peter.mahr


<2022.4> Criticism commented. Über Ö1 Feinde der Musik und Kultur. Passagenwirkungen ohne Passagenwerk oder wie der ORF-Generaldirektor, die ORF-Radiodirektorin, Ö1-Journalmoderator:innen bei den Journalen, Guten Morgen Österreich, Punkt Eins und Spielräume Spezial vorgehen. 81.694 Zeichen. online 15. 10. 2022 .html


Abstract

1. die Unterwanderung der Musik in Guten Morgen Österreich

2. die Behandlung der Kulturnachrichten in den Journal-Sendungen

3. die Vernewsung des Unterhaltsamen in Punkt Eins (mit Liste)

4. die Beleidigung auf Ö1 mit FM4- und Ö3-Musik in Spielräume Spezial

5. die Verantwortlichkeit des Generaldirektors und der Radiodirektorin

6. die Neuen Medien und Ö1

7. Über Passagenwirkungen, die das Passagenwerk zerstören

Botschaft in E-Mail und Adressat:innen zur Bekanntmachung


Abstract


Das Vollprogramm Ö1 ist ein komplexes Gebilde, das der Vielstimmigkeit der Gesellschaft Raum gibt. Dieses Gebilde ist nicht nur von außen, von Internet und Telekommunikation, sondern von innen, von der Ö1-Politikredaktion sowie der ORF-Generaldirektion und deren im September 2022 bekannt gewordenen Pläne bedroht. Dazu haben immer mehr Sparprogramme seit vielen Jahren inzwischen ein Ausmaß erreicht, dass einzelne Ö1-Abteilungen am Rande des existenziellen Abgrunds stehen. Sie geraten miteinander in Konkurrenz, wenn nicht bereits Verhältnisse der Drangsalierung und Knechtschaft Platz greifen. Die über die Jahre hörbar aufgebaute Front befindet sich zwischen der Politik-Nachrichtenredaktion und den Musik-, Religions- und Kulturnachrichtenredaktionen.


1. die Unterwanderung der Musik in Guten Morgen Österreich


Zahlreiche Elemente bringen die Musik und die Moderator:innen von Guten Morgen Österreich, Sonja Watzka, Michael Köppel und Kolleg:innen inzwischen an die Grenze des Schaffbaren und das Ö1-Publikum an die Grenze der Hör- und Genießbarkeit:

- Ö1-Eigenwerbungen zu Beginn und in der Sendung mit O-Tönen aller möglichen Ö1-Sendungsredakteur:innen,

- Journale-Vorschauen zur halben Stunde (seit Kurzem auch mit überfrachtenden O-Tönen),

- Kulturtipps,

- kostenlose Einschaltungen

- immer längere Wortanteile für die Musik-Moderator:innen

- immer kürzere und schnellere Musikstücke.

Zum vorletzten Element passt leider auch, dass Kulturredakteur Sebastian Fleischer im sonntäglichen Intermezzo vom 25. 9. 2022 dem Geiger Emmanuel Tjeknavorian mit bedenklichem Vorschlag nicht differenziert begegnet. Tjeknavorian: "ich glaube, es wird auch in Europa in absehbarer Zeit sehr dramatisch. Also wir müssen wirklich ganz dringend ein neues Publikum bilden. ... Ich finde auch, dass die Konzerte nicht zu lang sein dürfen. Wir müssen auch uns trauen, ja warum nicht, aus einer Symphonie nur einen Satz … zu spielen". Fleischer: "Da gilt's Traditionen aufzubrechen." (11:57:02-11:59:05)

Zum letzten Element gehört, dass mit der Kürze des Musikstücks (und -ausschnitts, denn ein Satz eines mehrsätzigen Werks ist bereits ein Ausschnitt) die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass die Zunahme von pointierten musikalischen Aussagen den Griff zu Ohrwürmern fördert. So geschehen am 30. 8. mit dem unsäglichenMiss Marple’s Theme“ für kleines Streichorchester (6:44:25-6:48:22), das einst zur Unterlegung von Fernsehsendungen nachmittags wie von Gunter Philipp oder anderen Vorläufern der TV-Seitenblicke unterlegt wurde.

Wie dem auch sei: Bei aller Strapazierfähigkeit, die die Moderator:innen einer beinahe dreistündigen Musiksendung morgens zur Radio-Primetime (welchen Begriff die ehemalige Politik-Redakteurin und heutige Radiodirektorin Ingrid Thurnher furchterregend ankündigt https://www.derstandard.at/story/2000139561284/thurnher-fm4) ohnehin schon mitbringen müssen – Sonja Watzka, Michael Köppel und die anderen sind feine Instrumente, die man so früher oder später zerstört.

Wenn Michael Köppels am 12. 2. 2021 den Beginn ersten Satzes der Haffner-Symphonie von Mozart mit ihren "zwei Oktav-Sprüngen" ankündigt, dann ist das nicht nur interessant. Es bringt die sonst beinahe durchgängige musikalische Bildung aufs Tapet, die auf ganz Ö1 kaum mehr transportiert wird. Zudem ist es ein Schmunzeln über den Sprung, den manche noch vor sich haben – aus dem Bett? in die Dusche? aus dem Haus?

Wenn Sonja Watzka wenige Tage vorher die winterlichen Städte-Frühtemperaturen poetisch als einen QR-Code 0-1-0-0-1-1-...“ beschreibt, dann ist das eine großartige, humorvolle Distanzierung der täglichen, allzu täglichen Radionorm. Sie könnte sich auf das Herunterlesen der nötigsten Daten beschränken, zu der sie von der Nachrichten- und Wetterredaktion genötigt wird.

Die allmählich zur Werbefläche verkommende Sendung Guten Morgen Österreich müsste in meiner Programmübersicht inzwischen grau eingefärbt werden (Siehe Oe1ab1.5.2017Programmschema.pdf in https://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/2017.2.html#p._Darf_ich_ein_paar_Minuten_)

Übrigens nimmt Eigenwerbung mit Kurzbeiträgen auch in anderen Musiksendungen wie Pasticcio zu. Nachdem Pasticcio vor Jahren zehn Minuten an das Journal um Acht abgeben musste, musste es inzwischen auch eine Minute für die Ö1-Eigenwerbung vor 8 Uhr 55 hergeben. Wird bald neben Hinweisen wie auf den Klassik-Treffpunkt auch solche auf musikferne Sendungen zu hören sein?

Und ohnehin wird der Wortanteil im gesamten Programm von Ö1 auch seit 2017 neben Ö1-Eigenwerbung ständig größer. Das geht auf das Konto neuer nicht-literarischer Wortsendungen wie Nachhaltig leben freitags 11 Uhr 55, schon kurz vor 2017 Digital.Leben wochentags um 16 Uhr 55 und Radiogeschichten Spezial für österreichische Literatur freitags um 11 Uhr 05. Diese Radiogeschichten heißen zwar noch so, sind aber im Haupttitel längst schon durch Ö1 Essay ersetzt. Dass Betrifft Geschichte schleichend enthistorisiert wird, ist ein anderes Thema. All das arbeitet letztlich nur der Wortlastigkeit der sogenannten Radioinformation zu, der politischen Nachrichtenredaktion.

Was von der einst lebendig kraftvollen Sendung der Religionsredaktion Gedanken für den Tag, die ursprünglich ausschließlich von Geistlichen wie etwa von einem Pfarrer aus Stoob im Burgenland bestritten wurde, übrig geblieben ist, ist ein Trauerspiel: Die Beiträge, eigentlich rein journalistische Beiträge zu jahreszeitlichen oder Jubiläums-Anlässen, werden inzwischen von Kulturvermittlern bestritten, denen mehrheitlich das Denken ausgetrieben wurde – Geistliche oder Vertreter:innen von Religionsgemeinschaften gibt es nur mehr selten; Philosoph:innen, die Spezialisten des Gedankens, kommen einmal in zehn Jahren zu Wort. Da die Beiträge seit der Einführung von Ö1 1967 inzwischen von fünf auf zwei Minuten gekürzt sind, werden sie heutzutage von überlanger, oft schlechter Musik ein- und ausgeleitet und inzwischen auch unangenehmerweise kurz unterlegt. Es führt dazu, dass wir heuer am Ende von Woche 39 über „Jüdische Herbstfeste“ mit dieser wenig gedankenvollen Botschaft entlassen werden: „Juden singen, tanzen, beten, essen und fasten jeweils zu seiner <sic!> Zeit. Alles hat eine feste unumstößliche Ordnung und sichert den Fortbestand des jüdischen Volkes auf der ganzen Welt.“ (https://oe1.orf.at/programm/20221001#694005/Juedische-Herbstfeste) Und es führt dazu, dass Watzka, Köppel und Kolleg:innen oft schon eine Sekunde nach der Rede der zu den Gedanken für den Tag Eingeladenen diese in ihrer beruflichen Identität ausweisen und dann, was vor wenigen Jahren unüblich war, auch immer wortreicher das Morgenjournal ankündigen. Zum Nachdenken und Nachsinnen gibt es keine Zeit mehr. Der Schatten der sich aufplusternden Journal-Moderator:innen legt sich aber auch auf die Moderator:innen von Guten Morgen Österreich selbst.

So wird Sonja Watzka von Franz Renner am 27. 9. 2022 nach der Vorschau auf sein Morgenjournal um 7 Uhr mit ‚Humor‘ auf ihre Kosten bedacht: „Hier und jetzt und gleich Chefmeteorologin Sonja Watzka.“ (6:31:41-6:31:44) Sonja Watzka kann darauf hin kaum etwas anderes sagen als: „<sich kurz dezent räuspernd> Muss ich fast lachen.“ (6:31:45-6:31:47) Diese Unverfrorenheit ist in der jahrelang hingenommen Absurdität begründet, dass Journal-Moderator:innen sich zu gut sind, den Kurzwetterbericht selbst zu lesen und dass eine Musikmoderatorin den Kurzwetterbericht liest und sogar zusammenstellt. Ist um 6 Uhr 30 niemand von der Wetterredaktion im Haus? Warum kann die Wetterkurzmeldung von 6 Uhr 01 nicht wiederholt werden? Warum kann das Wetter zu diesem Zeitpunkt nicht einfach überhaupt entfallen? Besonders absurd ist es, dass die oft jungen Nachwuchs-Moderator:innen des Frühjournals um 6 Uhr, die nicht einmal richtig zum Journal-Moderator:innen-Team gehören, das Wetter nicht selber bringen. Das ist einfach nur Niedertracht. Zeigen sich so die Feinde von Musik und Kultur? Es war nicht das erste Mal.

Und wenn Michael Köppel zu Barbara Schieder sagt: Donnerstag, 15. September. Es ist 6 Uhr 30, Zeit für den Ausblick auf die Themen des Morgenjournals. Guten Morgen, Barbara Schieder.“ – grüßt ihn Schieder dann zurück? Nein. Im indifferenten Ton sagt sie: „Guten Morgen. Schweden hat gewählt. … .“ Schieder ist sich auch für die übliche kurze Überleitung zur Köppels Wettervorhersage zu gut – der Dank dafür, dass der beliebte ORF-Offsprecher für Radio und Fernsehen Köppel mangels Personals sonntags von 6 bis 13 Uhr von Guten Morgen Österreich bis zur Matinee moderiert und mehrfach Sendungshinweise spricht? Köppel unverdrossen, wenn auch nach einer hörbaren Pause von einer Sekunde: Im Großteil Österreichs wird es heute noch einmal warm … Es wird in Kürze 6 Uhr 33. (Link zu Hass und zu Guten Morgen Österreich)

(Siehe https://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/2017.2.html#r._Any_time_any_time_Das_ und Weiteres unter ‚Guten Morgen Österreich‘ verstreut in https://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/2017.2.html)


2. die Behandlung der Kulturnachrichten in den Journal-Sendungen


Welche Not im Mittagsjournal herrscht, zeigte der Donnerstag 7. 4. 2022. An diesem Tag beginnt Punkt Eins bereits um 12 Uhr 55, „weil Wehrschütz live ausgefallen“ war. Das ist scheinheilig und fadenscheinig und läuft darauf hinaus, den ausgezeichneten, lang gedienten, zu diesem Zeitpunkt vom Ukrainekrieg berichtenden ORF-Auslandskorrespondenten Christian Wehrschütz für die seit Einführung von Ö1 im Jahr 1967 beispiellose Sendepanne verantwortlich macht. Philipp Blom und sein Gast sitzen zum Glück im Studio bereit, um zu übernehmen. Problem 1: Es gab keinen einzigen Beitrag im gesamten ORF-Radio (Radio Wien, Ö3, Landesstudios) für die Schließung der Lücke. Problem 2: Die Journal-Leitung (Gabi Waldner oder Vertretung) und/oder die Ö1-Außenpolitik-Leitung und/oder die Journal-Moderation kommen nicht auf die Idee, ein Gespräch über die Ukraine-Lage zu improvisieren. Was für ein organisatorisches, aber auch geistiges Versagen in Österreichs nach wie vor wichtigster Nachrichtensendung!

Um nun für das Folgende einem Missverständnis vorzubeugen: Ich denke nicht, dass die Journalmoderator:innen aus Bösartigkeit die Kultur abwerten oder ablehnen, über die die Kulturredakteur:innen sprechen und deren Beiträge sie moderieren. Ich denke eher, dass die schlechte Behandlung, mit der sie den Künsten begegegnen, auf viele bestimmte, wenig freiwillige Ursachen zurückzuführen sind.

Erstens müssen Moderator:innen der Journal-Sendungen seit ein paar Jahren selbst Recherche-Leistungen erbringen durch zwei oder zu Mittag auch schon einmal drei längere Interviews zu allen Arten von Politik. Dies sind Interviews, die nicht nur aktuelle wichtige Politiker:innen und Andere mit wichtigen, kritischen Fragen konfrontieren. Es handelt sich auch um – ich schlage den Begriff vor: – Informationsinterviews durch Journalmoderator:innen, die inzwischen die früher qualitätsvoll recherchierten 3-Minüter mit Einholung von zwei bis drei Stimmen durch eine/n Journal-Redakteur:in ersetzen. (Bekommen Journalmoderator:innen jetzt durch diese Einsparung auch etwas mehr für ihre Mehrarbeit bezahlt?)

Zweitens besteht enormer Zeitdruck während einer Journalsendung. Er kommt daher, dass immer mehr, das heißt immer kürzere Beiträge untergebracht werden. Ein Überblick auch über die Beiträge zur Kultur wird dadurch erschwert.

Drittens sind seit 15, 20 Jahren manche Beiträge so spät fertig, mitunter erst während der Sendung, dass deren An- und Abmoderation nur mehr improvisiert werden kann. Das stresst. Und es zieht Konzentration und Zeitkontrolle bei Moderator:innen und nicht nur Sendungsredakteur:innen mehr als vertretbar auf sich.

Viertens besteht eine „natürliche“ Gewichtung an verliehener Bedeutung und Aufmerksamkeit, auch durch Themenblöcke – die zu Kulturthemen auffallenderweise nie gebildet werden – , indem die Kulturbeiträge immer am Schluss einer Sendung vor den Schlussnachrichten drankommen. Anders als in Zeitungen, von denen das Buch der Kultur zuerst gelesen werden kann, verliert die Kultur dadurch an Gewicht.

Fünftens sprechen die Künste bei uns allen subjektive Befindlichkeiten an. Künste sind auch subjektiv. Warum sollten bei den Journalmoderator:innen aus subjektiven Gründen nicht bestimmte Kunstwerke oder Kulturveranstaltungen persönliche Gefühle der Ablehnung oder Sympathie auslösen. Es gehört zur Kunst schon ein erhebliches Maß an Sublimierung oder interesseloses Wohlgefallen. Diese Leistungen müssen an. Und dann gibt es noch die Kunst, die all das torpediert, unterläuft, in Frage stellt. Das kann jenen, die nicht Expert:innen der Künste sind, schon einmal zu viel werden.

Sechstens werden alle Themen der politischen Nachrichten (Ausland, Inland, Wirtschaft, Soziales, Gesundheit, Technik …) in den Künsten latent oder manifest ihrer Bedeutsamkeit, ihrer Ernsthaftigkeit beraubt. Künste distanzieren, sei es durch Kritik, sei es durch Transzendierung. Künste nehmen so wie die Theorie in der Wissenschaft einen Meta-Standpunkt ein. Wer von den Journalmoderator:innen weniger kulturaffin ist, muss sich extra Mühe geben, um diesen Wechsel an Einstellung zu vollziehen, wie es für einen wohl gesonnenen Bezug auf Kulturbeiträge unabdingbar ist.

Siebtens kommen fast nie Beiträge zu klassischer, zeitgenössischer oder Jazzmusik vor. Auch Architektur, Design und Tanz führen hier ein stiefmütterliches Dasein. Diese redaktionelle Entscheidung von Ö1 wirkt sich nicht nur auf die mangelnde Affinität der Moderator:innen zur Klassik aus. Es beeinflusst unter der Hand auch das in letzter Zeit größer gewordene Publikum, das nur wegen der Journale zu Ö1 schaltet. Klar, dass auf diese Weise für den „Klassik“-Sender keine neuen Hörer:innen gewonnen werden. Absicht?

Was aber ergibt nun ein aktueller Blick auf die An- und Abmoderationen der Kulturnachrichtenbeiträge in den Journalsendungen seit dem 1. August 2022? Da Kultur im Frühjournal, im Journal um Acht und Fünf, im Abend- und Nachtjournal nur in dringenden Fällen vorkommt, kommen hier nur das Morgenjournal um 7 Uhr und das Mittagsjournal um 12 Uhr in Betracht.

Gelungenes

Ja, hin und wieder bemühen sich die Moderator:innen der Journal-Sendungen erfolgreich um Übergänge. Etwa der gebildete Franz Renner am Samstag 8. 10. mit einer würdig zusammengefassten einminütigen Einleitung zur impact-fähigen Sendung in der Sendung „Im Journal zu Gast: Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer“, wenn er auch Mayer und die Interviewerin Judith Hoffmann (großer Gewinn für Ö1! Siehe Intermezzo Sonntag mittags auf allgemein sehr gutem Niveau) nicht korrigiert, welch letztere nach Mayers Behauptung, Filmregisseur Ulrich Seidl werde zur Entgegnung auf die Missbrauchsvorwürfe Gelegenheit haben, verabsäumt, auf Seidls bereits vorliegende, lange detaillierte Stellungnahme im Profil vom 2. 10. hinzuweisen. Oder Renner am Montag 8. 8. zum historischen Roman des Schriftstellers Andrej Kurkow: „Von den historischen zu den ganz aktuellen Ereignissen“ (12:54:07ff.) Oder am Mittwoch 10. 8. sein origineller Übergang von „Neues Modell zur Übertragung von Viren durch Fledermäuse“ zu einem Gruselfilm (12:49:48ff.). Oder am Donnerstag 11. 8. die kunstvolle Einleitung zu „Architekt Peter Eisenman wird 90“ mit gelungener Überleitung zu den Innsbrucker Festwochen-Stück „Open Mind“ mit verrocktem Orfeo von Monteverdi (7:25:10ff.). Oder Renner reimt sogar am Donnerstag 1. 9. zwischen „Venedig 22 Eröffnung“ und „Theater in der Josefstadt: Anna Karenina“ elegant überleitend mit „Zuversichtlich und heiter, so geht’s jetzt nicht weiter …“ (7:28:33-36) Zudem verfügt Renner auch über Humor, wenn er am Donnerstag 8. 9. zwischen den Beiträgen ‚Pussy Riot in Wien‘ und ‚Bayreuth Baroque‘ trocken sagt „Auf Punk folgt jetzt Barock. …“ und danach die Brücke legt mit „Abgangs- und Auftrittsapplaus gleichzeitig, Christina Greunz hat die Nachrichtenüberblick“ (7:30:33-7:30:39).

Auch Veronika Fillitz, seit heuer im Juni als Journal-Moderatorin im Einsatz, ist hörbar an Kultur interessiert und kann en passant legitim auf eigene Kompetenz verweisen: „Und wir kommen jetzt zum 7 Uhr 23 zur Kultur. … Die Nachricht vom Tod des Autors <Javier Marias> hat die spanischen Nachrichten dominiert.“ (Montag 12. 9., 7:23:08-7:23:30) Oder ihre gekonnte Überleitung am Donnerstag 25. 8. von Steinfests Literatur: „Belästigung und Gewalt in Kunst und Kultur, aber auch im Sport, die gibt es. Und es gibt auch eine neue Beratungsstelle für Betroffene: VERA.“ (12:53:06-12:53:12) als federleichter Beginn eines Hinweises auf das Thema von Punkt Eins. So kann man sich ausnahmsweise Ö1-Eigenwerbung zumal im Dienst einer wichtigen Kultureinrichtung gefallen lassen.

Hervorzuheben sind auch die vorbildlichen Übergänge am Montag 3. 10. von Christian Williwald von „Viel weniger Theologie-Studierende“ zu „Opera Comics in Livorno“: „Immer weniger junge Leute wollen Theologie studieren. Und immer weniger junge Leute interessieren sich auch für Oper. In Italien wollen das manche Opernhäuser nicht so einfach hinnehmen. Sie bieten ermäßigte Karten für Schüler:innen uind Schüler oder laden sie zu Generalproben ein. Einen anderen Weg gehen die Verantwortlichen des Teatro Goldoni in Livorno. Opern werden dort als Comics erzählt. Aus Italien Thomas Migge.“ (7:24:00-7:24:20) Ähnlich günstig kurz darauf: „Sie hat Opernhäuser, Archive und Bibliotheken fotografiert und macht sichtbar, was sich hinter einer Fassade verbirgt. Candida Höfer gilt als Vertreterin der Düsseldorfer Fotoschule, eine in den 70er Jahren …“. (7:27:20-42)

Es darf auch einmal eine Zusammenfassung der zwei im Morgenjournal aufeinander folgenden (und leider nicht mehr durch Kultur-Kurznachrichten gekoppelten) Kulturbeiträge sein. So fasst Barbara Schieder am Mittwoch 28. 9. "Letzter Roman von Javier Marías“ und „Ian McEwans neuer Roman „Lektionen““ knapp für Literatur allgemein werbend zusammen: „Viel neuer Lesestoff für die schon kühleren Herbsttage.“ (7:30:57-7:31:01) Zurecht und wirkungsvoll kommentiert Schieder einmal, was in Moderationen viel zu selten vorkommt, reflexiv am Mittwoch 14. 9. zu einem Spielfilm: „Integration geht durch den Magen – das klingt möglicherweise ein wenig seltsam. Doch ein Sozialprojekt im Südwesten Frankreichs hatte genau das im Sinn.“ (12:50:28-12:50:40) Wenn auch das im Deutschen akustisch uneindeutige shepherd’s pie kaum bekannt sein dürfte (Schreibweise hier aus dem Internet recherchiert), so gelingt Schieder abmoderierend eine tageszeitlich passende, auflockernde Klammer: „Vom Soufflé jetzt zum Shepherd’s Pie, also von Frankreich zu den News in English.“ (12:53:52-12:53:57)

Nicht zu vergessen Rainer Hazivars lange, präzise, das politische Problem Currentzis gut zusammenfassende Einleitung am Freitag 7. 10. (7:23:45-7:24:22) zum dann leicht affirmativen Beitrag „Currentzis mit <Ensemble> Utopia“.

Während von Paul Schiefer so gut wie nie Abmoderationen zu Kulturbeiträgen oder inhaltliche Verbindungen zu und von ihnen kommen (höchstens einmal Daten zur dazugehörigen Veranstaltung), gibt es sogar eine der sehr seltenen Überleitungen von Christine Thönicke-Frenkenberger am Freitag 9. 9. im Morgenjournal vom Nachrichtenbeitrag ‚Vor EU-Krisentreffen: Gewessler lehnt Preisdeckel auf russ. Gas ab‘ zu dem von ‚Theater in der Energiekrise‘ mit: „Diese Energiekrise trifft auch den Kulturbetreib hart …“. So einfach kann das gehen.

ABER: Die schlechte Behandlung der Kultur durch die Journalmoderator:innen überwiegt. Es äußert sich in

- fallweisem Unwillen gegenüber Kultur überhaupt,

- in Nachäffungen auf Kosten von Kulturredakteur:innen,

- in Versprechern, Ungenauigkeiten und Saloppheiten.

