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An Grete Bloch
Liebes Fräulein!
Ich wollte Ihnen unbedingt gleich antworten, nicht etwa um Ihnen etwa Wichtiges
oder gar für Ihre menschliche Lage Wichtiges zu sagen, sondern
nur um Ihnen zu schreiben, um irgendetwas wenn auch Sinnloses und Unnützes
für Sie zu tun, wie mir überhaupt scheint, dass mein grundfalsches
Verhältnis zu Ihnen zum Teil dadurch bestimmt worden ist, dass
ich (nach außen hin scheinen das große Worte, nach innen hin
ist kein Wort groß genug) immer über mich hinaus durch eine
nicht zu durchreißende Hemmung, gleichzeitig gedrängt und gehalten,
irgendwie Ihnen näherzukommen versuchte und dass ich das Mißlingen
dessen trotz aller schönen Selbsterkenntnis Ihnen anrechnete. Und
doch liegt es nur daran, dass Sie mit mir über F. hin bekannt
wurden, dass ich mich in Prag als ich Sie zum ersten Mal traf gezwungen
sah, mit einem mir doch vollständig fremden Menschen über F.
zu reden, dass ich sogar mit dem Mitleid dieses fremden Menschen absichtlich
(die Absicht ergibt sich, man geht nicht von ihr aus) rechnete, dass
meine Geschwätzigkeit in solchen Dingen (meine Geschwätzigkeit
kommt allerdings mit paar Worten aus, aus Not) sich nicht halten läßt
und mir vor ihr zum Sterben übel wird - alles dieses und noch mehr derartiges
war die Ursache dessen, dass ich später, so sehr ich es im Grunde
immer wollte, nicht ohne diese verdammten abwehrenden Bemerkungen schreiben
konnte.
Ich glaube nicht, dass Mitleid glücklicher macht, besser macht
es gewiß nicht, dagegen ist Mitleiden, wenn man dessen im allgemeinen
und gegenüber einem bestimmten Menschen fähig ist, soweit ich
es erfahren habe, immer ein Glück und es macht auch zu einem bessern
Menschen. Es gibt eben keine Wage, bei der beide Schalen gleichzeitig hinaufgehn.
Je mehr Menschen von einem Leid wissen, desto schlimmer das Leid und wenn
nicht schlimmer wo unreiner. Aber es wird auch gewiß schlimmer, es
wird körperlicher, man sieht es mit den Augen der andern von andern
Seiten an, und wenn man vielleicht bisher für sich allein das Ganze
verbissen mit kleinen Augen angesehn und ausgehalten hat, jetzt vor dieser
allbekannten Körperlichkeit muß man sie aufreißen und
muß sich fügen, bis ins Allerletzte. Wird es aber nicht schlimmer,
sondern nur unreiner, dann ist es vielleicht noch ärger, denn jetzt
verliert man vor Widerwillen jede Hoffnung es zu überwinden.
Etwas derartiges fühlte ich damals im "Schwarzen
Roß", fühle ich jedesmal, wenn [ich] mit jemandem
und sei es mein bester Freund so rede (geschieht es z.B. mit meiner Mutter,
so schüttelt mich der Widerwille geradezu). Dazu kommt aber noch,
dass ich gleichzeitig bei solchen Reden fast bis an die Oberfläche
hinauf Vergnügen, Befriedung habe, dass es meiner Eitelkeit wohltut - muß
es dann nicht eine Erlösung für mich sein, wenn ich (und sei
es noch so lügenhaft) alles abschüttle und sage: der andere war
schuld.
Es ist aber nicht alles, ich darf mich in solche Überlegungen nicht
einlassen, ich komme niemals durch, nur im Gefühl halte ich es
Es ist ja auch jetzt ganz anders; Sie sind mir, besonders nach dem letzten
Brief keine Fremde mehr; das Leiden, das mit Geständnissen (wenn sie
nicht ganz erzwungen und einseitig sind) verbunden ist, ist ja schließlich
das Leiden des menschlichen Verkehres überhaupt; solange man lebt,
darf man keine leblose Grenze setzen - und darum und aus einigen ähnlichen
Gründen, soll (wenn Sie damit einverstanden sind und Sie sind es,
möchte ich hoffen) alles zwischen uns gut sein und wir sollen offen
mit einander reden können. Und Sie sollen, wenn Sie von sich schreiben,
nicht mehr hinzufügen "die Tatsache, dass Sie sich dafür
nicht interessieren können".
