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[Tagebuch, 16. Dezember 1910; Freitag]

16 (Dezember 1910) Ich werde das Tagebuch nicht mehr verlassen. Hier muß ich mich festhalten, denn nur hier kann ich es.

Gerne möchte ich das Glücksgefühl erklären, das ich von Zeit zu Zeit wie eben jetzt in mir habe. Es ist wirklich etwas moussierendes, das mich mit leichtem angenehmen Zucken ganz und gar erfüllt und das mir Fähigkeiten einredet von deren Nichtvorhandensein ich mich jeden Augenblick auch jetzt mit aller Sicherheit überzeugen kann.

Hebbel lobt Justinus Kerner "Reiseschatten"

"Und solch ein Werk existiert kaum, niemand kennt es"

Die Straße der Verlassenheit von W. Fred. Wie werden solche Bücher geschrieben? Ein Mann, der im Kleinen Tüchtiges fertig bringt, dehnt hier sein Talent in einer so erbärmlichen Weise ins Große eines Romans aus, dass einem übel wird, selbst wenn man nicht vergißt, die Energie in der Mißhandlung des eigenen Talentes zu bewundern.

Dieses Verfolgen nebensächlicher Personen von denen ich lese in Romanen, Teaterstücken u. s. w. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das ich da habe! In den "Jungfern von Bischofsberg" (heißt es so?) wird von zwei Näherinnen gesprochen, die das Weißzeug für die eine Braut im Stücke machen. Wie geht es diesen 2 Mädchen? Wo wohnen sie? Was haben sie angestellt, dass sie nicht mit ins Stück dürfen, sondern förmlich draußen vor der Arche Noah unter den Regengüssen ertrinkend zum letztenmal nur ihr Gesicht an ein Kajütenfenster drücken dürfen, damit der Parterrebesucher für einen Augenblick etwas Dunkles dort sieht.