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Postkarte an Felice Bauer
Liebe Felice, sieh, er sagt, dass ihm bange ist. Er sagt, er sei zu
lange dort geblieben. Zwei Tage wären zu viel gewesen. Nach einem
Tag kann man sich leicht loslösen, zwei Tage aber erzeugen schon Verbindungen,
deren Lösung weh tut. Unter demselben Dach schlafen, an einem Tisch
essen, die gleichen Tageszeiten zweimal durchleben, das stellt unter Umständen
schon fast eine Ceremonie dar, die ein Gebot hinter sich hat. Er fühlt
es wenigstens so, ihm ist bange, er bittet um die Heidelbeer-Photographie,
will Auskunft über die Zahnschmerzen haben und wartet sehr ungeduldig
auf eine Nachricht. Im übrigen will ich nicht sagen, dass er
augenblicklich unglücklich ist, er freut sich jetzt darauf, dass
er vielleicht doch genommen wird. Sollte er aber, was
allerdings sehr schlimm wäre, doch nicht genommen werden, dann will
er im Gegensatz zu dem Obigen möglichst bald den gemeinsamen Ausflug
an die Ostsee machen.
F
vielleicht doch genommen wird: Kafka hoffte sehr,
zum Militärdienst einberufen zu werden, vor allem auch, um dem Beamtendasein
und der >Beamtenhaftigkeit< zu entgehen. Vgl. seine Briefe an Felice vom
5. April, 3. Mai 1915, 14. Mai 1916, S. 633 bzw. S. 638 und S. 656 und
Tagebücher (14. Mai 1915, 11. Mai und 27. August 1916), S.
477 bzw. S. 500 und S. 511.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at