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Postkarte an Felice Bauer
Früh habe ich eine Karte an Dich zu schreiben begonnen, wurde dann
gestört und kann nun die begonnene Karte nicht finden. Sonst geschieht
mir das nur mit Akten. Unangenehm ist es. - Liebste, so wie Du es meinst
ist es aber nicht gewesen. Du scheinst tatsächlich mein Geburtstagstelegramm
nicht bekommen zu haben. Die Unzuverlässigkeit der Beförderung
ist jetzt so groß. Ich gab es am 17. abends auf. Es lautete: - Umarmung
aus der Ferne -. Vielleicht war dieser Text zu ungewohnt und wurde deshalb
nicht befördert. Ich werde es vielleicht reklamieren. Augenblicklich
sind meine Hauptgedanken, und zwar recht traurige, wieder bei meiner Wohnung.
Die Entscheidung mußte wieder um paar Tage hinausgeschoben werden
und es ist wieder ein wenig unsicherer geworden, ob ich sie bekomme. Du
mußt wissen, es handelt sich um eine Wohnung, aus zwei Zimmern ohne
Küche bestehend, die in allem meinen ausschweifendsten Wunschträumen
zu entsprechen scheint. Ich würde es schwer tragen, wenn ich sie nicht
bekäme. Diese Wohnung würde mir, zwar nicht die innere Ruhe wiedergeben,
aber doch eine Möglichkeit zu arbeiten; die Paradiestore würden
nicht wieder auffliegen, aber ich bekäme vielleicht in der Mauer zwei
Ritzen für meine Augen. - Heute las ich einen Brief des Grenadiers
Lehmann an Max, in welchem er Deine fleißige Arbeit besonders hervorhebt.
- Weihnachten? Ich werde nicht fahren können.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at