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An Grete Bloch

14.II.14
 


Liebes Fräulein, Sie sind sehr niedergeschlagen und arbeiten doch - es gibt kein Trotzdem-arbeiten in diesem Sinn - arbeiten, so dass Sie ein für Ihre Jugend ungewöhnliches Gehalt beziehn, lassen nicht ab, haben Ihre ganze Existenz nach Wien hinübergetragen, bereiten sich vor, wieder wegzugehn und womöglich noch mehr zu arbeiten, da müssen in Ihnen Kräfte vorhanden sein, auf die Sie sich wohl auch für späterhin verlassen dürfen. Sie spüren kein Nachlassen der Kräfte, so dürfen Sie das nicht ausdrücken, es gibt eben eine Müdigkeit der Jugend, die das Alter zum Ersatz alles sonstigen nicht mehr kennt. Es ist kein Nachlassen der Kräfte, wenn man oben in der Gallerie der Oper weint, glauben Sie das nicht. Gerade in den allerdings leicht zählbaren Augenblicken (durch meine Schuld so leicht zählbar), in denen Sie in Prag ein wenig fröhlicher waren (fröhlicher als ich im Sinne der Lebendigkeit und Vernunft waren Sie ja immer) hatten Sie im Gesicht den Ausdruck eines ganz natürlichen und gesunden Kindes. Der Ausdruck paßte wohl nicht ganz zu Ihrem übrigen Wesen, insbesondere nicht zu der Überlegenheit, die Sie über mich hatten, aber doch schien es auch wieder Ihr eigenster Ausdruck zu sein. So war es z.B. ein paar Mal im Kaffeehaus, als Sie von der Schule erzählten, und einmal vor dem Kunstgewerbemuseum, als Sie stolperten.

Viel mag Wien schuld sein, trotzdem Sie es jetzt wieder loben. Ein solches Sichabfinden ist nicht immer das Beste. In Berlin könnte ich mir Sie nicht so traurig denken, Sie waren es dort auch gewiß nicht. Hier werden, möchte man manchmal glauben, die Lustigen traurig und die Traurigen noch trauriger. Ich weiß keine Erklärung und es ist auch nicht nötig, denn es ist gar nicht wahr und zeigt nur, wie urteilslos die Traurigkeit ist. Nach Wien möchte ich für meinen Teil nicht, auch nicht im Mai. Es war für mich gar zu häßlich dort, ich wollte um keinen Preis wieder die Wege ins Parlament machen, die Kärntnerstraße, den Stephansplatz sehn, im Kafe Beethoven oder Museum oder gar im Ratskeller sitzen und nicht einmal wieder an einem etwas kühlen aber sehr sonnigen Vormittag allein im Garten von Schönbrunn herumgehn. Das alles und noch viel mehr will ich nicht wieder erleben, das ist schon ein für allemal abgebüßt. Nur das Grillparzerzimmer im Rathaus möchte ich gern sehn, das habe ich anzusehn versäumt, ich habe zu spät davon erfahren. Kennen Sie den "armen Spielmann" von Grillparzer? Daß sich in Wien ordentlich leiden läßt, das hat Grillparzer bewiesen.

Ich verlange natürlich nicht mehr, dass Sie F. eine Aufklärung schicken, ich habe nur deshalb darum gebeten, weil ich dachte, die Karte bedeute den Anfang besserer Zeiten und diese Besserung wollte ich nicht durch eine eigene und überdies Ihnen auferlegte Unwahrheit erschwindelt haben. Nun bedeutete aber die Karte etwas ganz anderes. Ich schreibe sie hier vollständig ab, sie ist mit einem schlechten Bleistift geschrieben und wird bald nicht mehr lesbar sein: "Berlin, Anhalter Bahnhof, am 8.2. 14, Abend 10,30.

Franz, ich sitze hier im Wartesaal und hole meine Schwester von der Bahn, die aus Dresden ankommt. Lasse mich Dir viele herzliche Grüße senden. Du hörst auch wieder einmal mehr von mir. Ich mußte diese Karte schreiben. Innigen Gruß, Felice."

F. hatte also Samstag Ihren Brief bekommen, hatte sich nicht zum Schreiben entschließen können, saß nun zufällig im Anhalter Bahnhof am Sonntag abend, ließ sich aus irgendwelchen Zufälligkeiten zu dieser Karte bewegen, war dadurch am nächsten Tag gezwungen, auch Ihnen eine Karte zu schreiben, wollte aber mit der Karte an mich nichts weiter als ein neues durch diese Karte nur stärker betontes Schweigen einleiten, denn auf meinen sofortigen Brief, auf den eine Antwort hätte kommen müssen, kam keine. Das Schreckliche oder das Gute ist, dass fast alle Annahmen versagen.

Herzliche Grüße Ihr F. Kafka


Die unterschiedliche Textfarbe wurde auf Grund der Ausgabe "Geteilte Post: 28 Briefe an Grete Bloch. Marbach am Neckar, 2011" gewählt. Laut dem Herausgeber Hans-Gerd Koch: "Aus zwölf dieser Briefe trennt sie jene Teile heraus, die persönliche Dinge betreffen oder falsche Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu Kafka zulassen, und behält sie zurück. (Beim Abdruck im vorliegenden Band wurden diese fehlenden Teile in grauer Schrift ergänzt.)" Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurde für diese Webseite anstelle von grau eine blaue Schriftfarbe verwendet.

Letzte Änderung: 10.2.2016werner.haas@univie.ac.at