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An Felix Weltsch
Nein Felix, es wird nicht gut werden, nichts wird gut werden bei mir. Manchmal
glaube ich, dass ich nicht mehr auf der Welt bin, sondern irgendwo
in der Vorhölle herumtreibe. Du glaubst, Schuldbewußtsein ist
für mich eine Hilfe, eine Lösung, nein, Schuldbewußtsein
habe ich nur deshalb, weil es für mein Wesen die schönste Form
der Reue ist, aber man muß nicht sehr genau hinschaue und das Schuldbewußtsein
ist bloß ein Zurückverlangen. Aber kaum ist es das, steigt schon
viel fürchterlicher als Reue das Gefühl der Freiheit, der Erlösung,
der verhältnismäßigen Zufriedenheit herauf, weit über
alle Reue hinaus. Jetzt abend bekam ich den Brief von Max. Weißt
Du davon? Was soll ich machen? Vielleicht nicht antworten, gewiß,
es ist das einzig Mögliche.
Wie es aber werden wird, das steht in den Karten. Vor ein paar Abenden
sind wir sechs Leute beieinander gesessen und eine junge, sehr reiche,
sehr elegante Russin hat aus Langweile und Verzweiflung, weil elegante
Leute unter Uneleganten viel verlorener sind als umgekehrt, allen Karten
gelegt. Und zwar jedem zweimal nach verschiedenen Systemen. Es ergab sich
dies und das, natürlich meistens Lächerliches oder Halbernstes,
das, selbst wenn man es glaubte, am letzten Ende ganz nichtssagend war.
Nur in zwei Fällen ergab sich etwas ganz Bestimmtes, von allen Kontrollierbares
und zwar übereinstimmend nach beiden Systemen. In der Konstellation
eines Fräuleins stand, dass sie alte Jungfer werden wird, und
in meinen Konstellationen waren, was sich sonst nirgends auch nur annähernd
ereignet hatte, alle Karten, die menschliche Figuren enthielten, soweit
als nur möglich von mir weg an den Rand gerückt und selbst solcher
entfernter Figuren gab es einmal nur zwei, einmal war, glaube ich, gar
keine da. Statt dessen drehten sich um mich ununterbrochen "Sorgen",
"Reichtum" und "Ehrgeiz", die einzigen Abstrakta, welche
die Karten außer der "Liebe" kennen.
Geradezu den Karten zu glauben ist allem Anschein nach Unsinn, aber durch
sie oder durch einen beliebigen äußern Zufall in einen verwirrten
unübersichtlichen Vorstellungskreis Klarheit bringen zu lassen, hat
innere Berechtigung. Ich rede hier natürlich nicht von der Wirkung
meiner Karten auf mich, sondern auf die andern, und kann dies an der Wirkung
nachprüfen, welche die Konstellation des Fräuleins, das alte
Jungfer werden soll, auf mich gemacht hat. Es handelt sich hier um ein
ganz nettes junges Mädchen, an dem äußerlich, vielleicht
mit Ausnahme der Frisur, nichts die zukünftige alte Jungfer verriet,
und doch hatte ich, ohne mir vorher nur den geringsten klaren Gedanken
über dieses Mädchen zu machen, es von allem Anfang an bedauert,
nicht wegen seiner Gegenwart, sondern ganz eindeutig wegen seiner Zukunft.
Seitdem nun die Karten so gefallen sind, ist es für mich ganz zweifellos,
dass sie alte Jungfer werden muß. - Dein Fall, Felix, ist vielleicht
komplizierter als meiner, aber doch unwirklicher. In seinen äußersten,
in der Wirklichkeit immer schmerzlichsten Ausläufern ist er doch nur
Theorie. Du strengst Dich an, eine zugegebenermaßen unlösbare
Frage zu lösen, ohne dass ihre Lösung, so weit man sehen
kann, Dir oder irgend jemandem nützen könnte. Wie weit stehe
ich doch als Unglücksmensch über Dir! Hätte ich nur die
geringste Hoffnung, dass es etwas hilft, ich würde mich an dem
Pfosten der Einfahrt des Sanatoriums festhalten, um nicht abreisen zu müssen.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at