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[Tagebuch, 28. Oktober 1911; Samstag]
28. IX (Oktober 1911) Ein ähnliches Gefühl hatte ich zwar, aber vollkommen schien mir an jenem Abend bei weitem weder Spiel noch Stück. Gerade dadurch aber war ich zu einer besonderen Ehrfurcht vor den Schauspielern verpflichtet. Wer weiß bei kleinen wenn auch vielen Lücken des Eindrucks, wer die Schuld an ihnen trägt. Frau Tschissik trat einmal auf den Saum ihres Kleides und wankte einen Augenblick lang in ihrem princeßartigen Dirnenkleid, wie eine massige Säule, einmal versprach sie sich und wandte sich, um die Zunge zu beruhigen in starker Bewegung der Rückwand zu, trotzdem dies den Worten gerade nicht entsprach; es beirrte mich, aber es verhinderte nicht, den Anflug von Schauern oben auf den Wangenknochen, den ich immer beim Hören ihrer Stimme fühle. Weil aber die andern Bekannten einen viel unreineren Eindruck erhalten hatten als ich, schienen sie mir noch zu einer größern Ehrfurcht verpflichtet als ich, auch deshalb weil meiner Meinung nach ihre Ehrfurcht viel wirkungsvoller gewesen wäre, als meine, so dass ich einen doppelten Grund hatte, ihr Benehmen zu verfluchen.
"Axiome über das Drama" von Max in der Schaubühne. Hat ganz den Charakter einer Traumwahrheit, wofür auch der Ausdruck "Axiome" paßt. Je traumhafter sie sich aufbläst, desto kühler muß man sie anfassen. Es sind folgende Grundsätze ausgesprochen:
Das Wesen des Dramas liegt in einem Mangel ist die These.
Das Drama (auf der Bühne) ist erschöpfender als der Roman, weil wir alles sehn, wovon wir sonst nur lesen.
Das ist nur scheinbar, denn im Roman kann uns der Dichter, nur das Wichtige zeigen im Drama sehn wir dagegen alles, den Schauspieler, die Dekorationen, daher nicht nur das Wichtige, also weniger. Im Sinne des Romans wäre daher das beste Drama ein ganz anregungsloses z. B. philosophisches Drama, das von sitzenden Schauspielern in einer beliebigen Zimmerdekoration vorgelesen würde.
Und doch ist das beste Drama jenes das in Zeit und Raum die meisten Anregungen gibt, sich von allen Anforderungen des Lebens befreit, sich nur auf die Reden, auf die Gedanken in Monologen, auf die Hauptpunkte des Geschehens beschränkt, alles andere durch Anregungen verwaltet und hochgehoben auf einen von Schauspielern, Malern, Regisseuren getragenen Schild nur seinen äußersten Eingebungen folgt.
Fehler dieser Schlußfolgerung: Sie wechselt ohne es anzuzeigen, den Standpunkt, sieht einmal die Dinge vom Schreibzimmer, einmal vom Publikum. Zugegeben, dass das Publikum nicht alles im Sinne des Dichters sieht, dass ihn selbst die Aufführung überrascht
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |