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An Grete Bloch
Liebes Fräulein! Es ist nicht anders zu erklären, als dass
ich bei allem was F. betrifft oder mit ihr in Beziehung steht, mit einer
Blindheit geschlagen bin, die um so ärger ist, als ich darin gerade
besonders klar zu sehen glaube. Wie benehme ich mich nur Ihnen gegenüber,
beklage es immer wieder und fange immer wieder von neuem an. Ich kann mir
aber nicht helfen, ich habe allen Widerwillen, den mein Benehmen nur erregen
kann, bis zum Äußersten schon in mir und koste ihn durch, nur
werde ich aber in dieser Sache, unvergleichlich ärger als irgendwann
sonst, ohne meinen Willen, wie von fremder Hand, bis zum Schwindligwerden
hin- und hergedreht.
Sie wissen es aber auch, denn Sie sagen in Ihrem Brief, was mich vor allem
gewundert hat, kein Wort des Vorwurfs, ja nicht einmal des Staunens darüber,
dass ich F. wiederum die Heirat gebeten habe. Ich habe es getan, weil
es nicht anders ging, viele andere Erklärungen habe ich dafür
nicht.
F.'s Brief an Sie (für den ich Ihnen vielmals danke, lassen Sie mir
ihn nur noch ein wenig, natürlich erfährt F. nichts davon) ist
gut und wahr und in den Tatsachen, soweit es mich betrifft, fast richtig.
Wahr ist es, dass der "Brei" "heiß" war, und
wahr ist auch das vom "armen Kerl". Aber dass F. Ihnen
seitdem nicht geschrieben hat, ist schlimm und geradezu ungeheuerlich.
Die Daten meines Briefwechsels mit F. wußte ich, wenigstens genau,
nicht mehr, wenn sie nicht zufällig in dem seinerzeit an Sie geschriebenen
und nicht abgeschickten Brief stünden und dieser
Brief sich nicht jetzt gerade gefunden hätte. Zum erstenmal seit meinem
Berliner Besuch schrieb ich F., merkwürdiger Weise an dem gleichen
Abend wie F. Ihnen, am 27. XI. Antwort bekam ich keine. Wie ich später
erfuhr, hatte Frau Brod F. etwa um dieselbe Zeit schriftlich zu Weihnachten
eingeladen. Antwort bekam auch sie nicht. Ich schrieb dann etwa 14 Tage
später wieder einen Brief, wieder keine Antwort. Was ich dann machte,
weiß ich der Reihenfolge nach nicht mehr genau, ich dürfte wohl
noch 2 Briefe geschrieben und 2 Telegramme geschickt haben. Nachdem ich
auch daraufhin nicht eine Zeile bekommen hatte, führte ich folgenden,
ein wenig traumhaften, auch tatsächlich im Halbschlaf erdachten
Plan aus. (Ich erwähne ihn hauptsächlich deshalb, um dabei
die Zusendung der "Galeeren zu entschuldigen.)
Ich habe einen sehr guten Freund in Berlin, Dr. E. Weiß, eben den
Verfasser der "Galeere". Ich kannte ihn früher nur flüchtig,
seinen Roman gar nicht; erst als ich im November in Berlin war, war ich
etwa eine Stunde mit ihm beisammen, seitdem allerdings in den Weihnachtsfeiertagen
(in Prag) sehr lange. Diesen Dr. Weiß -bat ich nun Anfang Dezember,
mit einem. Brief von mir zu F. ins Bureau zu gehe. Im :Brief stand nicht
viel mehr, als dass ich eine Nachricht von ihr oder über sie
haben müsse und deshalb W. hingeschickt habe, damit er mir von ihr
schreiben könne. Während sie den Brief lese, werde W. neben ihrem
Schreibtisch sitzen, sich umsehe, warten bis sie den Brief ausgelesen habe
und dann, da er keinen weitem Auftrag habe und auch kaum eine Antwort bekommen
dürfte (denn warum sollte er sie bekommen, da ich sie
nie bekommen habe), weggehe und mir schreiben, wie sie aussehe und wie
es ihr dem Anschein nach gehe. Das wurde auch ganz so ausgeführt.
