdings sehr leicht zu umgehende Verpflichtung, meine Schwester vor dem Urlaub in ihrer Sommerfrische zu besuchen. Am wahrscheinlichsten ist aber, dass ich in Prag bleiben werde; ich kann mich kaum zeigen. Sind Sie von Sonntag in einer Woche in Berlin?

Ich höre auf, ich schreibe morgen wieder.


Herzlichste Grüße Ihr Franz K.


Der Schmerz im Fuß? Was für ein Schmerz denn? Wie hat Sie der Präsident ausgezeichnet?


von Sonntag: Kafka meinte am Sonntag in einer Woche, also den 12. Juli 1914.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at