Ausdrücklicher Unwille gegenüber Kultur oder bestimmter Kultur

Spätestens am Mittwoch 26. 5. 2021 wurde man hellhörig, als nämlich Barbara Schieder in ihrer Überleitung ihren Unwillen gegenüber Neuem mit einer (unausgewiesenen) Bevorzugung von Claus Peymanns Wiener Theaterzeit demonstrierte. Alles andere als moderat hieß es, mit Extremisierungen akzentuiert: „Zur Kultur jetzt, wenn auch nicht zu leichter Kost. Während im Wiener Burgtheater heute Thomas Bernhards ‚Jagdgesellschaft‘ Premiere feiert, eröffnet der neue Direktor am Wiener Volkstheater <der Name Kai Voges bleibt ungenannt> seine kurze Saison bis zum Sommer ebenfalls mit einem Thomas-Bernhard-Stück und zeigt seine schon in Dortmund erprobte <das klingt uneindeutig> Inszenierung ‚Der Theatermacher‘. Beides völlig neue Bernhard-Interpretationen, die komplett mit den Sehgewohnheiten des Wiener Publikums und früheren Peymann-Inszenierungen brechen. Mehr von Katharina Menhofer <die dann ausgewogen und interessant berichtet>.“ (12:50:00-12:50:25) Ihre Absage darauf: „Zu hören gibt es jetzt jedenfalls <!> in bewährter <!> Manier Rosie Waites mit den News in English.“ (12:53:40-12:53:45)

Am Donnerstag 9. 9. 2021 moderiert Schieder den Beitrag ‚Antiker Text über Dionysos rekonstruiert‘ an, der über eine weltweit singuläre kulturwissenschaftliche Sensation berichtet: „Das Wort allein ein Zungenbrecher: ‚Palimpseste‘ sind eine Urform des heutigen Recyclingpapiers, könnte man sagen. Dabei handelt es sich meist um Dokumente aus Antike oder Mittelalter, die mit Tinte beschrieben wurden. Jahrzehnte oder Jahrhunderte später wurde die Schrift aus Papiermangel abgewaschen oder abgeschabt und das Dokument dann neu beschrieben. Eine Forscherin aus Österreich hat einen solchen ausradierten Text wieder lesbar gemacht ...“12:45:50-12:46:15 „Das Wort allein“ – die Sache nicht weniger. So wäre Schieder wohl zu ergänzen. Nur, woher kommt dieser zur Schau getragene Unwille und Mangel an Verständnis? Woher diese Ablehnung alter Literatur, ja alter Kultur? Es dürfte ein für das Mittagsjournal selten auftretendes Fremdwort einer gebildeten Journalistin auf Ö1 doch nicht fremd sein! Das gilt umso mehr hinsichtlich Ö1-Hörer:innen, die für Bildung gewonnen werden möchten. Hochkultur? Wozu hat die Hälfte der Österreicher:innen die Matura wenn nicht auch für die Begegnung mit Wissenschaft inklusive Geisteswisssenschaft!? Schieder bestätigt ihren Unwillen am Donnerstag 15. 9. 2022. Einleitend zu „Vorschau auf Musikbiennale Venedig“ sagt sie: „Biennalen gibt es zur Genüge in Venedig. ...“7:24:00-7:24:02 Klingt nicht gerade aufgeschlossen. Tatsächlich gibt es in Venedig Biennalen für Musik, Theater, Tanz, Architektur, bildende Kunst und, unter dem gleichen organisatorischen Dach, die jährlichen Filmfestspiele von Venedig. Wäre eine Literatur-Biennale für Schieder dann fürchterlich?

Mangelnde Affinität zur Kultur, um nicht zu sagen Kulturfeindlichkeit, kommt aber auch durch Stille, mehr noch einen Schnitt zum Ausdruck. Am Mittwoch 24. 8. beendet Wolfgang Popp seine Besprechung eines dokumentarischen Romans mit diesen Worten: „denn Isidor wurde den Nazis vom eigenen Chauffeur ans Messer geliefert.“ Sicher keine einfach Aufgabe. Aber dazu müsste es doch Radioerfahrung, müsste es doch eine Routine geben! Vorschlag: „Wir kommen von einer traurigen Welt in unsere hoffentlich auch bessere zurück.“ (was auch nicht perfekt ist) Helene Seelmann, die schon einmal eine ganze Stunde Mittagsjournal (8. 5. 2020) keine einzige Abmoderation und auch keine Überleitung von einem Beitrag zum nächsten brachte, in der nächsten Viertelsekunde (!), also mit einem überharten Schnitt, so anschließt: „Zeit für die Nachrichten im Mittagsjournal. Den Anfang macht Jenny Johnson.“ (beide 12:52:57-12:53:05) Aber zugegeben, es kann herausfordernd sein, einen Übergang hinzukriegen. Seelmann am 23. 9., nachdem Günter Kaindlstorfer am Ende seines Beitrags über Isolde Charims Buch „Die Qualen des Narzissmus“ betont: „...heißt also bis auf Weiteres auch im Narzißmus leben.“ knapp, ja unfreiwillig komisch: "Die Kammer für Arbeiter und Angestellte, besser bekannt als die Arbeiterkammer…“. (beide 7:26:14-7:26:22) Seelmann dürfte aber auch mit der Popkultur nicht ganz eins sein. Am 29. 8. gilt es von „‚The Bible‘ Das neue Album der US-Band Lambchop“ zu einer Aufführung von Strauss’ Oper Der Rosenkavalier überzuleiten. Seelmann: „berichtet David Baldinger. Eine völlig andere Art von Musik ist heute in der Felsenreitschule in Salzburg zu hören. Da hat die Oper ‚Der Rosenkavalier‘ …“ (7:26:48-7:26:58) Dazu Folgendes: Keine Popmusik ist als Vokalmusik völlig anders als Oper, besonders wenn es um eine CD mit zehn Vokalnummern geht und der Gestalter des Kulturbeitrags den Sänger als „ein<en> Pavarotti für Arme“ (7:26:18-7:26:19) ausgibt, wobei übrigens Kurt Wagner im unterlegten Englisch etwas anderes sagt, nämlich „like some kind of impoverished Pavarotti“ (7:26:23-25; Baldinger übersetzt wie andere Ö1-News-Journalisten ungenau). Jedenfalls beinhaltet Seelmanns Entgegensetzung wenn nicht eine unausgewiesene konservative Haltung, so eine Wertung, die einer Moderatorin angesichts des journalistischen Gebots der Trennung von Nachricht und Kommentar nur dann zusteht, wenn sie von einem unparteiischen Standpunkt aus mitklingend transportiert wird. Aber vielleicht nicht einmal das.

Subtiler ist Franz Renners Missbehagenwenn es denn eines ist – am 9. 8. Er betont nach dem Beitrag zum angesehensten deutschsprachigen Literaturpreis, dem „Büchner-Preis an Emine Sevgi Özdamar“ für 2022 robust: „Hier <?> im Journal geht es mit Englisch weiter.“ (12:54:14ff.) Das klingt schon fast so, als ob Özdamar nicht unter Deutsch liefe oder Renner englischsprachige Literatur bevorzugt. Besser wäre gewesen: Es folgen die Nachrichten in englisch und deutsch, zuerst auf englisch.Ist das nicht einfach eine vernachlässigbare Feinheit? Nein. Kultur schließt wesentlich Feinheiten ein.

Selten, selten, aber einmal in hundert Jahren schafft es Kulturtheorie doch in die Hauptnachrichten. Moderator Christian Williwald ist dabei am 21. 9. unnötig enerviert. Es ist ein Fachbegriff, und er wertet das Unterfangen des zu besprechenden Autors im Vorhinein klar ab: „Narrationstheoretisch un<ter!, diese Silbe wird zweimal unterschlagen>komplexes Erzählen, das ist sprachlich eigentlich das Gegenteil von dem, was der Begriff bedeutet. <?> Narrationstheoretisch un<ter!>komplexes Erzählen könnte man nämlich auch einfaches Erzählen nennen, nur halt weniger kompliziert ausgedrückt. ... Daniel Kehlmann ... Populäre Realisten nennt Moritz Bas<s!>ler solche Autoren. Und das ist auch der Titel eines Buchs, das der Germanist <?> herausgebracht hat. Günter Kaindlstorfer hat's gelesen." (7:22:45-7:23:18) Aber Williwald ist bei all seinem Unmut zugute zu halten, dass er den Kern des Beitrags von Bassler doch auf den Punkt bringt. Diese Qualität hat Williwald einfach.

Nachäffungen auf Kosten von Kulturberichten

Vielleicht sollte man für das Kommende dazusagen, dass die nun dokumentierten nachäffenden Reaktionen der Moderator:innen nie nach anderen als Kulturbeiträgen kommen. Warum? Weil den Letzten die Hunde beißen? Weil Kultur- und Intellektuellenfeindschaft zuerst immer an den Schwächsten geübt wird. Weil die Moderator:innen die Künste als das Fremde, als das sich selbst Infragestellende, als das unangenehme Berührende empfunden wird?

Unmittelbar nach einem Beitrag von Sabine Oppolzer über ein Fest im MuseumsQuartier am Samstag 11. 6. 2022: „Die einzelnen Stationen sind so konzipiert, dass sie leicht abgebaut und an anderer Stelle wieder errichtet werden können. Denn das Kreislaufwirtschafts-Festival soll österreichweit auf Tournee gehen.“ Veronika Fillitz (worauf anspielend?): „Nicht auf Tournee, sondern wie gewohnt im Nachrichten-Studio ist Arthur Trainacher.“12:52:40-12:53:00

Wenig Wunder, dass Rainer Hazivar am Dienstag 2. 8. über den Vornamen stolpert, wenn in seiner Vorlage steht "Jean Scully Galerie Ropac Salzburg" Sabine Oppolzer am Schluss ihres Beitrags über Sean Scully: „Die bewußtseinserweiternde Aura seiner Gemälde sollte man sich nicht entgehen lassen.“ Und hier schin wieder – Hazivar: "Jedenfalls nicht entgehen lassen sollte man sich die Nachrichten, zuerst die von Rosie Waites."12:53:47-12:53:56 Oder Hazivar am Freitag 5. 8. „bevor Allegro Vivo dann am 18. September mit dem Abschlusskonzert im Stift Altenburg zu Ende geht.“ (7:30:56-7:31:03): „Und das, und der Abschluss im Morgenjournal wie üblich die Nachrichten“. (7:31:03-7:31:06) Noch einmal Hazivar am Montag 1. 8. zum Bericht über die Innsbrucker „Taxisgalerie Zeitgeschichten", dieses Mal die Nachäffung auf die Redakteurin anwendend: „Positionen zu sehen, die sich mit verschiedenen Zeiterfahrungen und mit der Verflechtung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft beschäftigen. Damit hat sich Patrizia Jilg beschäftigt.“ (12:50:20-12:50:26)

Ähnlich Barbara Schieder am Samstag 6. 8.: „das Outreach-Festival in Schwaz dauert noch bis 14. August. Jetzt gleich am Wort ist Eva Fon mit den Meldungen.“ (7:31:00-7:31:04) Oder am Dienstag 16. 8. nach Sabine Oppolzers Beitragsschluss: „Zahlen, Daten, Fakten zu diesem Aspekt der Stadtplanung im Bezirksmuseum Neubau <7. Bezirk>.“ Schieder: „Und Zahlen, Daten, Fakten zur aktuellen Nachrichtenlage folgen jetzt von …“ (7:30:56ff.)

Ebenfalls zu Oppolzer am Donnerstag 19. 5. 2022: "Diese Schau unternimmt eine Neubewertung von Franz Hagenauer, die auch die Grenze zwischen Kunst und Kunsthandwerk in einem neuen Licht erscheinen lässt." (12:53:28-12:53:42) Dieses Mal ist es Franz Renner mit Humor auf Kosten Oppolzers: „Nachrichtenkunsthandwerk jetzt am Puls der Zeit, unser kompakter Nachrichtenüberblick. Den Anfang macht Jenny Johnson.“ (12:53:42-12:53:50) Renner am 22. 9. an den Hinweis auf eine Debütantin in der Musik anknüpfend, welche Tatsache aber im vorangegangenen Kulturbeitrag auch nur erwähnt wurde, weil es bemerkenswert ist, weswegen das Folgende von Renner nicht nur nicht witzig, sondern auch ein Zeichen von inkorrekter Auffassung ist: „Kein Debütant, sondern mit viel Erfahrung: John Cummins eröffnet unseren kompakten Nachrichtenüberblick.“ (12:53:16-12:53:20) Gemein ist das sowieso.

Neben „Sabine Obholzer <falsch ausgesprochen>“ (12:49:57-12:49:58) macht auch Christine Thönicke-Frenkenberger am Mittwoch 28. 9. eine Nachäffung, wie deutlich am Ende der Ankündigung zur Ausstellung „‚Mahlzeit‘ im Dom Museum Wien“ zu hören ist: „Vom Stillleben zu den <nicht stillen?> Nachrichten und zwar in englischer Sprache. Paul Brennan, please.“ (12:53:02-12:53:07) Übrigens sprach Oppolzer in mehreren ihrer kurzen Kunstwerksbeschreibungen nur eines davon als Stillleben an; es war auch nicht das letzte Kunstwerk in ihrem Beitrag. Das hätte Thönicke-Frenkenbergers Überleitung allenfalls noch gerechtfertigt. Der Punkt aber hier ist doch der: In der traditionellen Malerei kam Essen als Gegenstand tatsächlich nur in Stillleben als Hauptthema vor. Damit sich die Frage stellt, ob Thönicke-Frenkenberger die von Oppolzer besprochenen zeitgenössischen Ansätze als konservativ einklammern und sich damit einmischen wollte.

Versprecher, Ungenauigkeiten, Saloppheiten

Klar, Versprecher sind nicht per se kunstfeindlich. Wenn Christine Thönicke-Frenkenberger am Freitag 12. 8. 2022 vom „Hang zu Psychodelischem <Psychedelischem!>“12:49:52ff. spricht oder am Samstag 13. 8. Veronika Fillitz wie schon Dalmonte in ihrer ansonsten wohltuend kompetent-kritisch-differenzierten Besprechung einer Aida-Aufführung das „in“ des französischen Dirgenten „Altinoglu“ (7:28:02) nicht korrekt nasal ausspricht oder sich bei Fillitz im Mittagsjournal am Dienstag 16. 8. beharrlich Goinger statt Goiginger bei „Theaterstück ‚Märzengrund‘ verfilmt“, dann muss man daraus nicht mehr als Unkonzentriertheiten vermuten. Anders verhält es sich um Christine Thönicke-Frenkenbergers Vorblick auf Punkt Eins "Gäste bei Elisabeth Scharáng sind…" (12:08:01-12:08:04) am 28. 9. und Williwalds Versprecher am Mittwoch 10.11.2021 zum Beitrag "Kinderoper „Jorinde“ im MuTh: „Die Wiener Taschenoper hat die Kommunist-, <leichtes Ansetzen eines Lachers, keine Entschuldigung>, ah die Komponistin Maria Gstettner beauftragt.“ (12:50:06-12:50:10) Zeigt „Scharáng“ nicht nur frappante Unkenntnis einer Kollegin im Haus an, sondern auch grundlegende Unkenntnis der österreichischen Gegenwartsliteratur, so ist Williwalds Selbstbelustigung schlicht und einfach unverzeihlich.

Nicht nur verspricht sich am Freitag 12. 8. Rainer Hazivar: „Das neue Album der Band überzeugt wirklich … begeisterten beim Newpork<statt Newport> Folk Festival …“ (7:23:40ff.) Die Überzeugung war offensichtlich zu vollmundig. Wollte der nur kurz in den Beitrag hineinhörende Hazivar vielleicht auf Bob Dylans legendären ersten elektrisch verstärkten Gitarrenauftritt anspielen? Jedenfalls ist er gezwungen zuzugeben: „Also wenigstens teilweise Entspannendes mit Akustikgitarre…“ (7:25:55ff.)

Oder es kommt am Samstag 3. 9. Helene Seelmann gleich nach dem Beitrag über die Operette „‚Die Dubarry‘ in der Volksoper“ mit einem unnötig harten, aufgrund der Nachrichtengewohnheiten der Monate seit dem 24. Februar auch zunächst irreführenden Schnitt: „Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat auch in Russland …“ (7:25:34-41), obwohl bald dannach sich das als Hinführung zum Beitrag „Russische Musikszene in Kriegszeiten“ aufklärt. Nebenbei gesagt bleibt unverständlich, warum hier die beiden Kulturbeiträge nicht umgereiht wurden.

Am Freitag 2. 9. führt Christian Williwald zum Beitrag „Vier Jahre nach dem Museumsbrand in Rio“ mit folgendem Schluss ohne Hinweis, ob es sich um ein Skype-Gespräch handelt: „Sabine Oppolzer hat mit Alexander Kellner, dem Direktor des Museums im Rio gesprochen.“ (7:27:34-40) Es macht aber einen Unterschied, wie Oppolzer mit Kellner gesprochen hat, über Skype, oder war Kellner zufällig in Wien. Hier sollte die Moderation die Zuhörer:innen nicht in unnötig zweifelndes Nachsinnen stürzen.

Sabine Oppolzers Frage am Dienstag 13. 9. zum Schluß Ihres Beitrags über „Energiesparen in Museen“ „Werden in 1000 Jahren Menschen die heute mit hohem CO2-Aufwand konservierten Werke noch betrachten können?“ beantwortet Paul Schiefer so: „Ja, aber die noch Romane lesen können, wie die des tschechisch-deutschen Schriftstellers Jan Faktor.“ (7:27:22-7:27:25) Schiefer betont nicht mit hörbarem Fragezeichen und verwechselt hier auch zwei verschieden Arten des Könnens. Oppolzer spricht vom Können der Ermöglichung von außen, während Schiefer – ja von was eigentlich? – vom Können der Fähigkeit oder gar der Voraussetzung der gesamten Existenz der Menschen spricht oder doch von äußeren Umständen wie der Produktion von Papier oder E-Readern?

Am Dienstag 4. 10. äußert sich Franz Renner so: „Von der Zukunft der Städte zurück in die Geschichte, so wie Hollywood sie halt dramatisiert“. (7:27:05-09) Es handelt sich um seine Einleitung zu Arnold Schnötzingers Filmkritik „‚The Woman King‘ im Kino“, mit dessen durchscheinendem Urteil Renner ja übereinstimmt. Aber sollte eine solche Generaleinschätzung von Hollywood nicht behutsamer formuliert werden? Gerät hier nicht die journalistisch angeratene Trennung von neutraler Haltung des (moderaten?) Moderators und Urteil der Film(Theater,Kunst,Musik)kritik ins Wanken, zu der der ORF verpflichtet ist?

Schluss

Die Politik-Nachrichtenredaktion duldet hörbar immer weniger Kultur und Musik. Eher mehr als weniger überheblich stellt sie sich zu Kultur und Musik, was sich in den Berührungspunkten der Kommunikation während des Radioprogramms zeigt. Es scheint die Journal-Moderator:innen zu stören, dass Kulturredakteur:innen – wie in den in aller Regel extrem kompetenten Interviews mit Kulturschaffenden in Intermezzo eindrucksvoll zu erleben ist – nicht einfach nur wie über Politik berichten (und dabei immer wieder Distanz wahren). Neben begründbarer Begeisterung vertreten Kulturredakteur:innen die Künste in ihrem Eigenrecht. Täte sie das nicht, würde die Künste und mit ihnen die Kulturjournalist:innen ihren Sinn verlieren.

Sabine Oppolzer berichtet neben ihrem Hauptgebiet bildende Kunst und Architektur inzwischen auch über Theater (der Salzburger Festspiele – weil kein Geld mehr zum Schicken einer zweite Redakteur/in nach Salzburg da ist? und das Landesstudio Salzburg selbst hat niemanden?) und neuerdings Opern. Judith Hoffmann bespricht Literatur, Klassik, hört aber auch ukrainische Pop-Band. Ähnlich arbeiten auch andere Kulturredakteur:innen immer breiter. (Nur Wolfgang Popp und David Baldinger wird erlaubt, sich zu beschränken, ersterer auf Literatur, letzterer meist affirmativ auf Popmusik. Warum?) Achtung: Es gibt keine universellen Kulturjournalist:innen! Wer das von seinen Kulturrdakteur:innen verlangt, verheizt sie. Oder sie gehen.


3. die Vernewsung des Unterhaltsamen in Punkt Eins (mit Liste)


Punkt Eins um 13 Uhr hat 2017 die ebenso beliebte wie hervorragende Klassiksendung Ö1 bis 2 verdrängt. Hervorgegangen aus dem bis 2017 um 14 Uhr angesetzten Von Tag zu Tag, dauert Punkt Eins nun 54 Minuten. Sie kostet auch mehr, weil es einen Musikredakteur braucht, der die drei kurzen Musikausschnitte auswählt, ohne die die Gesprächssendung nicht mehr auszuhalten wäre – auszuhalten ist die Sendung auch kaum mehr wegen der oft fehlenden Begrüßung des Radiopublikums durch die Moderator:innen Johann Kneihs, Elisabeth Scharang und Sebastian Forthuber, durch die manchmal vergessen Vorstellung der Gäste, durch die oft nicht mehr auseinander zu haltenden Stimmen von bis zu drei Gästen und durch die E-Mail-Verlesungen, die schon seit der Zeit vor 2017 mit den Hörer:innen konkurrieren, die in die Sendung immer leichtgewichtiger anrufen, abgesehen von der mitunter mehr als dürftigen akustischen Qualität durch wohl Skype et cetera. Fast immer wird Popmusikalisches gebracht, so gut wie nie klassische Musik. Anstatt klugerweise klassische oder zeitgenössische E-Musik anzubieten, macht man den Kotau jenen gegenüber, die als Mittagsjournal-Hörer:innen vermeintlich nur wegen dieses Journals zu Ö1 stoßen – das ist nicht die Mehrheit! – und von denen man meint, dass sie klassische oder zeitgenössische E-Musik partout ablehnen.

Die Wissenschaftsjournalistin Barbara Zeithammer, der Historiker und Denker Philipp Blom, der Sozialwissenschaftler Andreas Obrecht sind seit Langem die feinen Instrumente der Moderation. Nicht, dass sie auch noch anderes können. Aber sie sind dort besonders gut oder haben ihre Qualitäten dort ausgebildet, wo ihre Schwerpunkte lagen. Ähnlich ist es mit Andrea Hauer, Marlene Nowotny, Johannes Kneihs, Elisabeth Scharang, Natasa Konopitzky und dem Sendungsverantwortlichen.

Doch das Hauptproblem der Sendung ist mittlerweile ein anderes. Das dunkle Vorzeichen dazu bildete die Sendung am Montag 16.5.2022 mit dem Titel „ÖVP zwischen Schwarz und Türkis“. Johann Kneihs lud zwei sattsam bekannte Medienpersönlichkeiten. Bis dahin war ein innen- oder außenpolitisches Thema für Punkt Eins tabu. Doch hier kam nicht nur das Thema aus der Innenpolitik. Tagespolitische aktuell war das Thema, weil zwei Tage vorher Bundeskanzler Karl Nehammer auf dem Bundesparteitag der ÖVP zu deren Vorsitzenden gewählt worden war.

Seither wird Punkt Eins klar und deutlich zum Appendix des Mittagsjournals umgebaut. Wer es nicht selbst beobachtete, bekam es von Thurnher inzwischen ausdrücklich bestätigt: „Am liebsten wäre <„wäre“ ist scheinheilig; es muss heißen „ist“> mir für diese einzige aktuelle Phone-in-Sendung eine Orientierung an möglichst tagesaktuellen Themen. Ich weiß, das verlangt der Redaktion viel ab. Aber eine Vertiefung gleich nach dem "Mittagsjournal" ist so logisch. Ein bisschen wie ein täglicher "Runder Tisch" <nach der Fernsehjournalsendung ZIB2 von ORF2> mit Publikumsbeteiligung.“ (30.9.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139561284/thurnher-fm4) Gibt es dazu einen Beschluss, eine Begründung? Wurde das Radiopublikum dazu und zum ‚Qualitätserlebnis‘ Punkt Eins befragt? Klar ist, dass es auf Kosten der Kultur geht – Kultur etwa des Alltags (Andrea Hauer über den Orient-Express gestern und heute am 14. 10. 2022!), aber auch Kultur des Gesprächs selbst.

Vor Kurzem war Ulrich Ladurner eingeladen. Er wurde nicht nur nicht vorgestellt und auch nicht zur Reflexion gebeten, sondern einfach schamlos zur jüngsten italienischen Politik be-, besser: ausgefragt, als ob das Mittagsjournal einfach ein weiteres Informationsinterview wie von seinen Journalmoderator:innen benötigte, die die früheren redaktionellen Beiträge ersetzen. Der in Südtirol geborene und aufgewachsene Politik-Redakteur der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit seit langem, dessen Arbeitsgebiet sich keineswegs auf Italien erstreckt, war hörbar not amused.

Hier zum Beleg des kulturfeindlichen Radikal-Umbaus der Sendung die Themenlisten vom 7. 6. bis 20. 6. 2022 und vom 29. 9. bis 12. 10. 2022:

Di 7.6.2022 Was vom Fortschritt übrig bleibt. Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt, mit Xaver Forthuber

Mi 8.6.2022 Papierindustrie heute. Mondi-Forschungsleiter Leo Arpa und Prof. Wolfgang Bauer, mit Barbara Zeithammer

Do 9.6.2022 Religionen und Sexualität. Religionswissenschaftlerinnen Birgit Heller und Edith Franke, mit Andreas Obrecht

Fr 10.6.2022 Wo bleibt das Bühnen-Publikum? Bundestheater-Geschäftsführer Christian Kircher, mit Philipp Blom

Mo 13.6.2022 Gesellschaft zwischen Genuss und Sucht.

Psychiatrie Georg Psota und Psychosoziale-Dienste-Chefarzt Michael Horowitz, mit Barbara Zeithammer

Di 14.6.2022 Hitze durch die Klimakrise. Klima-Professorin Birgit Bednar-Friedl, mit Xaver Forthuber

Mi 15.6.2022 Der freie Wille - eine Illusion? Philosophin Anne Sophie Meincke, Das Konzept der Willensfreiheit, mit Philipp Blom

Fr 17.6.2022 Stichwahl in Kolumbien. Politikwissenschaftler Aaron Tauss, mit Johann Kneihs

Mo 20.6.2022 Österreich ein "Paradies für NS-Täter"? Widerstands-Dokumentationsarchiv-Mitarbeiterin Claudia Kuretsidis-Haider, mit Natasa Konopitzky

Do 29.9.2022 Taiwan bedroht von China und Naturkatastrophen. Schriftstellerin Alice Grünfelder und Theaterwissenschaftlerin Freda Fiala, mit Andrea Hauer

Fr 30.9.2022 Kameras und Augenblicke. Fotografin Elfie Semotan und Schriftsteller Ferdinand Schmatz, mit Andreas Obrecht

Mo 3.10.2022 Unsere Unterwerfung unter unser Ich-Ideal. Philosophin Isolde Charim, mit Johann Kneihs

Di 4.10.2022 Covid noch Krise? Wirtschaftssoziologe Bernhard Kittel, Virologin Dorothee von Laer und Ethiklektor Johann Platzer, mit Xaver Forthuber

Mi 5.10.2022 Vorblick auf Tagung Der historische Vergleich. Geschichtsdozentin Heidemarie Uhl und Geschichteprofessor Martin Sabrow, mit Barbara Zeithammer

Fr 7.10.2022 Die Wirtschaft in der Rezession. Gewerkschaftsbund-Chefökonomin Helene Schuberth und Volkswirtschaftstheoretikerein Brigitte Hochmuth, mit Xaver Forthuber

Di 11.10.2022 Medienförderung und Qualitätsjournalismus. Stellvertretende Süddeutsche-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid und Publizistik-Prof. Fritz Hausjell, mit Johann Kneihs

Mi 12.10.2022 Vom Streikrecht. Produktionsgewerkschafter Reinhold Binder und Arbeitsrechtsexpertin Susanne Haslinger, mit Elisabeth Scharang


4. die Beleidigung auf Ö1 mit FM4- und Ö3-Musik in Spielräume Spezial


1. Die Kannibalisierung der Musik. Die sonntägliche Sendung „Gedanken“ mit ihrer Pop- und Weltmusik gehört auf Radio Wien oder Ö3 übersiedelt. Das dortige Publikum hat auch ein Recht auf den Blick über den akustischen Tellerrand hinaus. Gerhard Hafner einleitend in die Sendung Gedanken (kannibalisiert Gedanken für den Tag wochentags von 6:56 bis 7:00 Uhr, so wie das Guten Morgen Österreich in ORF2 seit 2016 gegenüber Guten Morgen Österreich auf Ö1 tut, mit verheerenden Rückwirkungen, deren sich die Ex-Fernsehjournalistin womöglich gar nicht bewusst ist, die sie aber ohne Rücksicht auf Verluste vollziehen möchte. Oder die sich steigernde Wechselwirkung der Frequenz der Ö1-Journale zu derjenigen der ZIBs auf ORF2. Kannibalisierung bedeutet, die Ö1-Sendung ihren guten Titel verlieren soll. Geplant: „"Guten Morgen mit Ö1" mit weniger Moderatorinnen und Moderatoren als bisher – und mehr integrierten Wortsendungen wie Digital Leben, Wissenschaft, Kultur.“ (https://www.derstandard.at/story/2000139561284/thurnher-fm4)

2. Arnold Schoenberg Chorleiter pro Austropop. Sonntag 26.6.22, 9.05-10.00 Uhr: „Allein, für die heutige Sendung hat sich Erwin Ortner bewusst gegen Chormusik oder Aufnahmen mit seinem Arnold Schönberg Chor entschieden. Die von ihm ausgewählten Musiknummer sollen seine Leidenschaft für Austropop und Volksmusik widerspiegeln“9:07:35-53 Hafner: „Die Musiknummern für diese ‚Gedanken‘-Ausgabe, allesamt Austropop, hat Erwin Ortner selbst zusammengestellt.“9:33:20-28 Ortners einzige Referenz auf Austropop in der ganzen Sendung: „Ich finde Ambros, ich finde Heller, ich finde Fendrich und Hirsch und Neuwirth sehr ehrlich. …“ In dieser Manier geht es eine ganze Minute lang (9:33:28-9:35:27), und es geht weiter im Klassiktreffpunkt am 2.7.2022, 10:10-12:00, indem die Moderatorin Ulla Pilz zur dortigen Musikauswahl Sonntag konstatiert: "Es war einfach nur Austropop."11:44:49-11:44:52 "Ha, hh, ha, ha, jo, ja. Des hot sein müssn. <etwas gezwungenes Lachen> Also ich hab eine, ich hab da eine gonz besondere Schwäche. Es gibt übrigens auch eine Verbindung zwischen Austropop und Schönberg-Chor"11:44:53-11:45:08 Pilz nach „A Glockn“ von Marianne Mendt (im Klassiktreffpunkt): "Sie haben ja auch gesagt, am Austropop fasziniert sie oft diese Ehrlichkeit. Woran kann man das festmachen?“ Ortner unmittelbar darauf verständlicherweise stotternd: „Ich glaub, ich glaub' generell, die Ehrlichkeit der Musik is' so, generell bei aller Musik, dass wieder, wenn man's wiederhört, ja?, also, ich stotter' immer bei dem Wort 'wiederhören', weil das Wort 'wiederhören' keine Wiederholung is'. Ja? Wir sind bissl älter geworden, und daher kann man's nicht wiederhörn, sondern man hört's noch einmal, ja? Und ich glaub', dass es wichtig ist, bei der Musik, das einfach zuzulassen, also man sagt, jo, des kenn i scho, so ungefähr. Oder, nein, do hob i jetzt eine neue Erkenntnis gewonnen oder eine neue Tiefe. Und das ist genauso bei den Meisterwerken des Abendlandes, natürlich muass i jetzt wieder sogn, Bach h-Moll-Messe, da ist mein Leben zu kurz, um bis ganz runter zu kommen. Aber es is auch bei den Jahreszeiten von Haydn das Leben zu kurz. Aber es ist auch bei mancher Musik, sag' ich wieder Ligeti. Weiß nicht, ob i Grand Macabre nit oft zu wenig gehört habe. Also des ist, und des is natürlich genau so bei der Popmusik oder bei der Austropopmusik. Des is', do gibts Nummern von Reinhard Fendrich, die früheren eher, muss ich sagen, die mich noch immer faszinieren. Die sind einfach ganz toll. Und natürlich auch von Ludwig Hirsch - ganz schwarze Musik, aber die einfach unter die Haut geht. Und und, ja Danzer darf natürlich a ned fehlen."11:51:48-11:53:32 Pilz: "Aber was für eine schöne Aussage, dass das Leben eigentlich zu kurz ist, alle Musik oft genug zu hören."11:53:40-45

3. Pubertäre Musik als Feind der E-Musik. Wenn die Ö1-Redakteure Klaus Wienerroither, Johann Kneihs, Wolfgang Schlag, Helmut Jasbar und wie viele denn noch Pop- und Rockmusik auf Ö1 spielen (es wird immer mehr), dann machen sie Ö1 kaputt. Es ginge noch an, wenn einmal monatlich freitags abendsknapp drei Stunden lang! – Pop- und Rockmusik von Elton John (Kneihs) bis Disco (Wienerroither), also Schwerpunkt 1970er Jahre, in musikhistorischer, musikpsychologischer, und lyrics-analytischer Hinsicht analysiert und in einen größeren Kontext gestellt werden würde. Aber das Niveau ist von der Moderation und teilweise auch Gästeauswahl dermaßen erbärmlich (auf der Ebene von pubertierenden Fans), dass es nur zum Schämen ist. So etwas wäre nicht einmal auf Ö3 möglich, von FM4 ganz zu schweigen. ORF-Stiftungsrat Christian Kolonovits konnte sich als Gast in der Sendung über Disco am 23. September wohl ein Bild davon machen. – Ö1! – Wienerroither war einmal der Partner der späteren Ö1-Musikchefin Elke Tschaikner, wie diese im Nachwort zu ihrer Diplomarbeit über Paul Whiteman an der mdw mitteilt. Das allein wird es hoffentlich nicht gewesen sein, warum er eine Anstellung bei Ö1 bekommen hat. War es seine frühere Jazzgitarrenperformance unter anderem mit Agnes Heginger? Seine Diplomarbeit „Die Variabilität im Ausdruck der Klangfarben von Musikinstrumenten“? Seine im Internet zusammen geklaubten Information (so wirkt es nämlich)? Am 14. 10. 2022 darf Wienerroither sich unter dem Sendungs-Haupttitel „In Concert – Jazz“ mit dem Hardrock von „Kalifornische Urgesteine mit runden Geburtstagen: Red Hot Chili Peppers“ austoben. Ein klarer Fall von FM4? Aber nein, es ist Ö1 (https://oe1.orf.at/programm/20221014). Und alle (?) schauen belustigt mit haha zu, wie der Sender den Bach hinuntergeht. So kommentiert masse statt klasse am 14. Oktober 2022, 14:43:33 immerhin mit Ich mag zwar r<ed>h<ot>c<hili>p<eppers>, aber die laufen grade auf oe1 und das passt irgendwie gar nicht... <worauf hin antwortet:> Tobias Röck DER STANDARD<-Redakteur> Oh, tatsächlich? Welcher Song und welche Sendung? Spannende Mischung haha“ (https://www.derstandard.at/story/2000139970088/gefahr-fuer-gis-gebuehrenlegitimation-kuenstler-warnen-orf-vor-rasenmaeher-fuer)

Stimmt schon. Es muss nicht so konservativ und zum Teil ohrwurmlastig zugehen wie im sommerlich sonntäglichen „Tolle Titel, starke Stücke“, das Musikredakteur Gerhard Hafner betreut, wenn etwa wie vom 7. 8. bis 4. 9. 2022 ein Wunschkonzert gebracht wird mit Musik von Ruby/Stothart, Khatchaturian, Schubert, Mayseder, Respighi, Rossini, Eduard Strauß, Leiber/Stoller, Luigini, Vivaldi, Bernstein, Beethoven, Johann Strauß, Chopin, Mozart, Bach, Verdi, Mancini, Ponchielli, Villoldo, Lara, Rodrigo, Mendelssohn-Bartholdy, Suppé, Bonporti, Leopold Mozart, Reisfeld, Berlioz, Händel, Johann Christian Bach, Confrey. Wie kann Ö1 dasjenige Publikum erreichen, das Moderneres will und verstehen lernen möchte? Durch eine weniger betuliche Signation? Durch abwechselnde Moderator:innen? Durch einen passenden Untertitel der Sendung? Das wären vielleicht Anfänge.

