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An Felix Weltsch
Lieber Felix, viel Zeit habe ich, da hast Du Recht, aber eigentlich freie
Zeit, so dass ich frei tun könnte, was ich wollte, ist es nicht.
Du überschätzest mich, wenn Du das glaubst. Die Tage vergehn
so rasch, und noch rascher, wenn man an einem Tag, wie das manchmal geschieht,
alles zu verlieren glaubt, zu dessen Erwerbung man alle vorhergehenden
Tage verbraucht hat. Aber das kennst Du ebenso gut und es läßt
sich überwinden, aber viel freie Zeit ist es nicht.
Natürlich bist Du jetzt übertrieben beschäftigt, das sehe
ich besser ein als Du, und jede Woche, nicht unter dem Schutz eines Amtes,
sondern allein unter persönlicher Verantwortung, vor Leute zu treten,
die auf ihrer Forderung bestehen, Wesentliches von Dir zu erfahren, und
denen Du selbst dieses Recht in jeder Hinsicht gibst, - das ist etwas sehr
Großes, fast Geistliches. Ich stehe so unter dem Eindruck dessen,
dass ich wieder davon geträumt habe. Allerdings war es etwas
Botanisches, was Du vorgetragen hast (sag es dem Professor
Krause), irgendeine löwenzahnähnliche Blume oder vielmehr
einige von dieser Art hieltest Du dem Publikum entgegen; es waren vereinzelte
große Exemplare, die eins über dem andern, vom Podium bis zur
Decke, dem Publikum entgegengehalten wurden; wie Du das allein mit Deinen
zwei Händen machen konntest, verstand ich nicht. Dann kam von irgendwo
aus dem Hintergrund (eben waren Masken da, eine grauenhafte Unsitte, das
wiederholt sich fast jeden Abend einige Male. Es ist eine Prüfung,
vor die man gestellt wird, denn die Masken schweigen, um sich nicht zu
verraten, gehr im Zimmer herum als Eigentümer und man muß sie
unterhalten und besänftigen) oder vielleicht aus den Blumen selbst
ein Licht und sie strahlten. Auch über das Publikum machte ich einige
Beobachtungen, habe sie aber vergessen.
Das Wesentliche, die Vorträge selbst, erwähnst Du gar nicht und
gerade darum hatte ich doch gebeten, aber wahrscheinlich ist es jetzt unmöglich
und Du schickst mir, wenn Du einmal mit den Vorträgen fertig bist,
die vollständigen Manuskripte. Kannst Du aber schon früher etwas
Annäherndes tun, tu's.
Das was ich dem Oskar ins Ohr gesetzt haben soll, hat der arme Mensch reichlichst
schon nach Zürau mitgebracht. Sehr gerne wußte ich wie es ihm
geht, aber ich komme möglicher Weise schon nächste Woche (wegen
des Militärs, wenn's sein muß) nach Prag. Von Max hatte ich
letzthin einen überraschend ruhigen Brief.
Der Sohn meines Oberinspektors ist durchgerutscht. Dank habe ich zwar bekommen,
aber irgendetwas Außergewöhnliches scheint nicht bemerkt worden
zu sein. Der Junge, der über den Ausgang der Sache sehr traurig ist,
tröstet sich damit, dass er nur deshalb weggeschickt worden ist,
weil er einer der Letzten war.
Ich glaube augenblicklich völlig gesund zu sein bis auf einen nicht
heilen-wollenden Daumen, den ich mir bei ein paar Spatenstichen im Garten
aufgerissen habe. Schwach bin ich, kann es an Arbeitskraft nicht mit dem
kleinsten Bauernmädchen aufnehmen. So war es allerdings auch früher,
aber im Angesicht der Felder ist es beschämender, und traurig auch
deshalb, weil es alle Lust nimmt, etwas derartiges zu tun. Und so ergibt
sich auf diesem Umweg was auch früher war: ich sitze lieber im Lehnstuhl
am Fenster und lese oder lese nicht einmal.
Herzliche Grüße
Franz
Professor Krause: Oskar Kraus, Professor für
Philosophie in Prag. Er hatte Felix Weltsch, seinen ehemaligen Schüler,
wegen der im Briefwechsel erwähnten politischen und literarischen
Vorträge ironisch zur Rede gestellt; Kafka schlagt vor, ihm "sogar"
von botanischen Vorlesungen zu berichten
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at