peter.mahr

 
<2017.2.> Wolfgang Kos und der Niedergang von Ö1. 581.580 Zeichen. Online 28. 6. 2017, mit einer Stellungnahme von Bertl Mütter (29.06.2017 13:14, online 31. 7. 2017, modifiziert 21.09.2017 17:14, 1.343 Zeichen), einem Schluss (98.321 Zeichen online 30. 9. 2017) und einem in diesen, vor "Zusatz A", integrierten Absatz (3.539 Zeichen online 16.12.2017) .html



a. Geld

b. "Ö1 bis zwei" - vorbei! Tell Danzinger the News

c. Wolfgang Kos' Ö3-Museum auf Ö1

d. Pink Floyd, Eela Craig und die Regression

e. drei Zwischenfragen: Spielen Ö3 und FM4 klassische Musik? Axiom

f. die Ö1-Musikchefin: Avantgarde-Leitung und James-Last-Laudatio?

g. Marriner? „Halt eben ohne ihn.“ Woher der Hass auf die Klassik?

h. Abgewatscht von Oliver Baier: Markus Hinterhäuser im Café Sonntag

i. Anti-Schönberg – zum Hintergrund der zeitgenössischen E-Musik in Ö1

j. die Musikfünftelstunde und die zeitgenössische Musik. Ö1 pro Kitsch

k. Ist die zeitgenössische E-Musik in Ö1 gefährdet?

l. Dylan, Jelinek, Nöstlinger

m. "Musik aus allen Richtungen" der Welt?

n. die Musikinstrumente von Ö1 und die Musikschulen Österreichs

o. derstandard.at, zum opinion leading missbraucht

p. Darf ich ein paar Minuten wegknabbern? 10.080 Minuten, Werbeanteil

q. Doris Appel antwortet. Das Bild des Menschen

r. Any time, any time! Das Nachrichtenjournalwetter und seine Knechte

s. die Signations und der Niedergang der Hörqualität

t. "Was uns ausmacht." Eine Leistungsschau...Objekt 100: Zwölftontechnik

u. Radiohundtheorie I: Kant, Cavell, Goodman, Knilli

v. Radiohundtheorie II: Wrabetz 2016, permanente Reform, visual radio

w. zur Ö1-Präsenz im Internet, das naturgemäß primär visuell ist

x. eine Sendung als Modell der Zukunft. Das Nichtbild

y. soziologische Bemerkung

z. Hörspiel

Adressaten, editorische Bemerkung

Stellungnahme von Bertl Mütter 29.06.2017 13:14, online 31. 7. 2017, modifiziert 21.09.2017 17:14

Schluss

Biblio-/Diskographie


a. Geld



"Sehr geehrter Herr Peter Mahr, zur Klarstellung: ich habe Sie ersucht, darüber nachzudenken, ob Sie einmal persönlicher Gast in einer Ö1-internen Diskussion sein möchten. Diese ö1-internen Inhaltsdiskussionen mit 'Machern' der Ö1-Journale veranstalten wir in unregelmäßiger Reihenfolge mit ö1-HörerInnen, von denen wir annehmen, dass sie daran Interesse habe und dass sie inhaltlich etwas beitragen können. Wir haben solche Foren bisher mit ExpertInnen aus der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Publizistik abgehalten. Diese ExpertInnen sind jeweils gerne und unentgeltlich für eine ungefähr ein-einhalb-stündige Diskussion zur Verfügung gestanden." (E-Mail von Ex-ORF-Hörfunkdirektor Karl Amon an Peter Mahr am 20.03.2006 11:08, unredigiert)

"Der General kommt, um zehn Prozent aufgestockt, auf 410.000 Euro im Jahr. Die übrigen Direktoren auf 300.000. Radiodirektor Karl Amon erhält 314.000 Euro." (fid, Was die ORF-Chefs verdienen. Und warum 2012 bei manchen nach oben ausschlug: Systemwechsel und letzte Boni http://derstandard.at/1388651026553/Was-die-ORF-Chefs-verdienen 14. Jänner 2014, 21:09)

"Wrabetz ... Sein Vertrag ab Jänner dürfte nun fix sein. Kolportiert werden nun etwa nur maximal zwei statt bis zu fünf Jahre Gehaltsfortzahlung bei vorzeitiger Ablöse." (fid, ORF: 6,5 Prozent mehr GIS, weniger Formel 1 und Fußball http://derstandard.at/2000049363467/6-5-Prozent-mehr-GIS-weniger-Formel-1-und-Fussball 15. Dezember 2016, 17:09)

ZiB2-Moderator Armin Wolf ist in die höchste Gehaltsstufe des ORF-Kollektivvertrags aufgestiegen: 18 Stufen gibt es, wer in die höchste fällt, erhält rund 140.000 Euro brutto pro Jahr.“ (Anna Maria Wallner, Gehaltsposse um ORF-Aushängeschild Armin Wolf http://diepresse.com/home/kultur/medien/643647/Gehaltsposse-um-ORFAushaengeschild-Armin-Wolf 21.03.2011 | 18:23)

"Dem Rechnungshof zufolge liegt das durchschnittliche, jährliche Bruttogehalt der ORF-Angestellten bei knapp 75.000 Euro." (Michael Fiedler/Julia Gindl/Johann Groiss/Mark Hammer/Tanja Malle/Anna Masoner/Alexandra Augustin/Sonja Bettel/Daniela Derntl/Nicole Dietrich/Ulla Ebner/Isabelle Engels/Benjamin Feichter/Bettina Figl/Raffael Fritz/Johanna Jaufer/Monika Kalcsics/Barbara Kaufmann/Nora Kirchschlager/Natasa Konopitzky/Christoph Kobza/Barbara Köppel/Michael Köppel/Cornelia Lee/Christian Lerch/Ute von Maurnboeck-Mosser/Lisa Mayr/Uschi Mürling-Darrer/Marlene Nowotny/Christian Pausch/Tina Plasil/Sylvia Sammer/Christine Scheucher/Georg Schrodt/Astrid Schwarz/Katharina Seidler/Beatrix Therese Sommersguter/Anna Soucek/Mariann Unterluggauer/Sonja Watzka/Simon Welebil/Irmgard Wutscher, Randnotiz aus dem Prekariat. Kommentar der anderen. Keine Traumjobs für die freien ORF-Mitarbeiter http://derstandard.at/1325485794297/Freie-ORF-Mitarbeiter-Randnotiz-aus-dem-Prekariat 6. Jänner 2012, 19:10)

"Der ORF ... wenn er Qualitätsjournalismus um 2,30 Euro pro Stunde will, okay, aber dann soll er es sagen." (Oliver Mark, Ö1: "Schmerzgrenze" bei freien Mitarbeitern erreicht. Sendungen um zwei Euro/Stunde, Überlastung und Demütigung - Freie Ö1-Journalisten über Prekariat und Qualitätsanspruch. Interview mit Ursula Scheidle, Monika Kalcsics, Isabelle Engels und Arno Aschauer http://derstandard.at/1338558702910/ORF-Prekariat-Oe1-Schmerzgrenze-bei-freien-Mitarbeitern-erreicht 5. Juni 2012, 18:40)

Das Jahresbudget für die Ö1-Religionsabteilung wurde von 2000 bis 2012 um zwei Drittel gekürzt. (unbenannte Quelle)

"Die Budgetverhandlungen des ORF für 2017 sind angelaufen, und wie gewohnt mit hohen Sparvorgaben zur Eröffnung. Kolportiert werden da 700.000 Euro Sparvorgabe für Ö1 und weitere 700.000 Euro Sparvorgabe für die Radio-Information." (red, Aufregung um Sparvorgaben für Ö1 und Radioinformation. ORF-Radiodirektor: Beginn der Budgetverhandlungen, Vorgaben "niedriger" als kolportierte 700.000 weniger für Ö1 und 700.000 für Radio-Info http://derstandard.at/2000045487410/Aufregung-um-Sparvorgaben-fuer-Oe1-und-Radioinformation 6. Oktober 2016, 16:02)

"Wrabetz: Wir haben das Budget von ORF 3 heuer schon von sieben auf 13 Millionen Euro erhöht. Aber wir brauchen gerade hier einen weiteren Investitionsschub. Ich will von den 13 Millionen in den nächsten drei Jahren auf 20 Millionen Euro Jahresbudget für ORF 3 kommen – und von 35 Mitarbeitern in einem Stufenplan auf 60." (Harald Fidler, Interview ORF-General Wrabetz: Redakteure sollen ihre Chefs abwählen können. Mehr Rechte für Redakteure, mehr Millionen für ORF 3, mehr Rechte für ORF-Direktoren – und real gesunkene Rundfunkgebühren, http://derstandard.at/2000036857098/ORF-General-Wrabetz-Redakteure-sollen-ihre-Chefs-abwaehlen-koennen?_articlePage=8 13. Mai 2016, 08:47)




b. "Ö1 bis zwei" - vorbei! Tell Danzinger the News



You know my temperature's risin'

The jukebox's blowin' a fuse

My heart beatin' rhythm

And my soul keep-a singing the blues

Roll over Beethoven

And tell Tchaikovsky the news

(Chuck Berry and his Combo 1956)



Man kann die Intervention des heute de facto Kulturchefs Wolfgang Popps in ihrer symbolischen Bedeutung nicht hoch genug einschätzen. Das gewaltsame, von Musik-Chefin Elke Tschaikner offensichtlich geduldete, wenn nicht sogar angeordnete Eindringen der Nachricht von der Nobelpreisverleihung an Bob Dylan am 13. Oktober 2016 in die Klassiksendung "Ö1 bis zwei" zusammen mit der Abspielung von dessen "Rainy Day Woman" war nichts anderes als ein "tell Tchaikovsky the news". Es war die News, dass es mit "Ö1 bis zwei" vorbei sein würde. Die Reform, die "Ö1 bis zwei" das Leben kostete, war wohl zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossene Sache, umzusetzen zum 1. Mai 2017. Gustav Danzingers Anrede "Herr Popp", wobei Danzinger zwischen "Herr" und "Popp" eine kurze, aber merkliche Pause setzte und "Popp" eigens betonte, machte klar, was Danzinger von Popps Intervention hielt.

Aber es war nicht das erste Mal, dass die beste Musiksendung auf Ö1 so schlecht behandelt wurde. Nicht nur die Programmierung und die Moderation, sondern auch die Technik musste in den letzten Jahren von den ModeratorInnen von "Ö1 bis zwei" allein bewältigt werden - ganz im Unterschied zu "Guten Morgen Österreich", wo die ModeratorIn von einer ProgrammerstellerIn und einem Tontechniker unterstützt wird. Mehr als einmal in den letzten Monaten von "Ö1 bis zwei" kamen Danzinger und seine KollegInnen nicht mit dem CD-Player oder was auch immer sonst von den Geräten zurecht.

Dabei bewährte sich der Sendungsverantwortliche Gustav Danzinger, der über Mahlers Zweite dissertierte, auch als ein Meister in der technischen Panne. (Mit solchen hatten sich auch herumzuschlagen Peter Kislinger am 6. 10. 2017 und schon Mirjam Jessa am 1. 10. 2013.) In bewundernswerter Weise brachte Danzinger am 7. März 2017 ebenso Contenance wie Ironie auf: "da ist leider irgend etwas ...", und nach der erzwungenen Pause von 1:01:50 Uhr bis 01:02:55 Uhr inklusive 12 Sekunden Stille mit Hantiergeräuschen etwas später von 1:09:25 Uhr bis 1:09:35 Uhr: "Zum Glück haben wir noch ein paar Technikerinnen und Techniker im Funkhaus, die mir da jetzt geholfen haben und auch noch weiterhin helfen werden." Die Sendung selbst stellte Jamina Gerl in den Mittelpunkt, ihre CD des Tages "Wanderer", mit Klavierwerken von Schubert, Liszt, Mendelssohn, Debussy, Schostakowitsch, eine Kostbarkeit nach der anderen enthaltend. Danzinger war gezwungen, ein Stück vorzuziehen, ohne dass er es in der hereingebrochenen Verwirrung ankündigen konnte. Vielleicht auch nur zufällig im zweiten CD-Player liegend oder in diesen umgewechselt, kam gleich zu Beginn ein sehr schönes, langsames, ruhiges Stück zu Gehör aus Franz Schuberts Zyklus Der Wanderer, bearbeitet von Franz Liszt und gespielt von Jamina Gerl am Klavier. Mit viel Affinität zur Musik, zur Musikerin Gerl und zur CD-Produktion - ein Wunder, dass die Ö1-bis-zwei-MacherInnen sich mit derart viel Empathie auf die Flut an Neuerscheinungen über viele Jahre einließen - hatte Danzinger seinen Plan souverän umgestoßen. Nun kam Schuberts Die Nacht, DV 983 C op.17 Nr.4 "Wie schön bist du, freundliche Stille, himmlische Ruh" in einer Bearbeitung für Hörner. Es folgte, eingeschoben, Mendelssohn-Bartholdys Fantasie fis-moll op.28, das Con moto agitato - 1.Teil, von Gerl schön gefasst und gut gespielt. Danzinger brachte wieder eine (Selbst-?)Ironie fein auf, die zu Ö1 passen würde: "Da ist auch ein Wanderer unterwegs und weiß nicht, wo's hingehen soll." (1:20:05 Uhr bis 1:20:10 Uhr) Auf das überraschende Lied The Wanderer aus Haydns Londoner frühromantischer oder besser bereits spätklassischer Zeit - wenn dieser Begriff hier überhaupt Sinn macht (Hob.XXVIa/32) - ließ Danzinger entgegen dem Plan zwei der Drei phantastische Tänze aus Schostakowitschs opus 5 von der Hand Gerls folgen. Dann kam eine Mahler-Bearbeitung für gemischten Chor an die Reihe, wohl besser passend die Nummer Vier und nicht Zwei aus den Lieder eines fahrenden Gesellen. Dieser Einsatz von Chormusik, der auf "Ö1 bis zwei" so wie auch Orchestral-Symphonisches eher problematisch war und daher meist unterblieb, passte hier gut, nach den eher sparsamen Klavierstücken. Gekonnt setzte Danzinger darauf hin mit einer Wende zum "steiermärkischen Großvater" der Pianistin Gerl, Chabrier und dessen Bourrée fantasque, dem effektvoll sieben Minuten spätromantisches Symphonisches mit Mezzosopran von Richard Strauss aus dessen Vier letzten Liedern folgte. Langer Ausklang, beinahe Pause. Nun konnte Danzinger mit dem beinahe ohrwurmenden Allegro von Schuberts "Wanderer-Fantasie" Gerl das musikalische Schlusswort erteilen und sein berechtigtes, beinah überschwängliches Lob im Blick auf "die zu vielen Aufnahmen" verkünden. Nach der überaus gelungenen Sendung, aus einem Mißgeschick heraus, schloss Danzinger von 1:52:20 Uhr bis 1:54:00 Uhr mit einer langen Absage inklusive Ankündigung souverän.

Hier die Liste, in der Reihenfolge fett die umgestellten, durchgestrichen die ursprünglich vorgesehen Tracks:

Komponist/Komponistin: Franz Schubert

Bearbeiter/Bearbeiterin: Franz Liszt

Titel: Der Wanderer D489, bearbeitet von Franz Liszt

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 06:30 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Franz Schubert/1797 - 1828

Bearbeiter/Bearbeiterin: Josef Reif /Arrangement

Titel: Die Nacht, DV 983 C op.17 Nr.4 "Wie schön bist du, freundliche Stille, himmlische Ruh" - Quartett für Männerstimmen / Bearbeitung für 5 Wiener Hörner

Ausführende: Vienna Horns /auf Wiener Hörnern

Leitung: Alois Glaßner

Länge: 03:12 min

Label: ORF Radio Österreich 1 CD 483

Komponist/Komponistin: Felix Mendelssohn-Bartholdy

Titel: Fantasie fis-moll op.28

* Con moto agitato - 1.Teil

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 05:26 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Joseph Haydn/1732 - 1809

Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Anne Hunter/1742 - 1821

Titel: The Wanderer, Hob.XXVIa/32

Solist/Solistin: Arleen Augér /Sopran

Solist/Solistin: Walter Olbertz /Klavier

Länge: 05:04 min

Label: Berlin Classics 0090442BC

Komponist/Komponistin: Dimitri Schostakowitsch

Titel: Drei phantastische Tänze op.5

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 03:52 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Gustav Mahler

Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Gustav Mahler

Bearbeiter/Bearbeiterin: Clytus Gottwald

Titel: Die zwei blauen Augen - Nr.2(4!) aus "Lieder eines fahrenden Gesellen" / Bearbeitung für gemischten Chor a cappella

Chor: Concentus Vocalis

Choreinstudierung: Herbert Böck

Länge: 05:00 min

Label: ORF Radio Österreich 1 CD 315

Komponist/Komponistin: Emmanuel Chabrier

Titel: Bouree fantasque

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 06:04 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Richard Strauss/1864 - 1949

Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Joseph von Eichendorff/1788 - 1857

Titel: VIER LETZTE LIEDER

* Nr.4 Im Abendrot 00:07:02

Solist/Solistin: Gundula Janowitz /Sopran

Orchester: Berliner Philharmoniker

Leitung: Herbert von Karajan

Länge: 07:14 min

Label: Decca 4679102

Komponist/Komponistin: Franz Schubert

Bearbeiter/Bearbeiterin: Franz Liszt

Titel: Der Wanderer D489, bearbeitet von Franz Liszt

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 06:30 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Felix Mendelssohn-Bartholdy

Titel: Fantasie fis-moll op.28

* Con moto agitato - 1.Teil

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 05:26 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Dimitri Schostakowitsch

Titel: Drei phantastische Tänze op.5

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 03:52 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Emmanuel Chabrier

Titel: Bouree fantasque

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 06:04 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Franz Schubert

Titel: Fantasie C-Dur D 760 ("Wanderer-Fantasie")

* Finale: Allegro

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 03:43 min

Auch von Renate Burtscher, Mirjam Jessa und Albert Hosp sowie aufgrund von Besetzungsproblemen unter dem Jahr fallweise deren VertreterInnen - Scheib, Brusatti, Elstner, Kislinger, Vogel, Kayali (neben den großartigen Sommervertretungen vor einigen Jahren) - wurde das Niveau generell hoch gehalten: ausgespielte Teile oder Ganzes von Stücken, kein Drübersprechen über die Musik, keine Ein- und Ausblendungen der Stücke, sorgfältig ausgeschriebene Moderationstexte, ein deutlicher Blick aufs Ganze der Sendung, deren Konzept durch die 21 Jahre ihrer Existenz nicht dasselbe blieb. Dennoch kann durch die Praxis vom Kern eines Konzepts gesprochen werden: "CD des Tages", aber nie nur sie, sodann nichts Mehrsätziges in einem Stück durchgespielt, verbal wenig Hintergrund und dieser pointiert, entlegene Musik gut eingebettet, Gesang und Orchestrales eher selten und dosiert (die Vielstimmmigkeit des Mittagsjournals als Hypothek), keine CD-Sampler, keine Neupressungen, kein Applaus und Titelansagen oder Titelandeutungen/Titelhinführungen vor der gespielten Musik. Vorbereitet und hindurchgegagen durch die Mixes von "Pasticcio", die heute mitunter in Potpourris abgleiten, entwickelte sich "Ö1 bis zwei" zu einem musikalischen Essay, in dem seine GestalterInnen all ihr Können und Wissen sowie all ihren Geschmack aufboten, um die "CD des Tages" ohne billige Werbemethodik zugleich herauszustreichen und zu transzendieren.

Hier das Programm der letzten acht Monate bis zum 28. April 2017:

5.-9.9.16 Burtscher:

Schöne Welt, wo bist du? Streichquintett und Liedbearbeitungen

"Flabbergasting" - frühe Aufnahmen für den Rundfunk: Martha Argerich

Es lebe Carl Philipp Emanuel

Cappella Gabetta: Habsburger Hof Karls VI.

Goldbergvariationen-Bearbeitungen

12.-16.9.16 Jessa:

Gershwin in Hollywood. John Wilson rekonstruiert

Glasharmonika Duo + Haydn Jahreszeiten, Jephtha, Mozart Klavierkonzert

Anna Prohaska und Il Giardino Armonico: Kleopatra und Dido

Brahms vom Belcea Quartet + Telemann, Brahms-Trio, Larcher Klavierkz.

Kleiber Orchesteraufnahmen + Wiener Lied, gesungen von Oskar Werner

19.-23.9.16 Danzinger:

Haydn-, Mozart-Lieder mit Anne Cambier + Weller Quartett

Männerchöre von Franz Schubert + Weller Quartett

Lars Vogt spielt Larcher, Schumann und Bartok + Weller Quartett

Nicola Benedetti: Violinkz. Schostakowitsch, Glasunow + Weller Quartett

Geistliche Chorwerke von Tschaikowsky + Weller Quartett

26.-30.9.16 Hosp:

Novus String Quartet: Webern 1905, Beethov., Isang Yun + Bruckner, Bach

Ramsch&rosen + Chopin, Muffat, Joseph Strauß, CPE Bach

Antoine Forqueray: Gamben-Suiten + Maurice Ravel, Gaspar Sanz

Daniel Harding dirig. Berlioz und Rameau + Mozart, Gossec-Quartett

Message from G.<ulda> + Straw.L'histoire du soldat, Bach/Moz. Streichqu.

3.-7.10.16 Kislinger:

Vilde Frang Violinkonzerte Korngold, Britten + Hermann Prey

Matthias Kirschnereit: Händels Klavierkonzerte op. 7 + Bach, Bartoli

Minnesota Orchestra/Osmo Vänskä: Sibelius 3, 6, 7 + Melartin/Isokoski

Raff für Cello + Raff

Manze/Royal Liverpool Philharmonic: Vaughan Williams 2, 8 + Britten

10.-14.10.16 Danzinger:

Kirill Gerstein: Franz Liszt Etüden + Berlioz, Mahler 8, Debussy, Haydn

Haydn Streichquartette op. 50 + Barber, Gal, Ligeti, Rota

"Sophie und der gute <Hugo> Wolf. Lieder nach Goethe..."+Haydn, Beeth.

Geiger Jan Mracek und Dvorak + Haydn 85, Dylan Rainy Day Women

Heinrich Isaacs Messe für Kaiser und Papst + Haydn Jahreszeiten, Brahms

17.-21.10.16 Burtscher:

Neue Hofkapelle Graz spielt Johann Joseph Fux

Bachs Orgelwerk digit. auffris.: Cameron Carpenter + Piazzolla, Rathgeber

Kristian Bezuidenhout: Mozart auf Hammerklavier + Kremerata Baltica

Pianist Lucas Debargue: Scarlatti und andere + Mozart, Schostakowitsch

Masaaki Suzuki: Strawinski Pulcinella-Suite + Bach, Crusell Klarin.konz.

24.-28.10.16 Jessa:

Haydns erstes Cellokonzert Clem. Hagen + Ligeti, L. Vogt, Jupiter-Symph.

Christina Pluhars Singspiel "Orfeo Chamán" + Sartorio, Gluck, Monteverdi

(Feiertag)

Duo Chasot + Piazolla, Pärt, Schostakowitsch

Jean-Guihen Queyras mit anderen: "Thrace", Dvorak, Schubert, Monn

31.10.-4.11.16 Danzinger:

Murray Perahia: Bach Franz. Suiten + Debussy, Symph. Britten Haydn

(Feiertag)

Choir of Clare College Cambridge + Kammermusik Haydn, Schubert

Andris Nelsons dir. Schostakowitsch + Haydn 96 u. 98, Beethoven-Messe

Benjamin Grosvenor Klav.-Hommagen + Offenbach Haydn Kammermus.

7.-11.11.16 Hosp:

Zoltán Kocsis 1952-2016

Liedsänger Benjamin Appl + Wiener Lieder, Schuberts Bläseroktett

Cellistin Camille Thomas/Pianist Julien Libeer: Francks A-Dur-Son, Ysaye

Federspiel <VolksmBläs>: Smaragd + Zoltán Kocsis' Bartok Mikrokosmos

Le Concert de la Loge Symph: Haydn Rigel + Nachruf Flötist Eugen Bertel

14.-18.11.16 Kislinger:

Klavierquartette v. Helvi Leiviskä, Ilmari Hannikainen + Schreker, Bartok

Honeck: Elektra-, Rosenkavalier-Orchestersuiten + Elektra

Franz Schmidt: Quintett A-Dur + Prokofieff, Weill

Schumann: Konzert für Violoncello & Symphonie Nr. 2 (1., 4.Satz)

Lenaerts/Grammenos: Harfe/Klarinette v. Schumann u. Schubert + Mahler

21.-25.11.16 Danzinger:

Weilerstein: Schostakowitsch Cellokonz. + Mahler,Rossini,Wagner,Haydn

Monteverdi geistliche Chormusik: Sixteen + Wolf-Ferrari, Liszt, Haydn

Schnabel: Beethoven + Schönb. Pierrot Lunaire Nr.20, Haydn-Lied, Ravel

Suzi Digbys <Vokal->Ensemble Ora: Musik nach Savonarola + Sonaten

Erik Bosgraaf: Telemann Blockflöten-Doppelkonzerte + Symphon. etc.

28.11-2.12.16 Burtscher:

Mendelssohn-B., Schumann: Widmann/Chamber Orchestra of Europe +

2 Schubert Klaviertrios mit Staier, Sepec u. Dieltiens

Alexandre Tharaud: Rachmaninow + Philidor, Couperin

Delian Quartett: Schostakowitsch + Klavier: Chopin, Poulenc

Mitsuko Uchida und Cleveland Orchestra: Mozart Klavierkonzerte

5.-9.12.16 Jessa:

Michelangeli: Schumann, Chopin, Brahms, Galuppi, Beethoven, Debussy

P. Kopatchinskaja: D.Tod u.d.Mädchen + Ravel,Dowland,Gesualdo,Kurtag

A. Pärt Kanon Pokajanen: Cappella Amsterdam + Janácek,Enescu,Schubert

(Feiertag)

Vokalsextett Slixs swingt Bach + Larsen, Costa

12.-16.12.16 Danzinger:

Chor Voces 8: In the bleak midwinter + Diverses

A. Ibragimova/C. Tiberghien: Violinsnt. v.Mozart + Bach, Britten, Haydn

Bach-Motetten Arnold Schoenberg Chor + Hindemith, Haydn

Maurice Steger und Ensemble: Hasse, Porpora, Piani, Sammartini

Louis Spohrs dreichörige Messe + Haydn, Beethoven, Bach

(2.-6.1.17 Das Popmuseum)

9.-13.1.17 Burtscher (Mi: Danzinger):

Ysaÿe Violinfuge + Prokofiew-Sonate, Mahler-Lied

Flötenkonzerte für Friedrich II + Haydns Feuersbrunst

Allegro Vivo+: Dvorak, Valle-Lattanzio, Gershwin, Barber, Bernstein, Rota

Michael Korstick: Ginastera Klavierwerk; + Vivanco, anon., Piazolla

K.Kashkashian/LeraAuerbach:Schostakowitsch,Auerb.+Bruckner, Mozart

16.-20.1.17 Jessa (Do, Fr: Danzinger):

Tetzlaff u.a.: Streichquartette Verdi, Dvorak + Arien/Lieder Verdi, Dvorak...

Carmignola/Beyer Vivaldi Doppelviolinkonz.e+Délibes;Netrebko,Previdi...

Andras Schiff Zugaben: Bach, Schubert, Haydn, Mozart +Rial singt Händel

Schwestern Erb: Vokalduette Mendelssohn-Barth./Fanny Hensel + Haydn

Yutaka Sado und Tonkünstler: Bruckner 4; + Bernstein, Mahler, Haydn

23.-27.1.17 Danzinger (Do, Fr: Jessa):

Haydn, Luther, Schütz, Mendelss.-Bartholdy, Bach, Wagner + Meyerbeer

Ehnes Streichquartett: J. Ehnes, Schubert, Sibelius+Haydn 98, Beethoven 7

Alexander Melnikov: Prokofjew Klaviersonaten + Mossolow, Haydn 101

P. Kopatchinskaja/Anima eterna: Tschaikowsky Violinkonzert + Strawinski

Joshua Bell/Steven Isserlis: Brahms' Klaviertrio u.a. + Schubert, Schumann

30.1.-3.2.17 Hosp:

Eggner Trio: Pirchner + Vokalmusik v. Schubert, Bruckner, Puccini

Simone Vallerotonda, Laute: Zamboni, Vallerotonda +Händel, Rascel, Bach

Sol Gabetta: Konzerte Elgar, Martinu + Theophil Ensemble Wien

Pauline Sachse/Viola: Schubert-Lieder, Schostakowitsch + Wunderlich...

Josef Hader zu Gast: Il Giardino Armonico, Quatuor Mosaiques, G. Gabler

6.-10.2.17 Elstner:

Stadtfeld: Bach, Chopin, Stadtfeld + Fellner; Oratorium Paulus, Schiff ...

Mozart + Bach

De Wert Motetten; Harnoncourt: Purcell Gambenfantasien + Williams...

1917: Respighi, Bartok, La Rocca, Akst, Debussy, Paderewski, Ravel, Satie

Neukomm: Requiem Louis XVI + Mozart, Neukomm

13.-17.2.17 Danzinger:

Busch Trio: Dvorak + Smetana, Beethoven, Dvorák, Haydn

Cappella Murensis: Georg Muffat "Missa in labore requies"+ Kammermus.

Olivier Latry, Rieger-Orgel: Debussy, Saint-Saens, Rimsky-Korssakow...

Goldmund-Quartett: Haydn-Quartette + J. Strauß S., Krenek, Fabich

P. Anderszewski/Klav.: Mozart, Schumann + Haydn, R. Strauss, Williams

20.-24.2.17 Burtscher (Mi: Danzinger):

Trio Wanderer: Beethoven,Dvorak+Babinsky/Wykydal: Schulhoff, Piazolla

Emmanuelle Bertrand/Cello: Philidor, Saint-Saens + Gulda/Gulda

A. Ottensamer/Klarinette: Stamitz, Danzi + Beethoven, Schumann, Gade...

Gunilla Süssmann/Klav: Brahms, Mendelssohn-Barth., Grieg + Couperin...

TrioVanBeethoven: Beethoven + Jürgen Steiner, Dowland, L'Orfeo Barock

27.2.-3.3.17 Jessa:

Gid. Kremer: Schnittke, Weinberg, Rachmaninoff, Bach, Haydn, Prokofieff

Cyprien Katsaris/Klav.: Wladigeroff, Gershwin, Fontana, Liszt, J. Strauß S.

Zender/Schubert, Müller, Janacek, Schubert 8

Boris Giltburg/Klav.: Schostakowitsch + Bach,Weill,Beethoven,Schumann

Prégardiens/Gees: Schuberts Winterreise + Scarlatti, Mendelssohn-Barth.

6.-10.3.17 Danzinger (Do: Burtscher):

Heinrich Schütz Symphoniae sacrae I + Wagner, Messiaen, Haydn, Strauss

Jamina Gerl/Klav. "Wanderer" + Schubert, Haydn,Mahler,Strauss, Chabrier

Orchestrales aus Opern mit Riccardo Chailly + Concentus Vocalis

Grigory Sokolov/Klav.: Mozart,Rachmaninoff,Brahms +Café Zimmermann

Artis-Quartett: Kreisler,Schulhoff,Zemlinsky+Schubert, J. Strauß S., Haydn

13.-17.3.17 Kislinger:

Honeck/Wiener Symphoniker "Frühling in Wien" + Mahler 4/2. Satz

Carl Maria von Weber: Konzerte etc. f. Klarinette + Freischütz/Janowitz

Englund Violinkonzerte/B. Schmid + Ravel, Klami

Howard Shelley: Kozeluch-Klavierkonzerte + Mozart, Haydn

"Music For My Love" Yodit Tekle (1978-2015) + Strauss, Brahms, Gal...

20.-24.3.17 Kayali (Mi, Do, Fr: Elstner):

La Rêveuse: Buxtehudes Triosonaten + Mozart, Holst, Liszt, D. Becker

Brandenburg. Staatsorch. Frankfurt: Röntgen + Lachner, Grainger, Grieg

Günther Groissböck: Schubert + Scott, Schumann, Berkeley

K. Buniatishvili: Rachmaninoff + Rachmaninoff, Ravel

Pergolesi "Stabat Mater" + Pergoles,Händel,Tschaikowski,Bach,Beethoven

27.-31.3.17 Danzinger:

Mariss Jansons dirig. Strauss + Haydn, Isaac

Jubiläum Wiener Philharmoniker 175: Haydn, Bruckner, Brahms, Mahler

Mendelss.-Barth.: Sommernachtstraum + Grieg, Janacek, Liszt, Wagner

JE Gardiner: Bachs Matthäus-Passion + Mozart Sinfonia conc., Haydn 49

Sixteen: Poulenc Chormusik + Haydn (Batik, Gulda), Nielsen

3.-7.4.17 Kislinger:

Brahms: "Vier Ernste Gesänge", (Glanert) Klarinettensonate + Bach

Henning Kraggerud: Violinkonzerte Halvorsen und Nielsen + Grieg

Simon Van Holen: Fagottenkonzerte + Chopin, Prokofjew

Ralph Vaughan Williams: Job, Symphonie 9 + Schlee, Britten

Segerstam: "The Loudest Classical Music of all Time" + Rangström...

(10.-14.4.17 Das Popmuseum)

17.-21.4.17 Danzinger:

(Feiertag)

Staier/Melnikov: Schubert Vierhändiges + Beethoven 7, Schubert, Haydn

Christiane Karg: Französische Orchesterlieder + Schumann, Haydn, Bach

A Ibragimova/C. Tiberghien: Mozart Violinsonaten+Bruckner,Berg,Strauss

Krassimira Stoyanova: Puccini-Lieder + Mozart KV527,Copland,Haydn 97

24.-28.4.17 Hosp (Fr: + Burtscher, Jessa, Danzinger):

LesSiècles:RavelsDaphnis etChloé + Berlioz,VillaLobos(ClassicsMeetPop)

Florian Boesch:Krenek,Reisebuchösterr.Alpen + Schumann 2, Zemlinsky

Trio LaFlamme: Trios für Flöte, Cello & Klavier+Schumann/Caine, Bach

A.Gerhardt/M.Becker: Rostropovich Encores + Haydn, Strawinski, Sousa

Bach, Mozart, Milhaud, traditional, Haydn, Händel

Dass Albert Hosp wie seine drei "Ö1 bis zwei"-KollegInnen über großes musikalisches Wissen und wie kaum jemand sonst auf Ö1 über einen ebenso breiten wie sicheren Geschmack verfügt, ließ Hosp jedoch nicht davor zurückschrecken, "Ö1 bis zwei" großen Belastungsproben auszusetzen. Das war über die Jahre nur möglich, indem die anderen drei - Burtscher, Jessa, Danzinger - das Sendungskonzept pflegten: keine Bezüge auf aktuelle Anlässe (dagegen Hosp am 7. 11. 2016 anläßlich des Ablebens von Zoltan Kocsis), keine Werbung außer zur "CD des Tages" laut zentralem Sendungsbestandteil (dagegen Hosp am 3. Feber 2017 Werbung für Josef Haders Film "Wilde Maus"), keine Vermischung mit anderen Sendungen (dagegen Hosps Interviews am 2. Juli 2015 mit Marino Formenti und am 3. Feber 2017 mit Josef Hader), Barock/Klassik/Romantik von 1600 bis 1950 (dagegen Hosp am 26. und 28. April 2016 mit Musik von The Gloaming und Timo Alakotila, die eigentlich Hosps "Spielräumen" dienstags um 17 Uhr 30 vorbehalten gewesen wäre).

Ein Grenzfall diesbezüglich war Hosps „Einfühlsame Spurensuche. Ramsch & Rosen machen viel mehr als 'Neue Volksmusik'“ am 27. September 2016. (http://oe1.orf.at/programm/20160927/443482) Natürlich, bei kurzen, selbst komponierten, neuen Nummern will man gleich zur Sache kommen, was den gestalterischen Spielraum mindert. Die Sendung beginnt mit „Sturm vor der Ruhe“, dann kommt gleich noch eine 'Nummer'. Da lässt sich gleich viel lockerer um die Musik herum reden. Und dann: Schock! Ohne die HörerInnen vorzubereiten, kontrastiert Hosp filmmontagemäßig Klaviermusik von Carl Philipp Emanuel Bach. Danach für alle beleidigten Leberwürschte die prinzipielle Warnung: „Und das werde ich in dieser Sendung noch öfter machen, nämlich von der CD des Tages direkt zu einer anderen hingehen und darauf bauen, dass Sie diese Brückenschläge nachvollziehen wollen.“ (8:28 bis 8:41) Also zum Beispiel: Polska fran Alvdalen & Idea pa Svenska von Ramsch & Rosen mit Chopins Mazurka op.67 Nr.2 in g-moll für Klavier, gespielt von Arturo Benedetti Michelangeli. Zugegeben, Hosp montierte dieses Mal eine lange Pause zwischen die beiden Stücke hinein. Besser noch wäre gewesen - wenn schon - , beide Stücke im voraus anzusagen. Aber so ging es halt dahin: Muffat (Laute), Ramsch & Rosen (auch schon 'mal jazzig, mit overdub), Joseph Strauß' Libelle (dirigiert legendär von Carlos Kleiber 1989 mit stimmungs- und sendungsunnötigem Applaus), Bela Bartok arrangiert von Ramsch & Rosen (interessant, wenn auch für popularisierende Arrangements in "Ö1 bis zwei" kein Platz), Ramsch & Rosen, Mahler 3 (2. Satz minus sechs Sekunden, wieso? gottseidank mit kurzer Pause davor, Hosp erbarmt sich unser), Ramsch & Rosen (mit Viechtwangerische Tanz aus dem 18. Jahrhundert). Hosp, versichernd: „Und Mahler hätte seine Freude daran.“ Ja, wirklich? Andererseits, Ramsch & Rosen wären vor Jahren ein klarer Fall für Wolfgang Schlags Freitag-"Spielräume" über neue, auch europäische Volksmusik gewesen. Aber diese Sendung gibt es leider schon lange nicht mehr, zum Bedauern vieler noch heute.

Dass Hosp mehr kann, zeigte die Sendung am 28. September 2016. Sie war Antoine Forquerays äußerst interessanten Fünf Suiten für Viola da Gamba und Cembalo gewidmet, 1733 herausgekommen. (http://oe1.orf.at/programm/20160928/443537) Hosp spielt nur jeweils einen der fünf bis sieben 'Tänze'. Sehr schön die Langsamkeit, die auf Danzingers Serie der Woche vorher mit Liedern der Wiener Klassik, Männerchöre von Franz Schubert, Kinderliedern, Violinkonzerten von Schostakowitsch und Glasunow und geistlichen Chorwerken von Tschaikowsky antwortete. Ohne etwas über seine Auswahl zu sagen: Das timing in Bezug auf die anderen Stücke der Sendung ist gut, der Kontrast zum Couperin-bezogenen Ravel und zu einem Barockgitarrenstück geht auf. Hosp entrückt uns gehaltvoll aus einer Zeit – die unsere – , die das eigentlich kaum zulässt. Zur Biographie Forqueray kommt Interessantes. Nur, auf Rameau kann sich Forqueray, weil früher lebend, nicht bezogen haben (Minute 10:16). Hosp räumt etwas später den Anteil von Forquerays Sohn ein – das geht sich historisch aus – , indem er mitteilt, dass der Sohn die Improvisationen des Vaters notierte. Die Information, dass er mit dem Kollegen am Cembalo "jazzte", ist treffend. Dass KEIN Jazzbeispiel gebracht wird, nicht weniger. Oder der Hinweis, dass Forqueray seine Frau betrog, den Sohn als Konkurrenten empfand. Erhellend der Vergleich des "engelsgleichen" Marais und des "diabolischen" Forqueray. Mit einer Gitarren-Zarabanda aus 1674 wurde noch ein kleines Gegengewicht eingesetzt, dann Rameau durch Sokolov eingeschoben - wenn auch mit störendem Applaus, insofern es eben nicht um den viel berühmteren Zeitgenossen Rameau ging (in der Vorbereitung hätte Hosp den Zeitpunkt des Einsetzens des Applauses notieren und die Wiedergabe rechtzeitig stoppen können). Dafür bot Hosp seinen Humor zum Schluss mit einem Kommentar zu den seltsamen Geräuschen im Hintergrund der Musik auf: „Unbestätigten Gerüchten zufolge wurden bei den Aufnahmen mehrere Gamben zersägt.“

Auch einen Tag später Interessantes von Hosp (http://oe1.orf.at/programm/20160929). Zuerst eine schöne Einleitung von der Überlagerung des Verdi-Walzers durch den Berlioz-Walzer der Symphonie Phantastique, 2. Satz, der, wie Hosp hinweist, in Il Gattopardo 1963 eingesetzt wird. Doch dann für viele wohl eine irreführende, nicht wirklich durchgeführte Verlagerung hin zu Rameau und damit zur "CD des Tages" von Daniel Harding, Swedish Radio Symphony Orchestra mit Berlioz' Symphonie Phantastique und Rameaus Suite de Hyppolite et Aricie. Die Gegenüberstellung, dass beide "weniger als ein Jahrhundert" auseinander sind, funktioniert. Kurze wichtige Informationen werden eingefügt. Eine gute Pause gibt es zwischen Rameaus Air en rondeau pour les amours. Gracieusement aus Hipployte et Aricie und Berlioz' erstem Satz der Symphonie Phantastique. Im Fortgang der Sendung wird vielleicht ein bisschen zu viel auf die historische Mitte zwischen Berlioz und Rameau abgehoben. Gewiss, gewiss! Das soll den Einsatz für die Sendungsmitte durch Mozarts Serenade Nr. 11 für Bläser vorbereiten. Vielleicht wäre hier etwas Orchestrales besser gewesen. So wirkt es ein bisschen naseweis, besser: ich, Mozart, dreh' euch beiden eine Nase. Gossec kommt noch herein (1734-1829) mit einer schönen Einleitung durch Hosp über die Reihenfolge der Sätze des Streichquartetts. Insgesamt schöne Musik.

