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  Brief an Max Brod


[Prag, September 1908]


Mein lieber Max, - es ist ½1 Nacht, also eine ungewöhnliche Zeit zum Briefschreiben, selbst wenn die Nacht so heiß wie heute ist. Nicht einmal Nachtfalter kommen zum Licht.

    Nach den glücklichen 8 Tagen im Böhmerwald - die Schmetterlinge fliegen dort so hoch wie die Schwalben bei uns - bin ich jetzt 4 Tage in Prag und so hilflos. Niemand kann mich leiden und ich niemand, aber das Zweite ist erst die Folge, nur Dein Buch, das ich jetzt endlich geradenwegs lese, tut mir gut. So tief im Unglück ohne Erklärung war ich schon lange nicht. So lange ich es lese, halte ich mich daran fest, wenn es auch gar nicht Unglücklichen helfen will, aber sonst muß ich so dringend jemanden suchen, der mich nur freundlich berührt, dass ich gestern mit einer Dirne im Hotel war. Sie ist zu alt, um noch melancholisch zu sein, nur tut ihr leid, wenn es sie auch nicht wundert, dass man zu Dirnen nicht so lieb wie zu einem Verhältnis ist. Ich habe sie nicht getröstet, da sie auch mich nicht getröstet hat.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


dein Buch: Schloß Nornepygge (siehe Anm. 6 oben).


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at