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[Postkarte. Stempel: Prag, 14. 11. 12]

[An:] Herrn Dr. Max Brod k.k. Postkonceptspraktikant Schalengasse No. 4

Abs. Ottla Kafka Prag Niklasstraße 36

[Alles bis auf die Unterschrift und datum von Ottla Kafka geschrieben]


Liebster Max, (vom Bett aus diktiert, aus Faulheit und damit der im Bett ausgekochte Brief vom gleitbar Ort heraus das Papier kommt.) Ich will Dir nur sagen, Sonntag lese ich bei Baum nicht vor. Vorläufig ist der ganze Roman unsicher. Ich habe gestern das 6 Kapitel mit Gewalt, und deshalb roh und schlecht beendet: 2 Figuren, die noch darin hätten vorkommen sollen, habe ich unterdrückt. Die ganze Zeit, während der ich geschrieben habe, sind sie hinter mir her gelaufen und da sie im Roman selbst, die Arme hätten heben und die Fäuste ballen sollen, haben sie das gleiche gegen mich getan. Sie waren immerfort lebendiger, als das, was ich schrieb. Nun schreibe ich heute außerdem nicht, nicht weil ich nicht will, sondern weil ich wieder einmal zu hohläugig herumschau. Von Berlin ist allerdings auch nichts gekommen. Welcher Narr hat aber auch etwas erwartet? Du hast ja dort das äußerste gesagt, was man aus Güte, Verstand und Ahnung sagen konnte, aber wenn dort statt Deiner ins Telephon ein Engel gesprochen hätte, gegen meinen giftigen Brief hätte auch er nicht aufkommen können. Nun, Sonntag wird ja noch der Laufbursch einer Berliner Blumenhandlung einen Brief ohne Überschrift und Unterschrift überreichen. Um meiner sonstigen Quälerei aus Eigenem noch nachzuhelfen, habe ich dieses 3. Kapitel ein wenig durchgelesen und gesehen, dass da ganz andere Kräfte nötig sind, als ich sie habe, um dieses Zeug aus dem Dreck zu ziehen. Und selbst diese Kräfte würden nicht hinreichen, um sich zu überwinden, das Kapitel im gegenwärtigen Zustand Euch vorzulesen. Überspringen kann ich es natürlich auch nicht, und so bleibt Dir nur übrig, die Zurücknahme meines Versprechens mit zweierlei Gutem zu vergelten. Erstens, mir nicht bös zu sein, und zweitens, selbst vorzulesen.

    Adieu (ich will noch mit meiner Schreiberin Ottla spazieren gehn; sie kommt am Abend aus dem Geschäft und ich diktiere ihr jetzt als Pascha vom Bett aus und verurteile sie überdies auch noch zur Stummheit, denn sie behauptet zwischendurch, sie wolle auch etwas bemerken). Das Schöne an solchen Briefen ist, dass sie am Schluß nach vorne hin unwahr werden. Mir ist jetzt viel leichter als am Anfang.

Dein Franz        
 

13 XI 12



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Von Berlin: D. i. von Felice Bauer (siehe Kafkas Brief an sie vom 11. November 1912.).


Du hast . . . gesagt: Brod war kurz zuvor nach Berlin gefahren, um in dieser Krise zwischen Felice Bauer und Kafka zu vermitteln.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at