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An Gottfried Kölwel
Sehr geehrter Herr Kölwel!
Ich war krank und bin es noch heute, mein Magen will nicht mit. Ich hätte
Ihnen sonst schon längst geschrieben und für Ihre Sendung gedankt,
die mir Freude gemacht hat, wie mir jede weitere Freude machen wird, das
weiß ich schon. Es sind trostreiche Gedichte, Trostgesänge alle;
Sie halten sich förmlich nur mit einer Hand im Dunkel, vielleicht
um nicht ganz losgebrochen zu werden aus der Erde, alles andere ist Helligkeit,
gute und wahrhaftige. Gerade weil Sie die Bestimmung dazu haben, stört
mich manchmal eine kühle Gefühlswendung, die sich so eindeutig
gibt, als werde sie auf dem Trapez, und sei es auch das höchste, vollführt
und nicht im Herzen; sie ist einwandfrei, aber das genügt gewiß
Ihnen am allerwenigsten. So z. B. die Wendung im Trostgesang, die das Gedicht,
das doch auf höchste Wahrheit ausgeht, erfüllt, wie mit zwei
riesigen Stützbalken. Oder zum Teil auch im Gekreuzigten, in dessen
einzelnen Versen man allerdings versinkt. Ein starkes Gegenbeispiel in
meinem Sinn ist etwa der Herbstgesang, der in seiner Gänze schwebt
und darum auch tragen kann.
Ich wundere mich nicht darüber, dass Sie bei Verlagen Schwierigkeiten
haben, Sie verblüffen weder, noch erschrecken Sie, aber ebenso gewiß,
als Sie das nicht tun, ist: dass man auf die Dauer den Gedichten nicht
widerstehen kann. Deshalb glaube ich aber auch nicht - Ihre vielleicht
besseren Gegenbeweise kenne ich nicht - dass wirklich jemand geradezu
gegen Sie tätig ist oder vielmehr dass man auch ohne den Glauben
an solche Feindseligkeit - der Glaube daran verbittert doch - die Schwierigkeiten
der ersten Zeit verstehen kann. Was Kurt Wolff betrifft, so will ich natürlich
alles was Sie wissen wollen, zu erfahren versuchen. Nicht direkt, denn
mein Verkehr ist hiezu viel zu geringfügig und einflußlos, wohl
aber durch meinen Freund Max Brod. Schreiben Sie mir nur um was es sich
im Einzelnen handelt oder besser, was im Einzelnen gefragt oder getan werden
soll und in welcher Art.
Mit besten Grüßen Ihr sehr ergebener
Franz Kafka
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at