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An Felice Bauer

13. II. 13
 


Ich bin lange bei der Balkontüre gestanden und habe draußen eine Antwort auf die Frage gesucht, ob ich nach Dresden fahren soll. Ich weiß ja allerdings nicht, was Du in Dresden machst, ob Du nicht mit Deiner Mutter fährst, ob Du nicht besondere Geschäfte hast (darauf würde die Plötzlichkeit der Reise hindeuten, sowie dass Du über Nacht in Dresden bleiben zu wollen scheinst), ob ich Dir also nicht hinderlich wäre, selbst wenn ich nur vor dem Hotel auf Dich warten würde rund eilten Platz mir zu erobern suchen würde, von dem aus ich Dich sehen könnte, wenn Du zu Mittag ißt. Aber in Wirklichkeit würden mich solche Rücksichten nicht hindern, dennoch zu fahren. Aber mein Zustand, der mich selbst hier zuhause innerhalb meiner Familie mehr in mein dunkles Zimmer als in das beleuchtete Wohnzimmer verweist, macht mir eine solche Reise an sich zu einem ungeheuren Unternehmen und da Du, Liebste, das Ziel dieser Reise wärest, auch zu einem gefährlichen Unternehmen, denn was würdest Du sagen, was würde Deine Schwester sagen, wenn sie mich so zum ersten Mal erblickte? Nein, nein nein. Ich bleibe wo ich bin, nur noch ein wenig trauriger als sonst, ein wenig unruhiger, denn Du bist näher als sonst und doch für mich unerreichbar. Alte Leute, alte Mütterchen würden sich, ohne ein Wort zu sagen, zu der kleinen Reise entschließen, und ich kann es nicht.

Leb wohl, Liebste, und verbringe ein paar ruhige Stunden. Verzeihe, dass ich Dich auch in Dresden mit Briefen heimsuche. Ein Sonntagsbrief liegt in Berlin für Dich, er enthält nichts Neues, nur die ewige Litanei der letzten Woche.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at