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An Grete Bloch
Liebes Fräulein!
Eine Karte von F. ist gekommen, eine kleine immerhin freundliche Karte;
eine Freundlichkeit übrigens, der zu vertrauen, auf die zu bauen ich
schon aufgehört habe, denn weniger freundlich hat mir F. eigentlich
niemals geschrieben. Aber darauf kommt es Ihnen gegenüber gar nicht
an, auch darauf nicht, wie ich mich innerlich dieser erzwungenen Karte
gegenüber verantworten werde (die fast deutbare Schlußbemerkung
der Karte lautet: "Ich mußte diese Karte schreiben"),
es kommt vielmehr hier nur darauf an, dass die Karte da ist, dass
ich sie allein auf keinen Fall hätte erwirken können, dass
F. aus eigenem Willen sie nicht hätte schreiben können, und dass
ich sie durchaus Ihnen verdanke. Wie groß Ihre Macht über F.
ist!
Vielleicht bekomme ich morgen von Ihnen eine Nachricht, wahrscheinlich
wissen sie auch schon von der Karte. Nun, da ich Ihnen noch unvergleichlich
mehr danken sollte als bis jetzt, verschlägt es mir fast die Worte,
so gedemüthigt fühle ich mich vor Ihnen und nicht nur gedemüthigt,
das wäre nicht schlimm und mein gerechter Teil, aber so, als hätte
ich auch Sie gedemüthigt, indem ich Sie bat, auf diese Weise (was
sage ich auf diese Weise ? es war auf keine andere möglich) von F,
die Karte für mich zu entlocken. Sagen Sie nichts dazu, ich weiß,
es wird vorübergehe, meine Empfindlichkeit in dieser Hinsicht ist
nur um ein kleines größer als meine Vergeßlichkeit, aber
ich mußte es sagen, um Sie, ehe ich Ihnen danke, mehr noch als ich
danke, um Verzeihung zu bitten.
Ihr F. Kafka
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at