Dennoch ist es höchste Zeit, dass sich der ORF klar zur Hochkultur von Ö1 bekennt, wie sie im Programmauftrag klar definiert ist. Grenzüberschreitungen – auf hohem Niveau – sind willkommen. Sie liegen im Wesen der Künste. Aber es braucht Elton John nicht auf Ö1 neben Ö3 und den Regionalradios. Auf FM4 wäre er ohnehin nur unter besonderer Observanz und Kontextualisierung in Heart Beats geduldet, eine der musikalisch einzig interessanten Sendungen auf FM4 wochentags, 22 bis 0 Uhr. Die ORF-Generaldirektion ist aufgefordert, (Musik-)Farbe zu bekennen und der älteren Pop- und Rockmusik den gebührenden Platz auf FM4 und Ö3 zuzuweisen. Oder wird auf FM4 und Ö3 Beethoven gespielt? Eben. Und Ö1 ist aufgefordert, die monatlich Freitag abends stattfindenden Spielräume Spezial endlich einer Diskussion zeitgenössischer E-Musik im weiten Sinne zu widmen, von der die schon gebildeten Ö1-Hörer:innen etwas lernen können. Es gibt so viele interessante Musiker:innen! Vor denen würde sich ein Wienerroither ja verkriechen. Wenn schon Christian Scheib (es) müde ist, dann braucht es neue Expert:innen, die die beste Avantgarde-E-Musik von 1910 bis 1970 kennen und auch regelmäßig im Zeit-Ton spielen – wozu hat denn Österreich fünf oder sechs Musikuniversitäten, Musikologieabsolvent:innen und ein inzwischen, ansehnlich breites Publikum für zeitgenössische E-Musik? Nachsatz: Es braucht auch nicht den musikfeindlichen Peter Klien zur Besprechung zeitgenössischer Musik, dem sein Bruder und Komponist Volkmar Klien im Dialog nicht gewachsen ist.


5. die Verantwortlichkeit des Generaldirektors und der Radiodirektorin


Einseitige Eigenwerbungen von Ö1 wie das blasenartig dümmliche Schlagwort „Jazzsender Ö1oder alternativ Klassiksender Ö1oder alternativ Opernsender Ö1“ zu Beginn der zweiten Stunde der Jazznacht am Sonntag rufen verständlicherweise Ö1-interne Reaktionen hervor. Für uns hörbar spricht am 28. 7. 2022 im Bericht über den Radiotest Politikjournalistin Birgit Pointner aus, was wohl nicht nur sie allein denkt: Der Informations- und Kultursender Ö1 erreicht täglich 790.000 Menschen, die Tagesreichweite liegt bei knapp zehn Prozent, bei den Über-Fünfunddreißigjährigen sogar über 12,8 Prozent.(12:40:04-12:40:12) Der Ö1-interne Kampf hat aber längst alle erfasst. So ist an der folgenden, im Beitrag „Die Blaue Seite <orf.at> als ewiges Feindbild“ von #doublecheck versteckten Meldung nicht so sehr bemerkenswert, dass sich Generaldirektor Roland Weißmann zu einem Dementi gezwungen sieht. Es ist das unverhohlene Eingeständnis, dass die Ö1-Radio-Politikredaktion schon seit Langem gegen die Musikredaktion (Guten Morgen Österreich) andenkt, wie schon am Verhalten gegen eine Petition für den Verhalt des musikprotokolls abzulesen war (https://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/2017.2.html#k._Ist_die_zeitgen) und das vorbei an Ö1-Hörer:innen und Öffentlichkeit: zu Ö1 hat <Radiodirektorin Ingrid> Thurnher das Schlagwort 'Weniger Köchelverzeichnis, mehr Content' geprägt und damit gemeint, es soll speziell in der Primetime, in der Früh, mehr Wortsendungen geben, etwa zwischen den Morgenjournalen, ein schon lange gehegter Plan. Übrig geblieben ist aber, dass Ö1 als Kultursender in Gefahr sei. Die Kulturszene von den Salzburger Festspielen über die Wiener Philharmoniker bis hin zu Wanda und Bilderbuch hat entsetzt reagiert und Offene Briefe dagegen geschrieben. ORF-Chef Roland Weißmann sagt dazu im #doublecheck-Interview: 'Man muss schon dann seine Worte immer natürlich mit Bedacht wählen und sozusagen, wenn das Eine oder Andere vielleicht nicht genau den Sinn trifft, den man eigentlich erreichen will, da muss man sich dann hinterfragen und es ist sicher nicht im Sinn des <unverständlich>'. Kolportiert wird, dass etwa die Ö1-Jazznacht und Sendungen wie Passagen, Kunstradio und Zeit-Ton eingespart werden könnten. Dazu stellt Weißmann klar: 'Ehrlicherweise, diese Sparvorschläge, die da aus der Mannschaft <!> gekommen sind, die gefallen mir auch alle nicht. Also, das werde ich mir schon ganz genau anschauen, ja, weil Verunsicherung für Kunst- und Kulturschaffende, das brauchen wir derzeit überhaupt nicht.'“ (#doublecheck – das Ö1 Medienmagazin, 7.10.2022 von 19 Uhr 05 bis 19 Uhr 30 von Stefan Kappacher und Rosanna Atzara, 19:19:47-19:20:56)

Es gibt neben der damit offen gelegten programmlichen Meinungsverschiedenheit noch eine andere Wahrheit, nämlich die keineswegs kostenneutralen Erweiterungen des ORF seit den 1990er Jahren:

- die Gründung von FM4 1995,

- die Übersiedlung von Ö3 in ein neues Haus 1996,

- die Gründung und der Ausbau der blauen Seite orf.at seit 1997,

- die organisatorische Aufstufung des Sendesaals zum Radiokulturhaus 1997,

- der Kanal ORF SPORT+ mit vier Stunden Neuprogramm pro Tag seit 2006,

- die TVthek seit 2009,

- der Kanal ORF III für Politik-Information und Kultur seit 2011,

- der Facebook-Auftritt von Ö1 ab 2013,

- die TV-Audiodeskription und TV-Untertitelung,

- die „Nachrichten in einfacher Sprache“ im Teletext,

- die „Nachrichten leichter verständlich“ im Teletext

- nicht zuletzt die Webpage oe1.orf.at mit zahlreichen direkten und erweiternden Angeboten, auf deren Inhalte die Ö1-Sendungen erstaunlicherweise so gut wie nie eingehen. Diese Angebote stellen laut Jahresbericht für 2021, Seite 147, mehr als ein Drittel der Anzahl der Beiträge überhaupt des gesamten Webauftritts von orf.at (https://der.orf.at/unternehmen/recht-grundlagen/jahresberichte/index.html).

Das kostete und kostet Geld. Aber diese Erweiterungen, die Ö1-Webseite inbegriffen, haben zu keiner Radio-Gebührenerhöhung geführt. Es wurden nicht einmal Anstrengungen unternommen, diejenigen User zur Entrichtung der Radio-GIS-Gebühr zu bewegen oder zu verpflichten, die Ö1 nur digital nutzen und keine Gebühr entrichten. Das ist hilflos. Ich und viele andere wären über die ohnehin moderate Radiogebühr hinaus bereit, für die Ö1-Webseite mit ihrem Streaming-Angebot extra etwas zu zahlen. Wenigstens Franz Renner, der zum Geldmangel wie alle (!) anderen Ö1-Redakteure sich sonst öffentlich nie zur immer engeren Lage äußert (Maulkorb?), flehte am Freitag 20. 5. 2022 Lothar Lockl im Interview anlässlich dessen soeben erfolgter Bestellung als neuer Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats an, etwas gegen die Einsparungen besonders auch im Radio zu tun. (Lockl: Korrekturbedarf im ORF-Gesetz“, 12:20ff.)

Jetzt soll Ö1 sparen. Und die ORF-Generaldirektion mit Roland Weißmann und Ingrid Thurnher wollen Sendungen abschaffen. Das argumentieren Thurnher und Weißmann verwirrend, und sie argumentieren auch mit Verachtung und Unkenntnis. Der Widerspruch zwischen Sparen und erhöhter Attraktion am Morgen von Ö1 durch mehr Info lässt auch schwer auflösen. Das bei Zeit-Ton und anderen Sendungen Eingesparte soll nämlich bei mehr Info am Morgen wieder ausgegeben werden. Auch kostet die immer kleinteilige Information mehr, als Musik zu spielen, wenn man nicht einfach mehr Beiträge rotieren will, wie das bei Morgenjournal und Journal um Acht schon jetzt der Fall ist. Bedingung dafür wäre aber auch, dass das nicht nur die Ö1-Politik-Redaktion, sondern auch das Ö1-Publikum will. Will es das?

Hier die wichtigen Ausschnitte aus der alarmierenden Diskussion, die Harald Fidler mit Beiträgen an jedem Tag seit dem 30. September förderte, zuerst mit Liste an Links zu diesen Beiträgen:

30.9.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139569800/oe1-muss-900-000-euro-einsparen-zeit-ton-jazz-radiohund

30.9.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139561284/thurnher-fm4

1.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139597629/junges-oe3-auf-fm4-frequenz-kulturschaffende-protestieren-gegen-anschlag-auf

2.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139578284/fm4-moderatoren-duscher-gratzerwir-schimpfen-ueber-alle

2.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139612215/weissmann-weder-soll-aus-fm4-ein-junges-oe3-noch-aus

3.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139642527/sparplaene-fuer-oe1-kahlschlag-mit-einem-nie-dagewesenen-schaden

4.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139655661/sparen-bei-oe1-umbauideen-fuer-fm4-radio-betriebsrat-sieht-verschleppte

5.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139713472/moegliche-kuerzungen-bei-oe1-thurnher-offen-fuer-gespraech

5.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139720430/mediennovellen-investment-in-medienvielfalt

5.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139716126/grazer-musikprotokoll-festival-mit-komponistinnen

7.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139772197/fm4-redaktion-protestiert-gegen-ingrid-thurnhers-irritierende-plaene-fuer-den

8.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139789939/orf-plaene-die-reform-kommt-von-den-raendern

9.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139791512/orf-radio-der-gegenkulturauftrag

10.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139838750/fm4-und-oe1-als-kulturerbe-sichern-schlaegt-spoe-kultursprecherin-heinisch

11.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139831288/label-chef-tschuertzdas-problem-ist-oe3-und-nicht-fm4

11.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139861413/kulturerbe-status-fuer-akut-gefaehrdetes-oe1-wurde-von-ig-autorinnen

12.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139827451/mehrheit-zweifelt-ob-orf-die-gis-rundfunkgebuehr-wert-ist

13.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139929747/orf-general-weissmann-rundfunkgebuehr-ohne-heutigen-gis-apparat-moeglich

13.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139904455/orf-stiftungsraetin-pilz-ueber-gishaustuergeschaeft-wie-die-zeugen-jehovas-ist

14.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139970088/gefahr-fuer-gis-gebuehrenlegitimation-kuenstler-warnen-orf-vor-rasenmaeher-fuer

14.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139979250/kompromiss-ueber-sparbudget-fuer-oe1-kolportiert-350-000-statt-900

30.9.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139569800/oe1-muss-900-000-euro-einsparen-zeit-ton-jazz-radiohund

Fidler: „Infrage gestellt wären nach diesen Informationen etwa die "Jazznacht", das "Kunstradio", "Passagen", "Kinderuni", "Heimspiel", "Philosophie am Feiertag". Auf der Sparliste soll zudem "Zeit-Ton" für moderne, auch experimentelle Musik im Nachtprogramm von Ö1 stehen. Kolportiert werden weiters "Rudi, der Radiohund" und "Moment am Sonntag" als mögliche Streichkandidaten im Zuge eines größeren Sparprogramms.“ Thurnher: „"Allerdings sollen sich die Einsparungen bei Ö1 vor allem auf weniger gehörte Sendungen und programmliche Randzonen beschränken, um die Auswirkungen auf unser Publikum möglichst gering zu halten. Gleichzeitig haben wir uns vorgenommen, Programminnovationen in der Radio-Primetime umzusetzen. Dazu zählt beispielsweise eine Stärkung der Ö1-Morgensendung."“

