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[An Max Brod]
[Prag, 12. 2. 1907; Dienstag]

12/2 1907

Lieber Max,
ich schreibe Dir gerne, noch ehe ich mich schlafen lege; es ist erst vier Uhr.
Ich habe gestern die "Gegenwart" gelesen, allerdings etwas mit Unruhe, da ich in Gesellschaft war und das in der "Gegenwart" gedruckte ins Ohr gesagt sein will.
Nun, das ist Fasching, durchaus Fasching, aber der liebenswürdigste. - Gut, so habe ich in diesem Winter doch einen Tanzschritt gemacht.
Besonders freue ich mich, dass nicht jeder die Nothwendigkeit meines Namens an dieser Stelle erkennen wird. Denn er müßte den ersten Absatz schon daraufhin lesen und sich die Stelle, die vom Glück der Sätze handelt, merken. Dann würde er finden: eine Namengruppe, die mit Meyrink (offenbar ist das ein zusammengezogener Igel) endet, ist am Anfang eines Satzes unmöglich, wenn die folgenden Sätze noch athmen sollen. Also bedeutet ein Name mit offenem Vokal am Ende - hier eingefügt - die Lebensrettung jener Worte. Mein Verdienst dabei ist ein geringes.
Traurig ist nur - ich weiß Du hattest diese Absicht nicht - dass es mir jetzt zu einer unanständigen Handlung gemacht worden ist, später etwas herauszugeben, denn die Zartheit dieses ersten Auftretens würde vollständigen Schaden bekommen. Und niemals würde ich eine Wirkung finden, die jener ebenbürtig wäre, die meinem Namen in Deinem Satze gegeben ist.
Allerdings ist das nur eine nebensächliche Erwägung heute, mehr suche ich Sicherheit über den Kreis meiner jetzigen Berühmtheit zu bekommen, da ich ein braves Kind bin und Liebhaber der Geographie. Mit Deutschland glaube ich, kann ich hier nur wenig rechnen. Denn wieviele Leute lesen hier eine Kritik mit gleicher Spannung bis in den letzten Absatz hinein? Das ist nicht Berühmtheit. Anders aber ist es bei den Deutschen im Auslande zum Beispiel in den Ostseeprovinzen, besser noch in Amerika oder gar in den deutschen Kolonien, denn der verlassene Deutsche liest seine Zeitschrift ganz und gar. Mittelpunkte meines Ruhmes sind also Dar-es-Salâm, Udschidschi, Windhoek. Aber gerade zur Beruhigung dieser rasch interessierten Leute (schön ist es: Farmer, Soldaten) hättest Du noch in Klammern schreiben sollen: "Diesen Namen wird man vergessen müssen".
Ich küsse Dich, mach die Prüfung bald,

Dein Franz


"Gegenwart": Max Brod schrieb: Ich hatte in der Berliner Wochenschrift "Die Gegenwart" (9.2.1907) die Stilkunst Kafkas gerühmt, wiewohl Kafka damals noch nichts publiziert hatte.
Max Brod verglich anläßlich einer Rezension von Franz Bleis 'Der dunkle Weg' seinen Freund - der noch nichts veröffentlicht hatte - mit Heinrich Mann, Wedekind und Meyrink. (Die Gegenwart, Bd. 71, S. 93: 9. Februar 1907)

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at