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An Felice Bauer

vom 17. Zum 18. II. 13
 


Denk nur, Liebste, mein Unglück, meine Wut, meine Unruhe, meine Sorge, meine Liebe aus. Ich war abends bei Brods in ihrer neuen Wohnung (Sophie ist doch schon längst weg, Max kommt Donnerstag), ging dann ruhig spazieren, freute mich bald, in Ruhe Dir schreiben zu können, bald schlafen zu gehn und meine Müdigkeit und Verkühlung mittels eines kolossalen Schlafes loszuwerden. Da treffe ich den Pick und er zieht mich, zieht mich (da ich mit Menschen gar nicht zusammenkomme außer als Vertreter meiner Anstalt, denke ich, ich muß jedem nachgeben), und ich gehe also mit, wir versitzen die Nacht, wenn auch nicht gerade langweilig, im Kaffeehaus, in einem leeren, ungeheizten Kaffeehaus überdies, und jetzt sitze ich um ½3 nachts im Zimmer und trotz der Zimmerwärme fährt mir über den Rücken kalte Luft, unbegreiflich woher. Liebste, aber das muß ich Dir noch sagen, Du hast meinen Sonntagsbrief nur flüchtig gelesen, anders ist das nicht möglich, es war Widerliches in dem Brief genug (ich werde Dir das noch bei Gelegenheit erklären), und ich bin über das flüchtige Lesen froh und bitte Dich, ihn nicht am Ende noch einmal zu lesen - aber von einem zwischen uns bestehenden und vielleicht zerreißenden Strick kann dort, darf dort kein Wörtchen gestanden sein. Liebste, ich bin doch nicht so irrsinnig, selbst das Urteil über mich zu sprechen oder an die Wand zu malen, über mich, der ich Dir mehr gehöre, als mein Bild an Deinem Hals. Wie konntest Du etwas Derartiges in meinem Briefe lesen, mit welchen Augen hast Du das gelesen?

Und mit welcher Hand, in welchem Traum hast Du das niedergeschrieben, dass ich Dich ganz erworben habe? Liebste, das glaubst Du, in einem Augenblick, in der Ferne. Aber zum Erwerben in der Nähe, für die Dauer, dazu gehören andere Kräfte, als das Muskelspiel, das meine Feder vorwärtstreibt. Glaubst Du es nicht selbst, wenn Du es überlegst? Scheint mir doch manchmal, dass dieser Verkehr in Briefen, über den hinaus ich mich fast immerfort zur Wirklichkeit sehne, der einzige meinem Elend entsprechende Verkehr ist (meinem Elend, das ich natürlich nicht immer als Elend fühle), und dass die Überschreitung dieser mir gesetzten Grenze in ein uns gemeinsames Unglück führt. Liebste, ich habe genug Einbildungskraft, tun mir zu sagen, dass ebenso wie ich, wenn ich an mich denke, bei Dir bleiben muß, an Dich gedrückt und niemals Dich loslassend, - ich wiederum, wenn ich an Dich denke (wie mischen wir uns, aber wieder ununterschieden in meinem Kopf, das ist das Schlimme), mich mit allen Kräften von Dir fernhaften müßte. Ach Gott, was wird das für ein Ende nehmen! - Und nun sieh, meine liebste Felice, diesen schrecklichen Brief soll ich nun fortschicken, aber nun ist es 3 Uhr vorüber und ich kann keinen andern mehr schreiben. Ich wollte nur noch sagen, dass in dem Vorigen alles was Dir mißfällt nicht wahr und nicht so gemeint ist; es ist zwar vollkommen wahr und auch so gemeint, aber ich liebe Dich so, dass ich, wenn Du es mit einem Blicke willst, auch die Unwahrheit sage und - noch mehr - sie glaube. Manchmal denke ich, Du hast doch, Felice, eine solche Macht über mich, verwandle mich doch zu einem Menschen, der des Selbstverständlichen fähig ist.

Franz




Sonntagsbrief : Gemeint ist der Brief Kafkas vom 14. Zum 15. Februar, S. 299 ff., der Felice am Sonntag erreichen sollte.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at