Qualitativ ganz anders der 3. Februar 2017. Josef Hader live in der Sendung "La Follia und die Hochschaubahn. Josef Hader zu Gast in Ö1 bis Zwei". (http://oe1.orf.at/programm/20170203/459698) Werbegroßmanöver für Haders Film "Wilde Maus". Aus diesem Film bleibt nicht so sehr die von der Hauptfigur des Musikkritikers im Film kritisierte klassische Musik im Gedächtnis (DAS wäre "Ö1 bis zwei"!), sondern mindestens so sehr der Tingel-Tangel-Hintergrund des Wurschtel-Praters, in den es den Musikkritiker wenig motiviert treibt. Offensichtlich war die Promotion-Offensive für Haders Film zu spät dran, sodass Hosp Hader nicht mehr im "Klassik-Treffpunkt"-Interview am Samstag um 10 Uhr 06 bringen konnte. Hosp: "Meinen Gast begrüße ich gleich." Wie in Ö1 wochentags in der früh - "Guten Morgen Österreich" - kommt nun viel Prestallegro-Musik. Es wird, sendungsuntypisch, gleich viel geredet und wie Musik gespielt. Eigentlich ein "Klassik-Treffpunkt", nur eben nicht am Samstag und eine halbe Stunde kürzer. Irgendwann eine Blende in den Schluss des ersten Satzes der Eroica 1:04. Hader habe eine bissige Aufnahme gewollt, "dass mo plötzlich vü mehr heat, <als> was do sonst drunter glegn is früher", "zum Beispiel Paukn, genau". Dann wird geredet im Vorbeigehen über die "gefährdete Spezies" wie Journalisten und Musikkritiker, den "Richter von Beruf, Inquisitor", der der Musikkritiker generell sei. Wie wenig Bewusstsein unter Radiojournalisten darüber besteht, dass auch sie Kritiker allein durch den Vorgang der Auswahl sind, zeigte in der selben Woche auch Katherina Menhofer kurz: "Zwei Tage später werden die Kritiken erscheinen. Das ist immer oft so eine Sache. Wenn man erwähnt wird, wenn der Chor erwähnt wird, wenn die Bühnenmusik erwähnt wird, dann meistens in einem Nebensatz. Es gibt von Seiten der Kritik auch nicht wirklich so eine differenzierte Auseiandersetzung so mit der künstlerischen Darbietung. Ist das etwas, was Sie stört?" (Katherina Menhofer mit Thomas Lang, Leiter des Wiener Staatsopernchores, und Witolf Werner, Leiter der Bühnenmusik, zur Neuinszenierung von Verdis Il trovatore an der Staatsoper, So 5. 2. 2017, Intermezzo 11 Uhr 54.) Wenn es Menhofer stört, könnte sie und ihre KollegInnen etwas dagegen in Hauptsätzen tun - eine Tradition auf Ö1 dafür gibt es, angefangen mit Karl Löbl. Jedenfalls wird das Problem der Musikkritik von Hosp und auch Hader nicht angesprochen. Der vermeintliche Hass der Kritik in Person des Kritikers wird vielmehr von Hosp mit dem "zornigen" Thema aus Vivaldis La Follia illustriert. Darauf wird "direkt draufgeschnitten" (Hosp) das Schimpfen am Lenkrad aus dem Film. Nein, das kommt doch nicht (unentschuldigt). Die Anspielung auf den einst gefürchteten Musikkritiker von Die Presse, Franz Endler, durch die Hauptrolle "Ender" wird von Hader nicht zugegeben. Dann wird Disco aus dem Prater angespielt. Hosp, selbst aufgedreht, zum Film: "So, jetzt gibt es eine Fülle von Assoziationen", "Großkritiker" (gibt es doch in Österreich schon lange nicht mehr!), und so weiter, mehr als sechs Minuten Gespräch. Hosp: "Jetzt muss ein Stück Vergangenheit her", und es kommt eine Ausschnitt aus Haders "Atonales Lied", 80er Jahre, und die überaus interessante Frage: "Haben Sie lernen müssen, über die eigene Arbeit zu sprechen?" Hosp weist auf Haders Filmarbeit hin (gähn!), dann ein Ausschnitt aus einem Schubert-Satz ... "das war eines der meistgepielten Kabarettprogramme" ... "weil ich's so lange gespielt hab" ... "die schlechtest besuchte Aufführung haben Sie auf die Webseite gestellt". Hosp: "zwei Menschen führen diese Partitur aus <wovon redet Hosp?>, und man hat das Gefühl, es sind völlig unterschiedliche Musikstücke". Hader: "ja" "ja". Hosp: "bin bald 53", und Hosp meint von sich, er sollte die Garagenrocker White Stripes kennen, "Seven Nation Army", der Vergleich mit Bruckners 5. hinkt aber, weil dessen bekanntes Thema deutlich länger ist. Hader erfahren, wird geduldig, leise: "Des is a bissl a Quiz über das eigene Leben!?" Es wird eingeräumt ein "etwas abgerissener Applaus bei diesem Mitschnitt...", Hosp: "jaa, geboren in ... demnächst im Stadtsaal, bevor Sie nach Berlin zur Berlinale fahren". Hader stapelt tief, dass er nicht Klavier spielen kann. Das Gespräch geht munter weiter, darunter wird ein langes Musikbett gelegt mit Strawinsky - Hosp: "gleich lassen wir's voll hochfahren" ... "und dann kommt noch einmal La Follia". Dieses Mal: Keine "CD des Tages", sondern "Film des Tages", mit Kraut und Rüben von Christian Sinding, Beethoven, Vivaldi, Georg Gabler, Schubert, Josef Hader, White Stripes, Bruckner, Josef Hader, Strawinski. Man möchte den Kopf schütteln.

Schon am 2. Juli 2015 passierte Ähnliches, allerdings ruhiger, gehaltvoller, mit Marino Formenti, "Sensibler Brückenbauer, live zu Gast im Studio" (https://radiokulturhaus.orf.at/programm/408223). Dass in der Sendung für gewöhnlich keine zeitgenössischen E-Musik-Komponisten gespielt wurden, denen der Pianist Formenti seine Arbeit für gewöhnlich widmet, hatte wohl nicht mit dem Unwillen von Albert Hosp zu tun, sondern eher mit seinem weitgehenden Desinteresse an zeitgenössischer E-Musik oder ganz einfach nur mit der fehlenden Zeit, sich auf Formenti gründlich vorzubereiten (http://www.oegzm.at/?). Moderiert doch Hosp "Spielräume" (30'/Woche), den "Klassik-Treffpunkt" (durchschnittlich 30'/Woche), "Ö1 bis zwei" (durchschnittlich 55'/Woche) und ist als Producer verantwortlich für alle Spielräume und auch noch programmatisch für die "Musikviertelstunde" wochentags um 9 Uhr 45. Nun, an diesem Mittag des 2. Juli 2015: „Erst einmal durchatmen mit der CD des Tages“. So Hosp zurecht, wie auch sonst öfters im Anschluss des Mittagsjournals. Formenti tritt für Mischungen wie etwa von „Rock mit zeitgenössischer Musik“ oder John Adams mit Liszt im Sinn von „Minimalismus bei Liszt“ ein, der „auch der Erfinder des Minimalismus“ gewesen sei. Diese Behauptung bleibt unbelegt. Musikalisch folgt auf Adams eine lange Pause, dann Volksmusik mit dem Cymbal Duo, in die Hosp gnadenlos hineinspricht. Das tut dann auch Formenti (zwei Minuten lang!). „Wir hören jetzt noch ein bisschen das Cymbal Duo“, die virtuosest spielen, und Formenti spricht dann in die Fermate des Schlusses von Liszts „Ungarisches Volkslied“ hinein, obwohl der Schluss noch gar nicht da ist. Wie kann das passieren? Hosp wiederum, zu Liszts „Bagatelle sans tonalité“: „Da würde jeder sagen: <ja was?> – klingt aber gar nicht so.“ Formenti nimmt das Hölzl auf: „Klingt gar nicht so oarg“, Liszt sei „der Urkomponist“, „modern, postmodern … “. Und so weiter? Nein, denn nun kommt erst einmal die „Bagatelle“. Formenti über Liszt: „Er ist wirklich der größte Modernist, den es je gegeben hat.“ Selbstredend gibt es eigentlich wenig und ungenaue Information zu „Liszt Inspections“. Ach ja, die "CD des Tages"!

Und doch, Hosp kann anders. 30. September 2016. Die "CD des Tages" ist "Message from G", 4 CDs von Friedrich Gulda aus dem Großen Musikvereinssaal 1978. (https://radiokulturhaus.orf.at/programm/449410) Dass es eine Neuauflage von 6 LPs ist, sagt Hosp nicht. Dafür aber: „Bei Gulda … muss ich Wiener Musik spielen“. Gewiss. In Vorwegnahme der Knopferlharmonika der "Musikviertelstunde" der kommenden Woche bringt Hosp „Bauern-Tänze“, dargeboten von Martina Rittmannsberger und Walther Soyka, sang doch Gulda selbst Wiener Lieder. Den kurzen Sendeausfall, Minute 4:07 bis 4:10, begründet Hosp so: „Verzeihen Sie den kurzen Unterbrecher, geschuldet einer inkorrekten Zeitangabe.“ (??) Es folgt ein schöner Kontrast mit Mozart durch dessen Bearbeitung für Streichquartett aus Bachs Wohltemperiertem Klavier - hier passt die Bearbeitung, aber nur, weil sie von einem Komponisten allerersten Rangs stammt. Sonst könnte das essayistische Mithören die Doppelkodierung in der Stimmung der ganzen Sendung kaum verarbeiten. Hier geht der Applaus o.k. Leider ist der Gesprächsgesang Guldas auf der Bühne kaum zu hören. (Es wird einem klar: Josef Hader musikalisch klingt ein bisschen wie Gulda.) Hosp liest und kommentiert effektvoll: „Es steht hier, 'Gulda spürt seinen ewigen Meistern nach, deren Werke er spielt und in seinen eigensten Stücken um unterschiedlichste Einflüsse erweitert, lange bevor sich die Klassik für andere Stile öffnete.' Zitatende, 1978. Da muss man sagen: Das stimmt nicht! Hier ist zum Beispiel Musik aus der Klassik, die sich definitiv geöffnet hatte, damals im Kompositionsjahr 1918. Tango, Walzer und Ragtime.“ (Minute 33:40-34:15) Es kommen sieben Minuten Strawinski aus dessen "Geschichte des Soldaten". Dass es ein bisschen drunter und drüber geht - Hosp kündigt den Applaus an nach dem Ende von Guldas Aufführung des Andante aus Mozarts Fantasie in d-moll (Minute 47:50). Der kommt aber dann nicht. Stille. Stattdessen kommt der erste Satz von Anfang an, ohne Applaus, zum Ende Applaus, ja, aber nur „zaghaft“ (47:56), wie Hosp wenigstens eingesteht. Wichtig: Wenn schon eine derart umfangreiche Neupressung vorgestellt wird, sollte auch Zeit sein für einige Worte über die umfangreiche Dokumentation, die in der CD-Box enthalten ist.

Was in "Ö1 bis zwei" möglich war, haben alle vier Stamm-ModeratorInnen demonstriert. Ein Meisterstück lieferte Mirjam Jessa am Donnerstag, den 30. Juni 2016, ab. Titel: "Frappierend und ziemlich genial! Klavierduos und Vierhändiges von Strawinsky und Satie auf historischen Instrumenten". (http://oe1.orf.at/programm/20160630/435535) Das klingt nach gleich mehreren CDs und Interpreten. Aber es handelt sich "nur" um Alexei Lubimovs Klavierduett-Album "Paris joyeux et triste", von Slava Poprugin bestritten. Jessa brachte Teile aus Lubimovs Bearbeitungen von zwei Strawinski-Konzerten, dann John Cages Bearbeitung von Erik Saties Oper Socrate und Milhauds Bearbeitung von Saties "Cinema - symphonisches Zwischenspiel aus dem Ballett Relâche". Ihre Charakterisierung von Lubimov, der ihr „wie Professor Pnim“ bei Nabokov vorkomme, war auf hohem Niveau ebenso unterhaltsam wie die der frühen Nachmittagsstunde angemessene Kammermusik, herrlich zerstreuend. Kein Gesang, kein Interview, kein schnelles Stück am Beginn der Sendung, kein ganz kurzes Stück am Beginn der Sendung, mit kompetenten Bemerkungen zur Musik und Aufführung, zur Einspielung selbst, in wohl bedachter Differenz zur Sendung "Pasticcio", mit Schwerpunkt Klassik, jedoch in guter Verträglichkeit mit der klassischen Moderne (die etwa Hosp problemlos bis zu Rühm und Ligeti weiterziehen kann). Damit meint Jessa nicht die romantische Moderne eines Schostakowitsch, Janáček oder des postexpressiven Strawinski, die auf Ö1 oft dazu aufgeboten werden, um die wirklich genuinen Leistungen des früheren 20. Jahrhunderts zu überlagern: Debussy, Satie, Wiener Schule, früher Strawinski, Varèse, Ives, Cage. Schön der Kontext - „atmet philosophischen Geist“ - und die Dithryambe des 5. Satzes von Strawinskis Konzert in Es für Kammerorchester "Dumbarton Oaks". Ebenso schön wird der Rückbezug auf 1748 charakterisiert „für all jene, denen der Strawinski vielleicht nicht so gut gefallen hat“, eine treffliche Rameau-Äußerung, eigentlich zum Lachen komisch. Dann die Musik: wunderbar. Wertvoll auch die anregenden Zusatzinformationen auf der Ö1-Webseite - bezieht sich "Une Symphonie imaginaire" auf die ganze CD oder nur auf die Ouvertüre, die Minkowski mit dem (seinem?) Titel interpretiert? Gewiß, eine Antwort darauf hätte den Rahmen der "CD des Tages" gesprengt. Sodann "Socrate", Saties Verarbeitung von Platons Symposion, die Cage, wie wir erfahren, schon 1944 transkribierte und 1968 fertigstellte als eine „cheap imitation“. Das alles zu wissen ist ebenso wichtig wie Jessas Hinweis auf Rameaus letzte Oper, die ein Vierteljahrhundert vor der französischen Revolution für „alle Menschen gleiche Rechte“ eingefordert habe, aber erst in den 1970er Jahren uraufgeführt wurde. Schließlich Saties "Cinema" 1909, mit Lubimov und Poprugin dem präpariertem Klavier von Cage nachempfunden, wäre es nicht Darius Milhaud gewesen, der die Bearbeitung anfertigte - eine wunderbar entschiedene wie schillernde Interpretation, „auf einem ziemlich genial präparierten Bechstein gespielt“ (Jessa). Keine Frage, weder die verwirrende Überblendung von Satie zu Rameau - noch "debrouillement de chaos"? - , noch die Konzilianz ans Konservative - „so jetzt aber - nach so viel Avantgarde von vor 100 Jahren haben wir uns zum Schluss ein bisschen Kitsch verdient. Stichwort cinéma“ konnte dem großen Moment der Sendung Einbuße hinzufügen. War doch Charles Chaplins "Smile" vom Quatuor Ébène entkitscht gespielt, in schönbergisch pierrot-lunairescher "Gesangsweise". Nicht zuletzt überzeugte Jessas in ihrer Vorführung der historischen Aufführungspraxis im 20. (!) Jahrhundert.

Nicht immer bleibt Jazz wie mit "Smile" am Rand. Am 14. September 2016 vergegenwärtigte Jessa zwar mit Anna Prohaska und Il Giardino Armonico die Schicksale zweier stolzer starker Frauen, jener von Kleopatra und Dido. Aber: „Wir machen jetzt kurz halt“ mit Duke Ellingtons "Harlem Speaks". Doch kam da noch Sidney Bechets "Egyptian Fantasy" hinzu, „in einer neuen Deutung unserer Tage“, nämlich durch Vincent Peirani's Akkordeon und Émile Parisien am Sopransaxophon. Und am 12. September 2016 dann "Gershwin in Hollywood. John Wilson rekonstruiert den Goldenen Klang von MGM". (http://oe1.orf.at/programm/20160912/442714) Die Sendung beginnt mit einem Jazz-Standard aus Artie Shaws "Symphony of Swing" von 1939 von George Gershwins "Oh Lady, be good!". „Sie hören schon, heute steht ein Live-Album im Mittelpunkt dieser Mittagsstunde“. Das war zwar irreführend, denn nicht um Artie Shaw geht es; und auch wird das Andantino von Debussys nicht selbst orchestrierter Petite Suite "En bateau" ohne Vorwarnung mit "Love is here to stay" montiert. Erst damit, mit der Filmmusik aus „An American in Paris“ ist Jessa in Minute 13 bei der CD des Tages „Gershwin in Hollywood“ angekommen. (So ein langer Sendungsauftakt wäre eigentlich passend für ein Spielräume extended, vielleicht einmal zur Abwechslung ohne Gäste, gewesen.) Sehr interessant nun Jessas Ausführung zur Rekonstruktion des Notenmaterials, vielleicht schon zu anspruchsvoll für diese Mittagsstunde. Das kritische Ohr würde gern wissen, ob die conductor books für John Wilsons Rekonstruktion der Filmmusik letztlich hilfreich waren. Das Folgende führt so gar nicht von der Mittagsjournal-Kurzatmigkeit weg: Wie unüblicherweise für "Ö1 bis zwei" setzt nun sehr schnell ein ohne Titelansage oder auch nur Titelandeutung oder Titelhinführung George und Ira Gershwins "Strike Up The Band", in typischer Hollywood-Atemlosigkeit, inklusive Applaus, wenigstens mit der Absage „so hieß auch das Broadway-Musical von 1927 und die Verfilmung von 1940“. Es folgt Jessas Ankündigung steirischer Pizza mit Käferbohnen (?), Debussy/Ravels „Danse (Tarantelle styrienne)“, zunächst nur für Klavier komponiert. Was für Hollywood suspekt war - „George und sein Bruder Ira hatten eben eine veritable Oper zusammen geschrieben: Porgy and Bess“ - , führt Jessa nun weiter zu Schubert: „Ich hab' mich, ehrlich gesagt, selbst auch damit überrascht. Eine wienerische Antwort auf 'Strike Up the Band'.“ Jessa legt Schuberts dritten der drei Marches militaires für Klavier zu vier Händen, Deutsch 733, auf. Leider schleicht sich wieder Musik herein unter den Worten „Steht zum Abschluß folgende Frage im Raum: Sollen wir tanzen?“ Das Wilson Orchestra ist dran, wird aber nicht zur Gänze ausgespielt, mit Applaus und Drüberreden. Fazit: Vier „Beispiele“ aus der CD des Tages mit 22 von insgesamt 54 Minuten, etwas wenig.

Renate Burtscher, die über Mozart, Arrigo Boito oder "Die Einwirkungen der Rhetorik auf die musikalische Gestaltung" (Hausarbeit am Mozarteum) und vieles mehr geschrieben hat, stellte den Montag ihrer Woche im September 2016 gekonnt unter das Motto "Schöne Welt, wo bist du?" Gegenstand ist Schuberts Streichquintett und Schubert-Liedbearbeitungen mit dem Quatuor Ebène, Matthias Goerne und Gautier Capuçon. Gehaltvollst. Wie immer in Burtschers "Ö1 bis zwei" ist es der unbedingte Wille und die stupende, reduziert vorgetragene Kenntnis der Musikwissenschaftlerin, die die HörerIn gefangen nehmen. In diesem Fall wird es auch leicht gemacht. Die Gruppe mit dem Quatuor Ebène hat ein Programm zusammengestellt, das schlüssig ist sowie makellos und intim dargeboten wird. Eigenartiges ereignet sich: Der lange erste Satz von Schuberts Streichquintett, gespielt von 13 Uhr 34 bis 13 Uhr 53, ist sehr leicht gekürzt. Wieso? Wie schon Danzinger ebenso zu Schubert in einem früheren "Ö1 bis zwei" entschuldigt sich auch Burtscher, dass das Stück Musik so lange ist. Wieso denn? Muss denn alles der Kürze geopfert werden, die die News-Abteilung diktiert? Aber, trotzdem wird um ganze fünf (!) Sekunden gekürzt (http://oe1.orf.at/programm/20160905/442359). Der Grund wird nicht angegeben.

Tags darauf frühe Aufnahmen für den Rundfunk der bedeutenden Martha Argerich unter dem Titel "Flabbergasting" (http://oe1.orf.at/programm/447282). Burtscher schreibt: „Diese frühen Rundfunkaufnahmen, die Martha Argerich jetzt erstmals zur Veröffentlichung freigegeben hat, enthalten tatsächlich noch Überraschungen. Zum Teil sind es Aufnahmen jener Stücke, mit denen Martha Argerich kurze Zeit später berühmt wurde und die bis heute zu den Höhepunkten ihrer Diskographie zählen: die Toccata op. 11 und die 7. Klaviersonate von Prokofjew, die Sonatine von Ravel und Ravels 'Gaspard de la nuit'. Daneben enthält das Album auch Stücke, die sie später nicht mehr eingespielt hat: so die Sonate Nr. 18 von Mozart und die Sonate Nr. 7 in D-Dur, op.10/3 von Ludwig van Beethoven. Repertoire, das sie für die großen Wettbewerbe mit ihren Lehrern Friedrich Gulda, Madeleine Lipatti, Nikita Magaloff einstudiert hat. Früh zeigt sich, was eine Meisterin werden wird!“ Könnte man es besser auf den Punkt bringen? Entsprechend ausgewogen moderiert Burtscher die Aufnahmen von Musik von Mozart, Beethoven, Ravel und Prokofieff in ausgewogen klassischer Wahl.

Am Mittwoch ruft Burtscher aus "Es lebe Carl Philipp Emanuel" und schreibt in einer Zusammenfassung, die auch ihre Moderation und die Abfolge der zu Gehör gebrachten Stücke widerspiegelt: „Wir hören Staunen Machendes in Sinfonias, einem Cellokonzert und in einer Sonate für Violoncello piccolo und Cembalo, bei der Ophélie Gaillard, die auf einem wunderbaren Instrument aus dem Hause des Francesco Gofriller (1737) spielt, von Francesco Corti begleitet wird. Corti hat auch einen brillanten Solopart im Concerto in d-moll. CPEs Musik - so wird Carl Philipp Emanuel heutzutage gerne verkürzt genannt - verlangt nach kundigen Interpret/innen, die sowohl den federnd leichten Ton, als auch die sangliche Grazie treffen, die plötzlichen Stimmungsumschwünge, die Rasanz der schnellen Sätze überzeugend und sprechend wiedergeben können.“ (http://oe1.orf.at/programm/20160907/442470)

Und schon ist der Donnerstag an der Reihe, der an die in aller Munde befindliche Sol Gabetta anknüpft, an die Cappella Gabetta mit ihrer CD "Musik am Habsburger Hof" von Karl VI. (http://oe1.orf.at/programm/20160908/442526) Hier ist Erlesenes und Seltenes von Umstatt, Vivaldi, Timmer versammelt und wird mühelos und kenntnisreich mit Stücken aus nicht gar so weit entfernten Zeiten kontrastiert, gespielt von I Fagiolini und vom Ensemble Baroque de Limoges. Der bei Burtscher fast schon obligate, aber entbehrliche Piazzolla, durch Christian Bakanic' contrabajeando drei Minuten gespielt, ist verschmerzbar.

Und schon neigt sich die "Ö1 bis zwei"-Woche dem Ende zu, mit Goldbergvariationen-Bearbeitungen. Wieder ist Burtschers Text aufschlußreich: „Das Aulos Quartett aus Zürich hat bei Josef Gabriel Rheinberger eine Fassung für zwei Klaviere, entstanden 1883, gefunden, und Oboist Martin Gebhardt hat sie zum Quartett für zwei Holzbläser und zwei Streicher umgeschrieben. / Die einzelnen Stimmfäden, die Bach so kunstvoll über und durcheinander laufen lässt, ineinander verknotet, um sie in allgemeiner Harmonie wieder aufzulösen all das lässt sich hier sehr gut heraushören: Dank der unterschiedlichen Klangfarben der Instrumente und der feinen, differenzierten Finger-und Zungenfertigkeit des schweizerischen Aulos Quartetts. Rheinberger war mit seiner Bearbeitung vor allem um eine Popularisierung, eine weitere Verbreitung des Werks für den großen Konzertsaal gegangen. Deshalb hat er zwei- und dreistimmige Passagen gleichermaßen behutsam wie kunstvoll ergänzt. Martin Gebhardt kam diese Rheinbergerfassung für seine Instrumentierung sehr entgegen. Er schreibt: 'Eine Verkörperung der Partitur durch vier Instrumente kommt der Durchhörbarkeit kontrapunktischer Strukturen namentlich in den neun Kanons besonders zugute. Das Instrumentarium des Aulos Quartetts ermöglicht zudem durch spezifische Mischklänge ein für diese Musik äußerst stimmiges Klangbild.'“ (http://oe1.orf.at/programm/20160909/442581) Also Cembalo umgeschrieben im 19. Jahrhundert für ein Quartett aus drei Frauen und einem Mann mit Violine, Tenor-Oboe, Violoncello und Oboe. Diese reizvollen Transkriptionen kontrastiert Burtscher geschmackssicher mit knapp 12 Minuten einer weltlichen Bach-Kantate und Conrad Steinmanns (geb. 1951) für das Quartett geschriebene "Neu imaginierte Musik der griechischen Antike", in der Einspielung durch Steinmanns eigenes Ensemble Melpomen. Das Ö1-Publikum kann substanziell gestärkt ins Wochenende gehen.

Im Monat darauf, am 21. Oktober, steht bei Burtscher geheimnisvoll "Fiktiver Barock mit Suzukis Strawinsky" auf dem Programm. Es geht um Igor Strawinskis Pulcinella Suite/Apollon musagète/Concerto for Strings in D Major als CD des Tages in der Einspielung der Tapiola Sinfonietta unter Masaaki Suzuki. Es mag wohl ein ganzer zweiter Satz sein, den Burtscher vorspielt. Aber dann sollte auch erklärt werden, wieso der letzte Takt mit einem Dreiklang nach oben hin "aufhört". Weil Strawinski einen nahtlosen Übergang in den dritten Satz komponierte? (ca. 13:24:40) Ähnlich Crusells Andante pastorale aus seinem Konzert für Klarinette und Orchester in f-moll, das auch keinen richtigen Schluss hat. Warum Crusells Concertino mit der CD des Tages gekoppelt ist, ist etwas unklar.

Die Qualitäten Burtschers sind unbestritten und werden nur selten getrübt. Etwa ihr Faible für Popmusik. Dieses lebt Burtscher, hier Vorreiterin, hin und wieder ganz persönlich in den Sonntags-Spielräumen aus, die seit 1. Mai 2017 wieder 45 Minuten dauern dürfen. Unvergesslich erfrischend Bruce Springsteen an einem heißen Sommertag. Nicht so überzeugend "Doris Day" am 16. 10. 2016, etwa wenn Day im O-Ton sentimental wird - "Terry was not only my son, he was my buddy" - oder sich entbehrliche über ihr spätes Leben äußert. Burtscher bringt "Too marvellous for words", angeblich aus dem Film "Ready, willing and able". Aber die Aufnahme in Burtschers Sendung ist etwas langsamer und schöner, wird also wohl etwas später produziert worden sein. Oder am 16. 12. 2012 dreißig Minuten mit der Popsängerin Petula Clark zu ihrem 80er, weil gute Arrangements waren in den 1950ern Standard“. Vielleicht wäre die Sendung überzeugender gewesen, wenn Burtscher nicht dauernd fade-outs vorgenommen und nicht fast jedes Mal in die letzten Töne hineingesprochen hätte. Dennoch, Burtscher betont zurecht die E-Gitarren-freie Musik Clarks in einer Zeit, als es mit diesen Gitarren bereits einen mächtigen Aufschwung über die Grenzen der Popmusik hinaus gab. Der Zusammenhang mit Glenn Gould wirkt haarsträubend, Clarks forcierte Stimme zu einem französischen Schlager geradezu hässlich. Vielleicht hätten Vergleichspunkte geholfen mit dem androgynen David Bowie oder zu Julie Driscoll, die etwas zum englischen Jazz zu sagen erlaubt hätte.

Peter Kislinger und Rainer Elstner - Teresa Vogel hat sich im Frühjahr 2016 leider auf den Küniglberg verabschiedet - sind die beiden Einspringer für "Ö1 bis zwei" in den letzten Monaten gewesen. Kislinger - "Einen schönen Tag noch und ein schönes Wochenende, vielleicht mit Österreich 1, wünscht Peter Kislingeraufwiederhören <wie ein Wort ausgesprochen>!" - liest anspruchsvolle, zu detaillierte Texte für den Lesenden selbst zu schnell und affektiert herunter. Seine Sendungen klangen mehr wie "A propos Musik" wochentags um 15 Uhr oder "Konzert am Vormittag". Dann sein indirektes Plädoyer für „Kuschel-CDs“ am 4. 10. 2016, fürSibelius: klassisch, introvertiert, klangprächtig und antimodern-modern“ (am 5. 10. 2016) und zu Ralph Vaughan Williams: „konservativ, altmodisch gekleidet, Tweed, ausgebeulte Schnürlsamthose“ und mit Tratsch zu Verlaine in London, „wo er mit Rimbaud eine Affaire hatte“. Den Vogel abgeschossen hat Kislinger jedoch am Freitag, dem 7. April 2017 mit "Earquake: The Loudest Classical Music of all Time" (Helsinki Philharmonic Orchestra unter Leif Segerstam mit dem Finnish Philharmonic Choir unter Juha Kuivanen, Neupressung). Der ausgebildete Anglist Kislinger zitiert, übersetzt und kommentiert: "'This is the way the world ends / Not with a bang but a whimper'. In T. S. Eliots Gedicht 'The Hollow Men' geht die Welt der hohlen Männer auf 'diese Art zugrund / Nicht mit einem Knall: mit Gewimmer'. Die meisten auf dieser CD kompilierten Musikstücke enden nicht wimmernd, sondern mit einem 'bang'." (https://radiokulturhaus.orf.at/programm/462746) Hier und durch die ganze Sendung hindurch blieb unklar, was Kislinger damit und mit dem Earquake sagen wollte. Einfach ein bissl böse sein? Oder einfach "das Gegenteil der berüchtigten Kuschelklassik-CDs" zeigen? Ginastera, Hanson, Rangström, Schostakowitsch, Bolcom, Leifs, zum Kontrast Rautavaara. Dann jedoch ein längerer Text Kislingers: zuerst war unklar, worauf er hinaus wollte, bald aber stellte sich heraus, dass Kislinger Ives und Cage eins auswischen wollte (was heißt eins?!): "Absolut coole Musik hat für manche Charles Ives geschrieben, auch laute. John Cage hat einmal gesagt, Ives hat um 1900 alles erfunden, was das 20. Jahrhundert musikalisch so ausmacht. Da hat er etwas übertrieben ... Musik von Cage nun ... (Rauschen eingeblendet) Einflüsse von Ives sind in dieser Aufnahme deutlich hörbar, wenn man nur richtig hinhört ... ein paar Sekunden lass' ich Sie mit dieser Musik allein <was Kislinger nicht tut> ... in der Fassung, ja, Cage-Kenner haben es natürlich erkannt, in der Fassung für Klavier, um einiges stringenter als die Streichquartett-Fassung ... ganz zu schweigen von jener mit Originalinstrumenten aus den 50er Jahren, aber das ist Geschmackssache ... am 16. März 1991 ist diese Aufnahme entstanden. Der Pianist ... Wayne Marshall hat mir in einem Exklusiv-Interview für Ö1 gestanden, er würde heute mit weniger Pedal arbeiten. ... Hm, sehr schön, ganz schön. Eine echte Gänsehautstelle, eiskalt, wie beim absoluten Gefrierpunkt, kann einem da werden. Das RSO Wien unter der Leitung von Cornelius Meister. Hm, John Cage, 4 Minuten 33, Stück für nicht spielendes Orchester, eine Aufnahme vom 11. Oktober 2012 aus dem Wiener Konzerthaus ... Ich habe meinen Kollegen und Kolleginnen in der Musikredaktion übrigens eine Chorfassung vorgeschlagen, schon vor einigen Jahren, bisher keine Reaktion erhalten, na ja, cum tacent clamant <keine Antwort ist auch eine Antwort>. Zurück zu meiner CD des Tages." (13:36:40 Uhr bis 13:41:15 Uhr) Dieses Lächerlichmachen von Cage, aber auch von Danzinger, dem Sendungsverantwortlichen von "Ö1 bis zwei", der sich bekanntermaßen in seiner Freizeit als Chorleiter engagiert, wird auf der Ö1-Webseite so dokumentiert:

Komponist/Komponistin: John Cage/1912-1992
Titel: four minutes thirty three seconds
* Tacet 3 - (Ausschnitt)
Solist/Solistin: Wayne Marshall / Klavier
Label: Floating Earth Limited

Komponist/Komponistin: John Cage/1912 - 1992
Album: CALIFORNIAN CONCERT: MUSIC OF EUROPEAN IMMIGRANTS AND THEIR AMERICAN CONTEMPORARIES - Susanne Kessel
Titel: 4'33''
Ausführender/Ausführende: Susanne Kessel /am Blüthner-Flügel Ernst Tochs sitzend, bei geöffneten Fenstern im Salon der Villa Aurora, Pacific Palisades, Los Angeles
Länge: 04:34 min
Label: Oehms Classics OC 534

Komponist/Komponistin: John Cage/1912-1992
Album: my RSO - GREATEST HITS FOR CONTEMPORARY ORCHESTRA (24 moderierte Hörreisen durch 300 Jahre Orchestermusik mit dem RSO Wien) / CD 24 : ALL THE WORLD. DIE GANZE WELT
Titel: 4'33 (Four minutes thirty-three seconds) - Stück für nicht spielendes Orchester
Populartitel: Tacet
Orchester: ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Leitung: Cornelius Meister
Länge: 04:33 min
Label: ORF CD 3156 (Edition 24 CDs) /

Andere Baustelle. Am 8. 2. 2017 nimmt sich Rainer Elstner Nikolaus Harnoncourts als den Gambisten der Gamben-Fantasien von Henry Purcell an. Das geschieht gleich mit einer unangenehmen Spannung. Denn die "CD des Tages" ist nicht von Harnoncourt. Es handelt sich um "Divine Theatre - Geistliche Motetten" von Giaches De Wert, aufgeführt vom Ensemble Stile Antico. Elstner redet wie Peter Kislinger im Ton von "Konzert am Vormittag" oder "Pasticcio". Umso mehr ein Labsal der langsame, besinnliche, vollendet dargebotene Gesang mit Schlüssen wie Fragezeichen, auf den die gesungenen Worte inhaltlich hinführen, aber alles andere als einstimmen. "Als Ergänzung dazu, wie angekündicht <sic!>, noch etwas Besonderes, in 'Ö1 bis zwei', Nikolaus Harnoncourt nicht als Dirigent, sondern als ausübender Musiker <sagte Elstner schon vor wenigen Minuten> an der Gambe, noch dazu mit seiner eigenen Lieblingsaufnahme <das hätte Harnoncourt nie öffentlich gesagt>. Harnoncourt hat selten zu den eigenen CDs gegriffen oder zu den Platten anderer. Aber es gab da eine Ausnahme. In einem seiner letzten Interviews sagte Harnoncourt: 'Eine Aufnahme, die mir lieb ist, sind die Phantasien für drei bis sieben Gamben von Purcell. Das ist für mich <kurze Redepause Elstners> besonders kostbare Musik. Und wir haben daran ein Jahr lang geprobt.'" Frage: Interessiert diese oberflächliche Mitteilung jemanden, solange Elstner nicht vermittelt, dass Harnoncourt 1963 oder 1962 nichts anderes gemacht und nicht hauptberuflich als Cellist bei den Wiener Symphonikern und auch wenig Sonstiges für den Concentus Musicus probte und konzertierte? Irgendwie auch passen Giaches De Wert und Henry Purcell nicht zusammen. Elstner tut nichts, um die Paarung plausibel zu machen. "Übrigens, am 5. März, da begehen wir den ersten Todestag von Nikolaus Harnoncourt." Elstner befleißigt sich unnötigerweise öfters des pluralis majestatis. Er wählt aus und weist zurecht auf die ein-tönige Fantasia Nr. 1 hin. Hier könnte man, in einer anders angelegten essayistischeren Sendung mündlich auf andere One-note-Musik hinweisen, allerdings ohne sich verführen zu lassen, den One Note Samba zu spielen. Jazz hätte die ganze Sendereihe "Ö1 bis 2" in Frage gestellt. Dann, 13 Uhr 17, Harnoncourts Gambe nimmt schon beinahe den Rang der "CD des Tages" ein. Es folgt ein unpassender Hinweis auf den "Schluss dieser Sendung". Wenn die Konstruktion der Sendung nicht schon am Anfang vermittelt ist oder sich andeutet, reißt das den Zuhörer nur beschwerlicherweise auf die distanzierende Metaebene der Reflexion. Jetzt erst kommt (viel zu viel) Information zum Komponisten De Wert, nachdem Elstner schon viel zu Harnoncourt gesagt hat und damit indirekt Purcell übermäßiges Gewicht verleiht. Die Sendung gerät langsam aus dem Gleichgewicht. Dann, seltene Perle von einem Satz: "Aber zunächst hört man Jesus ins Schinakl einsteigen in dieser Melodie, mit noch etwas unsicherem Schritt." Was will uns Elstner da erzählen? Dann wird Stile Antico, der Ensemblename, musikgeschichtlich erklärt. Wieder müssen wir denken und lernen. Informationshäppchen werden hingeworfen. (Radiokolleg-Musikfünftelstunde?) Die etwas ruppig geratende Gegenüberstellung von De Wert und Purcell erinnert an die Ruppigkeit von Le Weekend, auch in der Diktion: "Ein Jahrhundert später in England. ... Seine Gambenphantasien sind ein großartiger Schlußpunkt einer Entwicklung." Jetzt kommt mit Musikgeschichte aber auch noch Information zu Purcell selbst. "Geniale Musik von Henry Purcell. Ab-solute <so betont von Elstner> Musik von großer Schönheit." Unverständlich, wieso der Begriff der absoluten Musik aus dem 19. Jahrhundert hier verwendet wird. So wie Elstner das sagt, ist bald schon jegliche Instrumentalmusik absolut. Dann ein scharfer turn: Elstner lenkt eigentlich unbegründet, aber in sehnsüchtigster Erwartung auf "Popmusik" um und das gerade mit Purcell, als ob dieser die "CD des Tages" lieferte. "Cold Song aus der Frostszene von der Semi-Opera King Arthur." Mit Fink. Wer ist Fink? Und warum soll dieser Sänger so besonders sein? Wende der Sendung mit Fink? "Eines der größten Vorurteile der Popmusik gegenüber ist ja <ja?>, dass sie zu einfach gestrickt sei. Das hat man, da hat man eine ihrer Qualitäten übersehen, den Klang, den Sound. An dem wird gefeilt. Mit dem kann man Referenzen herstellen. Er vermittelt kulturelle Identität und Zeitgenossenschaft." Was will uns hier Elstner verklickern? Ah ja: "Das gilt auch für die Filmmusik. Die muss ja in Sekundenbruchteilen Stimmung herstellen." Muss sie das? Haneke konsultieren! Peter Kubeka konsultieren! "Bekannte Popsongs kann man in nicht einmal einer Sekunde erkennen. Und bei Filmmusik geht das oft auch. So jedenfalls die These. Liebe Hörerinnen und Hörer, auf Sie wartet jetzt ein akustisches Rätsel. Erkennen Sie die dazugehörigen Filme zu den folgenden Ausschnitten und vielleicht auch noch die dazugehörigen Komponisten! Wir hören jetzt jeweils genau eine Sekunde von SEHR bekannter Filmmusik. ... Nun, zu schwierig? Darf ich vielleicht unseren Tonmeister bitten, dass man das noch einmal einspielt." Letzterer Satz wird nicht als Frage gemeint. "Die Auflösung:" - es ist alles von John Williams: "22 Grammies", "fünf Oscars". Ach ja, die Oscar-Verleihung, die jedes Jahr immer mehr mediale Aufmerksamkeit bekommt, droht ihre Ankunft in zwei Wochen an. "Heute wird er 85 Jahre alt." Wie alt ist Giaches De Wert geworden, Komponist der CD des Tages, um die es eigentlich geht? Nichts dazu. Vielmehr folgen wenig belangvolle biographische Informationen zu Williams. Aber es kommt noch abenteuerlicher. Die Kurve zurück wird nicht zu De Wert (oder Purcell, oder Hanrnoncourt) gekratzt, sondern zu Williams' angeblicher Referenz Erich Korngold - mit etwas von ihm und vier snippets von Williams, gefolgt von 5 Minuten und 24 Sekunden "Star Wars"-Musik. Und als ob von Harnoncourt und De Wert nie die Rede gewesen wäre: "John Williams hat auf der Arbeit von Korngold aufgebaut. <So kann man Abkupfern von der klassischen Tradition auch nennen!> Und er nutzt Wagners Leitmotivtechnik." Ah ja. So unfundiert kann perfekter Kommerz musikgeschichtlich nobilitiert werden! De Werts Lebensdaten sind noch immer nicht genannt, aber, wir haben's schon vergessen, daher noch einmal: "John Williams wird heute 85 Jahre alt. Und Ö1 gratuliert natürlich auf diesem Wege." Hat De Wert das Pech des Fehlens eines Jahrestags und dass er nicht so prominent ist? "Zum Abschluß noch einmal Nikolaus Harnoncourt an der Gambe." Übrigens, als ob Harnoncourt zugelassen hätte, von ihm an erster Stelle und nicht vom Ensemble Concentus Musicus zu sprechen! "Noch einen interessanten Tag mit Österreich Eins wünscht Rainer Elstner."