W. bekam für mich paar Zeilen, in denen mir F. versprach, am gleichen
Tag ausführlich zu schreiben. Dieser angekündigte Brief kam nicht;
ich schrieb einen Brief; als Antwort kam ein Telegramm, in dem ein Brief
angekündigt wurde; der Brief kam nicht; ich telephonierte, wieder
wurde mir ein Brief bestimmtest versprochen und kam nicht; ich telegraphierte,
es kam ein Telegramm, nachdem der Brief an mich bereits fertig zum Abschicken
bereit war. Trotzdem kam er nicht. Ich glaube, ich schrieb wieder. Endlich
kam er. Es stand wenig und Trauriges drin, Trauriges ausdrücklich
und außerdem Trauriges in der Undeutlichkeit des Ganzen. Darauf schrieb
ich einen etwa 40 Seiten langen Brief, dessen Beantwortung
ich seit etwa 4 Wochen erwarte oder besser nicht mehr erwarte. Tiefer demütigen,
als ich es in dem Brief getan habe, kann man sich gar nicht mehr, allerdings
steht in einer Art Widerspruch dazu eine Seite, eine in halbem Bewußtsein
geschriebene, aber wahre Seite in dem Brief, die vielleicht die Beantwortung
des ganzen Briefes unmöglich macht. Aber es kann doch nicht sein,
denn diese Seite ist mit den vorigen arid spätem so verbunden, dass
man sie nicht nur für sich lesen kaum und insbesondere Felice dürfte
das nicht. Wenn sie es aber getan hat, dann hätte sie den Brief auch
darin, wenn die Seite nicht drin stünde, nicht beantworten können.
Das ist beiläufig alles, was geschehen ist. Sie waren Weihnachten
in Wien? Allein? Ich war fest überzeugt, dass Sie nach Berlin
fahren würden und ebenso überzeugt war ich, dass ich in
Berlin sein würde. Ich wäre auch hingefahren, aber aus dem telephonischen
Gespräch bekam ich als einzige klare Mitteilung die Bitte, nicht nach
Berlin zu kommen, eine Bitte, die übrigens später noch telegraphisch
wiederholt wurde. Als ich Sie um baldige Antwort bat, dachte ich daran,
vielleicht Sonntag nach Berlin zu fahren und mit einemmal, wenn es möglich
ist, alles wende zu bringen. Ich werde es nicht tun, nach diesem Brief
nicht. Ich kann nicht hinfahren, wenn ich von F. aus letzter Zeit nichts
weiß. Ohne aber etwas zu wissen, kann ich F. über meinen letzten
Brief hinaus nichts weiter beweisen, dazu bin ich nicht stark genug. Und
so bleibt es bei der frühere Stille, nicht Ruhe.
Seien Sie mir, Fräulein, nicht böse, weder wegen meines dummen
Mißtrauens noch wegen meines Vertrauens. Fast möchte ich Sie
auch noch in F.'s Namen um Verzeihung bitten, denn es scheint wirklich,
als ob F. und ich, seitdem wir es aufgegeben haben, einander direkt und
(von meiner Seite) urunterbrochen Leid anzutun, uns gegen Sie gewendet
hätten, nicht um zu klagen, sondern um Ihnen Leid anzutun.
Zeigen Sie mir, dass Sie mir verzeihen, dadurch, dass Sie die
"Galeere" freundlich annehmen. Es ist nicht bloß im Tausch
gegen F.'s Brief, beides Niederschriften von Freunden, geschickt, es macht
mir überhaupt Freude, dieses Buch, das ich lieb habe, besonders Ihnen
zu geben.
Noch eine Bitte: Ich glaube, Sie kennen Erna Bauer, kennen Sie vielleicht
ihre Bureauadresse?
Mit herzlichen Grüßen Ihr F. Kafka
nicht abgeschickten Brief: Vgl. den nicht abgeschickten
Brief an Grete Bloch vom 15./16. Dezember 1913, der sich ihm Nachlaß
Kafkas fand, S. 480f,
erdachten Plan: Vgl. Tagebücher (14., 15. und
17. Dezember 1913), S. 343 ff
40 Seiten langen Brief: Brief vom 29. Dezember
1913 bis 2. Januar 1914, S. 481 ff.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at