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An Grete Bloch
Liebes Fräulein!
Es tut mir um unserer allen willen leid, insbesondere natürlich für
Sie, dass Sie im Brief an F. und vielleicht sogar (wie soll ich Ihnen
jemals dafür danken?) schon im Telegramm Unwahres sagen mußten.
Aber das Schlimme liegt natürlich nicht im Unwahren, sondern in der
Sache selbst, an der man nur noch mit Unwahrem rühren kann.
Sie haben recht, der Satz aus F.'s Brief ist schlimm. Äußerlich
ist er zwar nur ein Mißverstehen dessen, wovon ich F. ein Jahr lang
zu überzeugen suchte; innerlich ist er aber doch wahrscheinlich mehr
als ein bloßes Mißverstehn. Der Brief besteht zwar nicht aus
dem einen Satz, aber der Satz herrscht. Das Bedrückendste ist, dass
er einerseits mit nichts übereinstimmt, was ich von F. weiß,
und dass andererseits nirgends ausdrücklich von einer Änderung
von Grund aus gesprochen wird.
dass Ihnen die "Galeere" gefallen hat, freut mich sehr.
Man muß durch das Konstruktive, welches den Roman wie ein Gitter,
überall, rundherum umgibt (wie das im Wesen des W. begründet
ist, weiß ich eigentlich nicht recht), den Kopf einmal durchgesteckt
haben, dann aber sieht man das Lebendige wirklich bis zum Geblendetwerden.
Vielleicht werde ich Ihnen bald wieder etwas von ihm schicken
können.
Wie verbringen Sie übrigens die Sonntage? Nach dieser Anstrengung
in der Woche? Ist diese Anstrengung vernünftig? Können Sie denn
das lange aushalten? Was war es für eine Krankheit, von der Sie letzthin
schrieben? Die Zeit zu Ihrem letzten Brief haben Sie wahrscheinlich Ihrer
Mittagspause abgestohlen; das ist ebenso unrecht als lieb. Es bedeutet
übrigens nichts weiter; ich bin Ihnen schon im ganzen jetzt so verpflichtet
wie keinem andern Menschen, das weiß ich deutlich trotz meines Kopfes,
der jetzt von Zahnschmerzen (muß sich alles drehn bis ins Lächerlichste?)
ganz dumpf ist.
Ihr F. Kafka
Vielleicht ... können Vgl. Tagebücher
(8. und 9. Dezember 1914), S. 339.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at