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[Postkarte. Stempel: Prag, 8.2.18]

[An:]Herrn Dr Franz Kafka Zürau Post Flöhau

[Abs.:] Dr Brod Prag Postdirektion


8.2.
 

Lieber Franz - Warum läßt du so lange nichts von dir hören? Meinen Brief hast du wohl erhalten? Die Wiener Morgenzeitung habe ich bestellt, doch wird sie nicht geliefert und bei Wltžek sagt man mir, dass dies die Gewohnheit des Blattes ist. Überdies ist die ganze Zeitung mit hebräischen Lettern gedruckt, so dass ich nicht glauben kann, dass die Wachsamkeit des Berliner Vereins hier etwas entdeckt hat. - Neuigkeiten von mir: Paul Kisch hat mich in einem Leitartikel der "Bohemien" wegen der Jenufa angegriffen. Auch sonst gibt es manchen Ärger in dieser Sache. Ich fahre am 16. nach Wien zur Premiere. - Zu "Esther" habe ich eine Bühnenmusik für Streich-Quartett + Oboe geschrieben, meine erste Partitur. Das Technische daran machte mir riesige Freude. Ich glaube, ich habe meinen Beruf verfehlt. Musiker hätte ich werden sollen, nicht Dichter. - Šalda hat im Venkov ein entzücktes Feuilleton über "Tycho" (der tschechisch erschienen ist) geschrieben. Und nun hast du das Wort zu einem ausführlichen Bericht!


Dein Max        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Paul Kisch . . . wegen der Jenufa: Der erwähnte Artikel, "Politische Musik", ist am 1. Februar 1918 in der Bohemia erschienen. Paul Kisch (1883-1944), Bruder von Egon Erwin Kisch, war ein Klassenkamerad und Jugendfreund Kafkas.


Šalda . . . über "Tycho": F. X. Šalda (1867-1937), damals der führende Kritiker des tschechischen Schrifttums. Max Brod, Tychona Brahe cesta k bohu, Róman, ist 1917 in Prag erschienen. Die nationaltschechisch ausgerichtete Zeitung Venkov ("Das Land") hat erst später jene extrem antisemitische Linie verfolgt, auf die Kafka in einem Brief aus Matliary anspielt (siehe 1921 Anm.22); vgl. auch M 291.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at