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An Grete Bloch

11.II.14
 


Liebes Fräulein, nein, das glaube ich nicht und auch Sie schreiben es nur ohne Glauben hin; F. hätte mir ohne Ihren Brief nicht geschrieben. Mißverstehen Sie mich nicht, ich bin ja damit zufrieden, dass sie mir aus eigenem Antrieb nicht geschrieben hat, ich will sie ja so haben oder besser und einfacher, ich will sie gerade so haben, wie sie ist. Wollte ich aber sophistisch sein, dann müßte ich allerdings sagen (ich sage es nicht, aber ich verschweige es auch nicht), dass es für mich schlimmer ist, dass sie jetzt geschrieben hat, schlimmer, als wenn sie nicht geschrieben hätte; denn es zeigt, dass nur ein überwindbarer Widerstand vorhanden war, den zwar Sie überwinden konnten, ich aber nicht.

Was Sie über gegenseitige Hilfe sagen, ist nicht ganz richtig. Wenn einer ins Wasser fällt und der andere auf sein Geschrei hin ihn herauszieht, so ist das ein Regelfall der Hilfe und erzeugt vielleicht unter guten Freunden kein "Verpflichtetsein". Sie aber mußten, um mir zu helfen, eine Unwahrheit sagen, mußten also etwas tun, was Sie, um sich zu retten, gewiß nicht tun würden, und ich, um mich zu retten, vielleicht, allerdings nur vielleicht, auch nicht. Darum also bin ich Ihnen "verpflichtet", weil Sie nicht nur etwas für mich, sondern gleichzeitig auch etwas gegen sich haben tun müssen. Vielleicht haben Sie das aus Gutherzigkeit nicht so schwer getragen, desto schwerer bis zum Ekel ich. Darf ich Sie bitten (nicht etwa, um mein "Verpflichtetsein" aufzuheben, solche Aufhebung gibt es nicht), selbst in Ihrem nächsten Brief an F., ohne mich irgendwie zu schonen, offen einzugestehn, dass ich von Ihrem ersten Briefe wußte, selbst ihn veranlaßt habe und durch ihn, wie es sich ja auch als berechtigt erwiesen hat, eine Nachricht von ihr zu erreichen hoffte.

Bitte, liebes Fräulein, schreiben Sie ihr das und zwar ohne Rücksicht darauf, was F. selbst mir antwortet, was übrigens bis heute nicht geschehen ist, trotzdem es schon hätte geschehen können. [*]

Durch Ihren letzten Brief habe ich eine sehr deutliche Vorstellung von Ihrem Leben bekommen. Hier ist auch trübes Wetter, aber um 2 Uhr mittags maß man das Licht nur in dunklen Hofzimmern anzünden, wie es das Ihre ist. Daß Sie Klavier spielen und Musik lieben, wußte ich, glaube ich, gar nicht. Mit wem spielen Sie Klavier und mit wem machen Sie Ausflüge ins Gebirge? Um Ihre Schlafsucht beneide ich Sie. Wie müssen Sie ihr an Sonntagnachmittagen in dem dunklen Zimmer nachgeben! Wenn ich das könnte! Wenn sich der Schlaf irgendwie um mich kümmerte! Während der Zahnschmerzen, da sie mir den Kopf dumpf machten (die Schmerzen selbst sind schon vorüber, hätte ich vom Kamillentee gewußt, hätte ich ihn genommen, Medicinen aber darf man mir nicht anraten), schlief ich beiläufig, aber seit 2 Tagen fast gar nicht. Diese Art Schlaf, die ich habe, ist mit oberflächlichen, durchaus nicht phantastischen, sondern das Tagesdenken nur aufgeregter wiederholenden Träumen durchaus wachsamer und anstrengender als das Wachen. Es gibt Augenblicke im Bureau, wo ich redend oder diktierend richtiger schlafe als im Schlaf. Und Sie haben solche Schlafsucht! Schlafen ist besser als Lesen; nur unter diesem Vorbehalt nenne ich Ihnen ein Buch, allerdings ein prachtvolles und eines überdies, in dem alles steckt, was an Wien Gutes ist. Bitte lesen Sie es! "Mein Leben" von Gräfin Lulu Thürheim, Verlag Georg Müller, 2 Bände. In der Universitätsbibliothek bekommen Sie es gewiß. Es ist teuer, ungebunden glaube ich 12 M.

Herzliche Grüße Ihres F. Kafka




Quelle Text: Briefe an Felice und andere Korrespondenzen aus der Verlobungszeit. Hrsg. von Erich Heller und Jürgen Born. Frankfurt am Main, 29.- 30. Taus., 1982
Quelle Anmerkungen: Briefe an Felice und andere Korrespondenzen aus der Verlobungszeit. Hrsg. von Erich Heller und Jürgen Born. Frankfurt am Main, 29.- 30. Taus., 1982


Die unterschiedliche Textfarbe wurde auf Grund der Ausgabe "Geteilte Post: 28 Briefe an Grete Bloch. Marbach am Neckar, 2011" gewählt. Laut dem Herausgeber Hans-Gerd Koch: "Aus zwölf dieser Briefe trennt sie jene Teile heraus, die persönliche Dinge betreffen oder falsche Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu Kafka zulassen, und behält sie zurück. (Beim Abdruck im vorliegenden Band wurden diese fehlenden Teile in grauer Schrift ergänzt.)" Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurde für diese Webseite anstelle von grau eine blaue Schriftfarbe verwendet.

[*] An dieser Stelle wurde der erste der insgesamt zwölf (von Grete Bloch?) auseinandergeschnittenen Briefe zusammengefügt. Vgl. "Zu dieser Ausgabe", S. 35 f. Im weiteren sind solche Schnittstellen durch einen senkrechten Strich | im Text bezeichnet. [Briefe an Felice, 1982]
"Mein Leben" von Gräfin Lulu Thürheim, Verlag Georg Müller, 2 Bände Vgl. Tagebücher (23. und 26. Januar 1914), S. 354f. und (Februar 1914), S. 358. Siehe Archive.org


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at