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[Briefkopf des Hotel Sandwirth, Venedig]
An Felice Bauer
Felice, Dein Brief ist weder eine Antwort auf die letzten Briefe, noch
unserer Verabredung entsprechend. Ich mache Dir keinen Vorwurf deshalb,
von meinen Briefen gilt ja dasselbe. Wir wollten bis ich zurückkomme,
irgendwo uns treffen, um elend, wie wir beide sind, vielleicht einer aus
dem andern sich Kräfte zu holen. Ist Dir denn noch nicht klar, wie
es um mich steht, Felice? Wie kann ich dein in meinem unglückseligen
Zustand Deinem Vater schreiben?
Eingesperrt von den Hemmungen, die Du kennst, kann ich mich nicht rühren,
ich bin gänzlich, gänzlich außerstande, die innern Hindernisse
niederzudrücken, das einzige was ich gerade noch imstande bin, ist
grenzenlos unglücklich darüber zu sein. Ich könnte Deinem
Vater schreiben, gänzlich einverständlich mit Dir und ganz aus
meinem Herzen, aber bei der geringsten Annäherung der geringsten Realität
wäre ich unbedingt wieder außer Rand und Band und würde
ohne Rücksicht, unter dem unwiderstehlichsten Zwang das Alleinsein
zu erreichen suchen. Das könnte nur in ein noch tieferes Unglück
führen als zu dem, bei dem wir heute halten, Felice. Ich bin hier
allein, rede fast mit keinem Menschen außer den Angestellten in den
Hotels, bin traurig, dass es fast überläuft, und bin doch,
das glaube ich zu fühlen, in dem mir entsprechenden, von einer überirdischen
Gerechtigkeit mir zugemessenen, von mir nicht zu überschreitenden
und bis zu meinem Ende weiter zu tragenden Zustand. Nicht dass ich
*zuviel von mir aufgeben müßte", hindert mich, wenn dies
auch in einem gewissen eingeschränkten Sinn richtig ist, vielmehr
liege ich ganz und gar auf dem Boden, wie ein Tier, dem man (auch ich nicht)
weder durch Zureden noch durch Überzeugen beikommen kann, wenn ich
mich auch beiden und besonders dem letzteren nicht ganz entziehen kann.
Ich kann mich aber nicht vorwärtsbringen, ich bin wie verstrickt,
reiße ich mich vorwärts, reißt es mich stärker wieder
zurück. Das ist die einzige Klarheit und Offenheit, die man heute
von mir bekommen kann. Als ich heute früh aus dem Bett in den klaren
venezianischen Himmel sah und solche Gedanken mir durch den Kopf gingen,
schämte ich mich genug und war unglücklich genug. Aber was soll
ich tun, Felice? Wir müssen Abschied nehmen.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at