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Postkarte an Felice Bauer

[Stempel: Prag - 27. V. 15]
 


Liebe Felice, sieh, er sagt, dass ihm bange ist. Er sagt, er sei zu lange dort geblieben. Zwei Tage wären zu viel gewesen. Nach einem Tag kann man sich leicht loslösen, zwei Tage aber erzeugen schon Verbindungen, deren Lösung weh tut. Unter demselben Dach schlafen, an einem Tisch essen, die gleichen Tageszeiten zweimal durchleben, das stellt unter Umständen schon fast eine Ceremonie dar, die ein Gebot hinter sich hat. Er fühlt es wenigstens so, ihm ist bange, er bittet um die Heidelbeer-Photographie, will Auskunft über die Zahnschmerzen haben und wartet sehr ungeduldig auf eine Nachricht. Im übrigen will ich nicht sagen, dass er augenblicklich unglücklich ist, er freut sich jetzt darauf, dass er vielleicht doch genommen wird. Sollte er aber, was allerdings sehr schlimm wäre, doch nicht genommen werden, dann will er im Gegensatz zu dem Obigen möglichst bald den gemeinsamen Ausflug an die Ostsee machen.

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vielleicht doch genommen wird: Kafka hoffte sehr, zum Militärdienst einberufen zu werden, vor allem auch, um dem Beamtendasein und der >Beamtenhaftigkeit< zu entgehen. Vgl. seine Briefe an Felice vom 5. April, 3. Mai 1915, 14. Mai 1916, S. 633 bzw. S. 638 und S. 656 und Tagebücher (14. Mai 1915, 11. Mai und 27. August 1916), S. 477 bzw. S. 500 und S. 511.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at