Auch in "Ö1 bis zwei" sechs Wochen später am 24. 3. 2017 kann Elstners Sendung zu Pergolesis "Stabat Mater" <1736!> in der Einspielung von Tim Mead und Lucy Crow mit La Nuova Muscia nicht überzeugen. "'Es ist das vollkommenste und bewegendste Ballett, das jemals aus der Feder eines Komponisten geflossen ist, um Schmerz fühlbar zu machen.'" So Elstner mit Jean-Jacques Rousseau über den Beginn von Pergolesis Stabat Mater. Aber, diese kulturgeschichtliche Perle dürfte man nicht gleich zu Beginn ausspielen und müsste sie auch gut verpacken. Es folgen zwei Arien. Elstner: "Wenn dann aber gegen Ende der Arie Geiseln, Dornen, Spott und Hohn geschildert werden, die auf Jesus niederprasseln, schlägt die Stimmung in den Streichern um - da fliegen die Bögen peitschend über die Seiten." Nichts davon zu hören. Es folgen zwei Arien. Elstner in der Sendung, ohne weitere Angaben zum Tonträger: "Unsere CD des Tages." Das ist gelogen, denn de facto macht Bach die andere Hälfte der CD aus, wie schon das CD-Foto erahnen ließ (http://oe1.orf.at/player/20170324/465161, inzwischen offline). Es folgen ein Stück Ouvertüre und ein Szenenausschnitt von Händels Oper "Il pastor fido". Das gibt Elstner den Anlaß, kurz auf den Buffonistenstreit 1752 bezüglich Pergolesis Intermezzo La serva padrona hinzuweisen. Es bleibt aber beim Anstoß, der nicht weiter ausgeführt wird und im Rahmen von "Ö1 bis zwei" auch nicht ausgeführt werden dürfte. Nur, der berühmte Streit (in dem Rousseau auch eine Rolle spielte), stiehlt dem Stabat Mater die Show, ganz zu schweigen, dass, vorwegnehmend, Bach jetzt überhaupt nicht mehr das nötige Gewicht der CD-des-Tages zukommen kann. Und doch wäre es Elstners Aufgabe gewesen, die Gegenüberstellung Pergolesi und Bach anzusprechen. Es folgen nun drei ein halb Minuten aus Pergolesis "La serva padrona" und dann noch einmal etwas aus dem Stabat Mater des Komponisten. Aber auch in dieser Sendung kommt auf die Zuhörer eine harte Kurve zu: "Wir bleiben bei einem Großen der italienischen Opernmusik<??>; morgen vor 150 Jahren wurde Arturo Toscanini in Parma geboren. 1896 dirigierte er die Uraufführung von La Bohème ... Der Antifaschist (Toscanini)". Und dabei haben wir noch das schöne 18. Jahrhundert in den Ohren! Der Pianist Horowitz rückt kurz in den Mittelpunkt. "Es gibt da mehrere Versionen. <von welchem Werk?> Wir haben uns für die Live-Version <von welchem Werk?> von 1941 entschieden." Wir werden sechs Minuten auf die Folter gespannt. Tschaikowski ist es. Aber nicht um ihn geht es: "Morgen vor 150 Jahren wurde Arturo Toscanini geboren." Das hatten wir schon ganz vergessen. Gut, dass es uns noch einmal gesagt wird. Jetzt aber: "Und da nehmen wir den Umweg über Johann Sebastian Bach. Auch er hat sich mit Pergolesi auseinandergesetzt" Na sowas?! Es folgt kein Wort darüber, wie sich Bach mit Pergolesi auseinandersetzte. Wie denn auch! Entstanden doch die beiden Bach-Kantaten vor dem Stabat Mater. Dass außerdem Elstner seinen Text zu schnell vorliest, zeigt der folgende, von Elstner erst gar nicht entschuldigte Versprecher: "Davon hat sich das Ensemble Na Nuo La Nuova Musica hat sich inspirieren lassen und hat für seine CD auch zwei frühe Bach-Kantaten eingespielt." Wie so oft bei Elstner wird dann über das Fade-In drübergesprochen. Egal, es ist ja nur geistliche Musik! Da kann man das ja machen! Checkt Elstner in der Kirche am Handy die neuesten Messages, wenn gerade gesungen wird? Dann tut Elstner so, als ob der erste von 5 Teilen der Bach-Kantate schon das ganze Werk BWV 170 wäre. Es folgt "Vergnügte Ruh! Beliebte Seelenlust", aber es sind nur 4 Minuten, nicht die ganze Arie (Nr. I), denn die dauert auf der CD 6:24. Deswegen Fade-In? So führt man das Publikum hinters Licht. Dann kommt endlich etwas Klarheit in die Zusammenstellung: "Diese Kantate von Johann Sebastian Bach findet sich auf unserer CD des Tages neben Pergolesis Stabat Mater." Wir müssen auch wissen: Pergolesi "starb an Tuberkulose". Stabat mater dolorosa, hallo! Es geht hier um den Tod Jesu, nicht um Tuberkulose. Dann nicht der Funken einer Ansage. Abrupter Einstieg in zarte Musik. Man darf vermuten: Pergolesis Stabat Mater. Auch die Absage bleibt ohne Werkverweis: "Diese <!> CD des Ensembles La Nuova Musica ist unsere CD der Woche." Alzheimer, schau oba - nicht der Woche, denn die gibt's nur im Klassik-Treffpunkt am Samstag. Macht sich Elstner schon auf die Übernahme einer Moderatorenstelle dieser Sendung Hoffnung? "Noch einmal zurück zu Toscanini." 'Zurück' oder 'noch einmal' - beides braucht es nicht! Wir springen also vom Stabat Mater ins Studio 8 H im Rockefeller Center in New York. Was für eine Verbindung! Es folgen unbeschrieben 13 Minuten und zwölf Sekunden Ludwig van Beethovens Ouvertüre "Leonore III". So wenig bereichernd und unpassend wie schon Tschaikowski für Pergolesi/Bach. "An den Reglern war für Sie heute Herta Werner Tschaschl. Aber das letzte Wort heute, das gehört Pergolesi und seinem Stabat Mater". Was für gehaltvolle letzte zwei Sätze in einer Sendung, deren Potenzial nicht nur nicht erkannt, sondern souverän verschenkt wurde! Bleibt zu erwähnen: Elstner hat (wie Kos) noch immer nicht gelernt, dass man "Ö1 bis zwei" mit Worten der Moderation ausklingen lassen muss. So kippt er uns unabgebremst vom Kontratenor und Sopran in die Ö1-Werbung, die mit dem Mezzosopran Isoldes aus Wagners Oper startet.

Die Musikchefredaktion unter der Leitung Tschaikners, aber auch bis zu einem gewissen Grad Danzingers als Sendungsverantwortlichem stellt sich leider ein schlechtes Zeugnis aus. Elstner wie auch Kislinger werden nicht auf ihre short-comings hingewiesen so wie auch Kos nicht auf die seinen. Das stimmt merkwürdig mit dem zunehmend diffusen Selbstbild überein, das "Ö1 bis zwei" von sich gab. Seit der neuesten Programmreform am 1. Mai 2017 gibt es auf der Ö1-Webseite keine Sendungsbeschreibungen mehr. Schon seit dem 10. Oktober 2016, mit der Einführung des ab diesem Tag neuen Webplayers (bereits sieben Monate später wieder ersetzt) gab es neue, im Vergleich zur Zeit davor merklich kürzere Sendungsbeschreibungen (http://oe1.orf.at/oe1biszwei, http://oe1.orf.at/sendungen/a-z/O). Von Klassik war nun zu "Ö1 bis zwei" keine Rede mehr. Es klang schon gefährlich nach dem, was zum damaligen Zeitpunkt allein „Ö1 bis zwei - le week-end“ vorbehalten war: „Entspanntes Hören von Musik aller Richtungen und Epochen ist das Ziel von 'Ö1 bis Zwei'.“ "Ö1 bis zwei" war in Gefahr, in eine „Strecke“ von aufgelockertem Mittagsjournal wie auf FM4 nun (statt bis 13 Uhr) bis 14 Uhr aufgelöst zu werden, enthaltend, was nun "Des Cis" als Elemente enthält, nur in der halben Sendezeit. Und dann gibt es da noch den Druck mit der doppelten Forderung nach einem Newskanal und infolge einem abgespaltenen (Klassik?-)Musikkanal.

All dem gegenüber muss Ö1 weiter Vollprogramm sein. Popmusik sollte auf den Gegenstand der Erforschung und Reflexion (Radiokolleg, Freitagnacht) beschränkt bleiben, da es in der ORF-Radioflotte für Popmusik schon genug Sender, nämlich drei (!) gibt: Ö3 - die Radio gewordene Lüge für den Mainstream der Popmusik, FM4 - der alternative mainstream - und die ORF-Regionalradios, das regional akzentuierte Ö3 für die Erwachsenen.



c. Wolfgang Kos' Ö3-Museum auf Ö1



Ich meine nicht das gurgelnde Verschwinden

von Zeit im Abfluß des Radios

(Jelinek 1999)



Wie jede Radiosendung beginnt auch "Das Popmuseum" mit einer Signation. Man möchte meinen, jede Sendung eines Senders hat ihre eigene Signation, die nicht von einem anderen Sender übernommen wird. Nicht so beim "Popmuseum". Es nimmt seine Sendungskennung von Ö3 einfach mit. Seinerzeit auf einem guten Sender gelungen, erscheint die damalige akustische Ankündigung und ihre symbolischen Intros für die 50er bis 80er Jahre aus heutiger Sicht 2017 mehr als beschränkt. Hat die Geschichte der Popmusik nicht längst die 90er und Nuller Jahre erreicht? Müssten nicht inzwischen auch Jazzstandards oder Filmmusik akustisch geadelt werden, die inzwischen 'populär' geworden sind?

Als Seitenschiene der Sendung "Musicbox" auf Ö3 nachmittags, die die rasanten Entwicklungen in Rockmusik und Alternativkultur verfolgte, war das Ö3-„Popmuseum“ von und für Wolfgang Kos abends von 1970 bis 1972 eingerichtet, 1974 und dann wieder von 1987 bis 1997. Gründlich vorbereitet, gut recherchiert, Songs präzise etikettierend machte die Sendung seinerzeit dem Namen Museum im Kontext von Ö3 alle Ehre, auch wenn sie ungewöhnlichen Themen gewidmet war. Man konnte auf dem Kommerzsender Ö3 etwas lernen. Später machte Kos, als Direktor des städtischen Wien Museum von 2003 bis 2015 - von hier wurde am Sonntag, den 3. Juli mittags, die erste Sendung von zehn des Sommers 2016 live gesendet - unter dem Titel „Popmuseum“ im Wien Museum sporadisch DJing, auch mit Partnern im Dialog. Der Titel „Popmuseum“ machte auf Ö3 so wie die Jazzsendung „Vokal Instrumental International“ von 1967 bis 1987 im heute geschichtsvergessenen, dem „Neuen“ verschriebenen Sender Ö3 Sinn. Kos konnte den zahmeren Teil der Rockmusik und Benachbartes einem Publikum präsentieren, das bei der progressiven „Musicbox“ um- oder abschaltete.

Als Direktor des Wien Museums geradezu populär geworden, schrieb Kos 2016 in seinem Eigenporträt "Nostalgiefreie Zone" zur Geschichte des "Popmuseums" selbstverliebt: „Beim Versuch, die Kapitel einer langen Geschichte zu rekonstruieren, schlage ich besser bei Wikipedia nach.“ Und gegenüber den Ö3-Zeiten: „Was wird anders sein? Das weiß ich noch nicht genau, denn ich habe noch nie auf einem Kultur-, Wort- und E-Musik-Sender <Ö1> durch Ausstellungen mit Exponaten aus Pop, Folk, Blues, Punk, Reggae, Rock oder Hip-Hop geführt.“ (http://oe1.orf.at/artikel/443002) Das ist gelogen, denn in der Ö1-Sendung „Spielräume. Musik aus allen Richtungen“ wochentags von 17 Uhr 30 bis 18 Uhr, deren Titel Kos mitprägte und die er montags und noch in seiner Wien Museum-Zeit im August 2004 mittwochs moderierte, tat Kos nämlich genau das: Exponate servieren von Pop, Folk, Blues, Punk, Reggae, Rock oder Hip-Hop mundgerecht.

Das ist heute Geschichte. Pop ist inzwischen salonfähig in Cultural Studies ebenso wie im Museum, siehe David Bowie 2013 im Londoner Victoria & Albert Museum und in anderen Städten. Zudem ist es in den letzten Jahren schick geworden, „Pop“ als den sanfteren Teil des alternative mainstream durch die öffentliche Hand zu fördern, siehe das sommerliche Wiener Popfest seit 2010. Die Hoffnung ist wohl, dem österreichischen alternative mainstream als einem neuen Austropop auf die Sprünge zu helfen und sei es auch nur auf FM4, wenn das breitenwirksame Ö3 nicht anbeißen sollte.

Nun lebt nicht nur die ORF-"Hauptabteilung HD2 Wissenschaft, Bildung, Gesellschaft" (HD = Hörfunkdirektion; Hauptabteilung HD1 Information, Hauptabteilung HD3 Kultur, Hauptabteilung HD4 Religion, Hauptabteilung HRO Spezialprogramme), sondern auch ein Museum von der Forschung über seine Objekte und ihre Hintergründe. Das gilt auch noch für eine Sendung, die aus dem verbreiteten Verfall des historischen Sinns Aufwind gewinnen möchte. Hier mündet die Forschung in Exponatslisten und Kontextbeschreibungen von wie auch immer subjektiv angelegten Ausstellungen wie etwa bei Harald Szeemann, der einst Kos' Vorbild war. Kataloge dieser Art hat Kos tatsächlich als Ausstellungskurator seit 1980 erstellt, noch vor seiner Zeit im Wien Museum. Andererseits darf beim gebildeten Publikum von Ö1 vorausgesetzt werden, dass es mit 'Katalogen' und der in sie einfließenden Forschung umgehen kann.

Aber, um auf das "Das Popmuseum" von 2016 einzugehen, Kos bringt nur einen einzigen Hinweis auf verwendete Literatur, nämlich auf Simon Reynolds' Retromania von 2012. In der Sendung am 3. Juli 2016 wird auf das Buch en passant angespielt, kurz und auch nur für diejenigen erkennbar, die die Webseite zur Sendung lasen (http://oe1.orf.at/programm/20160703/435801). Schon keine Quelle mehr führt Kos an, wenn er für die Sendung am 17. Juli schreibt, dass die „Feministin Thulani Davis“ Aretha Franklin eine „'Mystikerin des sexual healing'“ nannte (http://oe1.orf.at/programm/20160717/436507). Ganz im Dunklen bleibt am 11. April 2017 der Hinweis auf die art schools, aus denen heraus Lennon, Keith Richards, Clapton, Ray Davis, Bowie, Brian Ferry und Syd Barrett ihre Kreativität entwickelten - beruht diese Beobachtung auf Kos' eigenen Forschungen, zieht er Information aus der inzwischen umfangreichen Forschungsliteratur heran, oder hat er einfach nur Rebecca Lovell/Elliot Smith/Will Hodgkinsons Artikel "Britain's art school pop stars" gelesen? (Source: Observer Saturday 18 April 2009 23.01 https://www.theguardian.com/theobserver/video/2009/apr/19/music-art; alternativer Titel und Erscheinungsort: Pop and rock. The Observer. So, what did you learn at school today? This country's art schools and colleges have famously produced our most inventive pop stars. But does the same still hold true today? Sunday 19 April 2009 00.01 https://www.theguardian.com/music/2009/apr/19/art-schools) Diese Unzulänglichkeiten sind der Ö1-Leitung wohl als vernachlässigbar erschienen, wenn sie ihr überhaupt auffielen.

Wie war die handwerkliche Qualität? Das Popmuseum strotzt nur so von Moderatorenfehlern:

- wie auf Ö3 werden die Nummern angesagt, während sie laufen (direktes Aufkleben der Angaben auf das Exponat),

- die Nummern werden mitunter gar nicht angesagt (Exponate hängen ohne akustische Beschriftung),

- die Nummern werden sehr oft dem Jahr der Veröffentlichung nicht zugeordnet (fehlende Datierung),

- die Nummern werden beinahe systematisch nicht ausgespielt (der Rahmen deckt einen Teil des Bildes ab) als Moderatorenkrankheit, etwa Falcos „Junge Römer“ 2:00 statt 4:37 Minuten, Bebel Gilbertos „Tanto Tempo“ 1:00 statt 2:25 Minuten, Ry Cooder/Flaco Jimenez' 0:30 statt 4:07 Minuten und El Komanders „El Regreso del Chapo Guzman“ nur mehr kurz angeteast statt 1:50 Minuten,

- Nummern werden gelistet, aber nicht gespielt (die Wand bleibt leer), etwa von Tim Buckley (http://oe1.orf.at/programm/442356 offline) oder Georg Danzer (http://oe1.orf.at/programm/443292 offline),

- der Ö1-Signation vor den Nachrichten um 14 Uhr wird erst ab der vierten Sendung soviel Zeit eingeräumt, dass sie die Schlussmoderation nicht abwürgt (statt "Museen der Stadt Wien" nur mehr "Museen der Sta"),

- Aussprachefehler, vier in einer Sendung der Karwoche, werden nicht einmal korrigiert, „Sänger“ statt „Sängerin“ zu Aretha Franklin, "Klaus Wienerroithner: Regie" statt "Klaus Wienerroither: Regie" (jedes Museum verfügt über Restauratoren und Korrektoren),

- Songlisten werden oft erst mit wochenlanger Verspätung nachgereicht (wie Kataloge nach Ausstellungsschluss). Diejenige zu Aretha Franklin fehlt bis heute (http://oe1.orf.at/programm/20160717/436507).

À propos Aretha Franklin.

(Es folgen nun Bemerkungen zu den Sendungen "Soul Sister Number One - Aretha Franklin und ihre Aufnahmen für Atlantic", Hinter Gittern", Rückimport - Wie Musik aus Amerika die Popkultur Afrikas beeinflusste, Black Power - Stolz und Zorn in der Soulmusik um 1970“, "Das typisch Englische", „Across the Borderline – Musikalischer Grenzverkehr zwischen den USA und Mexiko“, "Songs mit mehr als drei Städtenamen" und "Songwriter Randy Newman".)

Aufs Erste kommt die Sendung "Soul Sister Number One - Aretha Franklin und ihre Aufnahmen für Atlantic" am 17. Juli gut daher. Nur, von den vielen Songs, die Kos vor- und anspielt, hat einen einzigen Aretha Franklin selbst geschrieben. Über den musikindustriellen Hintergrund, der einen Star wie Franklin erst möglich machte, kommt von Kos kein Wort. Ob bei all den Zeitnöten, die die Sendung durch vorzeitige Fade-outs unnötig unruhig machen, die Nummer „Respect“ in zwei Aufnahmen gespielt werden muss, darf bezweifelt werden, zumal das Fade-out bei der zweiten mitten in den Gesang hinein erfolgt (wie das respektlose Drübersprechen mitten in den Gesang von „Do Right Woman, Do Right Man“). Stattdessen hätte Kos besser die substanzielle feministische Abänderung der gesamten Otis-Redding-Nummer durch die Sängerin und ihren Producer erläutert. Ist es Aretha Franklin wert, mehr als nur als Beispiel der Musikindustrie gehört zu werden (wie es Michael Jackson wäre)? Oder macht genau das den Unterschied etwa zu den musikalisch innovativen späteren Beatles aus? Während Franklin in den späteren 60er Jahren gerade einmal neue, emanzipierte Inhalte in die Songtexte einbrachte, ohne selbst Songs zu schreiben, brachten die Beatles eine musikalische Revolution zustande, die die cantautori über ihr solides Songwriting nach 1965 in Bereiche vorstießen ließ, von denen Franklin nicht einmal träumen konnte. Das - ! - und die Entfaltung dieses Gesichtspunkts würde Ö1 ausmachen! Aber Kos bleibt einer Hitmaschinerie verhaftet, wie es Ö3 heute ist.

Nicht hinreichend wird von Kos gezeigt, warum es „Hinter Gittern (Teil 1) - Mordgeschichten und Gefängnisleben“ und dann noch extra „Hinter Gittern (Teil 2) - Musiker im Gefängnis“ (24. und 31. Juli) braucht. Könnte man doch Teil 2 als in Teil 1 enthalten denken! Nehmen die Gefängniskonzerte, denen Teil 2 eigentlich gewidmet war, im Gefängnisleben tatsächlich eine zentrale Stellung ein? Das zu glauben, liefe auf blanken Zynismus gegenüber einer Musikindustrie hinaus, die die Häftlinge nur wahrnimmt, wenn sie von ihr in Schallplatten 'verarbeitet' werden kann. Ein einziger Häftling wirft hier schon ein Paradox auf, nämlich der weiße producer Phil Spector. Er musste den von ihm erfundenen Wall of Sound nach einem Mord mit lebenslänglichen Gefängniswänden tauschen. Was aber wäre die musikalische Bedeutung dieses Sachverhalts? Kos bleibt die Antwort schuldig. Oder andere (weiße) chief executive producers im teils schwer korrumpierten Business wie der weiße Lou Pearlman, der als Promotor von Boygroups spürbar musikalische Wirkung zeitigte (nicht bei Kos) - wäre deren Erörterung in einem Bildungsradio wie Ö1 tabu? Dagegen bemüht sich Kos, eine Reihe von eher armen schwarzen Musikern auftreten zu lassen, von denen nicht immer geklärt ist, was sie „Hinter Gittern“ brachte. Auch ging Kos nicht darauf ein, was Johnny Cash („mit den wunden Seelen auf Du und Du“, ach ja!) sonst noch für Inhaftierte getan hat. Cash setzte sich bekanntlich für Insassen über seine Konzerte hinaus auf eine politische Weise ein, wie das in den 70er Jahren Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre und Michel Foucault in Frankreich taten. Dann passten nicht alle von Kos Gespielten wie Chuck Berry oder Leadbelly in das Schema rassistisch Verfolgter. Und das politische Opfer Fela Kuti in eine lange Reihe mit mehr oder weniger kleinkriminellen Delinquenten zu stellen, ist für Kuti eine Beleidigung. B. B. King seinerseits, kein Insasse, war nur mehr business man, wenn er die Standard-Show im Gefängnis 300 Mal im Jahr spielte, was Kos redlicherweise selbst mitteilt.

Der Sendungstitel „Rückimport - Wie Musik aus Amerika die Popkultur Afrikas beeinflusste“ führte in die Irre (http://oe1.orf.at/programm/444712). Einflüsse wurden keine aufgezeigt, geschweige denn angesprochen. Der in der Sendung nachgelieferte Titel trifft es besser: „Afrikanische Popmusik“, wenn das auch wieder keine historische Festigkeit in der Sendung erlaubt. Der Mangel verstärkt sich durch beinahe systematisches Verschweigen der Produktionsjahre und den Verzicht der Absteckung des historischen Felds. Als ob Kos einfach aus einer reichen Geschichte schöpft, die mit Benennung des Zusammenhangs beim besten Willen nicht in einer knappen Stunde zu bewältigen ist.

Recht gelungen dagegen „Black Power - Stolz und Zorn in der Soulmusik um 1970“ (http://oe1.orf.at/programm/445896), eine Sendung, die dem Publikum von Ö3 ebenso zu wünschen wäre wie die über "Das typisch Englische" (http://oe1.orf.at/programm/447020). Kos bringt hier ein soziologische Feingefühl auf, die genau diejenige denkerische Distanz zur Musik ermöglicht, die von einem Sender wie Ö1 gegenüber Popmusik zu erwarten ist. Dann aber fehlt wieder das Grundbesteck. Kos spricht hemmungslos mittendrin in Elton Johns' Saturday night's alright for fighting. Und wie viele Jahre sind Blur von Elton John voneinander entfernt? Dass Blur wie auch The Smiths mit Morissey an The Kinks anknüpfen, wird zwar suggeriert, aber nicht thematisiert. Auch eine amerikanische Studie über Englishness wird nur erwähnt, aber nicht benannt. Überhaupt ist eine Sendung über das Englische so eine Sache, wenn mit keinem Wort der Brexit zur Sprache kommt, mit dessen Vorgeschichte die Auswahl der gespielten Nummern und ihre sozialen Bedingungen wohl zu tun haben. Gut zum Ausdruck kommt, dass sozial ab den 80er Jahren nicht mehr von John Lennons Working Class Heroes, sondern von Sozialhilfeempfängern zu sprechen ist, etwa mit der farbig-weißen Band The Specials mit Ghost Town 1981, in welcher Nummer auch eines der wenigen Soli des ganzen "Popmuseums" vorkommt, ein Trompetensolo. Stimmt nicht ganz. Es kommt, etwas eigenartig versöhnlich, "eines der schönsten Beatles-Lieder als Finale einer Sendung über das typisch Englische", so Kos. Penny Lane. Das schöne, selten gespielte Englischhornsolo benennt und erklärt Kos nicht, auch nicht in http://oe1.orf.at/programm/20160904/442308 (keine Liste enthalten). Hallo? Popmuseum?

Schwach wiederum das sentimental gefasste Thema „Across the Borderline – Musikalischer Grenzverkehr zwischen den USA und Mexiko“ (http://oe1.orf.at/programm/20160710/436155). Es kamen nur US-amerikanische Musiker zum Zug. Die Gelegenheit, Carlos Santana auf Tijuana beziehen zu lasen, wo er einige Jahre lebte, blieb ungenutzt. Dann die mehr als entbehrliche Lustigkeit, ja selbst für Kinder vertrödelte Zeit der Sendung "Songs mit mehr als drei Städtenamen" (http://oe1.orf.at/programm/20160828/440266) - der Bundesbahnblues erschien unter all dem Amerikanischen seltsam verloren, und wenn Kos auf Bob Dylans Bezugnahme auf das Hochwasser im Mississippi-Delta anspielt, wo der Country-Blues erfunden worden sei: Was hat das mit drei oder mehr Städtenamen zu tun?

Bei der Sendung über den "Songwriter Randy Newman" endlich (http://oe1.orf.at/programm/445304) klappte nicht nur, dem Ö1-Prim-Quint-Oktav-Geigenton unmittelbar vor 14 Uhr seinen Zeit zu geben. Kos schöpft aus einer umfassenden Kenntnis und auch persönlichen Liebe zum Objekt der Sendung. Der immer adrette Newman, der sich erst in den frühen 70er Jahren im Alter von 30 etablierte, als allmählich Beruhigungsmittel gegen eine immer wildere und lautere Rock- und Jazzmusik gebraucht wurden - Kos brachte ihn andernorts gegen die seiner Meinung nach lyrics-unkundigen Drahdiwaberl in Stellung - , dieser Newman wird durchaus interessant präsentiert. Kos nimmt den Zugang vornehmlich über Songzeilen und demonstriert mit wenigen Strichen, dass da nicht nur ein gebildeter Musiker, sondern gebildeter Mensch überhaupt von Erfahrungen und Beobachtungen auf dem hohen lyrischen Niveau handelt, das von vielen Rockmusikern nicht einmal angestrebt wurde. Doch fehlt Kos die historische wie auch generell intellektuelle Distanz, die ihm erlauben würde, Newman in einen Bezug zu den Lyrics-Größen seiner Zeit zu setzen, etwa Bob Dylan, Leonard Cohen, Joni Mitchell, Neil Young und Patti Smith. Man könnte heute sagen, Newmans Lieder sind klassisch und daher museumswürdig. Aber was bedeutet diese Klassizität für einen Sender wie Ö1, dem eine eigene Art von Klassik aufgegeben ist? Dazu bleiben Kos' Kommentare zu sehr die eines Fans.

Ein dreiviertel Jahr später hat die Ö1-Leitung Kos noch immer nicht auf seine handwerklichen und konzeptuellen Probleme aufmerksam gemacht. 14. April 2017, "Popmusik am Karfreitag?". Auf Patti Smith's "Easter, La Resurrection" - "auch Psalme fließen ein" - folgt thematisch grundlos ein Ostersonntags-Jazzsong. "Geng<!>regrenzen". "Wie wird das Feiertagswetter?" Dann Johnny Cash's "When it's springtime in Alaska", was mit dem vorgenommenen Thema "Popmusik am Karfreitag?" oder Ostern (http://oe1.orf.at/programm/20170414) gar nichts zu tun hat, wie auch die Lyrics zeigen. Weiter zum nordirischen Karfreitagsabkommen mit Musik von The Chieftains: endlich einmal schön langsam und ohne Metrum - auch das gibt es in der Popmusik! Dafür dann wie die Faust aufs Aug' die Ö3-Band U2 mit dem nordirischen "Blood Sunday", dem 30. Jänner 1972 - Karfreitag? Ostern? Will Kos sagen, dass sich in diesem sinnlosen Bürgerkrieg jemand christlich aufgeopfert hat? Nächste Nummer: wieder ein ebenso inhaltlicher wie musikalischer Bruch: Judee Sill mit "Jesus was a crossmaker" und "The Donor", in welch letzterer Nummer ein gesungenes Kyrie eleison aber nichts mit der österlichen Dreitagesfeier zu tun hat. Und so weiter, und so weiter. Und zum Schluss wieder: weil die Zeit davon läuft, redet Kos plötzlich andauernd in die Musik - keine Abmoderation mehr - , das Ganze kippt in die Werbung für eine CD mit Händel's Joshua.

Resümee. Meist ist die Sendung nicht mehr das gründlich recherchierte "Popmuseum" von einst. Es kommt viel eher der Kos'schen Ausgabe montags der halbstündigen „Spielräume“ von 1995 bis 2003 gleich, bevor Kos selbst ins von ihm so benannte Wien Museum wechselte - tatsächlich gehört die Musikausstellung "Popmuseum" eher in ein städtisches Museum als in das Mumok oder Kunsthistorische Museum. Schon in jene „Spielräume“ rissen bei Kos Sorglosigkeiten ein. Seine „Spielräume“ waren zu sentimental und narrativ auf den Inhalt der Lyrics ausgerichtet, ohne dass das zu historischen Erkenntnissen gemünzt würde. Feelies, sagt Kos selbst im Schielen auf Sommer-Musik. Und dann fällt auf: Es kann für Kos im Pop nur Songs geben. Als ob im Pop, zu dem Rock und andere avanciertere Spielarten gehören, Instrumentales erst gar nicht vorgesehen ist - eine einzige lange Nummer, "Matti Groves" von Fairport Convention, in 23 Sendungen - ist zu wenig. Immerhin, Kos, einst ein sehr guter Journalist, hat Geschmack, wenn er sich nicht konzeptuell verheddert. Doch hätte es auf Ö1 der Wiedereinführung von "Das Popmuseum" überhaupt bedurft? Haben nicht die "Spielräume", auch nach dem Abwandern von Elke Tschaikner (die Kos' montägliche "Spielräume" seinerzeit übernahm) in die Ö1-Direktion, längst die Funktion eines Popmuseums übernommen, allen voran die Freitage, Montage und nun wieder die Freitage, die Wolfgang Schlag betreut? Von den Sonn- und Feiertagen seit dem 1. Mai 2017 nicht zu reden. Und ist nicht in weiteren Sinn die mission accomplished? Man höre "A Propos Musik" freitags (bis 30. April 2017), Scheib pro Pop, Hosp pro Pop, Kneihs pro Pop, Elstner pro Pop, Neuhauser pro Pop, Niedermayr pro Techno und Club-Musik, Zeit-Ton pro Jazz am Donnerstag und, seit 1. Mai 2017, "Anklang" pro Salonmusik.

Nein, selbst der Begriff der Popmusik müsste höher angesetzt werden - analog der Pop Art. Diese formierte und positionierte sich bekanntlich gegenüber dem abstrakten Expressionismus, besonders aber gegenüber der Minimal Art, dann auch der Konzeptkunst, Performance-Art, Land-Art und Postminimal Art. So war Pop Art von Anfang an Hochkultur. Das heißt, sie war nicht popkulturelle, kommerzielle Typographie, Plakatproduktion, Massenfotografie, Designproduktion. Pop Art bediente sich ihrer nur des Pop. Und sie verklärte sie in ihren Werken. Auch müsste der Begriff Popmusik breiter angesetzt werden - vokal und instrumental, kürzer und länger, mit Rock, Jazz und Klassik - , inkludierend „Heavy Weather“ von Weather Report, "Reich mir die Hand, mein leben" von Mozart, die Tritsch-Tratsch-Polka von Strauss und "In Memory of Elizabeth Reed" von den Allman Brothers. All dem trägt Kos, oder wer auch immer sonst ein Musikmuseum machen sollte, nicht Rechnung. Und selbst in der Popmusik fand Aufhebung statt: Es drangen klassikfreundlich - nach den Beatles, Cream und Miles Davis - anspruchsvolle Klangwelten, lange Kompositionen, ausgefeilte Konzepte, mehrteilige Stücke und multimediale Verfahren ein. Davon hält sich "Das Popmuseum" so weit entfernt, dass es sich den Vorwurf einer tiefgehenden Klassikfeindlichkeit auf Ö1 gefallen lassen muss. In der jetzigen Erscheinung sollte es wie seinerzeit auf Ö3 oder FM4 ausgestrahlt werden.

Wenn 'Das Popmuseum' Symbol für einen wie auch immer friendly gemeinten takeover von Österreich 1 ist, dann entstand die Eignung für diese symbolisch noch weiter greifende Übernahme nicht von heute auf morgen. Es ist das eine Eignung, die sich im Zeichen einer Konvergenz mit den anderen ORF-Radiosendern und einer gewissen Rekonvergenz mit Ö3 schon seit Längerem abzeichnete. Dabei ist die Radio-Ikone von Relevanz, zu der Kos spätestens mit der ehrenvollen Berufung zum Direktor des Historischen Museums der Stadt Wien aufstieg und die noch stärker strahlte, indem er das Museum erfolgreich umbenannte, bespielte und vermarktete. Kos war, aus Baden bei Wien gebürtig, Symbol für die Wien-Zentriertheit von Ö1. Aber nicht nur. Kos ist auch Symbol für das Geschiebe und Verdrängen im Ö1-internen Wettbewerb und Machtkampf.

Wolfgang Kos, heute 68, arbeitete seit 1968 für die einstündige Musicbox auf Ö3 und war von 1980 bis 1984 ihr Leiter - es gibt übrigens über diese extrem bedeutende Sendung (gegründet 1967, 1995 eingestellt, Grundlage von FM4) so wie auch über Walter Richard Langers gleichermaßen bedeutende Jazzsendung Vokal Instrumental International (1967-1987) keine Forschungen (http://aleph23-prod-acc.obvsg.at/). 1984 stieg Kos in den Sender Ö1 ein als Mitbegründer und Leiter des zweistündigen samstäglichen Radiofeuilletons „Diagonal – Radio für Zeitgenossen“ zusammen mit Michael Schrott (bis 2012), der sich schon in der Musicbox mit der deutschen Klassik ins Verhältnis setzte durch seine vielteilige, autobiographische Serie "Italienische Reisen - Johann Wolfgang Goethe 1786 - Michael Schrott 1986". Kos war auch Co-Leiter des von 1983 bis 1991 zweijährlichen, mit Edek Bartz organisierten Festivals 'Töne und Gegentöne', das damals wenig Bekanntes der neuesten Avantgarde in E-Musik und New Wave, Jazz und Folk nach Wien brachte und substanzielle Begleitkataloge produzierte. Von 1995 bis zu seinem Abgang vom ORF 2003 war Kos Moderator der Montagssendung der "Spielräume", die er an Rockmusik orientierte.

Aber noch viele andere Musicbox-Mitarbeiter nahmen und nehmen Einfluss auf und arbeiten für Ö1: Nora Aschacher (Nova. Abenteuer, Perspektiven, Utopien, Leiterin des Radiokollegs bis 2007), Martin Blumenau (rechte Hand von FM4- und ab 2016 auch ORF-Radio-Direktorin Monika Eigensperger und Dylan-Experte in den Ö1-Sendungen Kulturjournal/Spielräume ab 17 Uhr 09 am 13. 10. 2016), Werner Geier (FM4-Gründer von Tribe Vibes, welche Sendung heute von Radiokolleg-Beitragsgestalter Stefan Trischler geleitet wird, der im Ö1-"Radiokolleg" zu hören ist), Hubert Gaisbauer (erster verantwortlicher Leiter der Musicbox), Walter Gellert (Im Künstlerzimmer, Leitung der Kulturredaktion bis 2003), Doris Glaser (gehört.gewusst, Contra, Kabarett direkt, Gedanken, Ö1-Kulturzelt), Richard Goll (ab 1973 regelmäßig Ö1-Features mit Treiber, ab 1987 Leiter der Feature-Redaktion, ab 1994 für das Ö1-Signations-Projekt mit Werner Pirchner zuständig, ab 1999 Stellvertreter des Ö1-Programmchefs Alfred Treiber), Walter Gröbchen (seit Jänner 2017 mitverantwortlich für Radiokolleg - Lexikon der österreichischen Popmusik), Alfred Hütter, Alfred Koch (Tonspuren, früher: Diagonal), Peter Lachnit (Leitung Diagonal seit 2011), Thomas Mießgang (freier Mitarbeiter für Diagonal und Radiokolleg), Rainer Rosenberg (Von Tag zu Tag, Menschenbilder, Nachtquartier 2011-2017, ab 2017 Punkt eins, Sonderprogramme), Wolfgang Schlag (ab 1987 bei Diagonal, dann Spielräume, Pasticcio), schließlich Alfred Treiber (Redakteur der „Musicbox“ der ersten Stunde, 1976 Durchsetzender des Radio-Features auf Ö3 und Ö1, 1987 bis 1995 Leiter der „Hauptabteilung Literatur und Feature“, lange Zeit zuständig für die Ö1-"Hörbilder", von 1995 bis zu seiner Pensionierung 2010 Ö1-Chef).

Dazu noch ein spezieller Aspekt dieser Einflussgeschichte. Das 'zeitgenössisch' von „Diagonal – Radio für Zeitgenossen“ war in der Gründungszeit der 80er Jahre mit E-Musik der Gegenwart konnotiert, genauer gesagt: zeitgenössische Musik, das hieß neue E-Musik, das "E" für ernste Musik stehend im Gegensatz zur U-Musik. Mit 'zeitgenössisch' war also nicht Pop, Jazz, Volksmusik und World Music gemeint, sondern ernste Musik im ideologischen Gegensatz zur vorgeblich allzu 'lustigen' Musik. Das von Rockmusikredakteuren konzipierte „Radio für Zeitgenossen“ war somit auch eine klammheimliche Kampfansage an die Zeitgenossen der E-Musik, so wie die neue wilde oder geometrische Malerei der frühen 80er Jahre eine Kampfansage an die Konzeptkunst der 70er Jahre oder die Literatur von Peter Handke oder Rolf Dieter Brinkmann eine an die Hochliteratur war. In diesem Sinn verstand Kos auch seine Abschiedsausstellung für das Wien Museum, eine Interpretation des Archivs der Galerie Pakesch. Jedenfalls kamen über „Diagonal – Radio für Zeitgenossen“ und deren Gründer Kos und Schrott Wolfgang Schlag, Elke Tschaikner und Johann Kneihs zur Musikmoderation. Fast von Anfang an, 1984, waren die früher 20 und heute 15 Minuten von „Diagonals Feiner Musiksalon“ in „Diagonal“ der Popmusik gewidmet. Das war für lange Zeit die einzige Popmusik auf Ö1. Ein trojanisches Pferd, mit der Tarnkappenbezeichnung „Feiner Musiksalon“ , wie sich heute herausstellt. Den avantgardistischen, wenn nicht wilden Inhalt des Salons nahm man hin als Abwechslung und weil Kos, Schrott und die anderen Ö3-Musicboxler auf Ö1 ihre Narrenfreiheit haben sollten.

Den montäglichen Pop-Sendeplatz der "Spielräume" von Kos übernahm 2003 Elke Tschaikner. Als Tschaikner im Oktober 2011 Ö1-Musikchefin wurde, übernahm ihren Platz wiederum Wolfgang Schlag (mit Ihrem Kultursender.“), der vor mehr als zehn Jahren die heute noch vielen unvergesslichen Freitags-Spielräume gestaltete, deren Musik damals wie heute an keinem anderen Ort zu hören war: einer qualitativ hochstehenden Volksmusik gewidmet, reichte sie weit ins europäische Ausland. Leider hat es Schlag irgendwann einmal nicht mehr gefreut, und er ging zur Popmusik über. Der Ö1-Leitung und dem damaligen Radiodirektor war es wurscht. Eine/n Ersatzmoderator/in wurde erst gar nicht gesucht, geschweige denn ausgeschrieben. Ausschreibungen, obwohl auf der Ebene der SendungsmacherInnen sinnvoll, werden im ORF bekanntlich höheren Ebenen vorbehalten.

