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Brief an Max Brod
[Prag, Sommer 1909]

[Briefkopf: Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag]


Auch im Bureau, aber um ½5h
 

Mein liebster Max, gerade wie ich über Deinen Brief nachdachte, den ich mittag bekommen hatte und mich so wunderte, dass ich Dir diesmal gegen alle Regel nicht zu ihr verholfen hatte und wie ich so studierte, auf welche Weise ich Dich trösten würde, wenn ich Deine Mutter wäre und davon wußte (mittag Erdbeeren mit verzuckertem sauerem Schmetten, nachmittag in den Wald zwischen Mnichovic und Stranschitz zum Schlafen geschickt, abend 1 Liter Pschorr) da ist gerade Deine Karte gekommen mit guten Nachrichten und der allerbesten, dass das Fräulein Sängerin 14 Tage lang den Roman in Ruhe läßt, denn selbst der beste Roman könnte das nicht lange vertragen, dass das gleiche Mädchen ununterbrochen und zugleich von innen und außen auf ihn drückt. Auch dass das andere Fräulein aufatmen wird, ist gut, denn sie leidet durch die andere, ohne es zu wissen, ohne es verdient, ohne es verschuldet zu haben.

    dass ich Donnerstag zu Baum soll habe ich aus Deinem Briefe hingenommen, aus Deiner Karte sehe ich gern die Möglichkeit nicht kommen zu müssen, denn ich werde Donnerstag ebenso unfähig sein, wie ich es Montag gewesen wäre. Sein Roman freut mich ja so, und wenn ich mich aus meinem Zeug herausgearbeitet habe, tue ich Donnerstag nichts lieber als hingehn, aber er und seine Frau sollen nicht böse sein, wenn ich vielleicht wieder nicht komme. Denn was ich zu tun habe! In meinen vier Bezirkshauptmannschaften fallen - von meinen übrigen Arbeiten abgesehn - wie betrunken die Leute von den Gerüsten herunter, in die Maschinen hinein, alle Balken kippen um, alle Böschungen lockern sich, alle Leitern rutschen aus, was man hinauf gibt, das stürzt hinunter, was man herunter gibt, darüber stürzt man selbst. Und man bekommt Kopfschmerzen von diesen jungen Mädchen in den Porzellanfabriken, die unaufhörlich mit Türmen von Geschirr sich auf die Treppe werfen.

    Montag habe ich vielleicht das Ärgste hinter mir. Schon vergesse ich fast: Komm wenn Du kannst morgen Mittwoch gegen 8 zu mir ins Geschäft, um mir wegen des Novak zu raten.

    Aus dem Gelage machen wir wenn Du einverstanden bist, einen Wanderpreis und halten es nächstens nach dem Abschluß Deines Romans ab. Und jetzt in die Akten.

Dein Franz        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Mnichovic und Stranschitz: Südöstlich von Prag im Tal der Sazawa gelegene Ortschaften. Auch im folgenden Sommer ging es manchmal dorthin: "Ausflug nach Senohrab [an der Sazawa] mit Kafka, Weltsch, Werfel", heißt es z. B. am 18. Juli 1910 in Brods Tagebuch (vgl. SL 23).


den Roman: Vermutlich "Die Glücklichen" (siehe 1906, Anm. 9).


Sein Roman: Oskar Baums damals noch unpublizierter Roman Das Leben im Dunkeln, Berlin: Juncker 1909. Vgl. Br 71.


Bezirkshauptmannschaften: Die Gebiete von Friedland, Rumburg, Reichenberg und Gablonz, für die Kafka als Beamter zuständig war.


Novak: Der deutschböhmische Maler und Graphiker Willi Nowak (1886-1977). Bei ihm, dem damals noch wenig bekannten Künstler, haben Brod und Kafka im Sommer 1910 Französischstunden genommen ("7. Juli. Mit Kafka bei Nowak französisch", " 30. Juli. Bei Nowak mit Kafka", heißt es in Brods Tagebuch). Am 25. Januar 1911 hat er sein bekanntes Porträt von Brod gezeichnet (Abb. bei FKA S. 41), das zwei Tage später ausgestellt wurde; darauf heißt es in Brods Tagebuch am 15. Februar: "Nowak Bilderverkauf - Kafka". Siehe auch Kafkas Tagebucheintragung vom 23. Dezember 1911 (T 199-202), aus der hervorgeht, wie er die künstlerische Leistung Nowaks bewertet hat.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at