30.9.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139561284/thurnher-fm4

Fidler: "Guten Morgen mit Ö1" mit weniger Moderator:innen und Moderatoren als bisherThurnher: „Vielleicht braucht man in FM4 auch ein bisschen weniger Ö1.“ „ich schaue mir … bald einmal aus Interesse BR24 <Spartenkanal allein für Nachrichten, seit 1991> in Bayern an.“ „es sind die Wortinhalte insgesamt bei Ö1 erfolgreich – "Radiokolleg" oder Kurzformate wie "Betrifft: Geschichte". Ich verrate nicht allzu viel, wenn ich sage: Die würde ich gerne stärken, vor allem zur Radio-Primetime.“ „Um 7.30 Uhr auf einmal vom "Journal" zur Musik zu wechseln erscheint mir nicht mehr passend. Ich hätte gerne in der Früh mehr Content, weniger Köchel-Verzeichnis.“ „Das Publikum erwartet, dass es von einer Stimme länger begleitet wird. Und ich fände es schön, wenn mir die ganze Woche dieselbe Person in der Früh auf Ö1 begegnen würde.“ „"Punkt eins" ist auch ein großes Anliegen von mir. Am liebsten wäre mir für diese einzige aktuelle Phone-in-Sendung eine Orientierung an möglichst tagesaktuellen Themen. Ich weiß, das verlangt der Redaktion viel ab. Aber eine Vertiefung gleich nach dem "Mittagsjournal" ist so logisch. Ein bisschen wie ein täglicher "Runder Tisch" mit Publikumsbeteiligung.“ „Mein Schwerpunkt ist ganz klar in der Radio-Primetime auf Ö1 am Morgen beim Wortinhalt.“ „Natürlich hat Ö1 als Info- und Kultursender auch eine Aufgabe als Kulturproduzent. Das ist eine wirkliche Funktion von Ö1, die wir nicht aufgeben dürfen. Aber vielleicht geht nicht mehr alles, was bisher gegangen ist.“ Zu Ö3, wie es ist: „In dieser Verpackung kann man die Leute vielleicht eher mitnehmen als dort, wo eine große Signation ankündigt: Jetzt wirst du informiert!“ Proton44 kommentiert am 1. Oktober 2022, 07:21:52: „Nur aus der Sicht der Hörer zu entscheiden, resultiert im Vorhof der ‚Ö3 Wecker Hölle‘“. plot_in kommentiert am 1. Oktober 2022, 01:42:00: „Es geht ausschließlich um Zahlenoptimierung in dem Interview. Wo ist die Vision, wie Ö1 oder FM4 oder Ö3 in Zukunft sein sollen?“ Und al o'quent kommentiert am 30. September 2022, 16:47:05, „dass das Ö1-Publikum nicht nonstop content haben will, weil das kein Mensch aufnehmen kann und würde auch vermuten, dass man in "punkt eins" (das sehr wohl aktuelle aber keinen tagesaktuellen Themen behandelt) nicht noch einmal alles durchkauen will, was den ganzen Tag schon in den Journalen thematisiert wird.“

2.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139612215/weissmann-weder-soll-aus-fm4-ein-junges-oe3-noch-aus

mape2301 kommentiert am 1. Oktober 2022, 16:26:37: „In Ö1 gabs am Karfreitag um 15h eine Schweigeminute. Radio hören ohne was hören. Das hatte Stil.“

Noch ist es zu früh, aus einer laufenden Diskussion Schlüsse zu ziehen. So viel lässt sich aber bereits jetzt sagen:

(A) Thurnhers angedachte weitere Verflachung von Ö3 punkto Nachrichten ist demokratiefeindlich. Aber was auch schon bis jetzt zu Ö3 zu fragen wäre: Beruht der kommerzielle Erfolg von Ö3 darauf, dass Politikhass und Impfgegnerschaft entstanden sind und mehr als 50 % der Befragten der Linzer Studie die ORF-Gebühr und damit den ORF insgesamt ablehnen (der das nicht verdient)? (12.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139827451/mehrheit-zweifelt-ob-orf-die-gis-rundfunkgebuehr-wert-ist) Nicht weit entfernt ist die Intoleranz, die einem von vielen Poster:innen auf derstandard.at entgegenschlägt. Sie wollen nur Jazz oder keine Oper oder keinen Radiohund oder keine Religion oder nur Journale. Diese Intoleranz, die das Vollprogramm und die Gesellschaft auseinanderreißt, könnte man als Aufruf zu Segmentierung deuten wollen. Jedem das Seine. Nur, Segment ist heute bald nur mehr ein anderes Wort für Blase, dafür, sich nur mehr in der eigenen Community aufzuhalten.

(B) Angesichts dessen verschlägt es den Atem, über Folgendes an Antwort auf Thurnher nachzudenken, etwa dass man den Radiohund durch benachbarte Didaktik-Musiksendungen abstützen könnte (Klassik, zeitgenössische E-Musik, Jazz, Musikinstrumente brauchen eine Hinführung; ohne sie keine Liebe anspruchsvollerer Musik. Oder das Köchelverzeichnis (Mozart!), einmal nicht-metaphorisch genommen. Dieses oder andere Musikwerkverzeichnisse werden auf Ö1 schon seit über 30 Jahren in Guten Morgen Österreich so gut wie nicht mehr zitiert. Was aber hier von Thurnher thematisch unfreiwillig berührt wird: Die Beschreibung gespielter Kompositionen gehört zu dem Wissen oder derjenigen Bildung, ohne die es Nähe zu klassischer, zeitgenössischer und Jazz-Musik nicht gibt. Bildung aber funktioniert wiederum nicht ohne Sinn für das Historische. Daher wäre dosiertes Erwähnen des Jahres oder Zeitraums der Komposition hin und wieder besonders wichtig, eben Information, wie sie der dilettierende Ludwig von Köchel für Mozart sammelte. Besonders Kleinmeister der letzten 250 jahre, die in Guten Morgen Österreich wegen der leichten Bekömmlichkeit gerne gespielt werden, sollten mit Jahreszahlen versehen sein. Vor vierzig Jahren war es auf Ö1 selbstverständlich, die Entstehungs- oder Veröffentlichungszeit des Stücks zu nennen, wie etwa regelmäßig in der Klassiknacht. Aber, klar, dass heute „KV“ (Köchelverzeichnis) und „Deutsch“ (Deutsch-Verzeichnis für Schubert) so einschüchternd wirken kann wie vor Jahrzehnten Latein.

(C) Thurnher soll die von ihr erwähnten Music-Mapping-Studie und Audiomarkt-Studie vorlegen, auf die sie sich beruft, und dann ihre Meinung dazu sagen. Dann kann man die Studien, aber auch ihre Meinung beurteilen.

Ist zu befürchten, dass diese Diskussion mit den Mitarbeiter:innen des in sich gespaltenen Ö1 nicht in der Ehrlichkeit geführt wird und werden wird, die der Sache gut täte? Generaldirektor Weißmann und Radiodirektorin Thurnher sind jedenfalls aufgerufen, auch in dieser Hinsicht ihre Verantwortlichkeit wahrzunehmen. Was zeigt dazu Jakob Brossmanns und David Paedes von Nikolaus Geyrhalter produzierter kinolanger Dokumentarfilm Ö1 „Gehört gesehen - Ein Radiofilm“ von 2019?

Er zeigt die schwierige Führungsstruktur von Ö1. Aus einer irgendwie permanent verordneten, jedoch balsamierenden Reflexion können keine Veränderungen hervorgehen. Eine größere Runde von Ö1-Sendungsgestalter:innen erscheint von einer seltsamen Mutlosigkeit befallen. In einem Ausschnitt aus einer Diskussion dieser Runde zieht der vormalige Ö1-Chef Peter Klein Ö1 zynisch hinunter, indem die Sicht einer rechtsextremen Minderheit auf Ö1 halb ironisch suggeriert: „Ich finde, man kann einmal relativ ungeschützt die These wagen, dass Ö1 generell so wahrgenommen wird: Erstens, der Kapitalismus ist Scheiße. Zweitens, die Globalisierung ebenso. Drittens, die multinationalen Konzerne repräsentieren das Böse schlechthin. Viertens, wir stehen grundsätzlich auf Seiten der Armen, Entrechteten und der Geknechteten. Und fünftens übersehen wir darüber gern weltweite Entwicklungen nur, weil sie uns ins Weltbild passen.Der frühere Diagonal- und vormalige Von-Tag-zu-Tag- und Menschenbilder-Gestalter Rainer Rosenberg: Maanst du des jetzt im Ernst?“ „Ja.<Aus dem Off:> „Dann würd i sagen,“ Rosenberg: „hörn mia auf.“ Klein: „Ich sagte ja, es wir nicht ganz ohne Provokation gehen.“ Rosenberg: Ja, aber meinst du’s ernst, oder provozierst du? Des ist die Frage.“ Klein: „Lass uns darüber diskutieren, ja?“ Rosenberg: Also erstens, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus der Aufklärung kommend ist linksextrem. Des muass ma amol zur Kenntnis nehmen in dieser Welt, die du uns da geschildert hast. Natürlich, ja, <die Kamera auf den grinsenden Klein> ich weiß schon, es imponieren aan hoit Menschen, die in Chile inhaftiert worden sind, dann in der comunidad es überlebt haben. Aber das waren natürlich Linke. <Klein grinst weiter> Und de ham für Werte gekämpft, für die der ganze Sender, der ganze ORF stehen, nämlich für die Demokratie,“. (38:43ff.) Rosenberg, dem keiner in der Gruppe beizuspringen wagt, hat weitgehend recht. Ohne den breiten antifaschistischen Konsens zwischen ÖVP und SPÖ nach 1945 hätte es die grundlegende, alles umfassende ORF-Reform Mitte der 1960er Jahre nicht gegeben, von der die gesamte ORF-Flotten-Struktur mitsamt Ö1 im Wesentlichen bis heute zehrt – trotz Bogdan Roščićs Umbau von Ö3 zu einem verflachten Formatradio in den 1990er Jahren. Schnitt. – Später, Minuten 58:00ff. übt Klein Kritik an zwei Kolleg:innen, die sich durch die damals bereits gestrichenen Sendungen „Nachtquartier“ und „Ö1bis2“ gekündigt wurden und zu diesem Vorgang zwei Posts auf Facebook absetzten. Klein: Die Miriam <Jessa> hat dann auf die Kommentare noch einmal geantwortet. Und im zweiten Posting schreibt sie, dass die Musik auf Ö1 zur Zeit ein wenig marginalisiert wird. Und dann hat sie noch ein Posting nachgelegt, wo sie schreibt, das ‚ein wenig‘ nimmt sie wieder zurück.(59:14-59:38) Die Leute auf Facebook hätten wissen wollen, warum. Klein unmittelbar dazu, vor der Dokumentarkamera: „Oba des wissen wir ja alle.“ (1:00:12-1:00:46) Daraufhin der vormalige Diagonal-Leiter Peter Lachnit: „Nein.“ Klein „Ich meine, dass wir eine gewisse Summe Geld einzusparen haben, sozusagen große Summe, dass das Programmschema unter anderem auch damit zu hat, das ist ja kein Geheimnis. Nur, wir werden nicht darauf hinweisen. Wir werden ned sogn, diese und jene Programminnovation is unter anderem auch das Ergebnis der Tatsache, dass wir weniger Geld zur Verfügung haben.“ Also Maulkorb! Und das, obwohl permanent Einsparungsgefahr droht. Klein später: „I hob irgendwie gedocht, dass ma aus dem Reformjohr 2017, wo kein Stein auf dem anderen geblieben ist, 2018 a bißl a Entspannung eintritt. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt, wie’s aussieht. Es kommt ein beträchtliches Einsparungsvolumen auf uns zu im Johr 2018, von dem bei weitem no net olles geklärt is außer der Tatsache, dass es groß sein wird und uns vor ziemliche Herausforderungen stellen wird.(1:16:30ff.) Das ist teilweise selbst auferlegter politischer Druck, teilweise aber ideologischer Druck, um das Mindeste zu sagen, mit dem der gesamte ORF nur schwer umgehen kann. Das bezeugen viele Reaktionen auf die jüngste, von Der Standard in Auftrag gegebene Studie. (12.10.2022 https://www.derstandard.at/story/2000139827451/mehrheit-zweifelt-ob-orf-die-gis-rundfunkgebuehr-wert-ist)