Im spürbar von einer bestimmten Interessengruppe, vielleicht sogar von Wolfgang Kos mitverfassten Wikipedia-Artikel über „Österreich 1“: „Mit dem Ende des 'alten Ö3' <1995> – verkörpert durch den Umzug des Ö3-Studios aus dem früher vielen als 'Dollfußbunker' erscheinenden Funkhauses <sic!> in der Argentinierstraße nach Wien-Heiligenstadt 1996 – gingen Redakteure wie Wolfgang Kos, Wolfgang Schlag und andere daran, aus der Geschichte der populären Musik, dem 'alten' Kanon der Klassik einen 'neuen' Kanon der Popmusik gegenüberzustellen, der von Randy Newman und David Bowie bis hin zu Björk und Thom Yorke reicht.“

Natürlich wäre es unzutreffend, Kos die alleinige Ursache des Niedergangs zu unterstellen. Aber sein nicht zurückgehaltenes Jammern über den variablen Sendebeginn seiner Sendung im Sommer 2016 ist Symptom für die zunehmende Ungeduld und den Unwillen gegenüber zeitoffenen, zeiteigenen Sendungen wie die "Matinee" sonn- und feiertags um 11 Uhr, die der Klassik an den Kragen gehen.



d. Pink Floyd, Eela Craig und die Regression



Die Programme schrumpfen ein,

und der Schrumpfungsprozess scheidet nicht nur das mittlere Gut aus,

das die musikwissenschaftlichen Branchevertreter

den Hörern aufschwatzen möchten,

sondern die akzeptierten Klassiker selber unterliegen einer Selektion,

die mit der Qualität nichts zu tun hat

(Adorno 1938, 327f.)



Dass Rock-(und Pop-)Musik ein fester Bestandteil unserer Kultur ist, ist ein Faktum. Eine Tatsache ebenso sehr ist, dass das Schwungvolle, Kräftige, Rhythmische, zuweilen Schwere, das den Rock charakterisiert, schon in der Klassik realisiert wurde. Beethovens Grundmotiv in seiner Fünften (vom Electric Light Orchestra als "Roll Over Beethoven" mit Celli gegen Chuck Berry zurück zu Beethoven gewendet), das atemlos gewaltsam und doch federleicht vorwärts drängende Scherzo in Schumanns Zweiter (besonders in der schwungvollen Aufnahme von Giuseppe Sinopoli von 1984, erschienen bei Deutsche Grammophon), der Schwermetalleinsatz bei Berlioz und Wagner (Benvenuto Cellini, die 18 Hämmer auf 18 Ambossen in "Das Rheingold"), Bruckner wuchtige, repetitive Strukturen perkussiv unterlegt und das harte Pochen in Strawinskis "Frühlingsopfer": all dies Rockige (und was Musikkritik ist) konnte von 1968 bis 1996 in der Ö1-Sendung "Lieben sie Klassik?" sonntags um 16 Uhr kennen lernen, wer wollte und offen dafür war. Die Sendung war von Karl Löbl, dessen Selbstbeschreibung für seinen Premierenkommentar im ORF-Fernsehen von 1986 bis 1998 auch für seine Radiosendung über die unleichte Muse gelten könnte: "Ich wirke nicht ungeheuer locker. Da haben Sie vollkommen recht." (Löbl/Oberhuber 1995, 8) Löbl brauchte von den Anverwandlungen der klassischen, jugendlichen Heftigkeiten bei The Nice, Jethro Tull oder Procol Harum nicht zu reden.

Aber wie steht es mit der Reflexion über Rock-(und Pop-)Musik, die Ö1 wie über jede andere Musik aufgegeben ist?

Wolfgang Schlag, der Kos' "Spielräume"-Sendung bis zum heutigen Tag als de facto "Popmuseum" weiterführt, sprach im Pasticcio am 3. 3. 2012 wie ein Novize über sehr strenge formale Strukturen wie die Symphonie“, demgegenüber Franz Schubert Freiraum errungen habe. Mehr auf seinem Terrain, widmete er seine "Spielräume"-Sendung am 21. 10. 2016 "Roll over Beethoven. 90. Geburtstag von Chuck Berry" und sagte etwas schwammig, ohne das immer noch heiße Eisen Rock/Klassik in die Hand zu nehmen: "Berry soll zu einem Journalisten gesagt haben 'Roll Over Beethoven and tell Tchaikovsky the news'. Beethoven stand <bei Berry> für eine Generation, die die Jugend hinter sich lassen wollte." Wenn man auch einräumt, dass Berrys lyrics in "Roll over Beethoven" ansonsten gegenüber Beethoven zahm sind, so müsste Schlag doch klar sein, dass gerade die Beatles, die nach Schlag an Berry angeknüpft haben, mit George Martin keineswegs Gegner Beethovens waren, sondern ein vielschichtiges Bekenntnis zur Klassik dokumentierten. Kein Wort und Beispiel davon bei Schlag. Und das zeichnet alle seine Spielräume-Sendungen, die bekanntlich nicht schon immer, aber seit Langem der Rock- und Popmusik gelten. Auch ihr Reflexionsniveau.

Es lohnt aber, von den "Spielräumen" auf eine Sendung genauer einzugehen, um zu zeigen, was möglich wäre und was die Realität auf Ö1 ist. Am 24. 2. 2012 war die dreistündige "Spielräume Nachtausgabe" Pink Floyd gewidmet. Die Webseitenbeschreibung: Why Pink Floyd? Gestaltung: Michael Neuhauser und Klaus Wienerroither. Die einflussreiche englische Rockband Pink Floyd wiederveröffentlicht zwischen 2011 und 2012 unter dem Kampagnentitel 'Why Pink Floyd?' ihre gesamte Diskografie mit vielen bisher unveröffentlichten Demos und Liveaufnahmen. Heute, am 24. Februar, ist 'The Wall', das erfolgreichste Doppelalbum aller Zeiten, an der Reihe. Die Spielräume-Nachtausgabe beschäftigt sich mit der Historie der Band und der anhaltenden musikalischen Bedeutung Pink Floyds. Dabei werden altbekannte Klassiker ebenso zu hören sein wie Raritäten, einige Songs werden während der Sendung auch live interpretiert werden. Zwei 'Immersion' Box-Sets der Alben 'Dark Side Of The Moon' sowie 'Wish You Were Here' werden im Laufe der Sendung verlost. Zu Gast sind die Musiker Bernhard Eder und Andy Bartosh, der deutsche Soziologe Hartmut Rosa, der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, der Visual Artist Fritz Fitzke sowie der Ö1-Musikredakteur Johann Kneihs.“ (http://oe1.orf.at/programm/20120224/262263)

Nun waren alle ins Studio Eingeladenen und wohl auch die meisten Radiohörenden in einem Alter, das erlaubt, reflexive und kritische Distanz einnehmen zu können und nicht mehr reine Fans sein zu müssen. Ö1, viel mehr als FM4 und Ö3, bildet Geschmack und Denken. Aber es beginnt schon mit dem kommerzieller Sendungsgrund, der inzwischen bestimmend ist für die "Spielräume" um 17 Uhr 30, die fast ausschließlich Neuerscheinungen und Nachrufe bringen, und reicht bis zum Klassik-Treffpunkt, zum seit Kurzem eingestellten „Café Sonntag“, zu seiner Nachfolge-Sendung "Gedanken" und sogar zum Teil für die von sich selbst erzählenden Personen der „Menschenbilder“.

Zudem stellt sich die Frage „Why Pink Floyd?“ gar nicht wirklich, konnte also im gegebenen Kontext nicht beantwortet werden. Denn „Why Pink Floyd?“ ist ein umfangreiches Wiederveröffentlichungsprogramm der Plattenfirma – skandalöserweise gab es darauf in der Sendung keinen einzigen Hinweis! Die Frage wäre, wenn schon, gewesen: Warum ist eine Neuauflage der alten Platten unter dem Titel „Why Pink Floyd?“ nötig? Haben wir nicht schon alles zur Genüge? Umschichtung der Frage: Wozu die Ö1-Werbeaktion, die hier billig als Kapitulation vor einem weltweiten Werbefeldzug ein/e Hörer/in das "Package" gewinnen lässt. Wie die Sendung zeigen sollte, machte sich keiner der Sendungsgestalter Gedanken darüber, was das Remastering der Aufnahmen und die anderen Teile des Pakets bringen. Und was hat der aktuelle kommerzielle und technische Stand der Unterhaltungselektronikindustrie mit den Pink-Floyd-Packages zu tun?

Dröhnende Stille.

Das Großaufgebot an Moderation - Neuhauser, Wienerroither, Kneihs - konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Eberhard Forcher in seiner Ö3-Sendung Solid Gold nicht anders macht, vielleicht hat er auch schon Gäste gehabt.

Hingerissen, wie die Moderatoren waren, vergaßen sie, dass vor 00.00 Uhr noch eine Minute Werbung automatisch ins Programm gespielt wird. Wie kann das passieren, die drei Herren und die im Einsatz gewesene Sendungsregisseurin Elke Tschaikner machen doch nicht das erste Mal Nachtschiene! Die Entschuldigung von Klaus Wienerroither gleich nach den langen News nach den 0.00-Uhr-Nachrichten in Ehren, aber die ausgefallene Minute der Bandperioden-Beschreibung nachzutragen, wäre auch nicht schlecht gewesen, zumal diese und die anderen - eine vierte hätte es noch gebraucht - kurzen Periodenbeschreibungen der Band wertvoll waren - wo blieb übrigens der dritte Teil der Story? (Dessen Fehlen machte umso spürbarer, dass in den ganzen drei Stunden niemand darauf einging, wie die Musik nach Dark Side of the Moon zu bewerten ist.)

Immerhin, die Musikauswahl der ersten Stunde war gelungen, sind doch die frühen Pink Floyd wenig bekannt! Die Nummer von More und der Kommentar von Klaus Wienerroither über eine mögliche Heavy-Metal-Zukunft, erhellend! Verzichtbar dagegen die wiedergekäute Syd-Barrett-Mythologie, derzufolge des ehemaligen Bandleader's psychisches Scheitern und seine Apotheose durch die Band in The Wall für den Erfolg von Pink Floyd verantwortlich gewesen sei. Das biographische Scheitern Barretts war für die Musik Pink Floyds so unerheblich wie vergeblich 2010 Renate Burtschers Beharren auf dem umstrittenen Schicksal von Yoko Ono für John Lennon in der Spielräume-Spezial-Sendung zum 30. Todestag Lennons (dieses Beharren wurde von ihrem Sendungsgast Burkhard Stangl mutig als Geschwätz kritisiert und in Kneihs' Interview mit Klaus Voormann geklärt). Viel wichtiger gewesen wäre ein Ausschnitt aus der jazzigen Improvisation von "Interstellar Overdrive" aus Peter Whiteheads Film Tonite Let's All Make Love in London (1968, CD 1990). Nebenbei: Leider wurden die wenigen Nummern, wie in vielen Sendungen auf Ö1 üblich, nicht ausgespielt.

Zur Erinnerung: Pink Floyd waren eine Band, die in den späten 60er Jahren zwischen Pop, Folk, psychedelischen Techniken und Jazz mit langen ausgetüftelten Rock-Songs inklusive Improvisation sich Anerkennung und kommerziellen Erfolg erspielten und dabei den traditionellen Werkbegriff mit Beginn und Schluss einer Komposition vertraten. Zudem sangen und spielten Gitarrist, Keyboarder, Bassist und Schlagzeuger wie kaum eine andere Band als Kollektiv. Sie erarbeiteten sich mit unkonventionellen Methoden ihre Nummern, von denen nur wenige aus den LPs und CDs ausgekoppelt wurden. Wie keine andere Band vorher und nachher produzierten Pink Floyd großteils Konzeptalben. Zum Einsatz kamen elektronische Klangerzeugungs-, -verzerrungs- und verstärkungsgeräte, GastsolistInnen, Chöre, Bläser und Arrangeure. Aufwendige Licht- und Filmshows begleiteten die erfolgreichen Konzerte von Beginn an. Der frühe Film Live at Pompeii (1972) im leeren Amphitheater – kein Wort darüber in der Sendung – verkaufte sich doppelt so oft wie der erfolgreiche Film The Wall. Ab Dark Side in the Moon (1973) gelang es Pink Floyd, eine ganze LP als kommerziellen Bestseller zu entwerfen, ohne den alternativen Touch von Rockmusik einzubüßen und auf klangtechnische Innovationen zu verzichten. Mit zunehmend industrieller Produktionsweise geriet die musikalische Qualität in die Diskussion. Das Produzieren von Ohrwürmern im großen Stil trug die allseits bekannten Defizite kommerzieller Musik ein: simple Verläufe, mangelnde oder zu langsame thematische Entwicklung (Arnold Schönberg in "Der musikalische Gedanke"), Ideologie in Wort und Komposition, Selbst-/Verwertung statt Gründung musikalischer Traditionen. Pink Floyd bedienten eine träumerische Innerlichkeit mit einer Mischung von Depression und Euphorik wie ein Trip ohne LSD. Alleine oder mit anderen konnten sich Heranwachsende in sich zurückziehen oder die Erfahrung mit Freunden oder im Konzert tänzerisch ausleben.

Es müsste eigentlich klar sein, dass eine Sendung in einem zeitlichen Abstand zu ihrem Gegenstand von 30 oder 40 Jahren nur gelingt, wenn diese Fakten wie im Fall Pink Floyds thematisiert und reflektiert werden. Die meisten der Sendungsgäste gaben sich jedoch, noch ermuntert von den Moderatoren, allein ihren sentimentalen Erinnerungen hin. Dabei sollte auf Ö1 doch über die Bewertung der Musik und ihre kulturelle Umgebung diskutiert werden. Es hätte also um Fragen gehen sollen wie die folgenden: Was genau fielen Pink Floyd und der Musikindustrie ein, um sich den brachliegenden Markt der psychischen Probleme Halbwüchsiger in der beginnenden postindustriellen Gesellschaft zu erschließen und damit ihre Intention auch wieder zu verraten? Worin besteht der musikhistorische Wert der Musik und Visualität Pink Floyds? Wie schneiden Pink Floyd im Vergleich zu anderem zeitgenössischen Rock wie Soft Machine, Moody Blues, Genesis, Yes, Emerson, Lake & Palmer, Van der Graaf Generator, Mike Oldfield, King Crimson oder den späteren Beatles ab? Gibt es Bezüge zur Avantgarde eines Stockhausen, Ligeti oder der Minimal Music? Wie haben Pink Floyd heutige Bands wie Sigur Rós oder Air beeinflusst? Welche Art der kommerziellen Distribution entdeckten Pink Floyd einschließlich der heutigen multimedialen Vermarktung à la „Why Pink Floyd?“? Wieso kamen die Packages gerade 2012 auf den Markt?

Fragen wie letztere sind nicht nur für die Schule und das Universitätsseminar. Und wenn schon! Wenn auch nur ein Drittel der Österreicher die Oberstufe und die Universität besuchten, dann darf man Ö1 mit 7,4 % Marktanteil (2016) auch bei Pink Floyd akademische Bildungsanteile zumuten. Außerdem muss sich ein öffentlich-rechtlicher, dem Bildungsauftrag verpflichteter „Kultursender“ wie Ö1 gegen die Kulturindustrie stellen. Er darf sich nicht der Regression des Hörens ausliefern, sondern sollte diese Regression musikalisch-kritisch thematisieren. Das heißt, die Sendungsmacher und ihre Gäste hätten mit ihren wohl etwas feineren Ohren und ihrer kritischen Erfahrung an klassischer und neuer E-Musik die Musik einer Band wie Pink Floyd auch abschätzen und bewerten können. Wozu sonst drei Stunden mit einer Musik auf einem Sender zubringen, der Alte Musik, Beethoven, Eric Dolphy und vier Mal pro Woche Untersuchungen zur Musik im „Radiokolleg“ bringt? Auch müsste ein Radiosender bei weithin verfügbar gewordener Soundtechnologie darüber sprechen, was ein VCS 3, die Klangmanipulationen aller vier Musiker und der quadrophonische Konzertaufwand damals bedeuteten. Nur die Quadrophonie wurde einmal en passant von „Visual Artist“ Fritz Fitzke erwähnt.

Auch die „Live-Kultur“ Pink Floyds, das Bootleggen, der Tourneenkult, die Studioeinspielung nach der Tournee-Erprobung, all das blieb unerörtert. Etwa Atom Heart Mother am 16. Juli 1970 live http://www.youtube.com/watch?v=fAiR5H2U01Q. (Youtube wird auf Ö1 als wichtige Audioquelle verschwiegen - eine der seltenen, wertvollen Ausnahmen war Elke Tschaikners Michael Gielen gewidmetes "Ö1 bis zwei" am 20. 7. 2012: Zu Gast beim SWR. Der Fußballreporter Günther Koch berichtet, auf seine ganz besondere Weise, von einem Konzert mit Michael Gielen. Beethovens Fünfte aus Sicht eines Sportreporters.“ https://www.youtube.com/watch?v=Vizi-uWbqAM) Die Aufnahme vom 10. Oktober 1970 wurde auf der LP veröffentlicht. Nur, die Atom-Heart-Mother-Suite zu spielen, wie Sendungsgast Andreas Mailath-Pokornys es sich wünschte: Abgelehnt! Wie Mailath-Pokorny selbst sagte, angeblich zu lang. Es mag zwar demokratiepolitisch beruhigend sein, dass einem einflussreichen Kulturpolitiker wie dem Wiener Kulturstadtrat ein Wunsch nicht erfüllt wird. Dass aber für dieses 24-minütige Rondo, in einer 3-Stunden-Sendung kein Platz ist, leuchtet nicht ein. Gerade für lange Strecken wurde doch die „Freitagnacht“ von 23 bis 2 Uhr erfunden! Vielleicht nur soviel dazu: Wenn Atom Heart Mother später von Musikkritik und Band abgelehnt wurde, dann doch nur, weil das Album wegen der hohen Investitionen in Chor, Bläsergruppe und eine der ersten Quadrophonie-Abmischungen die kommerziellen Erwartungen nicht einlöste. Hier griff übrigens Arrangeur und Mitkomponist Ron Geesin mit angehaucht mittelalterlich choraler Musik und Orgel ohne Schlagzeug noch stärker ein wie vielleicht George Martin bei den Beatles - Otto Brusatti, bitte kommen! (Neu und zu begrüßen war nach der Reform mit 1. 6. 2011 "Die Freitagnacht der Musik", dass Otto Brusatti das Ruder an einem fünften Freitag in die Hand nehmen durfte.) Ist die "Atom-Heart-Mother-Suite" in Pink Floyds Konzert in Ossiach 1971 mit Chor gespielt worden? Diese Frage anhand des ORF-Fernsehberichts von Ossiach zu klären, scheinen sich die Herren Neuhauser, Wienerroither und Kneihs gar nicht gestellt zu haben, wenn sie das überhaupt recherchierten. Nicht alles an der "Suite" ist akzeptabel. Kitschverdacht. Aber sie hat große Momente. Die Soundabmischung ist gelungen. Die vorgefertigten breiten Samples (Apocalypse Now!) zeigen die „filmische“ Eroberung der Imagination durch Pink Floyd. Und nicht zuletzt der unerwähnt gebliebene Cover, von dem uns eine Kuh den Kopf zurückwendend anblickt und auf dem sonst nichts, nicht einmal der Name der Band oder des Albums aufscheint. Gerade im Radio würden knappe visuelle Beschreibungen auflockern, wie ja überhaupt die Cover von Pink Floyd der Rede wert sind, gerade weil sie dem Konzept eines Albums oft entgegenstehen.

Experten waren keine eingeladen, als ob es in Österreich keine gäbe. Thomas Rabitsch, der 2012 in Wien lehrende Theoretiker des Musikstudios Tom Holert, Rockforscher Harald Huber oder Mitarbeiter von dessen Institut wie Philipp Brunner, Michael Huber, Günther Wildner, Lisa Leitich oder Harald Hanisch, die Musikwissenschaftler Alfred Smudits, Michele Calella, Rosa Reitsamer, Cornelia Szabó-Knotik, Franz Krieger, aber auch Eberhard Forcher. Stattdessen bot die Sendung die Gitarristen Eder, Bartosh und Wienerroither, Andreas Mailath-Pokorny, Visual Artist Fritz Fitzke. Immerhin: Mailath-Pokornys Hinweise auf das Britische und Pastorale (Beethovens Sechste?), auf den Soundtrack zu Zabriskie Point brachten Interessantes. Als Experte wurde der Soziologe Hartmut Rosa erst gar nicht gefordert. Sein Hinweis auf seinen Artikel über Pink Floyd und den kommunitaristischen Philosophen Charles Taylor – http://www.fr-online.de/kultur/zeitdiagnose-ist-da-draussen-jemand-,1472786,8569942.html (offline) blieb ungehört und wohl auch von den Redakteuren während der Sendungsvorbereitung ungelesen. So blieb auch Rosa zu Friedrich Kittler unbefragt, der den Romantizismus Pink Floyds prominent aus technologischen und nicht soziologischen Bedingungen ableitete.

Noch etwas zum verwirrenden Drunter- und Drüberreden der acht Personen am Studio-Tisch. Man hätte den geladenen Gästen mehr Zeit und Freiheit an Diskussion geben sollen. Fünf gut ausgewählte Gäste reichen, einen Moderator eingeschlossen, der Diskussionsleitung gelernt hat und das nicht wie öfters auf Ö1 in einem learning by doing übt. Acht männliche Stimmen können vokal und inhaltlich kaum mehr auseinandergehalten werden. Dass keine Frau teilnahm, ist nicht nur vor diesem Hintergrund unverzeihlich. Gerade bei einer Band wie Pink Floyd, deren Musik auf weiße Mittelschicht-Jungmänner abgestimmt war, wäre ein genderkritisches Herangehen erhellend. Der Umgang mit Frauen bei Pink Floyd legt das zusätzlich nahe, die immer wieder Frauenstimmen nutzten, etwa die der großartigen Clare Torry in "The Great Gig in the Sky" auf Dark Side of the Moon. Zahlten sie doch Torry gerade einmal £ 30, anstatt sie auch als die Ko-Autorin des Songs neben Richard Wright auf dem Album zu bedenken, als die Torry seit 2005 durch einen gerichtlichen Vergleich anerkannt ist. Und wäre nicht schließlich die seltene Tatsache, dass Österreich in den Album-Charts wie etwa in der englischen Wikipedia vorkommt, ein zusätzlicher Grund gewesen, beharrlich nach Pink-Floyd-KennerInnen zu suchen. Dazu hätte man auch Robert Rotifer befragen können, der im Juli 2006 auf FM4 eine großartige, erstklassig recherchierte zweistündige Sendung mit vielen Interviews zum Ableben Syd Barretts machte.

Allgemeine Anmerkung zur Sendung Spielräume Nachtausgabe. Allgemein muss man leider sagen, dass über die Jahre „Spielräume Nachtausgabe“ und „Zeitton Extended“ kein Sendungskonzept für die Nacht freitags auf samstags von 23 bis 2 Uhr ablesen haben lassen. Ist deswegen die Freitagnacht seit dem 1. Mai 2017 "zurechtgestutzt"? Erstens: Die Sendung sollte um eine Stunde vorgezogen werden! Wie wohltuend, dass die Spielräume - Nachtausgabe am 5. Mai 2017 schon um 22 Uhr 08 begann! Leider setzte sich gleich in der nächsten Woche "Saldo - das Ö1 Wirtschaftsmagazin" wieder als bloße Wiederholung am Freitag um 22 Uhr 08 durch und zieht damit die Sendung "Kontext - Sachbücher und Themen" mit, die gewiss nicht darauf bestand, am selben Tag abends wiederholt zu werden. Wiederholungen sind ohnehin überflüssig, seit es "7 Tage Ö1" im Streaming gibt, seit 2. 10. 2010. Aus Müdigkeit war die wie Otto Brusattis vier Stunden Symphonische Dichtungen von Franz Liszt an einem Feiertag bis 24 Uhr ebenso gehaltvolle und gründlich vorbereitete Sendung desselben über das Kronos Quartett nicht zur Gänze zu hören. Man wird wohl zu einer intellektuell anspruchsvolleren Nachtschiene - Diskussion! - eine über die ganzen drei Stunden volle Aufmerksamkeit erwarten dürfen. Noch einmal: Generell sollte gelten, dass Musik genau eingesetzt und bis zum Ende ausgespielt wird. Auch sollte alles getan werden, dass Reflexion und Expertise Platz haben, und dazu die Sendung finanziell besser ausstattet werden. "Spielräume Spezial" und "Zeitton Extended" hätten in eine einzige Sendung überführt werden sollen; es hätte die konzeptionelle Denkarbeit sicher einen überraschenden Sendungstyp ergeben. Dieser Wunsch ist mit der Reform zum 1. 5. 20917 obsolet. Allerdings: Von der Sendung "Zeit-Ton" über zeitgenössische E-Musik ist in "Zeitton Extended" ohnehin überraschend wenig übriggeblieben. Sorry, Herr Knessl (https://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_Knessl)! Ihre Nachfolge Christian Scheib – es tut mir weh, bei all seinen Verdiensten das feststellen zu müssen – hat sich als den zeitgenössischen E-Musikbegriff berechtigt erweiternd, von einem Konzept zu zeitgenössischer E-Musik aber nichts mehr wissen wollend erwiesen. Müssen wir als Folge einen inzwischen oft steuerlosen „Zeitton“ hinnehmen, auch wenn ihn der Fallweise-Moderator Reinhard Kager seit wenigen Jahren wieder deutlich aufwertet?

Schluss. Man kann schon anhand des Wikipedia-Eintrags die geringe Bedeutung ermessen, die der Linzer Rock-Band Eela Craig zukommt, war er doch 2016 seit 2006 keinem Update unterzogen gewesen (das Album Erdenklang scheint bis heute nicht in der Diskografie auf, 22. 6. 2017). Dennoch wurden drei Stunden Spielräume - Nachtausgabedieser zweit-, wenn nicht drittklassigen Band gewidmet. Wie herausgestrichen wurde (http://oe1.orf.at/programm/443149 offline), entsprach das einer Jugenderinnerung des gebürtigen Linzers "Ich war damals 15"-Christian-Scheib, der meinte, "Hats of Glass, Baujahr 1977" aus seiner Plattensammlung (Nr. 14) ausstellen und mitteilen zu müssen: "Das ist der Mann, dem Österreich seine bekannteste Mineralwasser-Kennmelodie verdankt: Harald Zuschrader spielte bei Eela Craig Gitarre, Flöte und Saxofon." Zu den in der Sendung gespielten vierzehn Stücken wurde eine Sentimentalität, Trivialität oder Unwichtigkeit nach der anderen verbraten. Band-Tontechniker Janetschko: "I hob heit an Tinnitus, oba wenn i des Gitarrnsolo hea, donn hob i kaan." Wienerroither: "Wenn man fragen darf, der Hubert Schnauer, macht der noch Musik?" Kein Kontext zu anderen Ö-Rockern. Kein Hinweis auf hörbarste Anleihen bei anderen Bands. Ko-Moderator Christian Bakonyi, der selten ein Wort einbrachte, weiß nicht, dass Janetschko erst ab 1972 bei der Band war, obwohl das sogar in Wikipedia stand. Von Ko-Moderator Klaus Wienerroither wissen wir jetzt endlich, dass er einen vier Jahre älteren Bruder hat. Vielleicht war nur eine unveröffentlichte Aufnahme aus dem Landesstudio Oberösterreich der Anstoß für die Sendung. Einmal spricht Scheib über ein halbwegs hörenswertes Stück drüber, das dann wieder nicht ausgespielt wird. Keine Information, wieso es nicht auf Platte gepresst wurde. Bei dieser Unambitioniertheit verwundert es nicht, dass das teilweise gelungene "christliche Konzeptalbum" Missa Universalis (Wikipedia), das eine Audienz beim Papst eintrug, nur gestreift und nicht zur Gänze gespielt wird. Als ob sich 40 Minuten in drei Stunden nie und nimmer ausgehen! Reflexion, Kontext, Einordnung, Bewertung? Problematisierung des Verhältnisses von Klassik und Rock auf Ö1? Fehlanzeige. Scheib setzt seinen über viele Jahre bei Zeitton erarbeiteten Ruf aufs Spiel. Eine radiophone Bankrotterklärung.



e. drei Zwischenfragen: Spielen Ö3 und FM4 klassische Musik? Axiom



Spielen Ö3, FM4 und die neun ORF-Regionalsender Klassikprogramme? Nein. Warum sollte dann Ö1 Pop- und alternative pop-Programme spielen?

Spielt FM4 Jazz? Nein. Warum sollte dann die Ö1-Jazzsendung "On Stage" Bluesrock à la Janis Joplin wie am 2. September 2014 bringen?

Spielt Miriam Jessa in den "Spielräumen" Schönberg, auch wenn sie das kurz in den Raum stellt? Nein. Warum spielt sie dann Duke Ellington in "Ö1 bis zwei"?

Axiom. Klassische und zeitgenössische E-Musik verhalten sich sätzig, stilistisch gattungsmäßig, instrumental und besetzungsmäßig zu Rock, Jazz und Weltmusik wie Rock, Jazz und Weltmusik zu Popmusik.



f. die Ö1-Musikchefin: Avantgarde-Leitung und James-Last-Laudatio?



Bei den Riesen-Raves wurden

DJs im Stundentakt durchgeheizt.

Alle waren auf Drogen, alles war

riesengroß. Als letztes Stück spielte ich

damals oft James Last. Als Gag - und Kritik.

Weil's die Leute eh gar nicht mehr gepeilt haben,

welche Musik da gerade lief.

(Pulsinger 2013, 340)



Als Leiterin der Ö1-Außenpolitikredaktion folgte Bettina Roither Ö1-Chef Alfred Treiber in seiner Funktion 2010 und blieb bis zum goldenen Händeschütteln im März 2014. Roither meinte sich als Ö1-Chefin öffentlich dazu bekennen zu müssen, in ihrer Freizeit den Easy-Listening-Sender Lounge FM zu hören. ("Ö1-Hörer glauben, sie besitzen ihren eigenen Sender". Ö1-Chefin Bettina Roither hat klare Vorstellungen von der Zukunft des Senders: Jegliche Veränderungen sind möglichst sachte vorzunehmen - Dem schwächelnden "Welt Ahoi!" setzt sie dennoch eine Frist bis Jahresende http://derstandard.at/1281829356830/Roither-Oe1-Hoerer-glauben-sie-besitzen-ihren-eigenen-Sender 17. August 2010, 18:28) Sie trieb mit teilweise seichter Popmusik die Erholung in der Nacht bis 1.00 Uhr sowie in der Talk-Show "Café Sonntag" aus: „Die Musikfarbe ist nicht klassisch, sondern modern.“ (Isabella Wallnöfer, Ö1: Neu am Sonntag und nach null Uhr. Ö1-Chefin Bettina Roither geht mit dem „Café Sonntag“ auf Nummer sicher und wagt mit einem Talk-Radio spät nachts ein Experiment für jüngeres Publikum http://diepresse.com/home/kultur/medien/664946/Oe1_Neu-am-Sonntag-und-nach-null-Uhr?from=suche.intern.portal 24.05.2011 | 18:18 <Print 25.5.2011>) Im Herbst 2016 übernahm der langjährige Literatur- und Hörspielchef Peter Klein die Leitung von Ö1, die er interimistisch inne hatte, offiziell. Seinen Bereich hatte Klein schon im September 2014 an Kurt Reissnegger abgegeben.

Leiterin der Ö1-Musikredaktion ist seit 2011 Elke Tschaikner. Geboren 1974, leitet sie seit 2013 das Grazer Festival musikprotokoll. Damit löste sie Christian Scheib ab, der bis 2009 Ö1-Musikchef war, von 1995 bis 2012 Leiter des musikprotokoll im steirischen herbst und von 2009 bis 2014 das RSO Wien künstlerisch und organisatorisch betreute. Diese Funktion hatte zuvor Christiane Goller inne, die ihrerseits 2009 Maria Rennhofer als Ö1-Kulturchefin abgelöst hatte und in dieser Position (bis 2014?) wirkte - eine Neubesetzung erfolgte bislang nicht.

Tschaikner ist seit 1995 für Ö1 tätig und fiel mit einem beeindruckenden zweistündigen "Diagonal" auf, in dem sie Joni Mitchell auf der Grundlage ihres Besuchs bei der Sängerin auf deren Wohnsitz an der kanadischen Westküste porträtierte. Nach Kos' Abgang von Ö1 im Jahr 2003 übernahm sie dessen montägliche "Spielräume"-Sendung und tat sich als Gestalterin und Moderatorin noch anderer Musik- und Kultursendungen hervor. Ein gewisser Hang zum Popmusikalischen fiel spätestens auf, als sie in Zeiten des US-Kriegs gegen Afghanistan die CD A Bigger Bang der Rolling Stones präsentierte, die den äußerlichen Anti-Bush-„Protest“-Song „Sweet Neo Con“ enthält. Seit 2010 bestreitet Tschaikner mit Scheib die samstägliche Sendung „Ö1 bis zwei. le week-end“, bis April 2017 auch die von ihr mitentwickelte und -produzierte "Jet Lag All Stars Radio Show", aus der ein neues Format für den berühmten Sendeplatz am Sonntag und 9 Uhr 05 hätte entwickelt werden können - mit der Ausbreitung der vormals feiertäglichen und sonntagsferialen "Gedanken" auf diesen Sendeplatz scheint eine satirisch-politkritische Sendung wie "Guglhupf", "Welt Ahoi" und auch noch teilweise "Café Sonntag" endgültig passé zu sein.

Tschaikner schloss 2005 an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien ein Lehramtsstudium der Musik- und Instrumentalmusikerziehung (Klavier und klassischer Gesang) mit der Diplom-Arbeit "To make a lady out of jazz? Paul Whiteman und das Konzept Symphonic Jazz" ab. Das Schlusskapitel dieser Arbeit bringt „Einschätzungen von Franz Koglmann“ (S. 144-149), die Tschaikner in einem Interview mit Koglmann einholte. In den Ausschnitten daraus äußert Koglmann zart, aber deutlich seine Vorbehalte gegen die vorgespielten Aufnahmen „Three Shades of Blue“ und „Lonely Melody“ von Paul Whiteman. Dabei schneidet der Solist und Trompeter Bix Beiderbecke im Vergleich ausdrücklich besser ab als der Komponist Whiteman. - Man vergesse nicht: Paul Whiteman war so etwas zu seiner Zeit wie die Bigseller Michael Jackson und Quincy Jones in einem. "Whitemans musikalischer Stil ... stellte sich als sehr erfolgreich heraus, denn Whitemans erste Schallplattenaufnahme Whispering vom September 1920 verkaufte sich fast zwei Millionen Mal und avancierte damit zum ersten Millionenseller der Pop-Musik. Mit 3,4 Millionen Platten war sein im September 1922 veröffentlichter Three O’Clock in the Morning noch umsatzstärker." (https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Whiteman 17.5.2017)

Verträgt die Leadership für das Musikprogramm von Ö1 ein Eintreten für Paul Whiteman, noch mehr mit einer Laudatio auf James Last? Tschaikners Zu-Gehör-bringen des Jazz-Easy-Listenings von James Last, genanntHappy Sound“, ist nicht einfach ein faible, wie zunächst vermutet werden könnte. Darauf hätte man nach den Spielräumen am 17. 5. 2013 und ihrer Erinnerung an ihren Vater schließen können, der einmal für die Tochter wundersamerweise aus der „Plattenkiste“ ein Platte von James Last herauszog und auflegte. Nein, James Last wurde von Tschaikner schon eine Woche vorher in derJet Lag All Stars Radio Show“ in der Freitagnachtvom 10. auf den 11. Mai 2013 breit gewürdigt. Dem nicht genug, räumte Tschaikner auch einer verbalen Begründung des Stellenwerts der Musik von James Last breiten Platz ein wie nicht annähernd einem anderen Musiker oder Komponisten vor- und nachher. Hier Belege aus der Laudatio zur Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien 2013:

"Hunderte. Tausende. Millionen happy hearts. Auch jetzt glückliche Herzen hier in diesem wunderschönen Raum im Wiener Rathaus. Glückliche Herzen, weil wir einen Musiker und Menschen feiern dürfen, der seine Lebensaufgabe darin gefunden hat, mit seiner Musik den Menschen ganz sanft 'Happy Hearts' zu implantieren. Seit Jahrzehnten, auf allen Kontinenten dieser Erde." "James Last. Eine Trademark, die Sicherheit vermittelt dass - auch wenn James Last und sein Orchester sich verändern und auch älter werden -, dass das Lebensgefühl, das dahinter steckt, die Liebe zum Entertainment und zur Musik unverändert bleiben." "Und zur Familie zählen auch Fans, viele, viele Fans, und treue Fans, die ihn 'Hansi' nennen." Last "schreibt jede Stimme seiner tausenden Arrangements niemals abstrakt. Sondern immer für bestimmter Musikerinnen und Musiker. Seine Musikerinnern und Musiker." "Jeder Teil ist präzise aufeinander eingestellt. Und gerade deshalb ist dieses Orchester auch eine Emotionsmaschine. Eine, die sich auch umdeuten lässt: in ein schillerndes Kaleidoskop fast eines ganzen Jahrhunderts. Oder besser mehrerer Jahrhunderte: Bob Dylan, Rock 'n' Roll, Elvis Presley, The Beatles, Robert Stolz; Abba, 'Ännchen von Tharau', Freddy Quinn, 'Hair', 'Die Dreigroschenoper'; Barbara Streisand; Fettes Brot, Lady Gaga; Antonio Vivaldi, Johann Sebastian Bach, George Bizet, Joseph Haydn. Mozart; Japan, DDR, Sowjetunion, Kanada, Südafrika, China; Radiobigband, Schlagerhimmel, Walking Bass, Jazz; Royal Albert Hall, Ball der Wiener Philharmoniker; Flower Power, Mauerfall, Hip Hop,Remix; Quentin Tarantino." "'Musik ist Musik.' So lapidar formuliert es Alban Berg, als er 1928 von George Gershwin in Wien besucht wird. Berg lässt dem Gast aus Amerika seine 'Lyrische Suite' vorspielen. Jetzt hat Gershwin Hemmungen in diesem Umfeld am Klavier seine Lieder zu spielen. Alban Berg sagt nur: 'Mr. Gershwin. Musik ist Musik.' Hans Last ist 1929 geboren. Nur fünf Jahre zuvor 1924 wurde Gershwins 'Rhapsody in Blue' uraufgeführt. Es war das erste Mal in der Musikgeschichte, dass eine Jazzband in einem klassischen Konzertsaal auftreten darf. Das Paul Whiteman Orchestra." "James Last hat angeblich 83 Mal in der Royal Albert Hall gespielt. Hochkultur versus Popkultur? Diese Frage war also immer schon eine fragwürdige. James Last hat sie auf seine Art beantwortet. Und war dabei nicht immer unumstritten. Für meine Generation ist diese Frage obsolet. Wir wollen keinen Unterschied machen, weil wir ihn nicht spüren." "Es gibt nicht einen Hans oder James Last. Es gibt Tausende, es gibt Millionen. ... auch mein James Last ist inzwischen mehr als dieser eine." (alle Zitate aus: Elke Tschaikner, Laudatio "Happy Hearts - Glückliche Herzen", auf: http://oe1.orf.at/programm/406509 dl 16:22 12.06.2015, offline, wird inzwischen umgeleitet auf http://oe1.orf.at/programm/20150610/391924, wo nur mehr ein Bruchteil von http://oe1.orf.at/programm/406509, offline, enthalten ist, von welchem Link auf den voranstehenden Link umgeleitet wird. Vgl. http://wien.orf.at/news/stories/2579031/)

Tschaikner ist heute als Ko-Moderatorin von "Ö1 bis zwei - Le Weekend" präsent. Die Sendung wird seit der Abschaffung von "Ö1 bis zwei" seit 1. Mai 2017 nur mehr "Le Weekend" genannt. Sie gilt, die Erfahrung und Tradition des "Pasticcio" radikalisierend, der Gegenüberstellung von Musik quer durch die Genres unter dem Titel eines eher ikonographisch angelegten Themas. Diese Gegenüberstellungen fallen oft hart aus. Die essayistische Qualität von "Ö1 bis zwei" wird nur selten erreicht. Gelungen jedenfalls war die Sendung am 3. 9. 2016 mit dem Vokalensemble Nova, „Die Logik der Engel (Teil 2)(http://oe1.orf.at/programm/446945). Auf der Ö1-CD Die Logik der Engel“ beruhend, die für das Grazer musikprotokoll 2016 unter Mitarbeit von Fränk Zimmer entlang des mittelalterlichen Philosophen Ramon Llull gründlich recherchiert und produziert worden war, konfrontierten Tschaikner und Scheib geschickt Musik um 1300 und Musik der Gegenwart: Noël Akshoté, dann erstaunlich passend das ganz ausgespielte Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin (wenn auch nicht klar wurde, wieso laut Tschaikner der Sänger Robert Plant zuletzt einsam auf der Leiter ist, die er zuvor erklommen hat) und geschmackvoll George CrumbsBlack Angels. Thirteen Images from the Dark Land“, für "electric string quartet", untertitelt mit "Friday the Thirteenth, March 1970 (in tempore belli)". Da konnte das Vergnügen nicht getrübt werden, wenn das Ensemble Nova mit der hallenden und echoisierenden Elektrogitarrenimprovisation von Akshoté verschnitten wurde. Es bleibt festzuhalten, dass das Projekt Die Logik der Engel“ so substanziell war, dass auch "Alte Musik, neu interpretiert" vom 4. 10. 2016, die Freitagnacht vom 7. auf den 8. 10. 2016 und noch das Konzert am Freitag Abend 14.10.16 aus dieser Quelle bestritten werden konnte.