An Erna Bauer werde ich nicht schreiben. Ich hielt sie wirklich für
Felicens Vertraute; aber selbst wenn sie es wäre, schriebe ich ihr
nicht. Darf ich F. auf Umwegen zu mir zwingen? Ist es nicht genug, dass
ich es hinnehme, dass Sie für mich an F. schreiben und dass
ich Ihnen dafür dankbar bin? Nur hätten Sie nicht verschweigen
müssen, dass ich Ihnen geschrieben habe; Sie hätten alles
schreiben dürfen und das nicht nur deshalb weil es so unsicher ist,
ob überhaupt eine Hilfe noch möglich ist. F. hat eben das Vertrauen
zu mir verloren, berechtigte Gründe dafür gibt es ja eine Menge
und die eine schon erwähnte Seite des 40 Seiten langen Briefes ist
nicht der unwichtigste Grund. Und mit dem Vertrauen ist auch das was F.
vielleicht für mich gefühlt hat, verschwunden. Was soll F. tun?
Allerdings, dass sie Ihnen nicht schreibt, dafür kenne ich gar
keine Erklärung.
Warum F.'s letzter Brief traurig war? Ich schreibe einen Satz hier ab "Wir
würden beide durch eine Heirat viel aufzugeben haben, wir wollen es
nicht gegenseitig abwägen, wo ein Mehrgewicht entstehen würde.
Es ist für uns beide recht viel." Der Satz ist allerdings so
entsetzlich (und hätte er noch so viel tatsächliche Wahrheit),
dass er von F. unmöglich so gefühlt sein kann. Das widerspricht
F's Wesen vollständig, muß ihm widersprechen, aber schon dass
sie den Satz, aus welchen Gründen immer, niederzuschreiben imstande
war, ist traurig und nimmt mir fast jede gute Aussicht. Übrigens,
es war kein unüberlegt geschriebener Brief, es sollen ihm (ebenso
wie es in dem an Sie geschriebenen Brief heißt) einige nicht abgeschickte
Briefe vorhergegangen sein. Soweit F. und ich eine gemeinsame Zukunft haben,
scheint sie wirklich nur von dem Brief getragen zu sein, den Sie jetzt
geschrieben haben.
Sagen Sie mir doch, wenn Sie es wollen, wer ist der Mann in München?
Sieht er und hört er nicht? Worin besteht die Wichtigkeit, die Sie
für ihn haben und er für Sie? Sagten oder schrieben Sie nicht
einmal, dass Sie daran denken, nächstes Jahr in das süddeutsche
Geschäft Ihrer Firma einzutreten? Und was bedeutet die Stelle in Ihrem
Brief, die von der "Grundbedingung einer Heirat" handelt und
die ich nicht ganz verstehe. Dabei fällt mir übrigens etwas damit
nicht Zusammenhängendes ein. Sie schrieben einmal, dass Ihr Zimmer
dunkel ist und dass Sie sich kein besseres leisten können. Wieso
kommt das, da Sie doch ein genügendes Gehalt haben? Was für ein
Vielschreiber und Vielfrager ich geworden bin! Ich höre schon auf.
Leben Sie wohl!
Ihr F. Kafka
Das Buch hätte gleichzeitig mit meinem Brief ankommen sollen. Ich
werde morgen beim Buchhändler nachfragen.
Schwarzen Roß: Das Hotel, in dem Grete Bloch
während ihres Aufenthaltes in Prag (Anfang November 1913) wohnte.
[Wahrscheinlich die Fortsetzung dieses Briefes]
halbwegs sicher. Aber vielleicht genügt es, um das Vergangene ein
wenig zu erklären und nicht mehr darüber reden zu müssen.
Quelle Text: Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit. Fischer Taschenbuch Verlag, 1982. 23. - 30. Tausend.
Quelle Anmerkungen: Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit. Fischer Taschenbuch Verlag, 1982. 23. - 30. Tausend.
Letzte Änderung: 31.2.2016 werner.haas@univie.ac.at