6. die Neuen Medien und Ö1


Das sich Ö1 und vielleicht überhaupt der ORF bei den digitalen Medien schwer tut, müsste nicht sein. Es gibt genügend junge und ältere Mitarbeiter:innen, die eine Ahnung und Ideen haben. Nur, was als Sendung ein gutes Zeichen für eine Auseinandersetzung in Ö1 war, wurde inzwischen leider gestrichen, das feiertägliche Neues aus der Hörbücher- und Podcastwelt <ein erstmalig neuer Titel des Feiertags-Magazins – bisher unter dem Titel „Neues aus der Hörbücher-Welt“>. Präsentation: Monika Kalcsics, Ö1, am 1.11.2019 14:05-15:00. Hier aus ihrer vorbildlichen Einführung der Sendung: „Ab der heutigen Sendung wollen wir nicht nur neu erschienene CD-Produktionen vorstellen, sondern auch Geschichten und Themen, die als Podcasts erschienen sind. Damit möchten wir auf den sich schnell verändernden Hörmarkt und die neuen Hörgewohnheiten reagieren. Podcasts sind, einfach gesagt, Radiosendungen im Internet, die man abonnieren und jederzeit hören kann. Podcasts können entweder über eine App am Smartphone oder direkt im Webbrowser gehört werden. Das Wort setzt sich übrigens zusammen aus der englischen ‚Rundfunk‘-Bezeichnung ‚Broadcast‘ und der Bezeichnung für den zur Entstehungszeit marktbeherrschenden und tragbaren mp3-Player iPod, mit dessen Erfolg Podcasts direkt verbunden wurden.“14:31:50-14:32:40

Dass die Jungen wenig Radio hören ist bekannt. Ich habe 2017 einen Vorschlag zu einem Podcast für Ö1 gemacht (https://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/2017.2.html#x._eine_Sendung_als_Modell_der_Zukunft.). Hier ein weiterer Vorschlag, dessen Aufgreifen der (zukünftigen) ‚Gefahr‘ für das Radio durch Spotify und ähnliche Musikanbieter begegnen könnte. Spotify hat zu jedem Stück Musik schriftliche Basisinformation von Titel, Artist und Dauer, dann auch weitere kommerzielle Informationen. Spotify hat (noch!) keine Erweiterung der App um die einstellbare Hörbarmachung der Basisinformation durch von den Konsument:innen auswählbare, künstliche Stimmen, die einem Stück voran- oder nachgestellt werden könnte. Mit einer solchen App-Einführung könnte Ö1 unter Wahrung allfälliger Rechte Nutzung sein Musikarchiv auch für Junge attraktiv nutzen. Hier könnte Ö1 sogar einmal digitale Vorreiterschaft zeigen. Der Effekt wäre keine Konkurrenz zum linearen On-Air-Programm, sondern eine kommerziell verwertbare Erweiterung des Angebots. Die App würde auch die Bedeutung der traditionellen Live-Sendung in überzeugender Adressierung eines möglichst großen, diversen Publikums für das Vollprogramm Ö1 erhöhen.


7. Über Passagenwirkungen, die das Passagenwerk zerstören


Ö1 ist nicht „Informations- und Kultursender“. Ö1 ist Kultursender. Kultur ist der weitere Begriff. Es gibt Buchkultur, Zeitungskultur, Webkultur und eine Kultur politischer Nachrichten im Radio (alle drei sind heutzutage unter Druck und in Transformation begriffen), also gibt es Informationskultur. Es gibt Kulturkritik im Sinn von Kunst, Musik-, Literatur-, Architektur- etc. -kritik, weiters Kulturnachrichten, Kulturtipps. Letzteres wäre Kulturinformation, ein oder mehr als ein Eintrag ohne Empfehlung. Aber was hier als Kultur Gegenstand ist, sind Künste, Kulturkritik wäre bereits zum Teil Theoretisches (Axel Corti) – sie würde auch noch andere kulturelle Äußerungen der Lebenskultur wie Spiel, Religion, Sport und so weiter umfassen. Andererseits umfasst Information jegliche Wortsendung, etwa Gedanken für den Tag, Lebenskunst, Im Gespräch, Radiogeschichten, Rudi! Radio für Kinder, Die Hörspiel-Galerie, Hörbilder, Radiokolleg – der von Pointner beabsichtigte Informationsbegriff jedoch würde kaum alle diese Sendungen aufnehmen. Kultur schließt aber Information ein. Jede Kunst ist als Teil von Kommunikation auch Information. Aber nicht jede ‚Information‘ als Teil von Kommunikation ist Kultur: Radio- oder Fernseh-Information im Sinn politischer Nachrichtenredaktionen. ‚Die‘ Radio-Information ist weder Kultur im Sinn einer Kunst, die immer eine eigene Institution ist. Noch ist Radio-Information schon automatisch Kultur im wertenden Sinn – dazu bräuchte es die erforderliche Ausstattung und die darauf aufbauenden Journal-Moderator:innen wie Christl Reiss und Werner Löw. Letztlich ist aber in einem Radio-Vollprogramm wie Ö1 alles Kultur: Musik, Literatur, Gespräch und eben auch ein Nachrichtenmagazin. Deswegen ist Ö1 als Vollprogramm ein Kultursender, man mag es abwertend konnotieren, wie Wolfgang Schlag es auf Ö1 tut, oder auch nicht.

Wie jedes öffentlich-rechtliche Kommunikationsmedium ist Radio in erster Linie oder als Radioflotte Vollprogramm. Vollprogramm? Das ist, der staatliche Repräsentant muss demokratisch wollen, dass die Ausdrücke aller seiner Mitglieder mit all ihren Bedürfnissen, Inhalten, Formen und Weisen wechselseitig für einander zu Gehör kommen. Dagegen arbeiten Spartenprogramme für Information oder Popmusik oder klassische Musik der Segmentierung der Gesellschaft zu, die undemokratischen Einflüssen und Einseitigkeiten Tür und Tor öffnet. Wer beispielsweise an politischer Information interessiert ist, soll gemäß öffentlich-rechtlichem Versorgungsauftrag auch denen zuhören wollen oder dazu gewonnen werden sollen, die etwas musikalisch zu sagen haben. Wer etwas musikalisch zum Ausdruck bringen will, soll auch daran interessiert sein, was andere in Interviews, Nachrichten, Gesprächen über die Welt denken. Offene, gebildete Bürger hören einander zu, reden miteinander in allen verfügbaren künstlerischen und diskursiven Ausdrucksformen. Das ist Demokratie, ein öffentlich-rechtlicher Sender ist zu ihrer Verwirklichung da.

Der deutsche Philosoph und Literaturwissenschaftler Walter Benjamin schrieb, von den Nazis bis zu seinem Selbstmord 1940 verfolgt, an seinem Passagenwerk. Dieses große Buch sollte die Pariser Passagen als Signum der Epoche der Moderne zu dokumentieren. Passagen, das sind jene noblen mit Glas überdachten, geräumigen Straßen und Plätze des 19. Jahrhunderts, die zum Flanieren zwischen den dort versammelten Geschäften und Kaufhäusern eine Traumwelt eigener Art bieten. Diese bald auch elektrisch ausgeleuchteten Konsumräume, später in elektrische zeitbasierte Medien übersetzt, durchdringen seither alles, was an Programm geboten wird. Es sind die Massenmedien und deren Zwischenräume, heute Internet, Fernsehen und Radio.

Insbesondere Rundfunksendungen können ohne Passagen nicht auskommen. Es sind die akustischen Merkzeichen und Verbindungen zwischen und innerhalb der Sendungen selbst. Hier sind die Passagen von Gewicht vor allem die Moderationen. Sie leiten von einem Sendungsteil zum nächsten, egal ob Redebeitrag oder Musikstück. Dieses Gebilde von Übergängen, diese Rahmen sind nicht neutral. Sie sind verschiedenen Kräften ausgesetzt. Das, wie gezeigt, zur Kraftprobe führen. Dann werden Medien auf Belastungsproben gestellt. Anstatt ein Passagenwerk mit ästhetischen, kritischen und utopischen Anteilen zu bilden, die die kommerziellen Passagen aus dem 19. Jahrhundert, wie es die Vorläufer der Shopping Cities auch waren – wie Benjamin herausarbeitete – , könnte ein Abfüttern und Eintrichtern sein. Dann werden Passagen von Passagenwirkungen durchkreuzt. Das öffentlich-rechtliche Medium hätte sich abgeschafft. Nur ein Vollprogramm als Ganzheit kann das utopische Potenzial im Warencharakter des Passagenwerks Radio wahren. Die Passagen des Übergangs – die Wirkungen der Moderation – enthüllen letztlich, was die Hauptsachen Konzert, Oper, Nachrichtenmagazin, Diskussion im pragmatischen Umgang auch sein können: Passagen unseres Lebens.


Botschaft in E-Mail und Adressat:innen zur Bekanntmachung


Sehr geehrte Chefredakteur:innen österreichischer Tageszeitungen,

sehr geehrte Erstunterzeichner:innen der Petition "Offener Brief: Erhalt des österreichischen Musiklebens – Einladung zum Dialog",

sehr geehrte weitere Vertreter:innen österreichischer Kulturorganisationen,

sehr geehrter Herr Generaldirektor Weissmann,

sehr geehrte Frau ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher,

sehr geehrter Herr ORF-Stiftungsratsvorsitzender Lockl,

sehr geehrter Herr ORF-Stiftungsrat Christian Kolonovits

sehr geehrte Ö1-Redakteur:innen,

zur vertiefenden Diskussion der Musik- und Kulturfeindlichkeit an Ö1 durch die ORF-Generaldirektion, aber auch in Ö1 selbst erlaube ich mir, Sie auf meinen heute abgeschlossenen und online gestellten Text „Über Ö1 Feinde der Musik und Kultur“ hinzuweisen: https://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/2022.4.html.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Mahr

Dieses E-Mail geht an:

- die Chefredakteur:innen österreichischer Tageszeitungen (Kurier, Oberösterreichische Nachrichten, Der Standard, Die Presse, Vorarlberger Nachrichten, Tiroler Tageszeitung, Salzburger Nachrichten, Kleine Zeitung, Niederösterreichische Nachrichten),

- Medienredakteur Harald Fidler (Der Standard),

- die Erstunterzeichner:innen der Petition "Offener Brief: Erhalt des österreichischen Musiklebens – Einladung zum Dialog" (https://chng.it/bHC49HkmQb) unter Federführung von Klangforum Wien mit Intendanten Peter Paul Kainrath (Österreichischer Kunstsenat, Salzburger Festspiele, Österreichische Bundestheater, Wiener Konzerthaus, Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Wien Modern, Steirischer Herbst, Wiener Philharmoniker, Wiener Symphoniker, Kunstuniversität Graz, mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Universität Mozarteum Salzburg, MUK – Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, Anton Bruckner Privatuniversität, Gustav Mahler Privatuniversität für Musik, Jam Music Lab, Porgy & Bess, Music Austria, Österreichischer Musikrat, Austrian Composers Association, Internationale Gesellschaft für Neue Musik/Österreich, Osterfestival Tirol, Bruckner Orchester Linz, Symphonieorchester Vorarlberg, Tonkünstler-Orchester, Bund Sozialdemokratischer AkademikerInnen,Intellektueller und KünstlerInnen, Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft, Dachverband unabhängiger Tonträgerunternehmen,Musikverlage und Musikproduzenten Österreichs, KAIROS Label für zeitgenössische Musik),

- weitere Vertreter:innen österreichischer Kulturorganisationen (Musikergilde, IG Autorinnen Autoren, Österreichische Gesellschaft für zeitgenössische Musik, IG Kultur Österreich),

- ORF-Generaldirektor Roland Weissmann, ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher, ORF-Stiftungsratsvorsitzenden Lothar Lockl, ORF-Stiftungsrat Christian Kolonovits, Ö1-Redakteurin Sonja Watzka, Ö1-Redakteurin Sabine Oppolzer, Ö1-Redakteur Stefan Kappacher und Ö1-Redakteurin Rosanna Atzara.


Peter Mahr © 2022

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