Anders "Le Weekend" am 22. 10. 2016 (http://oe1.orf.at/player/20161022/446382) mit dem Zusatztitel "Die Analytik des Bösen - Das gefährliche Rendezvous der beiden Multitalente und Songschreiber Georg Kreisler und Tom Lehrer". Es leuchtete nicht ein, wieso Scheib dem französichen Philosophen Jean-François Lyotard eins auswischen musste. Weil Lyotard für Scheib enttäuschenderweise einen Kommentar zu Kant für Experten geschrieben hat und diesen noch dazu nur zu den Paragraphen 23 bis 29 von Kants Kritik der Urteilskraft? Scheib: "1992 ist folgendes Buch auf deutsch erschienen: Jean-François Lyotard, Die Analytik des <im verächtlichen Tonfall> Erhabenen. <dann von Scheib das "K" und das "t" des Namen Kants sehr hart ausgesprochen:> Kant-Lektionen", die dann noch als "Bett-Philosophie" apostrophiert werden. Aber ja, es wurde auch ein schönes Lied von Georg Kreislers gespielt (LP Rette sich, wer kann, 1976/2014). Nicht klar wiederum war, wieso Lehrer als 'Löhrer' anstatt, wenn schon, mit einem englischen "a" ausgesprochen wurde. Auch blieb unklar, wieso ein seltsam hallendes "Schöne Donna, dies genaue Register", so Leporello in Mozarts "Don Giovanni", als einzige Klassik-Nummer in die Sendung hinein musste.

Dann ein "Le weekend" mit "Intime Briefe: Songs of Love and Hate" am 12. 11. 2016 (http://oe1.orf.at/programm/20161112/450593) Hier wird Leonard Cohen wie die Faust aufs Aug von Leos Janácek gedrückt. Scheib: "Wir erinnern an seine Kunst". Ja, aber in der Wirkung bleiben Leonard Cohens "Crazy To Love You" und Leos Janáceks Kreutzer Sonate, der 3. Satz, merkwürdig dissonant. Wie nicht selten ist die Ansage von Tschaikner ungenau. Es ist nicht "Musik für Streichquartett", sondern das 2. Streichquartett, was erst verspätet gesagt wird. Im Vergleich zu Cohen kommt einem die Musik Janáceks wie the real thing vor. Keine Süßlichkeiten, keine verkitschte Psychologie. "Über 800 intime Briefe schrieb Leos Janácek" - entweder ist das schlüpfrig formuliert, oder Tschaikner weiß nicht, dass alle Briefe einfach nur privaten Inhalts sind. Kann man so formulieren: "und vier intime Briefe schrieb er als vier Sätze dieses gleichnamigen Streichquartetts"? Das wäre wohl ein Kunststück der besonderen Art gewesen, das Janácek da gelungen wäre. "Famous blue raincoat", der vielleicht schönste Brief der Popgeschichte, heißt es dann zum Song von Cohen. Na ja. Scheib, der uns zum Glauben an die Übereinstimmung von Cohen und Janácek geradezu zwingen will: "Intime Briefe. Songs of Love and Hate <LP-Titel von Cohen>. Leos Janácek". Dabei ist gerade das falsch: Janáceks Intime Briefe enthalten oder thematisieren keinen Hass. Cohens "Darkness" - poppig, Cohens "Different Sides" - poppig, Cohens "Ain't no cure for love" - überpoppig! Ungesagt bleibt, dass letzterer Song die Sexsucht der 80er Jahre behandelt. Außerdem ist das ein dummer, einfältiger Ohrwurm mit einem musikalisch noch einfältigeren Refrain. Scheib dazu: "Die conclusio dieser Stunde der heftigen Emotionen liefert the man with the golden voice", und Tschaikner im Echo, erläuternd und die Sendung absagend: "There ain't no cure for love". Danach, als ob die ganze Sendung Cohen gewidmet war, was ja auch letztlich stimmt, da es von der Netto-Sendezeit her primär um den eben verstorbenen Cohen geht, auch noch Scheib rezitierend: "There ain't no cure for love." Und Tschaikner gleich darauf: "Das finden auch Christian Scheib und Elke Tschaikner." Geht's noch peinlicher?

Kaum. Aber auch der Sendungsschluss von "Le Yachting. Musikalische Explorationen zu einem eleganten Sport" am 6. 8. 2016 hat es in sich. (http://oe1.orf.at/programm/20160806/439188) Zuerst wird Rod Stewarts Song nicht eingeleitet. Dann, nach zwei Minuten (1:58:08 Uhr), Tschaikner:Am Ende dieses Segelturns besucht uns jetzt einer, der nach vier Jahrzehnten mit stets gesetzten Segeln unterwegs ist. Und zwar besucht er uns mit typisch le-week-endisch ungewohnter Ausrüstung“. Und Scheib:Eine ursprünglich nicht zur Veröffentlichung gedachte Layout-Version des Songs hat er an Bord. Also eine alternative Studioversion, die im Arbeitsprozess bis zur fertigen, später legendären Aufnahme entstanden ist.“ Und Tschaikner: „Und endlich steht die wind- und wettergeeichte 'Themen'-Stimme des Rod Stewart ganz im Mittelpunkt.“ Da bleibt nichts anderes übrig, als erstarrend zu schmunzeln.

Die Sendung "le week-end", der aufgrund der Wichtigkeit ihrer Gestalterin und ihres Gestalters Symbol- und Signalwirkung in und außerhalb von Ö1 zukommt, hält im Zweifelsfall Pop hoch. Muss man sagen, dass Klassik und zeitgenössische E-Musik in den harten Vergleichen schlechter abschneiden, ja das Nachsehen haben? Sowohl punkto Kontext wie Dauer? Die Musikliste vom 14. 1. 2017 (Thema: Orpheus üben, Lektion 2 - Don't look back) bejaht das: Peter Tosh/Mick Jagger, Walk And Don't Look Back, mehr als 5 Minuten; Joh. Chr. Bach, Arie in Folge von Glucks Orpheus; Orfeo Negro, Ausschnitt aus der Karnevalszene; Orfeo Negro, Gitarrenlied+Gitarrenstückchen; Nick Cave, The Liar of Orfeo, 5 Minuten; Beat Furrer, Aus Orpheus Büchern, 2 Minuten; Antonin Dvorak, Zypressen, 3. von 12 Sätzen für Streichquartett, knapp 3 Minuten; Mahler, Ich bin der Welt abhanden gekommen, 8 Minuten; Bob Dylan, Like A Rolling Stone, 8 Minuten; Oasis, Don't Look Back in Anger, knapp 5 Minuten (Tschaikner: "Die vielleicht wichtigste Lektion ... aus Großbritannien").



g. Marriner? „Halt eben ohne ihn.“ Woher der Hass auf die Klassik?



Das akustische Beiwerk Applaus ...

Auf diesen Sockel stellt das Publikum

das aufgeführte Musikstück - oder auch nicht

(Mahr 2011)


Kos' Angriffslust, Roithers Gleichgültigkeit. 2012 gab sich Kos, damals 63, anläßlich eines Fests für die „Spielräume“ wochentags von 17 Uhr 30 bis 18 Uhr ausdrücklich antiklassisch: „Ich erinnere mich, dass es insgeheim Spaß machte <Kos war 45, als die Ö1-Spielräume 1995 eingeführt wurden>, ein elektrisches Gitarrensolo auf Ö1 dröhnen zu lassen.“ (http://oe1.orf.at/programm/302526, inzwischen offline) Und noch 2016 überlegt Kos, nicht ohne Scheinheiligkeit, „wie mit dem ehrenvollen Hintereinander von Symphonieorchester und Popmusik (getrennt lediglich durch die 13 Uhr-Nachrichten) umzugehen ist. Die Zäsur betonen und gleich wüste E-Gitarren losfetzen lassen? Oder Popverächter, die es unter den Klassikfans immer noch geben soll, mit hörfreundlicher Musik höflich dazu einzuladen, auch beim nachphilharmonischen Schnitzel Ö1 eine Chance zu geben?“ (http://oe1.orf.at/artikel/443002) Dass selbst für die Führungsspitze von Österreich 1 die klassische Musik nicht oberste Priorität geniesst, wäre schon im Privaten eigenartig. Öffentlich ist es jedenfalls intolerabel, weil senderschädigend, wenn eine Ö1-Chefin unbekümmert in einer namhaften Tageszeitung ihre Präferenz für die Popmusik eines kommerziellen Easy-Listening-Senders bekennt: "Akustische Auszeit nimmt die neue Ö1-Chefin am liebsten bei Lounge FM." (Doris Priesching, "Ö1-Hörer glauben, sie besitzen ihren eigenen Sender". Ö1-Chefin Bettina Roither hat klare Vorstellungen von der Zukunft des Senders: Jegliche Veränderungen sind möglichst sachte vorzunehmen - Dem schwächelnden "Welt Ahoi!" setzt sie dennoch eine Frist bis Jahresende http://derstandard.at/1281829356830/Roither-Oe1-Hoerer-glauben-sie-besitzen-ihren-eigenen-Sender Der Standard 17.8.2010, 18:28) Wen wundert's, dass die Klassik-Redakteure Chris Tina Tengel, Johannes Leopold Mayer, Bernhard Trebuch und Michael Blees wie verletzte Vögel in der Kirche Zuflucht suchen und zitternd den Pfarrer bitten, dass ihnen nichts getan werde.

Verbissen gegen die Klassik Freitag nachmittags. 2011 noch „Apropos Klassik“ genannt, hieß die Sendung von 2010 bis 30. 4. 2017 freitags um 15 Uhr 05 "Apropos Musik", nun mehr und mehr der leichten Muße den Auftritt bietend. (Ein ähnliche Identitätszertrümmerung oder -umwandlung spielte sich für die Samstagssendung ab - die Sendung, die ehemals "A Propos Klassik" hieß und das seit 1. Mai wieder tut, durfte während der letzten Jahre unter dem Titel "Apropos Musik" die klassische bis moderne Musik der Salzburger Festspiele und anderer Festivals bringen, wenn vermehrt Walzer und Messiaen gebracht wurden.) Freitags wurde seit Jahren, bis zur Reform seit Mai 2017, der Klassik der Garaus gemacht. So konnte Klaus Wienerroither (4. 10. 2013) am Ende von 'Nummern' new style-mäßig in die Musik hineinzureden beginnen. Die Sendung war der Gitarre von Les Paul gewidmet, ohne weitere Begründung, wieso die Les Paul Fender vorzuziehen ist (eine Sendung zur Fendergitarre wurde nicht angesetzt). Wiewohl Les Paul eher für Blues und Jazz (Wienerroither war und ist immer noch Jazz-Gitarrist) steht, kommt, als ob die Frequzenz eine Stunde lang auf FM4 gewechselt hätte, auch schon einmal ausschnittweise (ein Nogo auf Ö1!) ausschließlich Rockgitarrenmusik, ein Schlager, zwei Jazznummern. In die Tiefe gehende Information zu Les Paul war von Wienerroither auch nicht zu bekommen. Ähnlich verbissen – da müssen wir durch! – der Gitarrist Helmut Jasbar am 2. und 9. September 2016: „Die Jazzorgel ist gekommen, um zu bleiben.“ Wieder wird kein Kontext benannt, auch kein Bezug zur klassischen Orgel, wie es die Unterschiede und Ähnlichkeiten an Klang und Textur anböten. Eher geht es Jasbar um den „höllischen Siegeszug in einer eher profanen Musikwelt“, wie der Ö1-Jazzmoderator, früherer Kulturredakteur und Gehört-Gewusst-Rätsel-Mann Nikolaus Schauerhuber für die Sendung schrieb. (http://oe1.orf.at/programm/446873 offline) Und nicht weniger verbissen, als ob es die neue Linie „Rockmusik“ am Freitag nachmittags beim traditionellen Ö1-Publikum auf Biegen und Brechen durchzusetzen gilt, Michael Neuhauser Freitag, den 23. September 2016 mit "Hübsche Songs und weniger hübsche Urheberrechtsverletzungen (3)". Wieder ist es ausschließlich Pop- und Rockmusik, als ob es ein Publikum bei der Stange zu halten gälte, das längst zu Klassik, Jazz und allenfalls noch Chansons gewechselt ist, aber nun genau so in die Jugend regredieren soll, wie Wienerroither, Jasbar, Scheib und Tschaikner zumute ist. Wie fürs Seniorenheim bringt Neuhauser belehrend: „hier noch 'mal zur Erinnerung“ (15:23:53-15:23:55) das simple Riff der Red Hot Chili Peppers, um dann Tom Pettys 'Diebstahl' zu bringen (bei dem wiederum streckenweise von Steely Dan abgekupfert wurde, was Neuhauser nicht mehr sagt). Vom damit zum Vorschein kommenden Mangel an Kompetenz ist auch Albert Hosp nicht frei, der zu Anthony Banks am 6. Oktober 2015 in "Ö1 bis zwei" meinte, Banks sei der Gitarrist der Band Genesis gewesen, wo doch Banks tatsächlich der Keyboarder der Band war, der für manche LPs auch zur akustischen 12seitigen Gitarre griff.

Vospernik ad Marriner. Es sind aber nicht nur die in den letzten Jahren von Tschaikner herangezogenen Musik-Moderatoren, die eine Aversion gegen klassische Musik darstellen dürfen und damit antreiben. Auch Journal-ModeratorInnen sind auf Linie. Cornelia Vospernik: „Morgen hätte er mit seinem legendären Ensemble Academy of St.-Martin-in-the-Fields ein Konzert in Wien geben sollen, und dieses findet auch statt, aber jetzt wird es ein Konzert in memoriam“. Und nach dem Beitrag des Nachrufs auf Marriner: „Und wie gesagt, das Konzert findet doch statt. Halt eben ohne ihn.“ (Morgenjournal, 3.10.16, 07:24:10-07:24:20 und 07:27:30-07:27:33) Halt eben ohne ihn. Ist ja egal. Marriner? Kein Problem. Brauchen wir nicht, im Zweifelsfall. Wenn er nicht will, dann soll er's eben bleiben lassen! - Mit ein bisschen Erfahrung und dem Einholen von Auskunft bei Ö1-MusikredakteurInnen hätte Vospernik fragen können, was denn im Konzert passieren wird (Vgl. Walter Weidringer, Berührender Abschied von Sir Neville Marriner. Die Academy of St Martin in the Fields und Julia Fischer spielten im Musikverein ohne Dirigenten http://diepresse.com/home/kultur/klassik/5097057/Beruhrender-Abschied-von-Sir-Neville-Marriner?from=suche.intern.portal 05.10.2016 | 18:24) Vospernik ist nicht in der Lage, auch nur irgendwie die Verdienste Marriners einzuschätzen oder zumindest Respekt zum Ausdruck zu bringen. Genau das ist aber von einer/m Journal-ModeratorIn auf Österreich 1 zu erwarten. Man täusche sich nicht. Es geht nicht um eine Person, die einmal entgleist. Es ist nicht nur der akustische Habitus Ausdruck von jemandem, der wenig Affinität zur Hochkultur zu haben scheint. Dahinter lauert der Hass und die Unerbittlichkeit, die so wie der Kulturmaschine 'Kulturbetrieb' auch der Medienmaschine 'öffentlicher Rundfunk' innewohnen und die die Vermittler in den Medien ihrerseits nur gehorsam als Unbehagen der Kultur zu Gehör bringen. Kultur gehört gehört! Weil das im Sinne des österreichischen kategorischen Imperativs im Radio als selbstverständlich zugemutet wird, aber nicht ist, nehme ich, Cornelia Vospernik - so liesse sich vorstellen - , mir heraus, zu sagen, was ich mir so denke und sei es in Form einer Entgleisung.

Klassik against Klassik: Oper und Last Night of the Proms 2016. Was Vospernik bezeichnet, stimmt jedoch mit der Gesamttendenz der Verdrängung der Klassik auf Ö1 überein, wie sie aus dem gebrachten Musik-Programm und seinen Umformungen in den letzten Jahren herauszuhören und -lesen ist. So wurde der „Oper am Samstag“ über Jahre, bis zum 30. April 2017, nicht einmal der Status einer eigenen Sendereihe zugestanden. Anders als alle anderen Sendungen bekamen ihre Ausgaben auf der Ö1-Webseite keine Programmnummer. Entsprechend hat „Oper am Samstag“ keine eigene Signation, sondern muss sich mit derjenigen von "Aus dem Konzertsaal" bescheiden, genau so wie die seit dem 1. Mai 2017 gestrichene "Oper in der Nacht" von Dienstag nach den 0.00-Uhr-Nachrichten auch. Sie war also fälschlicherweise dem „Konzertabend“ zugeordnet (http://oe1.orf.at/konzertabend). Leider entspricht diese Mauerblümchenbehandlung dem, was in der Sendung selber passiert. Die Beschreibungen der Handlung sind sicher präzise, mitunter aber etwas ältlich. Die Interviews in der Pause sind interessant, könnten aber bei Direktübertragungen auch mehr live sein. Besonders gehen - im Radio! - Beschreibungen von Bühnenbild, Inszenierung und Schauspiel ab. Und schließlich bleibt bei Live-Übertragungen die Chance ungenutzt, mit dem Publikum und MusikkritikerInnen nach der Aufführung zu diskutieren (man greife auf die Erfahrung der leider schon lange abgeschafften Sendung "Ö1 danach" nach den 0-Uhr-Nachrichten zurück, in der Susanna Dal Monte, Gernot Zimmermann oder Dorothee Frank noch vom selben Abend bravourös Publikumsstimmen zu Opern- und Theaterpremieren sowie Ausstellungseröffnungen zusammenstellten) - nur so kann man heute zeigen, dass es bei der Oper wirklich um etwas geht. Nicht nur bei der Oper. Die Oper bleibt wichtig, nicht nur weil Ö1 in einem Land sendet, in dem die Oper auch in der zeitgenössischen Kultur die kulturelle Institution Nummer Eins ist (Bernhard Langs jüngste Oper "Mondparzifal" zeigte es, und Dominique Meyer an der Staatsoper sollte Olga Neuwirths "Orlando" unbedingt 2019 herausbringen). Sie ist mit dem "Ö1 Konzert. Stimmen hören" am Donnerstag Nachmittag und "Apropos Oper" am Sonntag Nachmittag gut repräsentiert. Aber der aktuell brachliegende Samstag-Abend ist zu wertvoll, als dass nicht auch die Operette, das Musical und das Sprechtheater aus Graz, Klagenfurt, Innsbruck als Bühnen-Abend zum Zug kommen, um von den Festspielausnahmen vom Boden- bis zum Neusiedler See nicht zu sprechen. Außerdem könnten einmal im Monat - hier wäre Sparen gerechtfertigt - aus dem reichen Ö1-Archiv wertvolle Aufnahmen gebracht werden, wie sie bis zum 30. April 2017 auf die unsägliche Zeit am Dienstag ab 00.05 Uhr verbannt waren und jetzt komplett gestrichen sind. Und warum wurde die 90minütige feiertägliche "Opernwerkstatt" fallen gelassen, die von Volkmar Parschalk und Peter Dusek einst so engagiert betrieben wurde? Die knappen beeindruckenden Gesprächsteile zwischen Staatsoperndirektor Dominique Meyer und Michael Blees in "Apropos Oper" am 26. 6. 2017 (http://oe1.orf.at/programm/20170625) lassen die Erinnerung an diese Vorzeigesendung von Ö1 wehmütig aufkommen. Übrigens sollte Ö1 die Staatsoper dazu bewegen, die Übertragungstermine im Rahmen ihrer Premieren, die es mit der ablaufenden Saison vielleicht zum ersten Mal überhaupt regelmäßig auf Ö1 gibt, nicht am Sonntag anzusetzen und den Ö1-"Kunstsonntag" zu vertreiben, sondern am Samstag und damit mithelfen, Kulturveranstaltungen in das Wochenende zurückzuholen. Die Missachtung der Oper auf Ö1, angefangen mit der Sendungsbezeichnung und der Signation, entspricht der Tendenz der Radio- wie Fernsehmacher von heute, eine Programmschablone homogen für alle Tage der Woche durchzudrücken. Schlampigkeit kommt dazu. Man denke an den Kampf um "Diagonal" am Samstag 17 Uhr 05, welche Sendung Sendezeit für das Journal um 17 Uhr abtreten sollte, damit das 17-Uhr-Journal die sieben Tage die Woche komplett machen konnte. Wer aber braucht Nachrichtenjournalwetter, wenn es am Wochenende keine Nachrichten gibt und die Redakteure ohnehin schon jetzt auf yellow Meldungen zurückgreifen wie diejenige von einem Kind, das aus einem deutschen Hochhaus geworfen wurde. Wie schön, davon an einem entspannten Sonntag zu erfahren! Diese maßstabsmäßig geplante Homogenisierung von Sendeschienen wird aber auch von den Musikredakteuren übernommen, etwa wenn Gustav Danzinger am So 2. 10. 2014 vom täglichen Konzerttermin spricht, den es gar nicht gibt. Peter Kislinger jedenfalls moderiert ausnahmsweise am Sendeplatz des Samstagoperntermins, ausnahmsweise an einem Samstagabend und ausnahmsweise zur Fernsehzeit um 20 Uhr 15. Und ausnahmsweise ist es auch er, der sonst für Opern nicht zuständig ist. Die "Last Night of the Proms" 2016 (http://oe1.orf.at/programm/20160910/445306) - eine Extrawurst der Briten am Samstag in Österreich - you got a problem with that? Nein, nein. Wenn nur die zwei Bearbeitungen von Brahms' Werken nicht wären und eine davon mit Trompete den letzten Ton verhauen würde. Wenn nur nicht das ganze Programm wie der behäbige Schlussmarsch im sommerlichen Waldbühne-Konzert der Berliner Philharmoniker klänge und so dürftig wie die Programmangaben wäre: konservativ, seicht, mit Arienrosinen, meist aus den Opernkuchen von Purcell bis Britten herausgepickt. So wie Kislinger die "Proms" präsentiert, würde man schlicht für unmöglich halten, dass auf diesem Festival auch Werke von KomponistInnen wie Steve Reich oder Galina Ustvolskaya aufgeführt werden, aber die "Last Night" ist ja am wichtigsten, oder? (http://www.bbc.co.uk/events/r938q9/series). Wie wär's einmal zur Abwechslung mit dem Lucerne Festival, mit interessanteren Dirigentinnen und einem Abend, der 2016 Olga Neuwirth gewidmet war? Oder ist das für den ORF zu teuer?

Wir treffen uns nicht mehr bei der Klassik. Ein prekärer Fall ist inzwischen der Klassik-Treffpunkt. Seit Karl Löbls und Heide Tenners Zeiten, welch letztere sich einmal vorbildlich gründlich auf eine sehr gehaltvolle Sendung mit Pierre-Laurent Aimard vorbereitete, sollte sie der Klassik dienen, damals wohl der Szene der klassischen Musik und der Welt des Burgtheaters. Jedenfalls ging es um eine musikalische Objektivität, eine Antisubjektivität, die das Epitheton "klassisch" verdient. Man könnte auch sagen, es gibt zwei Reihen von Eigenschaften, mit denen jeder Begriff der Klassik zurechtkommen muss - beliebt, berühmt, kanonisch, aber auch alt, zeitunabhängig, ewig. Das Musikrätsel, dessen Lösung über Telefon mit den Aspekten der CD als Grundlage des Rätsels mit einem ihrer Exemplare belohnt wird - und vor Jahren auch noch mit einem kurzen Wortwechsel mit dem Sendungsgast nach der Einladung "Möchten Sie noch mit unserem Gast sprechen?" - , diente dann der Bestätigung des Anrufers, stellvertretend für die ganz Zuhörerschaft, dass wir zur Klassik der Sendung durch unsere Bildung passen. Und dann ging es im Gespräch um moralische Standards, die die renommierten Gäste aus ihrer Lebenserfahrung auf aktuelle Phänomene anwandten. Dadurch wurden sie geschickt für eine Sendung in Intellektuelle verwandelt. Diese Zeiten sind perdu. 8. Dezember 2012. Der Klassik-Treffpunkt verkommt zur mehr oder weniger gehaltvollen Promotion. Nicht, dass Michael Haneke nichts zur klassischen Musik, ja überhaupt, zur klassischen Kultur zu sagen hätte! Aber Otto Brusatti frägt Haneke weder nach seinen musikalischen Vorlieben, noch nach dem Musikbetrieb, noch nach Filmen über Musik oder Musik in Filmen. Er beschränkt die ganzen 90 Minuten auf Hanekes Film L'Amour - ohne die moralische Frage des Mords in diesem Film adressiert zu haben - , um dann noch ein bisschen Hanekes künftige Regie von Cosí fan tutte zu streifen. Die Musikauswahl ist hit-lastig. Wen wundert es, dass auf diesem Niveau Haneke es zum Schluss nicht zu blöd ist, das Ö1-Publikum direkt mit L'Amour zu bewerben: „Schauen Sie sich den Film an!“ Promotion mit trivialem Music-Talk darf Klassik-Treffpunkt-Moderator Albert Hosp für seine eigene „Musik ohne Grenzen. 20 Jahre Glatt & Verkehrt“ am 17. Mai 2016 machen. (http://oe1.orf.at/artikel/438647) Das ist eine typische Unvereinbarkeit; der Ö1-Mitarbeiter dürfte nicht selbst auch noch sich als Produzenten eines Festivals bewerben. Auf diese Weisen wird der „Klassik-Treffpunkt“ systematisch zerstört, bis man ihn problemlos mit einer noch trivialeren Talk-Show wird ersetzen können. Ist es die Parteilichkeit für die Musik seines eigenen Festivals, die Hosp Mühe mit der Jazzerin Sabina Hank am 3. 9. 2016 bereitete? (https://oe1.orf.at/programm/446940) Auch hier wieder die Gewichtung auf ein Preview von Hanks CD, die in ein paar Wochen erscheinen würde. Hosp vermag nicht, der Jazzsängerin und -pianistin viele mehr zu entlocken als: „Mozart war auch ein Jazzmusiker.“ Nach einem Grund für diese Behauptung wird nicht gefragt. Vielmehr folgt unmittelbar darauf ein Ausschnitt aus ein paar Minuten Interview und Musik von Werner Pirchner. Wieso denn das? Es stellt sich heraus, Pirchner komponierte einst Jedermann-Musik für die Salzburger Festspiele, und Hank ist Salzburgerin. Hank meint später, dass man Karriere und Leben nicht planen kann. Ja und nein. Aber Hosp lässt sich darauf nicht ein. Es gelingt ihm nicht, sich auf Hank einzustellen. Er überfordert sie mit unspezifischen Fragen wie „Was macht ein gutes Jazzsolo aus?“ oder „Das ist ein guter Song?“ Dann werden meist englische Titelkompositionen von Hank und anderen gespielt. Hosp: „Miles Davis sagte: there are no mistakes“; oder: „Das nennt man Synästhesie … im limbischen System, eine anatomische <!> Tatsache.“ Dann konfrontiert er Hank mit András Schiffs Synästhesie. Es kommt nichts heraus. Viel zu langes, spannungsloses und (Hosp) selbstgefälliges Gerede. Nach mehr als einer Stunde der 90 Minuten kommt zum ersten Mal klassische Musik, ein Schubert-Lied, zum Musikrätsel. Aber nur wenige Takte. Oft, seit Suchmaschinen im Internet existieren, weiß es der erste Anruf. Hosps Frage „In welchem Schubert-Lied kommt ein kleiner Luchs vor?“ bleibt aber dieses Mal unbeantwortet. Leider meint Hosp dann zum Schluss der Sendung entgegen seiner ursprünglichen Absicht die Hörerfrage noch beantworten zu müssen. Wirkliche Schubertkenner hören den Klassik-Treffpunkt wohl nicht mehr. Spät kommt die Rede noch auf den Film „The Sound of Music“. Hank hat – eigentlich sensationellerweise, was Hosp aber übergeht – als Erste die Rechte für die Jazzbearbeitung der gesamten berühmten Filmmusik bekommen. Hank spielte dann auch gleich im Radiocafé im Funkhaus in Wien, dem Übertragungsort der Sendung, „My Favorite things“, welches Stück früher offensichtlich eine Einzelgenehmigung erforderte (John Coltrane hätte genannt werden können). Das erfahren wir weder von Hank noch von Hosp. Und Hosp, der offensichtlich kein guter Journalist ist, kommt gar nicht auf die Idee, Hank zu fragen, wie sie überhaupt die Rechte bekommen hat. Vielmehr soll Hank sagen: „Nennen Sie drei Ihrer favorite things!“ (Das soll wohl die drei Porträtfragen sein, Otto Brusatti in seinen Klassik-Treffpunkten mechanisch stellt). Aber Hosp lässt unhöflicherweise Hank gar nicht zum Reden kommen und spielt die von Hank gewünschte Streichermusik Schuberts zum Schluss der Sendung. So geht ein Klassik-Treffpunkt frustrierend zu Ende. Die wichtige Frage, warum Hank, aus einer Klassikerfamilie kommend, zwar bis 18 am Mozarteum studierte, dann aber beschloss, sich von der Klassik abzuwenden, bleibt während der ganzen Sendung ungefragt. Unterm Strich: ein einziges Schubertstück, und das von einer dezidierten Nichtklassikerin ausgewählt und nicht von Hosp! Diese Klassik-Geringschätzung zeigte auch Otto Brusatti am 1. Oktober 2016: „wir können nur einen Mittelausschnitt aus dem ersten Satz bringen, weil das Konzert dauert so gesehen 35 Minuten (10:53:05ff. Uhr) …Wir steigen jetzt ein, ah, in den Schluss der Exposition und lassen, in diese ganz besondere Durchführung, noch klingen, und wenn wir in der Reprise sind, müss' ma wieder hinaussteigen. Ich bitte!“ Und dann (10:56:56 bis 10:57:17 Uhr): „Und wie vorhin schon traurig festgestellt: Das Mozartkonzert ist so groß und daher auch so besonders, dass es sich eigentlich verbietet, drin zu blenden. Wir wollten vorspielen, was ein, eine, sagen wir, sehr besondere Auffassung eines unserer heutigen Gäste ist." Eine angenehme, beinahe schon seltene Ausnahme der Klassik-Treffpunkt am 22. 10. 2016 mit Renate Burtscher und ihrem Gast Philipp Hauß. Hauß versteht etwas von klassischer Musik, ist auch gescheit, wenn auch leider nicht unabhängig von kitschiger Popmusik, die bei Burtscher leider auch noch gut ankommt und auch gespielt wird. Aber, immerhin, das Wir-"schwindeln uns ein bisschen hinein" in Brahms, das gilt, weil es charmant ist. Nur ein Ausschnitt, ja, aber immerhin ganze sechs Minuten erklingt die schöne Ballade für Klavier in D-Dur opus 10, Nr. 2, in dem ein etwas schnellerer Teil einem wunderbar ausklingenden Andante vorangeht. Wehmütige Erinnerungen an die großen Zeiten des Klassiktreffpunkts kommen auf.

Gattungen klassischer Musik vor und nach 2012. Die Konfusion der Gattungen klassischer Musik und die Sorglosigkeit dieser Konfusion gegenüber hat seitens der Ö1-Leitung Methode. Vor 2012 gab es am Montag die Musikgalerie, am Dienstag Apropos Oper, am Mittwoch Abenteuer Interpretation, am Donnerstag Apropos Kammermusik, am Freitag Apropos Musik, am Sonntag Apropos Oper. Seither, bis zum 30. April 2017, durfte alles nur mehr Apropos Musik heißen. Bis zum Sommer 2016 durfte unter dem Sendungstitel "A Propos Musik" am Samstag wie seit vielen Jahren klassische E-Musik gebracht werden, die hauptsächlich aus den Archiven der Salzburger Festspiele gespeist war, etwa von Johannes Leopold Mayer. In letzter Zeit nahm der Druck Tschaikners in Richtung 'gehobener' U-Musik zu, vermehrt Walzer zu spielen. Heute heißt es bedrohlich: "'Apropos Musik' widmet sich verschiedenster <!> Musik und den sie umgebenden Themen; wissend und unterhaltend, mit Fachkenntnis und Leichtigkeit entlang möglicher Interpretationen oder historischer Kontexte, durch Kammermusik und Oper und selten zu hörende Genres." (http://oe1.orf.at/aproposmusik)

Mit der Klassik umspringen: Guten Morgen Österreich Gattungsprobleme scheint "Guten Morgen Österreich" keine zu haben. Möchte man meinen: "Die tägliche Ö1 Morgensendung mit klassischer Instrumentalmusik (alle Epochen, sämtliche Gattungen sowie Arrangements), dazu aktuelle Konzert-Tipps und Kulturhinweise". (http://oe1.orf.at/gutenmorgenoesterreich) Aber dann kommt schon einmal ein Tango, klassisch anmutender Jazz oder Popmusik, von Kammermusikensembles verklärt. Sehr langsam ist das über die Jahre mehr geworden. Unter der vor ein paar Monaten bestellten, von FM4 kommenden Chefin für alle ORF-Radioprogramme Monika Eigensperger wird dieser Trend an Fahrt aufnehmen, so ist zu befürchten. Dennoch, "Guten Morgen Österreich" - ohne Komma! - ist hörenswert und hat Qualität, auch wenn sich die Musikauswahl immer mehr auf ein Hitradio Ö1 zu bewegt mit den Hits der klassischen Musik, genauer: aus der klassischen Musik. Alle ModeratorInnen, früher Ilse Halsmayer, heute besonders Sonja Watzka, geben sich die größte Mühe und vermitteln die Musik oft mit wenigen Worten kenntnisreich in einer bewundernswerten Leichtigkeit und Anmut. Das ist Arbeit, die auf die Sekunde genau kommen muss, wenn etwa etwas passiert, eine Zwischenwerbung oder die Nachrichten länger dauern oder die Musikprogrammierung zeitlich knapp ist. Nicht die geringste Gefahr ist, dass, wie so viele Opernfans nur mehr ihre Arien, so die Musikauswählenden Stephanie Maderthaner, Gerhard Hafner, Friederike Raderer, Gerald Kolbe, Eva Teimel, Sibylle Norden und Beate Linke-Fischer oft sich auf die Zweihundert der ewigen Bestenliste verlassen, Ohrwürmer eingeschlossen. Zudem besteht die Gefahr, dass das Morgenprogramm klammheimlich zur Werbefläche mit immer kürzeren Stücken verkommt: Eigenwerbung und Veranstaltungswerbung nehmen seit 2016, 2017 zu. Auch sonst ist E-Musik in den letzten Jahren auf dem Rückzug, siehe die Musikviertelstunde unter anderem. Die vorletzte Programmreform, "Politur" genannt (diese Ö1-Eigenbeschreibung ist seit dem Herbst 2016 in oe1.orf.at nicht mehr zu finden) beweist das wie Bettina Roithers verächtliche Rede von der modernen, das ist antiklassischen Musikfarbe: Das "Nachtquartier ... ist der 'Versuch, ein jüngeres Publikum anzusprechen'. Die Musikfarbe ist nicht klassisch, sondern modern." (Isabella Wallnöfer, Ö1: Neu am Sonntag und nach null Uhr. Ö1-Chefin Roither geht mit dem „Café Sonntag“ auf Nummer sicher und wagt mit einem Talk-Radio spät nachts ein Experiment für jüngeres Publikum. http://diepresse.com/home/kultur/medien/664946/Oe1_Neu-am-Sonntag-und-nach-null-Uhr?from=suche.intern.portal Die 31 Mai 2011 09:59:58 CEST). Wie das "Nachtquartier" klingt, wissen wir: leichte U-Musik. Und mit modern meinte Roither definitiv nicht E-Musik des 20. Jahrhunderts und schon gar nicht - horribile dictu! - Musik wie die von Georg Friedrich Haas, wenn es ein Beispiel bräuchte. Die Phone-In-Sendung klingt denn auch wie FM4s von Elisabeth Scharang lange betreutes, legendäres Live-"Jugendzimmer", gesendet aus Kinderzimmern österreichweit, und hat, noch länger her, etwas vom Ö3-Nachtexpress der 90er Jahre. Aber wer will schon um 0 Uhr 05 auf Ö1 jung sein? Soll doch FM4 wochentags um Mitternacht talken. Nein, die Musikfarbe muss im Grundton die "Farbe" der klassischen Musik beibeihalten! Und weil bei "Guten Morgen Österreich" schon von "Die Ö1 Klassiknacht" die Rede ist - , die lobenswerten Musiklisten (via http://oe1.orf.at/gutenmorgenoesterreich und http://oe1.orf.at/klassiknacht) könnten auch - wenn schon nie angesagt, wie das vor 20, 30 Jahren noch üblich war: - on air das Jahr der Komposition enthalten, wie das nicht nur bei unbekannten Komponisten Orientierung gibt. Hier wäre Gelegenheit, wichtige Information zu geben und dem Verfall des historischen Sinns im Bildungsradio entgegenzuwirken: Musik von (musik-)gebildeten Menschen für gebildete Hörer. Wie gesagt, die Qualität dieser Sendung ist in Gefahr. So kam folgende Ansage Sonja Watzkas am 30. 9. 2016, von 6:39:04 bis 6:39:10 Uhr, denkend an Schulkinder, aber nicht nur: Ein kleiner musikalischer Schutzengel für den heutigen Tag <Absage von Händels Guardian angels, oh, protect me / Nr.31 Arie der Beauty, Oratorium in 3 Teilen "The triumph of Time and Truth">… 6 Uhr 49. Jetzt machen wir wieder etwas flotter weiter mit Musik von Johann Se<6:39:09->bastian Bach<-6:39:10>.“ Ja, aber durchaus irritierend blendete sich die Musik schon ab 6:39:09 Uhr ein. Es spielen Janine Jansen & Friends. 7:23 min sind angegeben. (http://oe1.orf.at/programm/20160930/443624) Und das wäre ziemlich genau die Länge dieses ersten Satzes auf Jansen & Friends's CD (https://www.youtube.com/watch?v=0vXokJPUFoA). Nur, in der Sendung werden lediglich 6:29 min gespielt. Was ist passiert? 54 Sekunden wurden wohl aus Zeitnot unterschlagen, genau die ersten 19 Takte Bachs (übrigens haben schon Jansen und ihr Ensemble auf ihrer des im Übrigen hervorragend gespielten Aufnahme, wie auch immer sie das begründen mögen, 70 Takte von 122 des vorgeschriebenen Da capo des ersten Satzes von Bachs Konzert in E-Dur für Violine, Streicher und Basso continuo BWV 1042 unterschlagen, vgl. http://imslp.nl/imglnks/usimg/d/d9/IMSLP56606-PMLP91905-Bach-BWV1042chFS.pdf). Ö1 steigt also an diesem Morgen ab Minute 0:52 der CD, genau gesagt ab Bachs vierten Achtel der 16 Achtel des Taktes 20 ein und spielt dann bis zum Schluß, Minute 45:38; das vorgeschriebene Da capo wird dann bis zum Takt 52 gespielt, den als Schluss zu hören man gedrängt wird. So drängt sich Argwohn auf: Warum wird eingeblendet, und nicht auch mitgeteilt, dass wir ein Drittel des ersten von drei Sätzen des Konzerts hören? Neun Monate später sind solche Manipulationen fast schon gängige Praxis. Die Schleusen zur Überflutung mit willkürlichem und unkontrolliertem Vorspielen vorbei am Willen der Komponisten sind geöffnet. Bernhard Fellinger sprach Ende April 2017 in die Pause eines Stücks unmittelbar vor der Sendung "Gedanken zum Tag", um zu bemerken, dass es noch nicht fertig war. Er hatte die Größe, sich mit den Worten zu entschuldigen: "Man soll sich nicht zu wichtig nehmen." Aber wie lange noch ist ein solches Bewusstsein gegeben? Zu befürchten ist eher, dass langsam eine Annäherung an "Klassik Radio" wie in Tirol und Salzburg vollzogen wird: Im Gegensatz dazu <zur ARD und zum Deutschlandradio> werden bei Klassik Radio <aus Hamburg> keine ganzen Sätze oder Werke gespielt, sondern lediglich Satzausschnitte. Diese sind bewusst so gewählt, dass insgesamt eine bessere Durchhörbarkeit des Programms entsteht.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Klassik_Radio 22.6.2017)

Watzkas Knechtung in Guten Morgen Österreich. Watzka und die anderen müssen seit dem Sommer 2016 das Wetter und die letzte Musikstrecke in der halben Stunde vor 8 Uhr ansagen, obwohl diese paradoxerweise erst nach dem Programmüberblick um 7 Uhr 33 beginnt (ein nunmehr verschwiegenes Ö1 heute“). Man lässt sie und die anderen also absurde, knechtische Dinge ausführen, wie die Wettervorhersage. Nur, die Wettervorhersage ist der Information rein logisch und nicht nur organisatorisch näher. Sollen es doch die Morgenjournal-ModeratorInnen selber machen! Oder sind sie sich zu gut dafür? Eigentlich geht es um etwas anderes. Es ist der zunehmende Druck zu spüren, dass Musik und Kultur durch das Wort der (politischen) Nachrichten verdrängt werden. Zweifellos geht der Druck von der News-Lobby des ORF aus, die immer schon einen guten Draht zum Küniglberg hilet. Gabi Waldner, Rainer Hazivar, Hanno Settele, Nadja Bernhard, Eugen Freund und andere kamen von Ö1 zum Fernsehen und in der Regel nicht umgekehrt, und die Doppelfunktion der Auslandskorrespondenten für Radio und Fernsehen verstärkt die Verbindung von Funkhaus und ORF-Fernsehen, wie auch die Chefitäten, oft dem News-Bereich nahestehend, dem Radio vom Küniglberg aus diktiert und implantiert werden. Der Druck der News-Lobby bringt mit sich, dass es in einigen Jahren ein News-Center am Küniglberg mit dem ORF-Fernsehen geben soll. Kein Wunder, dass sich Druck und Unruhe in verschiedener Form ausbreiten und die Klassik es ausbaden muss, die bekanntlich erst seit Kurzem umfangreicher im Fernsehen in Form von ORF III vorkommt. Wird das ORF-Fernsehen das werden oder übernehmen, was von Ö1 übrig bleibt?

ein E-Musik schätzender Zeitungsherausgeber. Am Sonntag, den 4. September 2016 um 9 Uhr 05 kommen die "Gedanken" von Armin Thurnher, "über den Begriff der Würde". Sendereihenverantwortliche Doris Glaser macht klar, dass die Sendung auch Werbung für Thurnhers nächstes Buch „Republik ohne Würde“ ist. Hat sich dafür Thurnher, bekennender Klassik-Fan und Vorstandsmitglied des Klangforum Wien, breitschlagen lassen für eine eines Thurnher unwürdige Liste an Musik zwischen den 'Gedanken'? Wie Glaser beinahe triumphierend festhält, sei die Musikabfolge in Abstimmung mit Thurnher entstanden: Bob Dylan (über dignity singend), Aretha Franklin, Des Ano, The Beatles, Van Morrison, Dusty Springfield und gerade noch 3 Minuten 45 Johann Sebastian Bach, 3 Minuten 23 Joseph Haydn und 2 Minuten 40 György Ligeti. Hat Armin Thurnher auch Ö1 gemeint, wenn er sagt:Rein kommerziell interessierte Medien … wollen nur noch die Aufmerksamkeit einer Zielgruppe kriegen, fast egal oder eigentlich egal, womit. Und das kann man sozusagen vom Gedruckten der Boulevardmedien bis zum Extrembeispiel des Formatradios betrachten, wo ja das Programm dann solange abgeglichen wird, bis genau jene Schlager gespielt werden, die die angepeilte Altersgruppe auch hören will. Das heißt radikaler Opportunismus eines Mediums. Im Gegensatz dazu das Qualitätsmedium, das eigentlich auf den Überlegungen der Produzenten beruht, auf den Entscheidungen, was wichtig wäre und was gesendet, was geschrieben, was gedruckt werden müsste. Die kommerziellen Medien haben viel Geld, aber die können auch affektiv die Leute zu Dingen bringen, bei denen sie sehr leicht ihre Würde verlieren, sei es, dass sie zu populistischen Exzessen ermutigt werden, sei es aber, dass sie sich selber zum Affen machen, um nur sozusagen diese mediale Aufmerksamkeit zu bekommen von Casting-Shows bis zur Teilnahme an irgendwelchen Foren auf der einen Seite und andererseits von Kommentatoren, die dann so Dinge schreiben wie: 'Wer alt genug zum Stehlen ist, ist alt genug zum Sterben' <so Michael Jeannée am 7. August 2009 in „Die Kronenzeitung“ zur Erschießung eines jugendlichen Einbrechers und Diebs durch einen Polizisten>, also dass man da die dumpfsten Instinkte befördert. Und die andere Seite, die immer mehr als bedrohte Art anzusehen ist, das sind die Qualitätsmedien, auch die öffentlich-rechtlichen Medien wären dazu aufgerufen, diese Art von Medien, die grundsätzlich das Ziel haben, so etwas wie einen gesellschaftlichen Diskurs aufrecht zu erhalten und deswegen auch riskieren, bei ihrem Publikum nicht das Liebkind zu sein und dem Publikum nicht hinten 'rein zu kriechen, und nicht alles zu tun, was dieses Publikum von ihnen erwartet. Ich glaube auch im Übrigen, dass das eine ganz wichtige Unterscheidung ist, nach dem man Medien betrachtet: ob es Redaktionen gibt oder ob lauter Einzelkämpfer vorhanden sind, weil Redaktionen ja doch gewachsene Organismen sind, die dazu dienen, dass Leute einander überprüfen, einander anregen, einander kritisieren, einander kontrollieren, während in der digitalen Sphäre und tendenziell auch in der kommerziellen Sphäre eine Fragmentierung vorliegt, wo es eigentlich nur darum mehr geht, dass ein Einzelner, der glaubt, er ist jetzt Autor und Verleger in einem, sich der Welt aussetzt und seine Hervorbringungen der Welt mitteilt und sozusagen dieses kooperative, kontrollierende, aber auch anregende Element fehlt, das eigentlich ein Qualitätsmedium auszeichnet.(9:14:13 bis 9:17:05 Uhr)

Fidelio mit kleinem f. Wie eine gut eingeführte Hotelkette mit Webseite gleichen Namens soll 'fidelio' dem Genuss dienen. (https://www.myfidelio.at/fidelio/) "Das Klassikportal für Ihren Musikgenuss" mitvier Säulen … einer Klassithek, der Übertragung von Live-Events aus Konzertsälen, Opernhäusern und Open-Air-Spielstätten, einen Tune-in-Kanal mit redaktionell festgelegtem Programm sowie einer Editorial-Schiene, die Hintergrundinformationen zu Künstlern, Orchestern, Dirigenten, Komponisten und Klassikinstitutionen bietet. Für die Erstellung der Editorial-Schiene zeichnet die Ö1-Musikredaktion verantwortlich.“ (http://www.horizont.at/home/news/detail/orf-klassikportal-fidelio-geht-heute-an-den-start.html 19. 9. 2016) Es soll die musikalischen Schätze des ORF etwa aus dem Radioarchiv dem zahlungswilligen Publikum zugänglich machen. Die Webseite des nach Bayern ausgelagerten Unternehmens, ein TV-Kanal namens Unitel Classica“, der als Tochtergesellschaft von Jan Mojtos Unitel GmbH & Co.KG in Oberhaching bei München seinen Sitz hat, erlaubt keine wie immer geartetete Übersicht über das Angebot. Nur mit der Eingabe von Daten kann man ungeschaut testen. Zu befürchten ist, dass das ein Rohrkrepierer wird (http://oe1.orf.at/artikel/450900). Aber es sind noch mehr Schätze da. Sie gehören der Republik und lagern - wer weiß? - im Funkhaus. Aus vielleicht guten Gründen wird das Verzeichnis des Rundfunk-Archivs geheimgehalten. Natürlich, Begehrlichkeiten würden entstehen. Aber gehört nicht uns ÖsterreicherInnen dieses Archiv? Ö1-Chef Peter Klein meint ja. Er äußert den Wunsch an die Politik, dass mittelfristig alles unbefristet zur Verfügung stehen soll. "Es wäre auch demokratiepolitisch nur gerecht, wenn wir unsere Schätze frei zugänglich machen würden." (http://oe1.orf.at/artikel/627413) Jedenfalls zugänglich den Radio-GebührenzahlerInnen, wäre zu ergänzen, worauf heute erstaunlicherweise niemand mehr eingehen zu müssen glaubt. Oder rechnet der ORF schon fest mit einer für alle ÖsterreicherInnen verpflichtenden Haushaltsabgabe?

