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An Felice Bauer
Ich bin lange bei der Balkontüre gestanden und habe draußen
eine Antwort auf die Frage gesucht, ob ich nach Dresden fahren soll. Ich
weiß ja allerdings nicht, was Du in Dresden machst, ob Du nicht mit
Deiner Mutter fährst, ob Du nicht besondere Geschäfte hast (darauf
würde die Plötzlichkeit der Reise hindeuten, sowie dass
Du über Nacht in Dresden bleiben zu wollen scheinst), ob ich Dir also
nicht hinderlich wäre, selbst wenn ich nur vor dem Hotel auf Dich
warten würde rund eilten Platz mir zu erobern suchen würde, von
dem aus ich Dich sehen könnte, wenn Du zu Mittag ißt. Aber in
Wirklichkeit würden mich solche Rücksichten nicht hindern, dennoch
zu fahren. Aber mein Zustand, der mich selbst hier zuhause innerhalb meiner
Familie mehr in mein dunkles Zimmer als in das beleuchtete Wohnzimmer verweist,
macht mir eine solche Reise an sich zu einem ungeheuren Unternehmen und
da Du, Liebste, das Ziel dieser Reise wärest, auch zu einem gefährlichen
Unternehmen, denn was würdest Du sagen, was würde Deine Schwester
sagen, wenn sie mich so zum ersten Mal erblickte? Nein, nein nein. Ich
bleibe wo ich bin, nur noch ein wenig trauriger als sonst, ein wenig unruhiger,
denn Du bist näher als sonst und doch für mich unerreichbar.
Alte Leute, alte Mütterchen würden sich, ohne ein Wort zu sagen,
zu der kleinen Reise entschließen, und ich kann es nicht.
Leb wohl, Liebste, und verbringe ein paar ruhige Stunden. Verzeihe, dass
ich Dich auch in Dresden mit Briefen heimsuche. Ein Sonntagsbrief liegt
in Berlin für Dich, er enthält nichts Neues, nur die ewige Litanei
der letzten Woche.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at