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An Felice Bauer
Wenn Dein Brief gleich früh kommt, so wie heute, dann ist es eben
am besten, darin gehört der ganze Tag von allem Anfang an Dir. Kommt
aber Dein Brief später oder gar erst nach Hause, dann weiß dieser
halbe Tag nicht, wem er eigentlich gehört und wackelt, dass ich
Kopfschmerzen habe. Allerdings muß es noch andere Gründe für
meine Kopfschmerzen geben, denn ich habe sie jetzt fast ständig. Ich
gehe eben zu wenig spazieren, schlafe zu wenig und das wenige schlecht,
kurz, ich lebe so, als schriebe ich unterdessen etwas Gutes, woraus sich
freilich, wenn es so wäre, Heilung aller Leiden und Glück darüber
hinaus ergeben würde. Aber ich schreibe eben nichts und bin wie ein
altes in seinen Stall gesperrtes Pferd.
Sieh nur, wir antworten einander wieder über Nacht oder ahnen gleichzeitig
die Fragen des andern. Freitag abend fragte ich, ohne daran zu denken,
dass Freitag war, wie es mit Deinem Beten sich verhält, und da
mußtest Du gerade Freitag in den Tempel gehn. Gestern frug ich, wann
ich endlich die Prospekte bekomme, und heute habe ich die allerdings unbefriedigende
Antwort. (Wie soll es also der Pick anstellen, wenn er umbedingt Geschäfte
machen will? Soll er sich mit Adler in Verbindung setzen? Und wie?) Und
endlich war in dem gestrigen Brief von der Lasker-Schüler die Rede,
und heute fragst Du nach ihr. Ich kann ihre Gedichte nicht leiden, ich
fühle bei ihnen nichts als Langweile über ihre Leere und Widerwillen
wegen des künstlichen Aufwandes. Auch ihre Prosa ist mir lästig
aus den gleichen Gründen, es arbeitet darin das wahllos zukkende Gehirn
einer sich überspannenden Großstädterin. Aber vielleicht
irre ich da gründlich, es gibt viele, die sie lieben, Werfel z. B.
spricht von ihr nur mit Begeisterung. Ja, es geht ihr schlecht, ihr zweiter
Mann hat sie verlassen, soviel ich weiß, auch bei uns sammelt man
für sie; ich habe 5 K. hergeben müssen, ohne das geringste Mitgefühl
für sie zu haben; ich weiß den eigentlichen Grund nicht, aber
ich stelle mir sie immer nur als eine Säuferin vor, die sich in der
Nacht durch die Kaffeehäuser schleppt. Wie Du aus dem Brief des Pick
sehen wirst, hält er einen Vortrag über sie und für sie.
Weißt Du, Liebste, dass ich mich hüten muß, von fremden,
besonders von mir angenehmen Personen in den Briefen an Dich zu reden.
Wie um sich für meine Beurteilung zu rächen, machen sie sich,
nachdem sie sich still haben beschreiben lassen plötzlich, als sie
nun nicht mehr zu entfernen sind, über alle Maßen breit und
wollen Dich, Liebste, mit ihrer widerlichen oder gleichgiltigen Erscheinung
mir verdecken. Weg Du Lasker Schüler! Liebste komm! Niemand sei zwischen
uns, niemand um uns. Du hast recht, eine Schwester gehört einem nicht
ganz und man darf vielleicht ihrer überdrüssig werden. Aber wie
ist es, wenn einem die Kraft fehlt, einen Menschen ganz zu erwerben?
Franz
[Am Rande ] Was sagte der Professor, als Du ihm den Vorschlag wegen Deiner
Schwester Erna machtest?
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at