Moderation von Alte Musik - neu interpretiert. Nicht dass die Qualität der Musik unbedingt abgenommen hat. Es besteht seit einiger Zeit Lieblosigkeit und Sorglosigkeit bei der Moderation von Konzerten, etwa den Konzerten am Vormittag um 10 Uhr 05, den Abendkonzerten unter der Woche, der Matinee am Sonntag und am meisten beim Sonntagsabendkonzert - letzteres ist ja seit dem 1. Mai 2017 abgeschafft. Alte Musik - neu interpretiert“, die Sendung von Bernhard Trebuch Dienstag um 19 Uhr 30 bis 21 Uhr. Am 16. August 2011 (http://oe1.orf.at/programm/281590): Le Concert des Nations, Leitung und Viola da gamba: Jordi Savall. Auf dem Programm bis 20 Uhr 45 steht Bachs "Musikalisches Opfer". Es wird aber noch ein (zugegeben interessantes) Werk von Bachs Vorfahren Johann Christoph Bach gebracht, anstatt dass Trebuch Ausführlicheres über das "Musikalische Opfer" sagt. Es hat nämlich nicht nur eine besondere Konstruktion, sondern klingt auch relativ unförmig. Auch ist wenig Besetzung festlegt. Aber nein, es wird die Anekdote von Forkel aufgewärmt und nach dem Stück noch kurz gesagt, dass Jordi Savall das Werk kurz nach seinem 70er aufführte. Kein Wort über die fabelhafte und durchaus ungewöhnliche, natürliche, bisweilen jazzige Leistung des Ensembles Concert des Nations – entsprechend der Tatsache, dass das Werk bei Bach aus der Improvisation entstanden ist. Der Musiker sind hier wenige; sie hätten durchaus genannt werden können. Kein Wort auch über das Festival für Bach gerade in Ansbach, von wo der Mitschnitt stammt. Schließlich verwunderlicherweise nichts über den eigenwilligen Titel und das Werk selbst. Wo bleibt der Ö1-Kulturauftrag einem Bach gegenüber, der im Konzert ohnehin nicht öfter als gefühlte fünf Mal in 365 Tagen vorkommt (wenn er nicht gerade als Zugabe eines Geigers in der "Matinee" auftaucht)? Hat Trebuch überhaupt daran gedacht, dass ihm mit Wikipedia vorzügliche Information zur Verfügung stünde? Wie soll Ö1 von innen heraus den aktuellen Werbeanwandlungen trotzen? Aber diese Versäumnisse sind nicht alles. “Hallo und willkommen am vorletzten Tag des Jahres 2014 wollen wir uns”: entweder Punkt oder Komma nach “willkommen” – das müsste dann auch durch eine kurze Pause zu hören sein , oder es müsste nach "2014" ein neuer Satz kommen: "Wollen wir uns ...". So am 30. Dezember 2014 die ersten Worte für “The Sound and the Fury. Motetten und Messen von Nicolas Gombert”. Der Haupttitel verschweigt, dass in der Sendung neben dem Ensemble The Sound and the Fury noch ein zweites Ensemble mit Musik von Gombert zu hören. Übernimmt Trebuch einfach das Marketing des Ensembles für alte Musik, das sich nach einem Roman von William Faulkner nennt? Übrigens: Gombert stand in den Diensten Karls V., nicht Karls VI. Trebuch scheint uns zehn Minuten vor Schluss der Sendung überraschen zu wollen: “Ich möchte Ihnen heute Musik von Nicolas Gombert schmackhaft machen”. Wenn das zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen war, dann war wohl alles zu spät! Zunächst gab es keine Nachweise auf der Ö1-Webseite (http://oe1.orf.at/programm/20141230). Auch in der Sendung kam keine Information zu den musikalischen Kompositionen, zum gesungenen Text – lediglich die Musikgattungen Messe und Motette benannte Trebuch – , zum Komponisten und seinem Rang (klingen tut die Musik erstrangig), zum musikalischen und überhaupt geschichtlichen Kontext. Dabei hätte Trebuch durchaus Zeit gehabt. Statt der Unsitte, ein paar Minuten in ein Stück “hineingehört” zu haben ganz zum Schluss, wäre Zeit für die fehlende Anmerkungen gewesen.

Moderation der Matinee. Keine Gemütlichkeit mehr am Sonntag: zu schnelles Ausblenden, über den Applaus drüberreden. Das geht vielleicht im sonntäglichen Ambiente zwischen Zehn und Elf in Ordnung, nicht aber im wichtigsten Konzert der ganzen Ö1-Woche. Spiegeln diese Unarten nur das Verhalten des Konzertpublikums etwa im Großen Musikvereinssaal wieder, dem 'Goldenen Saal', wie immer auf Ö1 gesagt wird? Seit einigen Monaten gibt es keinen einleitenden Applaus mehr (wie auch nicht "Aus dem Konzertsaal" sonntagabends am 2. Oktober 2016), welchem Umstand oft wenig gehaltvolle und wenig feierliche Ansagen zu entsprechen scheinen. Dabei böte der Applaus dem Publikum die Chance, sich wie im Konzertsaal auf das kommende Stück einzustellen, zu konzentrieren, ließe das Publikum und stellvertretend uns ZuhörerInnen mitwirken. Auch die Schlussapplause werden immer kürzer und an ihrem Ende immer schneller abgedreht. Sicher, es braucht nicht mehr wie früher einen minutenlangen Applaus nach einer zugegeben starken Leistung. Aber gar keinen Applaus mehr zu bringen oder sehr bald über Applaus drüberzureden, ändert ein Konzert zum bloßen Lieferanten manipulierbarer Mitschnitte ab. So begann die Matinee am 15. 12. 2013 mit Olivier Messiaen's "L'ascension. Quatre méditations symphoniques pour orchestre". Aber es war dem sehr langsamen, zart ausklingenden Stück nur ziemlich kurzer Applaus gegönnt, auf den dann eine für die Matinee unpassende, explikative Ansage von Johannes Leopold Mayer quasi aus dem Schnitt, dem Nichts heraus zum nächsten Programmteil wies. Was fast nie vorkommt: Dem Konzert, das den Philharmonischen Abonnementkonzerten aus dem Musikverein entnommen war, fehlte die Begründung, warum es nicht schon vor einer Woche und zwar live wie alle Philharmonischen gebracht wurde. Weiters weiß man von der Matinee kaum mehr, wer aller jetzt diese Sendung moderiert oder für sie zuständig ist: die Moderatoren, die Sonntag früh schon Guten Morgen Österreich verkünden wie etwa Sibylle Norden, Bernhard Fellinger (der auch zahlreiche andere Sendereihen moderiert), oder auch fallweise Musikredakteure wie Renate Burtscher oder Artur Trainacher, der selten gewordene Nachrichtensprecher. Meistens bleibt nach dem Konzert noch Zeit für mehr als ein paar Takte Musik. Aber auch hier Schlamperei, etwa wenn Nicole Brunner nach einer Aufzeichnung eine kleine Auswahl aus dem Wohltemperierten Klavier bringt und nicht einmal zuwege bringt, dass das letzte kurze Stück ganz zu Gehör gebracht wird. Diese Musik auszuwählen und im Sinn eines möglichst passenden Ausklang der Matinee, von der wir noch ganz erfüllt sind, pointiert zu moderieren und als Puffer zu „Ö1 heute“ einzuschieben, stellt nicht die geringste Kunst dar. Es hat gute Tradition, dass der Eindruck eines Symphoniekonzerts nach dessen Ende nicht durch ein weiteres symphonisches Stück mit analytischen Erklärungen gemindert wird, wie leider auch schon geschehen. Die Besonderheit der Matinee liegt auch darin, dass diese Sendung, wenn live, überziehen und das Mittagsjournal nach hinten drängen darf, eine Dehnung, die beim RSO Wien sogar John Cage's 4'33“ ergreifen kann, welches Stück anders als die stark schrumpfenden Gedenkminuten auf dem Fussballplatz 13 Sekunden länger als vorgeschrieben dargeboten wurde. (14. 10. 2012, 11:17:44 bis 11:22:30 Uhr)

Scheib, Koroliov und die Moderation des Sonntagabendskonzerts. Welcher Satz der folgenden Passage ist nicht Kitsch? Zitat Christian Scheib: 'Er rief mich eines Tages an'. So schlicht beginnt die Erzählung des Pianisten Evgeni Koroliov über seine Beziehung zum Komponisten György Ligeti. 'Er rief mich eines Tages an und fragte mich, ob ich die 'Kunst der Fuge' und Stücke von ihm, also von Ligeti, auf einem Festival in Finnland spielen könne. So sind wir in Kontakt gekommen.' György Ligeti liebte nämlich das Korolióvsche Bach-Spiel und, wie das Zitat eben schon nahelegte, insbesonders seine 'Kunst der Fuge'. Man könnte es kaum dramatischer ausdrücken als Ligeti selbst: 'Wenn ich nur ein Werk auf eine einsame Insel mitnehmen dürfte, so würde ich Korolióvs Bach wählen, denn diese Aufnahme würde ich, einsam verhungernd und sterbend vor Durst, bis hin zu meinem letzten Atemzug hören.' <wird im Lauf des Konzerts noch einmal erwähnt> Am 12. Juni 2016 spielte Evgeni Koroliov einen Klavierabend als Hommage à Ligeti, Christian Scheib begleitet Sie durch diesen Ö1-Konzertabend mit Klaviermusik von Bartok und Kurtag, Chopin und Debussy sowie Ligeti selbst. Aber natürlich eröffnete Koroliov den Abend mit der Bachschen 'Kunst der Fuge'.“ So Christian Scheib in seiner Moderation der Wiedergabe eines Konzerts am Sonntag, 19.6.2016 19:30 (http://oe1.orf.at/programm/20160619/434979: "Evgeni Koroliov, Klavier. Hommage à György Ligeti - zum 10. Todestag. / Werke von Johann Sebastian Bach (aus: Die Kunst der Fuge BWV 1080), Béla Bartók, György Kurtág, György Ligeti (aus: Musica ricercata und Études pour piano), Frédéric Chopin und Claude Debussy (aufgenommen am 12. Juni im Mozart-Saal des Wiener Musikvereins).") Einmal davon abgesehen, dass Koroliov bis Minute 18 zwei Fehler machte, dann wieder einen bei einem langsamen Stück knapp vor 1:35:20 - was Scheib nicht gut auf Sendung kommentieren kann - , macht Scheib keine Absage, welche Stücke aus Kunst der Fuge gespielt und welche gesendet wurden. Der von ihm ausgesprochene Titel 'Játékok' ist kaum ordentlich zu hören. Das Programm wird anscheinend so gemischt gebracht wie im Konzert, ohne dass Scheib vorher oder nachher ansagt, welches Stück welchem folgt – teilweise ist es bei gutem Willen ja zu erkennen. Die sechs der elf Stücke der musica ricercata sagt Scheib so an: "Er liebe insbesondere diejenige Komponisten, sagte Ligeti einmal, die so richtig vom Klavierspiel herkommend komponieren, also Chopin oder Schumann oder Scarlatti“. So wird also Ligeti zu Ehren Musik von Chopin und Debussy gespielt, „jeweils zwei Etüden“. Wie es der Sendung "Aus dem Konzertsaal" entspricht, wird der Applaus vor Beginn des jeweiligen Stücks in der Sendung aufgedreht. Aber bei einer derart analytischen Moderation wie derjenigen Scheibs wirkt Applaus fremd und überflüssig. Dagegen werden (ca. 1:07:15) die Etüden Chopins weder bei der An-, noch der Absage mitgeteilt. Stattdessen lässt Koroliov launige Musik von Debussy "zum Schwierigkeitsgrad" von Chopins Etüden folgen, was zur Paarung Ligeti/Bach so gar nicht passen will. Scheib weiter: Es gehe um das Pianistenprinzip des Konzerts, demzufolge sich Komponisten in Stücken „dediziert mit musikalischen Problemstellungen beschäftigen“. Ja, aber welche? Scheib spricht von einer „'Brücke zwischen Chopin und Jazz'“ bei der ersten Problemstellung und „Cordes vides“ bei der zweiten? Also „jenes Intervall, in denen Geigen, Bratschen und Celli gestimmt sind: auf die Quint“. Das gibt am Sonntag Abend ganz schön viel zum Denken auf. Sodann kommen vier Ligeti-Etüden aus den 1980er Jahren (1:09:01 bis 1:21:40) ohne irgendwelche ankündigenden Angaben. Die kommen für ein Konzert mit derart kühnen Musikwechseln leider erst danach im adornoschen grammatikalischen Tempus („... zu hören gewesen war.“) Dann Bachs „berühmter Contrapunctus 15“ - wieso berühmt, sagt Scheib nicht. Wenn schon so viel gesprochen werden muss, dann wäre ein Kommentar darüber angebracht, ob Koroliows Konzept überhaupt aufgegangen ist. Hier wäre Platz für die musikkritische Urteilskraft, mit der Christian Scheib einst angetreten ist und es zum Musikchef von Ö1 brachte. Karl Löbl hätte so etwas nie ausgelassen! Zum Schluss kommt die Absage, es folge nun <zur Füllung der Zeit bis 21 Uhr 29> Heiteres aus dem "Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach" - als ob Ligeti nicht auch heiter gewesen wäre! Unverständlicherweise werden die vier Stücke - elf Minuten! - bis zum Schluß ohne Pause und Zwischenansagen gespielt. Die Webseite ergänzt das erst später; dass von Mozart etwas dabei ist, wurde auch erst später getilgt. Gerade noch Zeit gibt es für eine alles andere als elegante, rätselhafte Absage mit den Worten, die nach Grabinschrift klingt: "Jörg Demus 1970 bis 1971." -- Wenig konzertmäßig und sonntäglich moderiert auch Chris Tina Tengel, dem ansonsten würdigen Nachfolger des im Dezember 2015 verstorbenen Gottfried Cerwenka. (24. 2. 2013) Dass sich das Wort Rezital“ gegenüber Liederabend durchgesetzt hat, ist nicht Tengels Schuld. Sehr wohl aber, dass die Sängerin Joyce di Donato ziemlich in der Linie von Tengels eigener Sendung "Stimmen hören" nach fast jedem einzelnen Lied eine An- und Absage, aber wenig Applaus zugestanden bekommt - wo ist da "Aus dem Konzertsaal"? So beliebig der Stil des/der ModeratorIn, so beliebig auch ihre Auswahl, einmal aus den Landesstudios, dann wieder aus den Bereichsleitern der Musikredaktion. Und so das Kraut-und-Rüben-Programm des Sonntags "Aus dem Konzertsaal": Live-Sendung oder meist aufgezeichnet, Tripelreihe mit Brusatti (Wagner), Schubertiaden, die obligaten Funkhaus-Orgeltermine (kostet wenig), dann wieder Symphonisches, nicht immer erste Qualität, Nachwuchs. Kammermusik mit klassischer und romantischer, leider wenig frühmoderner Musik zum angenehmen Sonntagsausklang war schon lange nicht mehr der Hauptcharakter der Sendung. Der jüngste Gipfel der Enttypisierung des Sonntagsabendskonzerts: ein abenteuerliches Sammelsurium mit zahlreichen Ausschnitten aus kürzeren Stücken (Konzertsaal?), aus Lohengrin, Walküre, dann "Dvoráks" Festmarsch op. 54, Original-Schrammelmusik von Johann Schrammel, gespielt von Karl Hodina auf der Harmonika und Edi Reiser auf der Kontragitarre am 20. November 2016 "In honorem Francisci Josephi" am 100. Todestag am 21. November 2016 (http://oe1.orf.at/programm/20161120/450997). Es kam, wie es kommen musste. Aufgrund andauernder Vernachlässigung durch die Ö1-MitarbeiterInnen über die Jahre - weil Sonntag keiner gern ins Funkhaus geht? - war die Sendung solange zum Mißstand verdammt, bis sie nicht mehr zu retten war - der erste Stein zum Anstoß der Neuaufstellung als ein "Ö1 Kunstsonntag", wie wir ihn nun seit 1. Mai 2017 haben.



h. Abgewatscht von Oliver Baier: Markus Hinterhäuser im Café Sonntag



Werturteile sind nicht in der Natur dieser Arbeit,

sowohl was die Komposition,

als auch was die Aufführung und das Hören betrifft.

(Cage 1961, 59. Übers. P.M.)



Das voraufgezeichnete Interview auf Ö1 wie schon seit Langem auf Ö3, unterbrochen von Musik, oder soll man sagen: Musik, garniert mit Talk? Sonntag, 9 Uhr 05, die Notlösung nach dem Scheitern von "Schiff ahoi" als Nachfolge des Radio-Politkabaretts "Guglhupf". Am 13. Mai 2012 zu Gast ist Markus Hinterhäuser, der langzeitige Pianist und Kammermusiker für zeitgenössische Musik, der Begleiter von Brigitte Fassbaender, Gründer und Leiter des Salzburger Zeitfluss-Festivals, Konzertdirektor und 2011 Intendendant der Salzburger Festspiele. Die Musikauswahl ist offensichtlich ohne Hinterhäuser getroffen worden: Leonard Cohens Suzanne, Schuberts Trockne Blumen mit Jochen Kowalski und Markus Hinterhäuser, sodann Al Greens Too much, Heller/Qualtingers Wean du bist a Taschenfeitl, Kürzestausschnitt aus Beethovens Sechster, Ryuichi Sakamoto.

Oliver Baier, der sich die Sendereihe mit einer weiblichen Talkerin teilt, blödelt sich in die Sendung hinein mit einem Hurch“ als dreifachen kleinen Schwarzen, nachdem seit Kurzem einem größeren Publikum bekannt ist, dass das die Sonderbestellung eines Wiener Festivalleiters ist (Manfred Rebhandl, Café Engländer: Das Buch der Bücher. Reportage http://derstandard.at/2000050325872/Cafe-Englaender-Das-Buch-der-Buecher, 7. Jänner 2017, 10:00), oder einem mit Humor schlechten Geschmacks so bezeichneten Mitterlehner“ als koffeinfreier Kaffee, nach dem österreichischen Ex-Vizekanzler.

Sogleich lenkt Baier das Gespräch auf das anscheinend von ihm gewählte Sendungsthema Kulturförderung mit dem Titel "Droht der Kulturinfarkt?" Er tut das offenbar, ohne Hinterhäuser vorab informiert zu haben und ohne genau zu nennen das soeben erschienene Buch von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz ( Haselbach/Klein/Knüsel/Opitz 2012). Wohl gab es hier wie sonst auf Ö1 bis zum Zeitpunkt der Sendung keine adäquate Diskussion dieses demagogischen Machwerks. Baier quasi beehrt sich gleich eingangs, Platons Diskussion der positiven oder negativen Rolle der Musik in dessen "Staat" zu streifen und, irgendwie ein Zwischenglied auslassend, Hinterhäuser scheinheilig zu fragen, für welche Musik denn Hinterhäuser sei. Leider sagt Hinterhäuser nicht, für welche Musik er nicht ist (nämlich Popmusik). Aber seine Antwortet ist nicht schlecht, wenn auch unklar bleibt, was die Instrumentierbarkeit von Beethovens Neunter damit zu tun hat. Baier redet betont deutsch“ und schnell, „aber, aber ...“.

Doch dann kommt schon der damalige Sendungsverantwortliche UND Kellner herbei, der langjährige, erfolgreiche Leiter von "Im Gespräch", Michael Kerbler. Kerbler bringt Baier etwas gegen den „dürren Hals“, was kurz die Frage suggeriert: Kommt Baier verkatert ins Studio? Was wäre der Sinn, das auch nur zu fingieren? Das bleibt unklar. Kerbler bringt die Cafe-Sonntag-Karte: Schuhs Glosse, 1. Akt 19. Szene von ... , etc. etc. Dann leitet Baier Cohen's Suzanne ein, eine unbenannte Live-Aufnahme und will damit boulevard-typisch Hinterhäusers Jugend definiert haben. Baier zielt das erste von zahlreichen Malen anlassig auf die Person Hinterhäuser: „Persönliche Beziehung zu Cohen“? Hinterhäuser viel zu ehrlich: "Ja, nicht persönlich, aber ...". Hinterhäuser bringt freie Assoziationen, die unbedingt nachgefragt hätten werden müssen. Baier ignoriert das.

Offenkundig liest Baier Fragen ab oder hat sie einstudiert, denn so schnell kann kein Baier vier Komponistennamen hintereinander nennen. Hier und auch später erfahren wir nichts über Hinterhäusers Arbeit. Nach kurzen Ausführungen zu Schönberg und Ives von Seiten Hinterhäusers kommt, ohne Worte, abrupt, ja überfallsartig „Schöne Müllerin“, wobei Schubert erst beim Absagen genannt wird.

Einmal gerät Hinterhäuser kurz ins Wanken. Die Gesellschaft schütze Minderheiten, eine prekäre Aussage, denn Hinterhäuser meint eine sogenannte Minderheit der Hochkultur. Das bleibt natürlich, wie fast jede These in der Sendung, von Baier unaufgegriffen.

Nach 19 Minuten und 24 Sekunden zitiert Baier hinterhältig Nikolaus Harnoncourt, den er gegen Hinterhäuser in Stellung bringt. Baier: "'Die Zwölftonmusik ist eine Musik wider die Natur' ... Stimmt das?" Davon stimmt, dass sich Harnoncourt gelegentlich gegen Schönbergs Zwölftonmusik aussprach, im herangezogenen Interview aber einräumte: "Es gibt in der Natur keine Skala, die für Musik brauchbar ist. Dur oder Moll oder Kirchentonart: das ist immer irgendwie konstruiert. ... Die Zwölf-Halbton-Skala ist ein sehr komisches, merkwürdiges, unverständliches Konstrukt. Aber daß mit einer so perversen Skala so tolle Musik gemacht werden kann, das finde ich großartig." Und kurz darauf: "Zeitgenössische Künstler sind für mich so etwas wie Brückenbauer: Sie bauen Brücken in den Nebel hinein und wissen nicht, ob das andere Ufer überhaupt da ist. Sie komponieren und komponieren im totalen Vertrauen darauf, dass es ein anderes Ufer gibt, und dass es dann irgendwo wieder weitergeht. Das finde ich groß. Und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht mit in diesem Nebel bin." (Harnoncourt/Buening 1997) Soviel zur Ehrenrettung Harnoncourts, aber noch mehr zur Verteidigung Hinterhäusers. Von ihm kann nicht verlangt werden, dass er gegen einen solchen teuflischen Angriff gewappnet ist. Er, der eigentlich während der ganzen Sendung bekämpft wird, wehrt sich dennoch tapfer.

Dann kommt Franz Schuhs eingespielte Glosse. Spätestens jetzt hätte die angebliche Randfunktion der ernsten Musik zu einem zentralen Gewicht aufrücken müssen. Denn, so Schuh, Rousseau sei ein Kunstfeind gewesen; die Romantiker dagegen hätten das Kunstwerk absolut (anstelle der Religion) gesetzt - was so nicht stimmt, auch weil Rousseau kein Kunstfeind allgemein, sondern ein Theaterfeind in einer besonderen Hinsicht war, auch selbst komponierte, zum Opernstreit Mitte des 18. Jahrhunderts wesentlich beitrug. Aber wie soll Hinterhäuser gegen Schuh Einspruch erheben, wenn Baier gleich zum nächsten Punkt übergeht?

Hinterhäuser 'erlaubt' sich darauf hinzuweisen, dass die kleinen Kulturinstitutionen ausgetrocknet werden. Darauf Baier plump und unsachlich: „Wo ist hier das Thema des Kulturinfarkts?“ Hinterhäuser, höflich, bringt nur heraus: Hier vom „Kulturinfarkt“ zu sprechen ist problematisch, weil was einmal verloren ist, nicht wiederkommt. Wenig plausibel. Baier, offensichtlich pro Kulturinfarkt-These, beklagt "zuviel vom Selben", ohne Hinterhäuser etwa mit Freuds These zum Unbehagen der Kultur Gelegenheit zur Reflexion zu geben. Hinterhäuser stimmt Baier zu, wenn auch nur vorläufig: Es brauche auch zweitrangige wie die NÖ Tonkünstler. In diesem Punkt sei das Buch „so unsympathisch, so unsympathisch“, sagt Hinterhäuser, ohne dass er seinen Vergleich mit Bayern München und Bruce Springsteen bündig durchführen würde. Doch das interessiert Baier gar nicht. Abrupt und grob setzt er einen Schnitt.

Ober Michael baut sich auf, um einen Dialog von Hugo von Hofmannsthal und einem Zyniker aus Karl Kraus' Letzten Tagen der Menschheit einzuspielen.

Auch danach lässt Baier nicht locker vom Kulturinfarkt, vom „Buch, über das wir gesprochen haben“. Ach so? Gesprochen und vor allem über das Buch. Nicht einmal die Hauptthese wurde von Baier vollständig angegeben. Baier kratzt mehr oder weniger elegant die Kurve mit der Frage, was ärger sei für Hinterhäuser, das Buch oder Salzburg (wo Hinterhäuser damals nicht Intendant wurde)? Blöder und heimtückischer geht es wohl nicht. Hinterhäuser lässt sich sogar darauf ein. Auch in diesem Moment kommt das Gefühl auf, dass uns eine Information abgeht (nämlich dass es eben Pereira und nicht Hinterhäuser geworden ist, wegen Landeshauptfrau Burgstaller et cetera et cetera ... gähn!)

Schnitt - Baier: "Wean du bist a Taschenfeitl" (Heller und Qualtinger werden gleich singen). Baier, sich gebärdend wie der Intendant seiner Sendung, zu Hinterhäuser, diesen aufs rednerische Glatteis führend wollend: "Sie sagen es auf hochdeutsch an!“ Nicht einmal ein Baier haushoch überlegener Radiomann wie Howard Stern würde es so billig geben wie Baier hier. Offensichtlich plustert sich ein Wiener gegenüber einem Nichtwiener auf, zumal der in La Spezia geborene, wenn auch in Wien studierte Österreicher Hinterhäuser sein Amt mit einer 'echten' Nichtösterreicherin, nämlich Şermin Langhoff, anzutreten vorhat, der heutigen Leiterin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters. (Wo in der Sendung bleiben diese Basisinformationen?) Was hätte sich erst Langhoff gefallen lassen müssen? Hinterhäuser wenigstens: „Nein, ich mach' mich sicher nicht lächerlich!“ Baier nach dem Lied indiskret und weiter antagonistisch: „Herr Hinterhäuser, Sie haben sich geweigert, aber Sie haben während des Lieds mitgesungen“.

Dann eine besondere Bosheit von "Café Sonntag" gegenüber der klassischen Musik. Zwei Minuten aus dem zweiten Satz von Beethovens Pastoral-Symphonie wird Ö3-mäßig zum kaum hörbaren bloßen Musikbett für einen Gesprächsabschnitt degradiert. Hinterhäuser sagt, dass er diese Musik als Kind geliebt habe. Aber ich, Ö1, zeige Dir, wie man mit klassischer Musik umgeht - Baier schelmisch: „Habe mir erlaubt, etwas von der 6. Symphonie zu spielen.“ Und es folgen abrupt nach dem Musikbett im Sinn der Baierschen Nivellierung 40, 50 Sekunden anästhesierender Klavierkitsch (Sakamoto), der nicht an- und abgesagt und auch auf der Webseite nicht verzeichnet wird. Doch damit nicht genug an Kunstfeindlichkeit. Kabarettist Alf Poier muss fortsetzen. Auf die Frage, wie seine Kunstwerke entstehen, kommt die Antwort: „Papier, Farben und male dann einfach … i was net, wie es die anderen … jeder Depp kann Kunst studieren, Hitler schaffte zwei Mal die Aufnahmsprüfung <hätte schaffen sollen?>, es wäre uns viel erspart geblieben … seitdem nehmen Kunstakademien jeden“. Ach ja, das wäre wenigstens ein bisschen lustig, wenn es denn nur stimmte und auf seine Weise nicht hintertrieben wäre. (Bitte in journalistischer Redlichkeit die niedere Quote erfragen, mit der Aufnahmsprüfungen bestanden werden!)

Zum Schluss drangsaliert Baier Hinterhäuser noch mit einem ebenso nichtssagenden wie anonymen Posting zu seinem Gefühl zu Alexander Pereiras und nicht seiner eigenen Wahl (Gnaaade!) und meint mit einem falschen, schwachen Witz zur fingierten Konsumtion: „Die Rechnung übernehme ich aus meinem privaten Kulturbudget“.

Oliver Baier war für Ö1 eine Fehlbesetzung. Mit seinem demonstrativ unverhüllten Ö3-Stil wirkte er wie das Vehikel des Versuchs, ein trojanisches Pferd in das Lager des Feindes Ö1 zu schleusen. Baier, der auf Ö3 vor langer Zeit, 1995, mit dem später langjährigen Ö3-Wecker Hary Raithofer die gelungene zweistündige Live-Outdoors-Sendung "Pleiten-, Pech- und Pannendienst" machte, hat, verallgemeinernd gesagt, nur in den seltensten Fällen den Gästen wirklich etwas zu geben. So stellt sich generell die Frage bis Ende April 2017, als die Sendung abgeschafft wurde: Wieso durften teilweise "Café Sonntag" und zur Gänze „Nachtquartier“ von 0 Uhr 05 bis 1 Uhr nicht Inhalte und Musik widerspiegeln, für die Ö1 steht?

Noch zwei Belege dafür, dass das Unverständnis gegenüber klassischer und zeitgenössischer E-Musik, wenn auch im zweiten Fall nicht die Niedertracht, ein Problem ist, an dem Ö1 massiv laboriert.

Der eine Beleg: "Intermezzo - Künstlerinnen und Künstler im Gespräch. Komponist Manfred Trojahn im Gespräch mit Dorothee Frank. 12. 2. 2017" Trojahn: "die Unterscheidung von U-Musik und E-Musik. Ich bin sehr geprägt von der Unterscheidung ... <es ist> schwer zu akzeptieren, dass wir einen vollständigen Gleichklang in der Bewertung haben". Frank: "Aber hören Sie Dinge, die nicht Konzertsaalmusik oder nicht klassische oder zeitgenössische Musik sind?" Trojahn: "Was soll ich denn anderes tun? ... wir können ihr ja gar nicht entgehen. Wo wird sind und wo wir gehen, klingt ja überall Musik. Und selbstverständlich ist es auch interessant, wenn man dann auf etwas stößt, was einen interessiert dann, plötzlich dann zu begeistern und eventuell dann auch CDs zu kaufen, von denen man vor dreißig Jahren noch nicht gedacht hat, dass man da tatsächlich dazu neigt." Frank: "Zum Beispiel?" Trojahn: "Ich habe dann irgendwelche französische Popmusik ganz gern. Es gibt englische Popmusik von Mumford & Sons, sodass solche Gruppen, die mich dann plötzlich 'mal interessiert haben. Und irgendwann schwimmt das dann auch wieder weg. Dann interessieren Sie mich gar nicht. Und von daher, ich bin da jetzt auch nicht so namenfixiert. Vielleicht ist es manchmal auch eine spannende Sängerin, die mich dann interessiert." Erst jetzt gibt sich Frank zufrieden.

Der andere Beleg ist einem anderen Gespräch mit Hinterhäuser zu entnehmen. Er belegt die Unverfrorenheit eines anderen Ö1-Journalisten, der musikalisch durch seine ausschließliche Beschäftigung mit Popmusik bekannt ist - wieso sprach nicht die diplomierte Kulturwissenschaftlerin und Klassikexpertin Susanna Dal Monte mit Hinterhäuser, oder Gernot Zimmermann? "Im Journal zu Gast", das längste, allgemeine Interview auf Ö1, traditionsreich im samstäglichen Ö1-Mittagsjournal seit der innovativen Interviewführung durch Rudolf Nagiller mit Diskussion des sachlichen Schwerpunkts und einem Blick auf die Person, fragte ein nicht so ganz sicherer, beinahe stotternder Wolfgang Popp: „Sie gelten jetzt vor allem, allem als E-Musik-Experte, man bringt sie also mit der Populärmusik jetzt überhaupt nicht in Verbindung, in Beziehung. Jetzt ist vor zwei Tagen Prince gestorben, der ja auch als Virtuose einer Ihnen jetzt möglicherweise ganz fremden Musikgattung gilt, Virtuose jetzt nämlich als Komponist als auch als Instrumentalist, der fast ein Dutzend, ich glaube ein Dutzend, Instrumente gespielt <hat.> Gibt's da Affinitäten. Wie sehen Sie einen Künstler wie Prince?“ (23. 4. 2016, ab 12:31:23 Uhr) Wenn man nicht der Teufel ist und nicht des Teufels Advokat, welch letzterer sich fairerweise immer als solcher ausgibt, sollte man sich hüten, das Böse nachzuahmen. Sonst könnte die Schwärze das Grün hinter den Ohren ersetzen, anstatt dass das Radio die Helle der Erkenntnis hervorbringt.



i. Anti-Schönberg – zum Hintergrund der zeitgenössischen E-Musik in Ö1



Ich gehöre noch zu einer Generation,

die eher im Rundfunk als im Fernsehen den Kulturgefährten sieht.

Von beiden fortwährend monologisierenden Spendern

ist mir das Radio immer noch instinktiv angenehmer,

weil der Informationsfluß aus dem Lautsprecher

ohne Bild am besten einen Dialog mit mir selbst zuläßt.

Der Rundfunk als Ausdrucksform ist mir sogar in seiner

angeblich nicht vorhandenen optischen Dimension vertraut;

es ist dies nicht das erste Mal, daß ich

als Ausgangspunkt einer spezifischen akustischen Komposition

eine visuelle Situation wähle. Bereits "Soundtrack",

eine Hörspiel von 1975, hatte zum Thema

die Eigendynamik der Gedanken von Familienmitgliedern,

die, vor dem laufenden Westernfilm am Fernsehgerät versammelt,

mit gleichzeitig vorgetragenen Monologen,

die so zu Scheindialogen wurden,

ihre Einsamkeit und Kommunikationslosigkeit allabendlich dokumentierten.

(Kagel <1980>)



Dass die zeitgenössische Musik oder Musik der Gegenwart - E-Musik im Gegensatz zu U-Musik, serious music im Gegensatz zu popular music - einen schweren Stand hat, ist keine Besonderheit von Ö1. Es erstreckt sich auf nahezu alles, was der Neuen Musik widerfährt und widerfuhr.

Debussy und Ravel, wenn es noch Neue Musik ist, werden auf Ö1 noch am öftesten gespielt, Skrjabin hin und wieder. Natürlich: Schostakowitsch, Britten, Gershwin - und das geht ja auch in Ordnung. Aber schon Schönberg, wenn es über sein Frühwerk und insbesondere "Verklärte Nacht" hinausgeht, wird in Ö1 so gut wie nicht gesendet. Der Volksopern-Dramaturg und Opernball-Glossator Christoph Wagner-Trenkwitz, heute erstaunlicherweise Mitglied des Stiftungsvorstands des Arnold Schönberg Center Wien, brachte in einem Klassik-Treffpunkt – es muss 1998 oder 1999 gewesen sein – 90 Minuten lang zuwege, dass Christian Meyer, der zum Zeitpunkt der Sendung schon ein, zwei Jahre lang das damals neue Schönberg Center geleitet hatte, mit Ausnahme eines Ausschnitts von Ein Überlebender von Warschau provokativ nichts von dem einbringen konnte, wofür Schönberg und seine Schule - von dieser war überhaupt nichts zu hören - berühmt sind und von globalem Einfluss waren: die freie atonale und die Zwölftonmusik. Als ob Schönberg Spätromantiker gewesen wäre und nicht ein Moderner. Dabei war die Sendung "Klassik-Treffpunkt" damals noch sehr auf die musikalische Identität der Gäste in Tuchfühlung mit "klassischer" Musik zugeschnitten. Es war schlechter Stil wenn nicht unterschwellige Gehässigkeit von Wagner-Trenkwitz also, wenn man bedenkt, dass Schönberg damals längst als einer der bedeutendsten Klassiker der heute 'klassisch' genannten Moderne galt.

