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An Felice Bauer

1.VII. 13
 


Du willst also trotz allem das Kreuz auf Dich nehmen, Felice? Etwas Unmögliches versuchen? Du hast mich darin mißverstanden, ich sagte nicht, durch das Schreiben solle alles klarer werden, werde aber schlimmer, sondern ich sagte, durch das Schreiben werde alles klarer und schlimmer. So meinte ich es. Du aber meinst es nicht so und willst doch zu mir.

Meine Gegenbeweise sind nicht zu Ende, denn ihre Reihe ist unendlich, die Unmöglichkeit beweist sich ununterbrochen. Aber auch Du zeigst Dich ununterbrochen (wenn auch natürlich als ein Mensch, der Du bist, nicht so ununterbrochen wie sie), ich kann dem Gefühl der Hoffnung nicht widerstehn und lasse (das darf ich nicht verschweigen, es geschieht im deutlichen Bewußtsein einer Verblendung) alle meine Gegenbeweise. Wenn ich es überlege, rührt ja Dein Brief meine Gegenbeweise nicht im geringsten an, Du machst nur aus dem Gefühl heraus (es ist das Gefühl der Güte aber auch der Ferne und der im guten Sinn umgrenzten Erfahrung) aus meinen großen Hindernissen "winzige", ausdrücklich "winzige", und traust Dir dann gerade nur den Mut zu, diese zu überbrücken. Aber wartete ich etwa auf Widerlegung? Nein. Es gab nur dreierlei Antworten: "Es ist unmöglich, und ich will deshalb nicht" oder "Es ist unmöglich, und ich will deshalb vorläufig nicht" oder "Es ist unmöglich, aber ich will doch." Ich nehme Deinen Brief als Antwort im Sinne der dritten Antwort (dass es sich nicht genau deckt, macht mir Sorge genug), und nehme Dich als meine liebe Braut. Und gleich darauf (es will sich nicht halten lassen), aber womöglich zum letzten Mal sage ich, dass ich eine unsinnige Angst vor unserer Zukunft habe und vor dem Unglück, dass sich durch meine Natur und Schuld aus unserem Zusammenleben entwickeln kann und das zuerst und vollständig Dich treffen muß, denn ich bin im Grunde ein kalter, eigennütziger und gefühlloser Mensch trotz aller Schwäche, die das mehr verdeckt als mildert.

Was werden wir nun zunächst machen, Felice? Gut, ich werde Deinen Eltern schreiben. Vorher aber muß ich es meinen Eltern sagen. Es wird diese Ankündigung, selbst wenn sie nur aus 5 Sätzen besteht, das längste Gespräch sein, das ich seit Monaten mit meiner Mutter und seit Jahren mit meinem Vater geführt habe. Es wird dadurch eine Feierlichkeit erhalten, die mir nicht lieb ist. Ich werde es ihnen erst sagen, wenn ich die Antwort auf diesen Brief habe, denn irgendwie scheint mir Dein Wort noch immer frei zu sein.

Was wohl Deine Eltern zu meinem Brief sagen werden? Nach dem Bild hatte ich mir Deine Mutter anders vorgestellt, damit aber hat es nichts zu tun, dass ich Angst vor ihr hatte, so wie eben Angst neben Gleichgültigkeit das Grundgefühl ist, das ich gegenüber Menschen habe. Ich hatte ja auch Angst vor Deiner ganzen Familie (vielleicht mit Ausnahme Deiner Schwester Erna), ich schäme mich nicht, das zu sagen, denn es ist ebenso wahr wie lächerlich. Ich fürchte mich ja, wenn ich genau sein will, fast vor meinen eigenen Eltern, vor meinem Vater zweifellos. Deine Mutter war ja auch eigentümlich, so schwarz gekleidet, traurig, ablehnend, vorwurfsvoll, beobachtend, unbeweglich fremd innerhalb der Familie wie erst mir gegenüber. Ich hatte besondere Angst vor ihr und ich glaube, ich werde sie nie verlieren. Andererseits aber fürchte ich, dass keiner in Deiner Familie mit mir zufrieden sein wird dass nichts, was ich tun werde, ihnen richtig scheinen wird, dass ich schon im ersten Brief nicht nach ihrem Sinne schreiben werde, dass ich als Bräutigam niemals das tun werde, was sie von einem Bräutigam fordern zu dürfen glauben, dass meine Liebe zu Dir, die vielleicht niemals ein fremder oder verwandter Anwesender merken wird, nicht Liebe in ihrem Sinne ist, dass diese Unzufriedenheit (und aus Unzufriedenheit wird Ärger, Verachtung, Zorn) sich weiterhin fortsetzen und vielleicht selbst auf Dich übertragen wird, mir gegenüber wie ihnen gegenüber. Hast Du auch dazu den Mut?

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at