Diese Ignoranz, um zu weiteren Beispielen zu kommen, erstreckt sich etwa auf "Luft von anderem Planeten", die Zeile aus Entrückung von Stefan George, aus welchem Gedicht Schönberg in seinem Zweiten Streichquartett singen lässt. Sie wird als Titel für "Ö1 bis zwei" verwendet, ohne dass Schönbergs Musik und Georges Gedicht in der Sendung auch nur irgendwie vorgekommen wären. (Albert Hosp, 25. 2. 2015 http://oe1.orf.at/programm/20150225/380337)

Die Ignoranz enthüllt sich als offenes Ressentiment im Fall von Peter Kislinger. Zum Beispiel seine Moderation des "Konzerts am Vormittag" am Mittwoch, den 31. Dezember 2014 (https://oe1.orf.at/programm/393345): “Auf den ersten Blick könnte man ihn <den griechischen Komponisten Nikos Skalkottas> auf einem Foto mit Anton Webern verwechseln. … Skalkottas war Schüler von Schönberg, GANZE <Betonung Kislinger> sieben Jahre lang, bis 1933 in Berlin. Skalkottas ist der Verfasser relativ streng gebauter, der Komposition mit 12 nur aufeinander bezogener Töne verpflichteter Werke. Und gleich die Entwarnung: Seine 'Griechischen Tänze' sind in Griechenland populär geworden. Sie verwenden zwar auch zwölf Töne, aber nicht nur aufeinander bezogen. <wie lustig!> Sogenannte ZWÖLFTON<Betonung Kislinger>-Musik ist daher nicht zu befürchten.” Entgegen der seit Christian Scheib als Musikchef geübten und geförderten Toleranz des Zeitgenössischen darf Peter Kislinger regelmäßig gegen die Avantgarde auszucken. So auch am 3. 6. 2015 in "Ö1 bis zwei" inJoseph Horovitz: Klarinettenklassiker“ (weil es sich so schön stabt): 'Musik von einem ganz reaktionären, vom Jazz beeinflussten, fast verbissenen Tonalisten.' So hat sich Joseph Horovitz einmal selbst beschrieben, und dann hat er noch gesagt: 'Bis dahin war es ein weiter Weg.' ... Der aus einer ungarisch-jüdischen Familie stammenden Vater Bela Horovitz war <Mit-!>Gründer des Wiener Phaidon-Verlags <kein Komma oder Punkt zu hören> 1938 gelang die Flucht nach London <kein Komma oder Punkt zu hören> Vater Bela starb 1955 in New York. ... Horovitz nennt es unbeschwerte Musik, was schwer genug zu schreiben ist und im Gegensatz zu so mancher Musik, die sich als Avantgarde versteht, gar nicht leicht zu spielen.“ Kislinger spielt dann gegen die Regel von "Ö1 bis zwei" ein mehrsätziges Werk durch. „Im Studium, da musste er schönbergsche 12-Ton-Theorie-Übungen abliefern. Das war wie Kreuzwort-Rätsellösen. Aber mitteilen konnte er sich mit dieser Arithmetik nicht."

Weiters Stefanie Maderthaner zu Elisabeth Leonskajas Klavierabend aus dem Großen Musikvereinssaal am 28. 11. 2016 in der Sendung "Aus dem Konzertsaal" am 1. 1. 2017 um 19 Uhr 30. Maderthaner präsentiert Leonskajas ganz natürlich vorgetragene Suite opus 25 von Arnold Schönberg aber so: "Interessant an Schönberg ist ja sein optimistischer Fatalismus. Er glaubte ja wirklich, mit einem Schlag die Hörgewohnheiten von vielen Jahrhunderten einfach wegwischen zu können, mit seiner <Grammatik!> zwölf nur aufeinander bezogenen Töne <Grammatik>. Ein Rundumschlag." Nicht gerade respektvoll. Immerhin gesteht Maderthaner zu: "Interessant an Schönberg ist auch seine künstlerische Vielseitigkeit." (nach 19 Uhr 42)

Wieviel Antisemitismus - und dass das offensichtliche Ressentiment gegen Schönberg auch ein antisemitisches war, wird niemand bestreiten, der weiß, wie eng die Ablehnung der modernen Musik der Wiener Schule an Antisemitismus gekoppelt war - auch noch in die jüngste Gegenwart von Ö1 hineinwirkt, ist die Frage, die nicht abzuweisen ist.

Gewiß, aus dem Arnold Schönberg Center, das hauptsächlich aufgrund der Großzügigkeit und des Engagements von Nuria Schoenberg Nono, ihren Brüdern und deren Kindern 1998 in Wien gegründet wurde, sind Konzerte in Ö1 gebracht worden. Aber dass der Geist Schönbergs in Ö1 gebührenden Platz fände, davon kann keine Rede sein. Wäre dem so, würde die gesamte Moderne von Skrjabin bis zu ihrer Erschöpfung und dem Bruch in der zeitgenössischen Musik der 60er Jahre regelmäßig und angemessen auf Ö1 gespielt werden (auch wenn der aktuelle Konzertbetrieb dazu nicht gerade viel hergibt). Das Gegenteil ist der Fall. Noch der aufgeschlossenere Otto Brusatti glaubt in seinem "Zeitton Extended" „Arnold Schönberg und das 21. Jahrhundert“ in der vielleicht etwas zu kleinteiligen aber doch alle Schaffensphasen des Protagonisten repräsentierenden Freitag/Samstag-Nacht vom 22. auf den 23. 7. 2011 (http://oe1.orf.at/programm/20110722) am aktuellen Konzertbetrieb Maß nehmen und sagen zu müssen: „Es gibt noch immer Leute der Historie, der vergleichenden Ästhetik, des Musikmarketings, die ihn den vielleicht innovativsten Künstler des 20. Jahrhunderts nennen. Doch dann - ein Blick in die gegenwärtig gängigen Musikprogramme aller Art: ist Schönberg noch aktuell, oder - beinahe brutaler gesagt - ist Schönberg wirklich noch so interessant, wie er einst vielfältig und wegweisend gewesen ist?“ Und schiebt die Verantwortung von sich: "Die Schönberg-Forschung ist zwar riesig angewachsen, hat es jedoch nicht zuwege gebracht, den Meister der Spätromantik, des Expressionismus und der Zwölftonmusik entsprechend offen zu positionieren." Da wirkt es dann schon etwas scheinheilig wie unfreiwillig bekennend am Schluss der Sendungsbeschreibung: „Die neue Nachtmusik-Schiene wird bemüht sein, stets besondere Überraschungen mitzubringen, inhaltlich wie interpretatorisch. Die Grenzen ziehen da höchstens die von uns selbst vorgegebenen Rahmenbedingungen, nicht aber die Inhalte oder die Ausführungen und Spekulationen im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends.“ (http://oe1.orf.at/programm/20110722/225954) Einzig Mirjam Jessa hat sich getraut, immerhin, am 21. 1. 2015 den Sprechgesang Robin Williamsons (Incredible String Band) mit demjenigen in Arnold Schönbergs Pierrot Lunaire zu vergleichen (http://oe1.orf.at/programm/20150121/374442) und zwar in der ehemals schwerpunktmäßig auch der World-Music gewidmeten Sendereihe der "Spielräume". Aber hatte sie den Mut, in ihrer Sendung auch wirklich ein Stück aus Pierrot Lunaire zum Vergleich zu bringen? Nein. Es wäre nur gerecht gewesen. Wie oft muss die Klassiksendung "Ö 1 bis 2" zu mitunter gewagten Bezugnahmen zu Jazz und avancierter Volksmusik herhalten?

Die Heftigkeit, mit der sich Georg Friedrich Haas im Jahr 2016 mehrfach zu Wort gemeldet hat, muss auch hinsichtlich eines möglicherweise weiterhin existierenden musikalischen Antisemitismus ernst genommen werden. "Ich habe weiterhin die mühsame Arbeit vor mir, ... die unterschwelligen Nazismen meiner Sprache zu erkennen und zu entfernen." (Haas 2016b, 68) "Ich wurde von meiner Familie indoktriniert und habe erst in meiner Studienzeit begriffen, dass meine Eltern Verbrecher waren und meine Großväter Mörder. Darüber konnte ich nicht reden, die Scham war so groß, dass ich das in meiner Musik verborgen habe. Erst jetzt, wo ich in die USA übersiedelt bin, und bezeichnenderweise mein erotisches Coming out gemacht habe, fühle ich mich frei und mutig genug, darüber zu sprechen. Und ich glaube, es ist in Österreich notwendig, dass man darüber spricht, welches Netzwerk an Altnazis hier wirksam war. Ich bin Zeuge dieses Netzwerks, weil ich in den ersten zwei Jahrzehnten selbst Bestandteil dieses braunen Sumpfes gewesen bin." (Haas/Günther 2016, 72) "In Wien zogen jüdische Familien bettelnd von Haus zu Haus, um zu überleben. Als sie bei meinem Großvater klingelten, rief er die Gestapo und lieferte sie aus. Ich glaube, dass er wie Eichmann ganz genau gewusst hat, was er da tut. Dass er vielleicht sogar Mitleid mit den Menschen hatte und sein Herz ihm sagte: Gib ihnen zu essen und zu trinken, lass die Kinder hier schlafen, und schick sie morgen wieder weg. Aber seine irre Ideologie und sein verdammter Ehrgeiz haben ihn fehlgeleitet. Für mich als Künstler war das eine einschneidende Erkenntnis. Einer der Gründe, warum ich als Komponist so emotional bin, sind diese Überlegungen." (Haas 2016a)

Und auch noch Irene Suchy, die als Kennerin der Moderne und der zeitgenössischen Musik eigentlich wissen sollte, was sie tut. "Intrada. Musik, Markt, Medien" am 5. Mai 2017. Die Sendereihe, die seit dem 1. Mai 2017 um eine halbe Stunde gekürzt ist, hatte sich über die Jahre zu einem lebendigen Forum für die österreichische Musikszene auch mit Interviews und Rezensionen entwickelt. Aber der antimoderne Affekt macht am 5. Mai auch um sie keinen Bogen. 10 Uhr 30. Suchy bringt einen kurzen Hinweis zum Geburtstagskonzert von Nuria Schoenberg Nono am Abend, in dem auch die ehemalige Ö1-Musikchefin Heide Tenner mit Schoenberg Nono sprechen wird: "Das Merlin Ensemble gibt die beiden Kammersymphonien von Arnold Schönberg und Walzer von Johann Strauß. Und zwar jetzt gibt es auch einen Alpenkönig Galopp von Johann Strauß Vater." Es folgen 1 Minute und 28 Sekunden mit Strauß' Alpenkönig Galopp op.7 in Bearbeitung für zwei Violinen und Kontrabass, gespielt vom Merlin Ensemble Wien. Vielleicht wurde Suchy zu diesem Fehlgriff verleitet vom Haupttitel "Fast alles Walzer!", unter den das Konzert im Großen Sendesaal gestellt wurde - schon dieser Titel ein Fall für den Freudschen Term 'Verdrängung' angesichts der zu ehrenden Person. Wenn schon nicht einen Vorgeschmack bietend auf Schönbergs opus 9 im Webern-Arrangement des Ensemble Musique Oblique unter der Leitung von Philipp Herreweghe - es darf in Intrada ein Stück auch länger als 5 Minuten sein, und das Schönberg Center hätte die Aufnahme sicher gerne als Audiodatei übermittelt! - , dann wäre das die Gelegenheit gewesen, etwas von Schönberg zu spielen oder auch Luigi Nono, der im Konzert am Abend außer durch Tenners Fragen zur Gänze abwesend war.



j. die Musikfünftelstunde und die zeitgenössische Musik. Ö1 pro Kitsch



Eine Hausfrau singt vor sich hin

und macht das Radio an,

während sie gleichzeitig die gegen das Radio

gerichteten Kräfte für ihre Arbeit aufbaut.

(Deleuze/Guattari 1997, 424)



Traditionell schloss das Radiokolleg montags bis donnerstags ab 9 Uhr 45 mit einem dritten Teil ab, einem kolleghaften Beitrag über Musik. Zählt man aus der Zeit seit 2012 Themen der klassischen und zeitgenössischen E-Musik (davon hier das 20. Jahrhundert in Klammern) - Mischsendungen mit anderer Musik sind teilweise mitgezählt - , dann wurden ihr

2012 14 (4),

2013 19 (7),

2014 15 (2),

2015 16 (6),

2016 13 (3),

2017 bis 27. April 7 (2)

Sendungen gewidmet. Nicht gerade viel für einen Klassiksender im weiteren Sinn! Zudem waren davon im betreffenden Zeitraum gerade einmal 19 Sendungen der hochkulturellen E-Musik des 20. Jahrhunderts gewidmet. Davon galten in diesen mehr als fünf Jahren wiederum ganze neun (!) Wochen einzelnen oder Gruppen von E-Musik-KomponistInnen nach 1945: Sounddesign und Klangkunst im urbanen Raum; Cages Kollegen Copland, Feldman, Cowell und Nancarrow; Zeitgenössische Musik und die Natur; der Komponist Kurt Schwertsik; Echtzeit-Elektronik und Klangforschung am Ircam; der Komponist Karl Schiske; Wie Marino Formenti das Konzert neu erfindet; Pionierinnen elektroakustischen Musik; Vintage-Avantgarde von Crumb, Henry, Ligeti und Schostakowitsch.

Was die zeitgenössische E-Musik und ihre Hintergründe betrifft, die zu reflektieren Aufgabe des von Albert Hosp verantworteten Musikteils des Radiokollegs wäre, geht es also in Ö1 ziemlich konservativ zu. Wer über zeitgenössische Musik belehrt werden will, wer analysieren und tiefer verstehen will, kann das nicht mit dem Programm von Ö1 tun. Hier hilft auch der Zeit-Ton kaum. Eine sporadisch stattfindende 90minütige Sendung wie „Ach, der Zeiten Wandel“ um 2000 herum von Albert Hosp und Helmut Jasbar, in der nicht einmal wirklich fachgesimpelt, aber auf sehr gutem Niveau allgemein über Musik von verschiedenen Seiten her diskutiert wurde und zurecht der „dtv-Atlas der Musik“ zur Lektüre empfohlen wurde, wäre heute für die zeitgenössische Musik dringend nötig. Dazu gehört, dass im Morgenjournal, Mittagsjournal und Kulturjournal (von den restlichen Nachrichtensendungen zu schweigen) keine Berichte über klassische und E-Musik gebracht werden, wenn nicht gerade, und auch dann sehr selten, Prominenz stirbt. Pop ist Trumpf, sowohl im Morgen- wie im Mittagsjournal. Entsprechend kann eine JournalmoderatorIn wie Andrea Maiwald in einer ihrer Anmoderationen ihre Sympathien nur für Norah Jones zum Ausdruck bringen. Pierre Boulez dagegen, einer der zentralen Komponisten und Dirigenten und Gründer gleich mehrerer prägender Musikinstitutionen des 20. Jahrhunderts blieb im Mittagsjournal-Jahresrückblick auf die 2016 Gestorbenen unerwähnt.

Gilt der Begriff Kolleg(ium) für eine akademische Lehr- und Studiengemeinschaft, dann darf im "Radiokolleg" zumindest Oberstufenniveau erwartet werden. Nur dann gilt: Der Radiokolleg-Musikbeitrag "verbindet Expertenwissen mit Alltagserfahrung und Hintergrundinformation mit Reflexion. ... Führt von den Wissensgrundlagen zu neuen Zusammenhängen und Einsichten." (http://oe1.orf.at/sendungen/a-z/R, online bis 30. April 2017) Wird Expertenwissen musikalisch veranschaulicht? Findet Reflexion so statt, dass sich neue Zusammenhänge auftun? Im folgenden zwei diskutable und zwei indiskutable Beispiele.

Vorausgeschickt sei, dass die Qualität der Sendereihe merklich einbüßt durch die ganz heruntergespielte Programmreform im Frühjahr 2016 („Ihr Sender im Überblick“ http://oe1.orf.at/sendeschema, accessed 1. 10. 2016) und ihre in aller Stille vorgenommenen Reduktion der Länge der Sendung um 20 (!) Prozent - seit dem 1. Mai 2017 ist die Länge schwankend ein klein wenig mehr. Wohl wird noch jahrelang das Wort "Musikviertelstunde" im Munde geführt werden, wie noch vor Kurzem Kultur aktuell“ von 7 Uhr 22 bis 7 Uhr 30 auf der Webseite angegeben war, obwohl seit vielen Jahren nur mehr zwei, und das nicht immer, Kulturbeiträge zu je maximal drei Minuten ohnehin im Morgenjournal aufgelöst waren und bis heute sind. Am 15. 5. 2017 durfte sich im Morgenjournal (I) die Innenpolitik über Kurz' Bestellung zum ÖVP-Parteiobmann 29 (!) Minuten lang ausbreiten - davon allein sieben (!) Minuten ein Gespräch mit SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder - dass Klaus Webhofer das Ausbleiben des Kulturbeitrags über die Highlights der Biennale von Venedig nicht einmal mehr entschuldigte, beweist nur die Ignoranz der "Informations"-Abteilung gegenüber der Kultur. (Übrigens war der Beitrag bereits im Kulturjournal am Freitag davor gesendet worden, was Klaus Webhofer offensichtlich entgangen war.) Es sind also seither kaum mehr als 12 Minuten Musikviertelstunde, nicht eingerechnet die meist wenig substanziellen, einleitenden und abrundenden Worte der Moderatoren des gesamten Radiokollegs.

Beispiel 1, Stefan Wagner über John Coltrane am Mittwoch, den 21. 9. 2016. Wagner redet viel über Musik drüber (1:39). Keine unterlegte Musik gibt es nur, wenn es O-Ton von Interviews mit Coltrane gibt, die sich akustisch manchmal am Rande der Verständlichkeit befinden. Die hereinkommende Musik ohne Drüberreden um Minute 3:15 wird nicht benannt, auch die bei 5:38, 9:24 und 11:45 nicht. Auch gibt es keine Titelliste auf der begleitenden Webseite (http://oe1.orf.at/programm/20160921/445250). Auf ihr scheint in der Bibliographie „deVito Chris: Coltrane on Coltrane. The John Coltrane Interviews, Chicago Review Press 2012“ auf. Weder wird in der Sendung auf dieses Buch – es ist eine Edition von Coltrane-Interviews, nicht ein Buch über diese – Bezug genommen, noch werden daraus Ergebnisse präsentiert, etwa was denn das Besondere an diesen Interviews ist. So entsteht der Eindruck, dass sich Wagner nur des Buchs bedient, um eben eine Sendung zu journalistischen Zwecken zu machen. Mit Darstellung von Expertise hat das wenig zu tun. Das Konzept des Radiomusikkollegs wäre: aufzuklären, zu diskutieren, Musikwissenschaft als solche zu vermitteln. So hätte das Verhältnis von Musikkritik und Interview thematisiert werden müssen, jener gar nicht so schmale Bereich der Musikkritik, in dem Musiker zur Selbstdarstellung finden, die ihnen aber in Zeitschriften oder Radiosendungen erst einmal von den (damaligen) Musikkritikern eingeräumt werden muss. Dennoch, Wagner geht gut auf Coltranes LP „Impressions“ ein, die er in Richtung einer Erklärung des modalen Jazz nutzt, was ihm wiederum Gelegenheit gibt, Modalität und Atonalität zu differenzieren. Das geschieht mit einfachen, klaren Worten. Coltrane habe sich „mit einigen Werken der Zwölftonmusik auseinandersetzen“ wollen (welchen?), obwohl er sich noch nicht dazu bereit empfand (wieso?). Hier wäre vielleicht nicht so wichtig gewesen, was Coltrane selbst sagte - soweit das von den wenigen gesendeten Sekunden her beurteilt werden kann - , sondern was er und andere damals wirklich taten. Aufschlussreich ist, dass Wagner Eric Dolphys Musik der selben frühen 1960er Jahre und das Unverständnis anspricht, ja die Unwilligkeit der damaligen Kritik, sich mit diesen avancierten Tendenzen auseinanderzusetzen.

Beispiel 2: Brigitte Voykowitsch, Klänge wie Ikonen. Aspekte der christlich-orthodoxen Kirchenmusik, 26. bis 29. September 2016. Ein nicht ganz leichtes Thema, profund gearbeitet. (1) Musik aus Armenien. Wir befinden uns zunächst im 4. und 5. Jahrhundert. Wie leider üblich, wird auch hier viel über die Musik drübergesprochen. Lyrics bleiben leider wenig behandelt. Es geht mehr um die armenisch-apostolische Kirche, deren Behandlung eigentlich als nicht-musikalisches Thema im Radiokolleg nach vorne gerückt gehörte, als Beitrag um 9 Uhr 05 oder 9 Uhr 30. Ein Interviewter wird abgeschnitten, ein Halbsatz käme dazu. Die bewährten Off-Sprecher sind Susanne Rousseau und der ubiquitäre Bernhard Fellinger. Als wichtigstes Genre werden die Hymnen behandelt, die das Leben Christi darstellen. Es wird solo gesungen oder im Chor a capella. Stimme ist im Zentrum, denn Instrumente sind aus totem Stoff, so ist zu erfahren, und sind daher für die Kirchenmusik tabu. Dann geht es um ein Lied über Fußwaschung, verfasst im 13. Jahrhundert, neu arrangiert im 19. Jahrhundert“: was aber wird denn überhaupt arrangiert? Keine Antwort. Voykowitsch bedient sich dreier inhaltlichen Informationsquellen, stellte sicher auch eine Literaturrecherche an. Aber was genau? Erst 1991 mit der Unabhängigkeit Armeniens von Russland öffnen sich die Klöster wieder, auch Frauen dürfen nun singen. (2) Koptische Musik, ab dem 3. Jahrhundert. Es sind keine Partituren überliefert. Wieder bringt Voykowitsch interessante Quellen, aber wieder wird viel über die Musik drübergeredet. Gesang ohne Drüberreden dauert maximal fünf Sekunden. Interessant, dass Melodie, Vortragsart, Klangfarbe und Tempi mündlich überliefert werden. Voykowitsch spricht Verschiedenes an: die Reichsspaltung, verschiedene Riten, die Rolle des Bischofs von Rom, dann die Spaltung der Meinungen über die Frage, wie der Mensch Gott gebären kann, wenn auch ohne die Erörterung der Frage, was das für die Musik bedeutet. Ab Minute 4:50 bis zum Ende (11:32) geht es nur mehr um Kirchengeschichte in harten Absätzen, sprich Montageschnitten. Erst ab 9:50 wird wieder über die Musik gesprochen, über Hymnen mit Zymbeln. (3) Russische Kirchenmusik, ab dem 12., 13. Jahrhundert. Wir erfahren, dass die Überlieferung erst ab dem 16. Jahrhundert in diesem langen Gesang“ von der Geschichte des Abendmahls und von Judas kontrolliert vonstatten ging. Wieder wird drübergeredet. Aber es bleibt weiter interessant: Unisono-Gesang, Melismen, bewusste Einsilbigkeit, gregorianischer Choral, wenn auch dessen Rolle unbeleuchtet bleibt. Auch hier wird die orthodoxe Musik immer nur mit Text gesungen. Von einem zweiten vatikanischen Konzil ist die Rede, demzufolge es im Osten um die Dominanz des gesungenen Worts geht, darum, das Unaussprechliche mit dem Wort nahezubringen, meta-wörtlich, wie ein Grazer Theologe ausführt. Insbesondere, so zeigt Voykowitsch, geht es um die Nutzung der Neumen, den Zeichen über dem Text. Knapp wird vom Chor von Moskau gehandelt, der im 18. Jahrhundert nach St. Petersburg übersiedelt, von der Mehrstimmigkeit eines Boris Beresowski (1745-1777), von Werken vom 18. bis zum 20. Jahrhunderts, in dem dann auf die alte Musik zurückgegriffen wird. Dann die plötzliche Rezeption westlicher Musik in der UdSSR und heute erneut Bemühung um den Anschluss an die alte Tradition. Es wundert nicht, dass viele Samples mit einer gewissen Oberfläche des Talk einhergehen, sie werden etwas länger zum Schluss des Beitrags. Musikausschnitte werden von einer Wiener Kirchenfrau geliefert. (4) Voykowitsch, beinahe überraschend, geht auch auf die Situation heute ein, auf die Diskussion der Frage nach der wahren Kirchenmusik. Als Quelle kommt Tatjana Schtscherba zu Wort mit einer guten Stimme und einem schön artikulierenden Deutsch. Es geht um das Kirchenslawische als Sprache der Liturgie - so wie Latein im Westen - , das auch auf Russisch übersetzt werden soll. Es folgt eine etwas skurrile Story über Tschaikowski, der gegen den Widerstand der Kirche vom Zar durchgesetzt wurde, auch um RachmaninoffsGroßes Abend- und Morgenlob“, von dem aber nicht klar wird, ob das noch christlich-orthodoxe Kirchenmusik ist, so wie auch die Moderne unklar bleibt. Der traditionsbewusste Alfred Schnittke (Werk 1985?) bleibt im Selbstverständnis unbehandelt. Es kommt sein chorsymphonisches Denken“ zur Sprache, sein Text mit mystischen Aussagen, auch die unfassbare, technische Herausforderung“, die aus Schnittkes Zweifel an der Möglichkeit der Aufführbarkeit religiöser Intensität herrührt. Dann Arvo Pärt, der der russisch-orthodoxen Kirche beitrat. Diese beiden Komponisten werden nur mehr sehr kurz behandelt. Vielleicht wäre eine Konzentration auf Schnittke und Pärt im vierten Teil angeraten gewesen.

Beispiel 3. Waren im Radiokolleg bis vor nicht allzu langer Zeit Spezialisten oder zumindest Kenner ihrer Materie am Werk, dürfen nun Nichtfachjournalisten ran. Etwa Paul Lohberger mit "Paul Simon - Der Grandseigneur der Popmusik. 'Sound of Silence' bis 'Stranger to Stranger'". (https://oe1.orf.at/programm/449867 offline) Lohberger, der von FM4 herkommend - er holt sich denn auch die Fernseh-Off-Stimme von Ex-FM4 Angelika Lang - über diesen Sender in den 90er Jahren seine Diplomarbeit schrieb, zum Ö1-"Diagonal" stieß, geht es also historisch an, als ob hier wirklich eine musikhistorisch relevante individuelle Entwicklung auszumachen ist. Dass das nur truc ist, zeigt schon die Markenanpreisung "Grandseigneur" an. Was soll Werbesprech im Radiokolleg? Was hat überhaupt so ein Werbesprech in Ö1 verloren? Die 60er Jahre werden skizziert. 10 Millionen Tonträger von Paul Simons Album Graceland werden ins Treffen geführt. Simons Musik ist harmlos, gut gemacht, profitiert von eingängigen Texten, besteht aus ein paar Ohrwürmern, die sich schon beim Lesen oder Hören des Wortpaars Simon & Garfunkel einstellen. Und so etwas soll als Individuelles ernst genommen werden? Dann kommen unausgewiesene O-Töne - aus einem Interview mit Simon - , so wie sie quasi vorgefertigt in den Beiträgen zu neuen Filmen im Mittagsjournal eingebaut sind. Der einstige Musicbox-Mitgründer Hubert Gaisbauer spricht die Wahrheit aus: "Heute stehe ich nicht an, es auch durchaus als leichten Kitsch zu bezeichnen." Dann Fernsehstimme Lang: "Mit ihrer Neudeutung der Ballade 'Sounds of Silence' wurde die amerikanische Metalband Disturbed weit über ihre Genregrenzen <was sind Genregrenzen?> hinaus bekannt. In Österreich erreichte sie im Mai 2016 den Platz eins der <Ö3!->Hitparade. <Als ob das von Belang ist!> Das Original erreichte 1966 <recte: 1964> nur Platz drei. Paul Simon grämte sich darüber nicht. <Der Tapfere!> In den USA war die <rockig ergänzte!> Nummer <!> schon 1965 Nummer eins und zwar für 14 Wochen." Lohberger behauptet Orlando di Lassos "Benedictus" hätten Simon & Garfunkel beeinflusst. Was aber leider nicht belegt wird. Kos, der sich zu Musicbox-Zeiten nicht so konziliant über Simon & Garfunkel geäußert hätte: "Das war natürlich dieser merkwürdige Chorgesang dieser zwei Leute. Das hat natürlich auch 'was Feierliches gehabt ... es hat auch 'was Adrettes gehabt." Die Trennung des Duos hatte keine innermusikalischen Gründe, meint das Radiokolleg mitteilen zu müssen. Die Trennung sei erfolgt, weil Garfunkel einen Film gedreht habe. <Das ist aber interessant!> "Der Pophistoriker Wolfgang Kos sieht freilich auch andere Motive: 'Jah, ich maan', i kann ma des scho vorschtellen, dass des ziemlich mühsam woa. Ich mein', er <Simon> schreibt alles, Text, Musik. Der Art Garfunkel geht spazieren, steigt den Mädels nach, tut irgend 'was".

Beispiel 4, die Nichtfachjournalisten Walter Gröbchen und Thomas Mießgang und ihr "Radiokolleg - Lexikon der österreichischen Popmusik. Ambros, Bambis, Gustav, Qualtinger". Sicherheitshalber haben Gröbchen und Mießgang zur Pfründesicherung gleich eine "Langzeit-Serie zur Geschichte der österreichischen Popmusik" entworfen, die mit der Woche vom 2. bis 5. 1. 2017 beginnt (http://oe1.orf.at/programm/20170102/456260). Eine "Langzeit-Serie" - ein Novum für den Musikteil des Radiokollegs. Die Sendereihe in der Sendereihe unterläuft das ohnehin tendenziell antiklassische Konzept und Gleichgewicht des ganzen Radiokollegs. Das ist nicht nur analog zu Kos' Popmuseum, das in den beiden Wochen vor und nach Neujahr um 13 Uhr als symbolischer und faktischer Anschlag auf "Ö1 bis zwei" zu werten ist. Es ist eigentlich ein Double des "Popmuseums", komprimiert auf 12 Minuten. Gröbchen verkörpert zudem das Lehrbuchbeispiel eines Interessenkonflikts mit seiner Beteiligung an der "Entspannungsfunk Gesellschaft mbH, die den Radiosender LoungeFM betreibt" (https://de.wikipedia.org/wiki/LoungeFM 22. 6. 2017) und seinem Plattenlabel monkeymusic (Georg Danzer, Hansi Lang, Sigi Maron, Minisex, Ernst Molden, Naked Lunch, Der Nino aus Wien, Ronnie Urini, Wilfried). Außerdem zieht er den Verdacht der Protektion durch die FM4-Chefin und im September 2016 bestellte ORF-Radiochefin Monika Eigensperger auf sich, mit der er liiert ist oder bis September 2016 war. (APA, Monika Eigensperger – Von der FM4- zur Radiochefin. 20 Jahre Senderchefin bei FM4 – Künftig auch Leiterin der gesamten ORF-Radioflotte, http://derstandard.at/2000044431046/Monika-Eigensperger-Von-der-FM4-zur-Radiochefin 15. September 2016, 13:50) Montag. Die "Lexikon"-Woche beginnt mit Liedern von Helmut Qualtinger. Sie wirken ein bisschen als heuchlerisches Feigenblatt. Eine bloßes Surrogat für die nicht geführte und nicht benannte Diskussion, ob Kabarettmusik der 50er Jahre in den Begriff der Popmusik aufgenommen werden kann. Nur weil Wolfgang Kos vergangenen Sommer Qualtinger-Bronners Bundesbahn-Blues im Popmuseum spielte, wo es schon wie ein Fremdkörper wirkte, gehört das Lied noch nicht zur Popmusik. Stattdessen wird der Begriff "Parodie-Pop" von Franz Schuh erwähnt, ohne dass das reflexiv an Gewicht gewinnt. Schuh, Poptheoretiker? Um Musik als solche geht es Gröbchen und Mießgang, die nicht selber sprechen, wenig. Es wird ein gewisser kulturhistorischer Zugang gewählt (Rudi Gernreichs Monokini). Musik-Snippets, meist der Rede unterlegt, degradieren die Musik zum Ornament, zu illustratorischen Effekten für die leicht bekömmlichen Textteile der beiden Autoren. Am Dienstag die Bambis. Unverblümt ist von einer "Kommerzband" die Rede, die bald von der Musikentwicklung überholt gewesen sei. "Die Könige der allerleichtesten Muse". Jemand sagt, es sei die "schrägste Schlagerband, die Österreich je hervorgebracht hatte", gewesen. Einer der Bambis gibt sogar zu: "Wir haben uns ja immer prostituiert". Und dann soll sich das Ö1-Publikum damit beschäftigen? Ab zu Ö3! Radiokollegmoderatorin Judith Brandner sagt treffend, Gröbchen und Mießgang "haben heute noch einmal die Bambis hochleben lassen". Aber vielleicht bringt ja Gröbchen demnächst auf seinem Label die Bambis heraus. Mittwoch: Wolfgang Ambros. Von "großen Songzyklen" ist die Rede, als ob diese existieren und in einer Reihe mit Zyklen stehen wie die Winterreise oder Lieder eines fahrenden Gesellen. Evidenz wird keine geliefert. Ambros wird im bekömmlichen Stil der Werbeclips von Leporello wochentags um 7 Uhr 50 abgehandelt. Kontextlose O-Töne von Ambros folgen. Die Entstehung von "Da Hofa" wird erzählt, aber nicht reflektiert. Wolfgang Kos darf seine Expertise zu "Schifoahrn" äußern, es sei Österreichs stärkstes (!!) "Volkslied" (!!). Redlicherweise lassen Gröbchen und Mießgang Josi Prokopetz ein Stück des Ambros-Marketings rekonstruieren, wie Prokopetz es selbst nennt, sprechen selbst von der späteren Verflachung bei Christian Kolonovits, um dann mit 1975 den nicht weiter begründeten Höhepunkt Ambros' in der LP 'Zentralfriedhof' anzugeben. Die gängige Ikonisierung von Ambros als Vater des Austropop wird unhinterfragt übernommen. Zwischendurch gibt es ein (unkommentiertes!) Medley von Ambros-Nummern, das auch nicht gerade zu einem vertieften Verständnis der österreichischen Popmusik weiterhilft. Der Donnerstag ist Eva Jantschitsch alias Gustav gewidmet. (Heute wird man belohnt, wenn man wie Jantschitsch in Ö1 gegen die Klassik auftritt wie in der Spielräume-Nachtausgabe über "Kitsch in der Musik" vom 2. auf den 3. Dezember 2016 um 23 Uhr 48 zu Schuberts "Winterreise", gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau: "Ich kann mit Klassik ned so viel anfangen, vor allem mit diesen Stimmen, die da so singen.") Das Werk der noch jungen "Chansonette" Jantschitsch alias Gustav ist bis jetzt schmal geblieben. So wirkt der Beitrag für das Radiokolleg denn auch wie Promotion. Gröbchen/Mießgang: "Erst als Eva Jantschitsch sich auf sich selbst, ihren Computer und eine kleine Sammlung von Spielzeuginstrumenten konzentrierte, wurde aus den Fragmenten einer Sprache des Kunstwollens ein konsistentes Projekt. 'Sie wollte ihre eigene Laptoppilotin sein', hieß es ...". "Einen Hauch von Juliette Greco kann man vielleicht aus ihrer Performance herauslesen." Musikkritiker Gerhard Stöger: "Role Model für a neue Musikszene". Radiokolleg-Moderatorin Judith Brandner will gar eine "neue Form von feministischem Protestsong" erkannt haben. Wieder wird die Musik, diejenige Jantschitschs, den eingesprochenen Text ausschmückend, eingesetzt. Auf die Musik als solche beziehen sich die Textautoren nicht. Keine Analyse, keine Vergleiche mit Musik und Musikern aus Jantschitschs Generation. (Eva Umbauer oder der in England stationierte Robert Rotifer von FM4 wäre dazu bestens qualifiziert.) Jantschitschs Bearbeitung der Proletenpassion der Schmetterlinge wird am Rande erwähnt, aber nicht behandelt. In der Moderation durch Brandner ist, ähnlich der Webseitenangabe, die Rede von Gröbchen und Miessgang als "Ko-Autoren des im Falter-Verlag erschienenen 'Wienpop. Fünf Jahrzehnte ...'". Das klingt, als ob die beiden das Buch selbst verfasst hätten. Tatsächlich wurde es von Gerhard Stöger herausgegeben (der in der Sendung zwei kurze Wortspenden abgeben darf), und Gröbchen und Mießgang haben die Interviews von zwei von vier Teilen des Buchs geführt. Das von Gröbchen schon früher herausgegebene, nichtwissenschaftliche Buch Eine Chronik des Austro-Pop enthält Artikel von seiner Hand zu Udo Jürgens, Wolfgang Ambros, Alkbottle, Erste Allgemeine Verunsicherung. Ist das dasjenige "Expertenwissen mit Alltagserfahrung und Hintergrundinformation mit Reflexion", das "von den Wissensgrundlagen zu neuen Zusammenhängen und Einsichten" führt, wie die Sendungsbeschreibung des Musikteils des Radiokollegs lautete? (http://oe1.orf.at/sendungen/a-z/R, online bis 30. April 2017) - Wo findet hier die Forschung zur österreichischen Popmusik ihren Niederschlag? Wurde sie der eigenen Interessenlage und Eitelkeit geopfert? Wurde und wird mit der Sendedauer nun auch absichtlich die Qualität der Beitragsgestalter im Sinne eines Populismus reduziert, der sich kommerziell 'Quote' schimpft? Ist dem so, dann bedeutet das für die Klassik und die Neue Musik, die im Radiokolleg schon seit Längerem ein Minderheitenprogramm sind, wenig Gutes. Abschließend: Diese Befürchtungen werden durch den folgende Textausschnitt und die beiden Sendungszitate des "Lexikon" vom 20. bis 23. März 2017 noch verstärkt: "Die Gruppe Wanda, die den Austro-Viererpack im März beschließt, ist eine der jüngsten Erfolgsgeschichten der heimischen Musikgeschichte: Eine klassische Buben-Gang in der Tradition der Stones oder der Pretty Things, ein Sound, der nach Blut, Schweiß und Bier schmeckt, ein näselnder Gesangsstil, bei dem man Echos von Falco heraushören kann und griffige Slogans wie '1,2,3,4, es ist so schön bei dir' trugen dazu bei, dass die Combo innerhalb von zwei Jahren vom Geheimtipp zum Crowdpleaser wurde, der sogar die Wiener Stadthalle füllt. Motto: 'Gib mir alles, Baby, alles was du hast'." (http://oe1.orf.at/programm/20170320/464944) Und in den Sendungen vom 21. und 23. März war, ohne zu relativieren, zu hören: "I woit nie sein wia da Hella, dea woa ma viel zu intellektuell." (Georg Danzer) "Marko Michael Wanda sieht die Zukunft seiner Band jedenfalls offensiv gelassen: 'I möcht weiterhin Menschen Freude bereiten und damit meine Miete zahlen. Ich glaub, das is es, das ist alles.'" Was hat dieser Schwachsinn in Ö1 mit seinem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag verloren? Wer in der Ö1-Direktion steuert dieser kompletten Reflexions- und Distanzlosigkeit entgegen, noch einmal bestätigt durch Gröbchens Ausverkauf in seinem "Lexikon"-Beitrag zu Falco am 23. Mai 2017 (http://oe1.orf.at/programm/20170523)?

Ö1 pro Kitsch. Zu Wort komme noch einmal Jantschitsch, die laut Moderator Klaus Wienerroither "nicht nur der FM4-, sondern auch der Ö1-Community als Gustav bekannt" sei, in jener von Wienerroither betreuten "Spielräume - Nachtausgabe. Musikalischer Kitsch: Trivial oder (manchmal auch) genial?" (http://oe1.orf.at/programm/20161202/453260) Zur Interpretation von Schuberts "Lindenbaum", die Nummer 5 aus Schuberts Liederzyklus "Winterreise", durch Dietrich Fischer Dieskau, welchen Namen Wienerroither so ausspricht, als ob er zum ersten Mal eine Kröte anfasst, bemerkt Jantschitsch also: "Ich kann mit Klassik ned so viel anfangen, vor allem mit diesen Stimmen, die da so singen. Das führt mich eher weg vom Content, als hin. Da ist mir die Lotti-Stimme noch näher. Ich bin ja ein Kind des Schlagers." (23 Uhr 48) Dagegen wendet die Komponistin und Medienkünstlerin Andrea Sodomka, die Versatzstücke von kitschigen Passagen bearbeitet und einen Begriff von gutem und schlechten Kitsch auseinandersetzt, ein, dass Lotti, der den "Lindenbaum" im Drei-Viertel-Takt mit Chor zum Besten gibt (Wienerroither: "volleres Arrangement") kein Kitsch sei, weil er keine Emotion habe. Und sie fügt hinzu: "Die ursprüngliche Version des Lindenbaums <aus Schuberts Winterreise> würd' ich mich nicht trauen anzugreifen, auch nicht zu sampeln." Glücklicherweise ist auch Michael Weber, stellvertretender Vorstand am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien, in die eher lustlose Diskussionsrunde eingeladen und formuliert eine für alle nachvollziehbare Kritik - es bedurfte ihrer! , insbesondere am Drei-Viertel-Takt von Helmut Lottis Version. Es fiel übrigens auf, dass Wienerroither aus der E-Musik nur Schuberts "Lindenbaum" und Andrea Sodomka spielte und sonst Beispiele von Zupfgeigenhansel, Lolita, Nockalm Quintett, Semino Rossi, Robert Stolz, Andreas Gabalier, Roy Black, Bing Crosby, Seemanns-Chor Ahoi, Udo Jürgens, Gustav, Paul Anka und Rainhard Fendrich. Nachdem schon zu Beginn der drei Stunden bei Schubert eine Differenzierung des Problems misslang, war eine Herausarbeitung anhand von wichtigen Beispielen aus der klassisch-romantischen Tradition nicht mehr zu erwarten. Etwa bei Tschaikowsky, dem Adagio aus Rachmaninoff's 2. Klavierkonzert oder selbst Bachs "Air" etwa durch Procol Harum. Generell denkt Wienerroither zu Kitsch und Nichtkitsch: "diese Begriffe sind jetzt nicht Monolyten", recte: Monolithen (0 Uhr 20). Zu Paul Anka meint Wienerroither, er "hat auch italienischen Background" <Themenrelevanz?> und: "Ich würd' es nicht so als kitschig empfinden." Überhaupt meinte Wienerroither der Sendung seinen Stempel aufdrücken zu müssen. So zum Ende von drei eher gequälten und qualvollen Stunden geradezu trotzig mit Rainhard Fendrichs "I am from Austria": "Ich denke doch ein würdiger Abschluss der heutigen Spielräume-Nachtausgabe über das Thema musikalischer Kitsch trivial oder manchmal auch genial." Ein trauriger Tiefpunkt in der fünzigjährigen Geschichte von Ö1.



k. Ist die zeitgenössische E-Musik in Ö1 gefährdet?



Die Skyline der City beeindruckt beim Vorbeifahren

durch die Windschutzscheibe des klimatisierten Chrysler,

synästhetisch übergossen von ‘Radio 106.7: The Wave!...’.

(Wyss 1997, 100)



Ist das Senden zeitgenössischer Musik auf Ö1 gefährdet? Auf den ersten Blick nein, bedenkt man die Erweiterung, die Christian Scheib aus seiner Funktion als langjähriger Zeit-Ton-Chef nach Lothar Knessl, dann als Intendant des RSO Wien und aus seiner festen Anstellung beim ORF in Verbindung mit Elke Tschaikner erfolgreich betrieben hat. Mehr noch als Knessl wurden in Folge von Scheib Sendungstermine für zeitgenössische Musik in den Konzerten am Freitag und Sonntag abends durchgesetzt.

Aber es gibt auch weniger beruhigende Zeichen. Dass der Ausdehnungsdrang der Nachrichtenredaktion - "Saldo", immer mehr Nachrichtenjournale und -sendeminuten - , Tschaikners Jazz-/Pop-Präferenzen und die scheibchenweise Erweiterung der Ö1-Werbung eine Reihe von expansiven Konkurrenzen verursachte, manifestiert sich in der Zunahme von süffigen Popmusik-News in den Nachrichtenjournalen, von Kleinfeatures aus dem Alltag in der Achse Glaser/Fellinger (Ö1 gewusst, Contra, Moment) und von zunehmenden Jazzsendungen und Jazzanteilen (On Stage, Milestones).

Dass die News-Leute kaum zeitgenössische (und klassische?) Musik hören, zeigt das Ausmaß der Unterstützung des vor ein paar Jahren gefährdeten, vom ORF veranstalteten und unter Tschaikners Leitung organisierten Grazer Festivals musikprotokoll. Es fällt die komplette Abwesenheit der ORF-Nachrichtenredakteure auf in der Petition "Rettet das Musikprotokoll!" (http://rettetdasmusikprotokoll.mur.at/de/petition)

(Durch die nahezu komplette Abwesenheit der Ö1-Politik-Redakteure - die mutigen Ausnahmen sind Brigitte Fuchs, Fabio Polly, Nikolaus Riemerschmid, Artur Trainacher und Elisa Vass - neben derjenigen von FM4 und Radio Wien vom öffentlichen Eintreten für den Verbleib des Radiofunkhauses im Zentrum Wiens wird leider klar, dass die von der ORF-Direktion beschlossene Übersiedlung in das ORF-Zentrum Küniglberg weit draußen im 13. Wiener Gemeindebezirk unverhinderbar scheint. Siehe die Unterschriftenlisten zur Rettung des Funkhauses von http://petition.rettet-das-funkhaus.at/ und https://secure.avaaz.org/de/petition/Alexander_Wrabetz_Generaldirektor_des_oesterreichischen_Rundfunks_ORF_Erhaltung_des_Senders_Oe1_Radiosender/?bjmNhhb&v=54070 sowie den "Brief an die Geschäftsführung" vom 16. 2. 2015, 15:54:59 http://kath-publizisten.at/kathpub/images/brief%20an%20die%20gescha%26%23776%3Bftsfu%26%23776%3Bhrung%2016.2.15.pdf)

Aber auch der Unwille unter den KonzertpräsentatorInnen, zeitgenössische Musik zu vermitteln, ist kein gutes Zeichen. Dass Johannes Leopold Maier, obwohl dazu angehalten, in der vor Jahren von "A Propos Klassik" auf "A Propos Musik" umbenannten Samstagssendung (seit 1. 5. 2017 wieder "A Propos Klassik") gerade noch Olivier Messiaen gelten ließ, ist eine Tatsache. Und dann Maiers Moderation des Eröffnungskonzerts des 38. Internationales Musikfests der Wiener Konzerthausgesellschaft am 14. 5. 2017 mit Daniel Barenboim, der sich in jüngster Zeit wieder sehr für die Musik von Pierre Boulez einsetzte und an diesem Abend auch dessen Notations I, III, IV, VII und II für Orchester (1978/84) dirigierte. Obwohl dieses Werk wie alle Werke der zeitgenössischen Musik der Vermittlung besonders bedürfen, verweigert sich Maier dieser Bemühung. Zwei, drei Minuten widmet er Boulez als Schüler Messiaens, aber der Löwenanteil der langen Konzertpause ist einem gewiss interessanten "Gespräch mit Universitätsprofessor Dr. Christian Glanz" über Smetanas Mein Vaterland vorbehalten (http://oe1.orf.at/programm/20170514), als ob nicht Boulez der Hauptkomponist dieses 38. Internationalen Musikfests war, sondern der "Altösterreicher" Smetana. Oder derselbe Moderator am 25. 5. 2017, wieder vom 38. Internationalen Musikfest: "Musik, wie man's in der Spätzeit der Monarchie einmal schön ausgedrückt hat, in einem Zeitungsbericht: die zwei großen österreichischen Antone, nämlich Anton Bruckner und Antonin Dvorak, werden nun in ihren tiefen Gedanken zu hören sein." (12:09:02-12:09:17) Ach ja - und der für die Serialisten und damit auch für Boulez so wichtige heute kaum mehr in den Konzertsälen gespielte Anton Webern? Fehlanzeige! Dafür "Pierre Boulaise" und "René Charre" anstatt Pierre Boulez und René Char. Schon am 6. 12. 2013 moderierte Maier das Konzert des Cleveland Orchestra „aus dem Bundesstaat Utah" (statt Ohio) mit Schostakowitsch, die Eroica und Wolfgang Rihms Wandlungen 5 (http://oe1.orf.at/programm/20131206). Dass der Rihm-Uraufführung, anders als den beiden anderen aufgeführten Werken und der Kammermusik nach dem Konzert kein einziger kommentierender Satz beschieden war, konnte als nichts anderes als Ausdruck der Geringschätzung zeitgenössischer Musik verstanden werden, offensichtlich geduldet durch Ö1-Musikchefin Tschaikner. Ähnlich erfuhren wir von Moderatorin Eva Teimel beim Konzert zu Boulez' 90er ausführlich die wenig belangvollen familiären Hintergründe von Richard Strauss' "Symphonia domestica" mit ihren 42 Minuten und 55 Sekunden anstatt etwas Erhellendes zum an diesem Abend einzigen Werk von Boulez - auch nicht gerade eine Ruhmestat des RSO Wien - , "Figures - Doubles - Prismes" mit seinen 15 Minuten und 13 Sekunden (http://oe1.orf.at/programm/20150327/383402). Dasselbe Werk zwei Jahre später, dieses Mal sekundiert von Boulez' 5 Minuten und 41 Sekunden langem "Mémoriale (...explosante-fixe...)", und auch Teimel ("Pierre Boulaise") wartet mit nur wenigen und wenig erhellenden Sätzen auf, etwa allzu knapp zur Veränderung der Besetzung durch die sieben Versionen des Werks in immerhin 37 Jahren (http://oe1.orf.at/player/20170602/475562). Wie dankbar das Publikum im Konzert für Erläuterungen ist - und dasjenige von Ö1 wäre! - , zeigt ein Artikel und seine Posts zum jüngsten Boulez-Klavierabend (Daniel Ender, Pierre Boulez' Klavierwerk: Als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Pierre-Laurent Aimard und Tamara Stefanovich im Konzerthaus http://derstandard.at/2000058482563/Pierre-Boulez-Klavierwerk-Als-waere-es-die-natuerlichste-Sache-der 30. Mai 2017, 16:07). So kann man Buhrufern wie demjenigen im Live-Konzert nicht begegnen, der sich wohl mehr gegen das Wiener Konzerthaus und dessen Gabalier-kritischen Leiter als gegen Boulez selbst Luft machte! Noch weniger wird man mit einer derartigen Indifferenz gegenüber der zeitgenössischen E-Musik der Bedeutung gerecht, die das Wiener Konzerthaus dem französischen Komponisten verlieh, indem es das allgemeine 38. Internationale Musikfest der Wiener Konzerthausgesellschaft zentral der Aufführung des Gesamtwerks von Boulez widmete.

Dass Ö1 anders kann, zeigen Sendungsgestalter, deren Arbeitsschwerpunkte auf Ö1 es zum Teil nicht vermuten ließen: Otto Brusatti, Astrid Schwarz, Reinhard Kager und Dorothee Frank.

Brusatti, einer der wenigen Musikwissenschaftler auf Ö1 und was für einer! Das Ö1 enfant terrible des Klassik-Treffpunkts - ansonsten mahnendes Beispiel vor Jahren sein schlimmer Streit mit Paulus Manker im "Klassik-Treffpunkt", sein Ins-Wort-Fallen und seine konservativen Schlussfragen in derselben Sendung - bewältigt die ihm aufgetragenen oder von ihm eingebrachten Sonderaufgaben mit Reife, großer Kenntnis und tiefer Hingabe, trotz seinen Vorlieben für Schubert, Walzer und Tango. Grandios seine vier Stunden an einem Feiertagsabend mit den symphonischen Dichtungen von Franz Liszt. Oder sein ebenso konziser wie kaltschnäuziger 90-Minuten-Crash-Course zur mittelalterlichen Musik an einem Novembervormittag im Jahr 2005. Oder 2011 die monatliche Sendung zu Gustav Mahlers hundertstem Todesjahr - hier konnte der relativ selten gespielte Komponist Mahler schätzen und lieben gelernt werden durch erhellende Musikzusammenstellungen, wunderbar gemessene Kommentare, wertvolle Gäste und nicht zuletzt eine fabelhafte Auswahl an Aufnahmen mit zur Gänze ausgespielter Musik. Ö1 at its best mit, man ist versucht zu sagen, zeitgenössischer Musik, auch wenn sie schon mehr als hundert Jahre alt ist. Aber eben auch zu zeitgenössischer Musik im engeren Sinn fand Brusatti in seinen seltenen Sendungen in der fünften "Freitagnacht" im Monat - gegenstandslos geworden ab 1. Mai 2017, da die Freitagnacht leider nur mehr einmal pro Monat zum Zug kommt - wie vor allem "Politik oder schnöder Pop? Das Kronos Quartet" vom 30. auf den 31. 12. 2011. (http://oe1.orf.at/programm/20111230) Es ging um eine Präsentation von Steve Reichs „Different Trains“ für Streichquartett und Tonband, ein Stück, das der amerikanische Komponist für das Kronos Quartet komponierte und dessen Aufnahme den Grammy Award 1989 für die Best Contemporary Classical Composition einheimste neben Best Classical Instrumental Solo, Best Classical Solo Vocal Album, Best Classical Compendium. Brusatti holte weit aus, um Reichs autobiographischen Hintergrund als Scheidungskind zwischen New York und Los Angeles mit der Bahn pendelnd und den historischen Kontext der Holocaustzüge zu veranschaulichen. Dabei wurde Brusattis Performance immer eindringlicher, sodass man am Ende der drei Stunden um zwei Uhr in der Früh eher aufgewühlt, als zum Schlafen müde war. Eine Erschütterung, die Brusatti ganz aus der Musik des circa einstündigen Werks zu ziehen verstand!

Oder Astrid Schwarz und ihre Radiokollegreihe "Unter Strom - Pionierinnen der elektroakustischen Musik" vom 17. bis 20. 10. 2016, die den Komponistinnen Eliane Radigue (etwa ihre Beschäftigung mit dem Feedback), Beatriz Ferreyra, Annette Vande Gorne und Pauline Oliveros gewidmet war. (http://oe1.orf.at/programm/20161017/446105) Differenziert, erfrischend, ehrlich, menschlich und aufschlussreich skizzierte Schwarz in kräftigen Strichen diese Pionierzeit. Dafür war Schwarz offensichtlich zu den Komponistinnen gefahren. (Von Ö1 finanziert? Man muss das leider fragen, denkt man an die Mittagsjournal-Berichte von der höchstwahrscheinlich Urlaubsreise nach Haiti von Katja Arthofer oder an die Reisen von Redakteuren ins subsaharische Afrika, die expressis verbis von der Caritas finanziert wurden.) Die gute Vorbereitung durch 'Feldforschung', die das klare Interesse und Engagement von Schwarz mit sich gebracht hat, war unmissverständlich in der Gesamtgestaltung des Vierteilers zu hören. Seriöse Arbeit, wie man sie sich für Ö1 immer wünschen würde. Angenehm auffallend dabei die empathische Offstimme Ilse Halsmayrs, die vor Jahren "Guten Morgen Österreich" in Form brachte. Vielleicht kamen zu wenige und zu kurze Musikbeispiele zu Gehör, aber das wurde durch die reichhaltige Information aufgewogen.

Es ist der Philosoph, Musikwissenschaftler und Musikjournalist Reinhard Kager, der von 2002 bis 2012 die Redaktion des Südwestdeutschen Rundfunks für neue Musik und Jazz leitete und seither, in Wien lebend, regelmäßig auf dem Niveau von Lothar Knessl zum "Zeit-Ton" beiträgt. Ein Meisterstück war seine Sendung am 17. 10. 2016 zu Elfriede Jelineks 70. Geburtstag. (http://oe1.orf.at/programm/20161017/446140). Merkwürdigerweise war die Sendung nicht in den Ö1-Schwerpunkt "Elfriede Jelinek 70" aufgenommen, der abgesehen von Sendungswiederholungen nicht gerade üppig ausfiel. (http://oe1.orf.at/themen/more/elfriedejelinek70/programm_past?page=1, offline) Der Titel von Kagers Sendung: "Musikalische Sprache, versprachlichte Musik. Elfriede Jelineks vielfältige Beziehungen zum zeitgenössischen Komponieren." Grandios recherchiert - wenn Kager nicht einfach bereits alles Wichtige bekannt war, so der Eindruck - , wurde ein von Jelinek selbst komponiertes und aufgeführtes Lied/Klavierstück gebracht, ein Ausschnitt von Olivier Messiaens "Livre d'orgue", welches Werk Jelinek einst im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses aufführte. Breit kam Jelineks Zusammenarbeit mit den Komponistinnen Patricia Jünger und Olga Neuwirth zur Sprache. Passenderweise konzentrierte sich Kager auf Neuwirths Oper "Bählamms Fest" und ein zu deren Uraufführung geführtes Gespräch von Christian Scheib mit den beiden Protagonistinnen der Oper, Neuwirth und Jelinek. Einen kleinen Wermutstropfen bildete der Umstand, dass das Schaffen des Komponisten und Musikwissenschaftlers Wilhelm Zobls nicht vorkam, mit dem Jelinek nicht nur die gemeinsam zusammengestellten "Materialien zur Musiksoziologie" verbindet, sondern auch ihr nach der Nobelpreisverleihung abgegebenes Versprechen, sich mehr für die Verbreitung des Werks von Zobl einzusetzen. Das änderte nichts daran, dass Kager eine Reihe von überraschenden Lichtern auf Jelineks Bedeutung für die Musik warf, ohne sich auf die Rolle der Musik in Jelineks Werken wie etwa "Die Klavierspielerin" einzulassen.

Erneut kam Kagers große Kenntnis und Erfahrung zum Zug in seiner Zeit-Ton-Sendung "Neue Musik vor 50 Jahren. Vier exemplarische Kompositionen aus dem Jahr 1967" am Donnerstag, den 6. April 2017 - eine Sendung im Rahmen des Schwerpunkts "Baujahr 67 - Zeitreisen mit Ö1". Die Schwerpunkt-Signation mit einem Sample des Beginns von Jimi Hendrix' "Voodoo Chile Slight Return", das aus 1968 und nicht 1967 stammt und seit einigen Monaten zu hören ist (für welchen Fehler Kager nichts kann, wohl aber Ö1-Musikchefin Tschaikner und ihre engsten Mitarbeiter, die Gitarristen und Sendungsgestalter Klaus Wienerroither und Helmut Jasbar), konnte der präzisen Demonstration, die Kagers Sendung war, nichts anhaben. (https://radiokulturhaus.orf.at/programm/462713) In Kagers kongenialer Antwort auf die Radiokollegreihe "Vier Leuchttürme der Vintage-Avantgarde: Crumb, Henry, Ligeti und Schostakowitsch" von Bildende-Kunst-Redakteurein Dorothee Frank (http://oe1.orf.at/programm/20170406), die sich schon vor Jahren als Neue-Musik-affine Live-Reporterin in der Langen Nacht der Museen über das Auftreten der unter anderem als Schönberg-Sängerin hervortretenden Christine Whittlesey überrascht offenbarte - , wurden Crumb, Henry, Ligeti und Schostakowitsch wiederholt, nur eben nun mit klug gewählten etwas längeren Musikausschnitten oder Musikteilen: von Pierre Henry die Nummern 1 bis 3 aus dessen mit Michel Colombier geschriebener Messe pour le temps présent, von György Ligeti Lontano für Orchester durch die Wiener Philharmoniker und Claudio Abbado, von George Crumb die Nummern II und III aus Echoes of Time and the River und von Dmitrij Schostakowitsch die Nummern 3 bis 5 aus den Sieben Romanzen auf Gedichte von Alexander Blok, die seinerzeit 50 Jahren Russische Revolution gedachten. Ob nun der Einsatz des Worts "Tanzsuite" bei Henry, der Schritt fort von Ligetis Werkphase rund um "Atmosphères", die Erweiterung des Orchesterverständnisses bei Crumb oder die Auseinandersetzung Schostakowitschs mit Mussorgskis Liedern des Todes - alle Hinweise von Kager dienten aufs Vorzüglichste dem Aufweis der Singularität der vier Werke, wie sie bereits durch die engagierten Einführungen durch Frank alternativ beschrieben und vorbereitet wurden. Einziges kleine Minus: Dass Kager keine kurzen Pausen zwischen seinen moderierenden Worten nach und besonders vor Ligetis schwergewichtigem Werk (23:21:35-23:34:10) einschob, konnte den Verdacht aufkommen lassen, es sei nicht das ganze Stück gespielt worden. Dankenswerterweise wurde das ganze Stück gespielt!

Dennoch: Ist die zeitgenössische E-Musik in Ö1 gefährdet? Dazu ein Umweg, der auch andere Künste berührt. Marlene Streeruwitz hatte recht, als sie sich beklagte, dass der Beitrag über ihren Internetroman nicht wie versprochen im Morgenjournal gesendet wurde. (red, Streeruwitz wundert sich über Ö1-"Morgenjournal". Ein Beitrag über den Wahlkampfroman der Autorin, produziert für das "Morgenjournal" am Mittwoch, fand nicht den Weg in die Sendung http://derstandard.at/2000043639766/Streeruwitz-wundert-sich-ueber-Oe1-Morgenjournal 31. August 2016, 16:16) Seit einigen Jahren wird in erster Linie über Film und Popmusik berichtet. Bildende Kunst kommt nur mehr bei Großereignissen vor. Und Literatur, von politisch deutbaren Ausnahmen abgesehen, nur mehr, wenn die Frankfurter oder Leipziger Buchmesse und der Bachmannpreis dran sind. Dabei wird klar, dass diejenigen Künste oder, besser noch, deren Events in denjenigen Nachrichtenjournalen dran kommen, in denen die Public-Relation-Maschine am besten geölt ist: der Kommerzfilm, am penetrantesten inzwischen die Oscars, nicht weit von ihnen die Nobel-Preise, und die Popmusik.

Dass also die zeitgenössische Musik gefährdet ist, zeigt der folgende Sachverhalt: Je mehr redaktionell an Anzahl und Arbeitszeit der Radioredakteure gespart wird, umso eher kommen die billigen, zeitlich unaufwendigen Kulturberichte zum Zug. (Ein Buch lesen? Dauert zu lang! Ins Theater gehen? Dauert zu lang! Eine Ausstellung sehen? Dauert zu lang!) Es sind die kommerziellsten Künste und Wissenschaften, die sich ohne großen Aufwand die Herstellung vorgefertigter Promotion leisten können. (1) Die hard sciences sorgen dafür, dass durch die Rating-Maschinen "Nature", "Science" und ihre Video-Appendices die nötigen "O-Töne" die Radioredaktionen versorgen. (2) In der Filmindustrie betreiben die Major-Verleihe eine Promotion, die auch die Radioredaktionen (mit Videos?) happengerecht mit O-Tönen aus den Filmen der Majors und ihren Regisseuren und Schaupielern versorgt (glücklicherweise kann man meistens, wenn auch nicht immer an der Diktion der SchauspielerInnen und der Synchronisation sich ein Vor-Urteil bilden, wenn einmal Arnold Schnötzinger und die Seinen im Urteil zaudern oder ganz auslassen). (3) In der Musik ist es das Gleiche in Grün - mit der Folge, dass die Major-Labels das Feld dominieren und zwar mit Popmusik. Daraus entstehen natürlich Abhängigkeiten und, musikalisch, die klare Benachteiligung der zeitgenössischen E-Musik. Was damit auch einhergeht, ist das Niveau, das sich seitens des Mediums wie auch im Falle von Ö1 auf das niedrigst mögliche der zu promotenden Produkte herablässt.

David Baldinger auf Ö1 ist Teil dieser Kommerzialisierung der Kulturberichterstattung, die ökonomisch gar keine Entscheidung mehr zu einer pluralistischeren Musik- , Film- oder Wissenschaftskritik zulässt. Morgenjournal, 27. 4. 2017 um über die CD Humanz“ der Band Gorillaz: "Auch wenn es sie eigentlich gar nicht gibt, hat die Band Gorillaz zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen völlig neuen Sound geschaffen. 16 Jahre nach dem Song „Clint Eastwood“ und nach langer Schaffenspause sind sie zurück, die vier Comic-Figuren aus der Feder von Jamie Hewlett mit der markanten Stimme von Blur-Frontman, Damon Albarn. Morgen erscheint „Humanz“ mit einer Auswahl an hochkarätigen Gastmusikern." Frequenz 92.0? "Zu jedem Geburtstag bekommt Damon Albarn ein neues Spielzeug." Na sowas!? "Albarn schrieb sofort einen Song, 'We Got the Power'. ... Seit 20 Jahren sind die Gorillaz ein virtueller Pop-Wanderzirkus. ... Wenn er ruft, tanzen die Stars aus allen Richtungen an." Interview-Schnipsel von Albarn folgen. "Mittlerweile sind die Online-Abenteuer der Gorillaz im Magenta-Ton eines deutschen Telekommunikationsriesen eingebettet." Wie kritisch! "Ein Blick in eine gebrandete Popzukunft. ... An der musikalischen Handschrift der Band hat sich wenig geändert. Soul, Hip-Hop, Dub oder Reggae wummern im Vordergrund. Irgendwann lüftet sich der Vorhang, und Albarn lugt hervor." Für Albarn "war das Album eine selbst gestellte Aufgabe. 'Schaffe ich es noch, eine wirklich zeitgemäße Pop-Platte zu machen.' <Baldinger spricht kein akustisches Fragezeichen.> Eine Frage, die sich ein fast 50jähriger Multimillionär schon einmal stellen darf. Die Antwort der Gorillaz fällt ebenso laut wie positiv aus, auch wenn das alles schon mal drängender und leidenschaftlicher geklungen hat." Und dabei kein eindeutiges Wort über des Virtualität des Band-Projekts in Video und Netz, was auszuführen noch das Interessanteste für das Ö1-Publikum gewesen wäre.Oder Baldinger am 27. 5. 2017 über die Neuauflage <der LP!> "Beatles - 50 Jahre: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band". Zuerst biographische Nichtigkeiten. Dann bekommt John Lennon eine drübergezogen, Baldinger pro McCartney. Irrelevantes vom Tontechniker. "Noch ist der Beatles-Kitschtark <'s' fehlt in der Aussprache> genug", Freund Voorman <der erst später richtig dabei war> sagt: "den ursprünglichen Sound mit modernster Technologie freigelegt." Dieses Urteil zu überprüfen, wäre eigentlich die Aufgabe gewesen und die genaue Beschäftigung mit dem Re-Issue, "auch wenn Puristen die Nase rümpfen werden" <wieso?>. Das überflüssige Mit-oder-gegen-Beatles wird angeteast, "die Musik mag nicht mehr so revolutionär klingen wie 1967, doch ... ein Finalargument... <? das Folgende ist dahingenuschelt unverständlich> der Gemeinsamkeit, aufgenommen in einer Zeit, bevor die Utopien der Sixties zerschellten." – Oder Baldinger zum Erscheinen von Bob Dylans 3fach-'Album' "Triplicate" am 31. 3. 2017: Die Stimme wird als samtig bezeichnet, Dylan als "nimmersattes Kind", wird als "unbescheiden und maßlos" charakterisiert, Dylan darf sich selbst im O-Ton über seine Songtradition loben, ist "intim, unmittelbar und entspannt", "ein Album wie ein director's cut", gemacht im "aufrichtigen Wunsche, diese Lieder nicht nur zu interpretieren, sondern in sie zu schlüpfen". Dann aber doch Kritik: "Fußnotensammlung für Dylan-Versteher" und "Coffee-table-book, dekorativ, aufwendig gestaltet und eine durchaus verführerische Einladung, immer wieder einmal darin zu blättern, mehr aber auch nicht." Und dafür die wertvolle Sendezeit? Werbemaschine Dylan, an den Nobelpreis gekoppelt?

Dass die zeitgenössische E-Musik nach wie vor ein gefährdetes Nischendasein fristet, wird von der Zunahme der Präsenz von Popmusik auf Ö1 in den letzten Jahren befestigt. Wolfgang Kos, Symbolfigur dieser Zunahme, sagte 2013 über Lothar Knessls "Studio Neuer Musik" (ab 1968), dem Vorgänger von "Zeit-Ton", wenig respektvoll, im Rückblick auf die Ö3-"Musicbox", diese "war eben nicht am Rand, so wie die Neue Musik um Mitternacht, wo man sagt: Ihr dürft halt auch sein." (Stöger, Gerhard (Hg.) (2013): Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkircher u. Gerhard Stöger, Wienpop. Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten, Wien: Falter-Verlag, 54)




l. Dylan, Jelinek, Nöstlinger



Dass Bob Dylan von der Nobelpreisverleihung überwältigt und überfordert war, glauben diejenigen, die an der perfekt geölten Business-Maschine Dylan unbewusst gerne teilnehmen oder bewusst, weil eine solche Behauptung eben mehr News-Wert hat. Allen anderen ist klar, dass Dylan punkto Preisverleihung Erfahrung hat (https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_awards_and_nominations_received_by_Bob_Dylan). In der Tat hat Dylan, der wie niemand anderer in den letzten Jahren Youtuber, die seine alten LPs online stellen möchten, so gnadenlos verfolgen ließ, die Medien ein dreiviertel Jahr mit seinem Nobelpreis auf Trab gehalten: am 13. 10. 2016 die Ankündigung der Nobelpreisverleihung ohne Reaktion Dylans, am 10. 12. 2016 die Rede zur Preisverleihung in Stockholm anstelle Dylans durch USA-Schweden-Botschafterin Azita Raj mit anschließendem Auftritt von Patti Smith, am 2. 4. 2017 die Übergabe von Goldmedaille und Diplom an Dylan durch die preisverleihende Schwedische Akademie der Wissenschaften am Tag nach dem Konzert in Stockholm, am 5. 6. 2017 die obligate Rede, transkribiert und akustisch auf die Nobelpreis-Webseite der Schwedischen Akademie der Wissenschaften gestellt - der spätestmögliche Zeitpunkt dieser Rede für den Erhalt des Preisgelds von acht Millionen schwedische Kronen, circa 823.000 Euro, wäre der 10. 6. 2017 gewesen.

Und Ö1? Große Aufregung und Konfusion auf der Sender-Website bei den Programmmachern. Am Tag des 13. 10. 2016 um 14 Uhr 28 die Ankündigung, dass am nächsten Tag die Spielräume-Nachtausgabe "Highway 61 Revisited - Bob Dylans Meilensteinalbum erschien vor 50 Jahren im Sommer 1965" von Christian Scheib wiederholt werden würde, um 14 Uhr 36 die Ankündigung, dass zur Freitagnacht nun doch das "musikprotokoll 2016. Die einarmigen Banditen des Alvin Lucier" drankommt, um 14 Uhr 44 die Ankündigung, dass Kulturjournal und Spielräume zusammengelegt werden ("Im Livestream betonte die Jurychefin, Sara Danius, dass die Entscheidung für Dylan gerade keine Erweiterung des Literaturbegriffs voraussetze und brachte sein Werk in Bezug zu Homer und Sappho, deren heute als Literatur anerkannte Werke zu ihrer Zeit ebenfalls als Gesänge vorgetragen wurden."). Dann gleich die verordnete Doppelsendung - Durchhörbarkeit! - um 17 Uhr 09: Kulturjournal und Spielräume werden zusammengelegt (http://oe1.orf.at/programm/20161013/445939). Ist ja egal, wenn Opernexpertin Susanna Dal Monte mit Rainer Elstner moderiert (stirbt Placido Domingo, kommt dafür Pop-Fan David Baldinger zum Zug). Zu Gast in der Doppelsendung sind Eugen Banauch, Literatur- und Kulturwissenschaftler, der 2012 in Wien eine Dylan-Konferenz organisierte, und FM4(!)-Moderator Martin Blumenau. Noch vor ein paar Jahren wäre in einem Kulturjournal üblich gewesen, Stimmen von SchriftstellerInnen über Telefon einzuholen: von Doris Knecht, die sich wiederholt und schon vor ihrer Laufbahn als Schriftstellerin etwa in "Ex libris" kompetent zu Dylan geäußert hat, von Christoph Ransmayr oder Marlene Streeruwitz und selbstverständlich von Michael Köhlmeier. Und klarerweise wären im Kulturjournal die erfahrenen Ö1-Literaturredakteure Kristina Pfoser und Peter Zimmermann zu Wort gekommen. Interessant gewesen wäre auch, vielleicht in einer späteren Sendung, Peter Handke zu fragen, der bestimmt eine Meinung zu Dylan hat.

(Nicht alles muss Ö1 machen. Eigentlich wären auf Ö3 und FM4 Sendeschwerpunkte zu erwarten gewesen. Dort kam nur Lesbares über Dylan: http://orf.at/stories/2361991/ (abgerufen um 14 Uhr 18). Blumenau schrieb am Tag der Preisverleihung zuerst befremdet und abgeklärt "Bob Dylan, der Literat? Womit hat der Mann den Nobelpreis eigentlich verdient?" http://fm4.orf.at/stories/1773786/, abgerufen um 14 Uhr 23, und dann fanmäßiger http://fm4.orf.at/stories/1773787/, abgerufen um 14 Uhr 53.)

Doch dann, am nächsten Morgen, Auftritt Wolfgang Kos von 7 Uhr 22 bis 7 Uhr 28! Morgenjournalmoderator Christian Williwald: „Was von dieser Entscheidung zu halten ist, dazu ist der Kulturhistoriker Wolfgang Kos jetzt im Morgenjournalstudio. Guten Morgen!“ „Einen schönen guten Morgen!“ „Herr Wolfgang Kos, früher Direktor des Wien Museums, noch früher Musikjournalist auf Ö1, auf Ö3, der Literaturnobelpreis für Bob Dylan – hat er's verdient oder nicht? Was sagen Sie?“ „Ich glaub', es <Zeitwort fehlt> eine sehr kluge, eine sehr inspirierte Entscheidung, auch eine strategisch kluge Entscheidung. Denn Geheimtipp ist ja ein fast kurioses Wort für jemand, der Kunst mittels Sprache auf einem derartigen globalen Niveau über ein halbes Jahrhundert betrieben hat. Und Wim Wenders, glaub' ich, hat gestern in einem Kommentar gsagt, ja, er kennt keinen anderen Autor, der so viele Menschen erreicht hat, erreicht heißt in diesem Fall auch verändert, emotional beeinflusst hat oder einfach mit Qualitätsstandards begeistert hat. Und manches, was da jetzt lauft, sieht natürlich so heiteres Bezirksgericht. Nicht? Nachbarn streiten um Genrezuständigkeiten. Also wenn man sagt, Bob Dylan ist Musiker, denkt man natürlich immer mit, dass das sein Mittel Sprache und Musik. Dadurch fliegen seine Texte. Das sind ja nicht Texte, die, die sozusagen fix und fertig für den Buchdruck und dann unveränderbar sind, nicht? Da weht immer der Wind durch. Und wenn man sagt, Texter oder Lyriker oder Poet, ja, ohne Musik, und das ist Musik, die wie die Sprache weit in die Vergangenheit zurückreicht, gäbe es diese, dieses Werk nicht, also.“ Williwald: „Ich erinner' mich an ein Gespräch mit einem Kollegen aus unserer Kulturredaktion nicht vor der heurigen Verleihung, sondern in den vergangenen Jahren. Da war auch davon die Rede, ob Bob Dylan zum Zug kommen würde oder nicht. Und der Kollege hat gemeint, na ja, er müsste dann als Musiker sozusagen besser sein als alle, die im Hauptberuf Literatur produzieren. Hat diese, dieser Einwand was für sich.“ <kein Fragezeichen> Kos: „Nein, das ist jetzt wieder ein bissl die Frage, wie schwer darf man sein, wenn man in welchem Ruderboot bei den Olympischen Spielen sitzt. Also darum geht’s ja nicht. Wenn ich sag', es ist eine kluge Entscheidung in dem Fall des Literaturkomitees – , weil hier anerkannt wird, dass Lyrik, dass Sprache, dass die ganze hoch persönlich gestaltete Sprache überleben kann in einer Phase der kompletten Reproduktion aller künstlerischen Produktionen. Nicht? Und sein Uraufführungsort ist das Radio. Sein Werk ist nicht das hundertfach durchlektorierte und korrigierte Buch, sondern, ja, das ist etwas permanent Unsicheres, das Lied. Und die, es is ja interessanterweise so ein Halbsatz, der <!> alle, alle zitieren, is bekannt geworden für als Begründung. Und das ist ein sehr kluger Halbsatz. Also, er hat ihn bekommen, den Nobelpreis, weil er neue poetische Ausdrucksformen im Rahmen der amerikanischen Musiktradition. Also dieses, diese Souveränität, wie hier Traditionen, die Traditionen der Armut sind, wenn man an die Blues- und Folktradition denkt. Dinge, die immer am Rand waren und plötzlich hier in das Scheinwerferlicht gekommen sind durch die Qualität seiner Songs und zugleich immer unfertig blieben und die Tradition völlig neu weitergeschrieben worden und zugleich fast vormodern in den letzten Jahren wieder geschrieben hat, die gewisserweise immer noch aus der Zeit fallen, nachdem sie gewissermaßen wie, ja, mitten in der Zeit waren.“ Williwald: „Songtexte heißen ja Lyrics im Englischen. Und da ist es natürlich nicht weit zum Begriff der Lyrik. Also Sie meinen, man kann diesen, diese Verbindung ganz einfach herstellen und sagen ...“. Die Stimmen von Williwald und Kos überlagern sich unkenntlich für ein, zwei Sekunden, Kos fällt Williwald („ … einfach großartige Texte“) ins Wort, so wie er im „Popmuseum“ in die Musik hineinredet: „Ich mein', können wir uns vorstellen, warum im 18. oder 19. Jahrhundert Lyrik so populär war, weil es das populärste Massenmedium war, da konnte man nicht um ein Euro in der Müllkiste Bücher kaufen. Und ich, eigentlich ist die poetische Kraft oder sein Sprachwitz, seine Sprachmacht, hat damit zu tun, dass es immer wieder Zeilen gibt, auch zum Teil sehr Obskures, sehr, sehr Persönliches, das da bei vielen Leuten ankommt und weiterarbeitet. Und er selber hat einmal eine, seine, eine wunderbare späte Platte 'Liebe und Diebstahl' genannt, also die Liebe zu verschollenen Traditionen und vor allem damit eine große Ehrerbietung für die große Kraft der schwarzen Musik in der amerikanischen Kultur.“ „Ganz kurz noch, Wolfgang Kos, wir haben noch keine Reaktion von Bob Dylan selbst, können daher nur spekulieren. Was glauben Sie? Gibt ihm dieser Preis 'was? Sagen wir einmal, er braucht ihn nicht.“ „Er hat, glaube ich, mehrere Preise bekommen. ...<unhörbar> Und er hat letztes Jahr einen bekommen, wo er eine sehr höfliche Rede gehalten hat, aber auch hingewiesen hat, das, was ich mach', ist, die Ränder ins Scheinwerferlicht zu holen. Und er ist auch immer wieder geflohen aus diesem Scheinwerferlicht. Er hat sich ja, i mein, wir reden so ganz allgemein, aber stellen Sie sich vor, ein Einundzwanzigjähriger, der völlig Neues, schreibt ein Lied wie 'Blowin' in the Wind', mit fast so biblisch schweren Fragen: <Kos singt kurz:> 'How many roads must the man go down?' Das wird ein globales Volkslied innerhalb kürzester Zeit. Wenn er fünfundzwanzig ist, 'Like a Rolling Stone' oder 'The Times They Are A-Changin', 'Every Man'. Also wenn er aufgehört hätte mit fünfundzwanzig, hätt' er bereits ein Liedschaffen hinterlassen, was man public domain nennt, also öffentlicher Besitz. Und das ist sehr öffentliche Literatur.“ Williwald: „So gesehen, so gesehen...“ Kos: „Das ist die Stärke dieser Preiserklärung.“ Williwald: „So gesehen, aus Ihrer Sicht hochverdient, dass er den Preis bekommen hat. Wolfgang Kos, danke für den ...“, „Danke“, „ … Besuch im Studio.“ Nach dieser Aufregung war klar, dass Kos so keine Ruhe finden würde. Sein "Popmuseum" am 10. April 2017 ging denn auch ein auf "frühere Auszeichnungen des Songpoeten und zweifachen Ehrendoktors." (http://oe1.orf.at/programm/20170410/468866) Bei der Verleihung des Ehrendoktorats der University of St. Andrews sei er "unsinnigerweise mit ... Robert Burns verglichen" worden - wieso das unsinnig war, bleibt Kos zu erklären schuldig. Oder mit dem Song "Day of the Locusts" seien die "Heuschrecken" gemeint gewesen, die Ehrendoktoratsverleihenden der Stanford University, oder Dylan macht sich in Kos' Sendung per O-Ton anlässlich der Verleihung des Polar-Preis über die schwedischen Royalties lustig, indem er sich vor ihnen entgegen der Sitte nicht verbeugte. Warum Dylan diese Auszeichnungen dann überhaupt annahm - anders als Sartre, der den Literaturnobelpreis ablehnte und auch nicht annahm - , erklärt Kos nicht, auch musikalisch-exemplarisch nicht.

Die Ö1-Dylan-Durchgriff packte auch die Sendung "Apropos Musik" am 15. 10. 2016. Für gewöhnlich ist die zweistündige Sendung Aufnahmen der Salzburger und anderer österreichischer Festspiele gewidmet, seit 1. 5. 2017 heißt die Sendung wieder wie früher "Apropos Klassik". Doch dieser Sendetermin war plötzlich dem Rock-Spielräume-Moderator vom Freitag, Wolfgang Schlag, reserviert, der sich, ebenso sendungsuntypisch, einen Gast einlud: nicht ganz überraschend den Schriftsteller, Sänger und Hörspielautor Michael Köhlmeier. Mehr noch, die Sendung an diesem Samstag war eigentlich ein Feature, ein verstecktes Diagonal. Sie enthielt einen Ausschnitt aus Dylans ersten Radiointerview mit Cynthia Gooding 1962, flottes Drüberreden über die Musik durch Schlag, vor allem aber lange Interviewteile mit Köhlmeier (der in den frühen 80er Jahren in der Ö3-Musicbox seinen Romanerstling vortrug) zur Musik Dylans, einen kurzen Ausschnitt aus einer Rezitation von T. S. Eliots eigenem Gedicht The Waste Land, ein Lied von Hank Williams, dem "Shakespeare der kleinen Leute" (Köhlmeier), und schließlich Köhlmeiers Rezitation von zwei Strophen der Übersetzung von Gisbert Haefs, drübergelesen über die 11 Minuten und 18 Sekunden von Dylans Desolation Row. Köhlmeier meint, Dylans Erfolgsgeheimnis sei, dass seine Lieder für alle Projektionen offen sind: "Der singt das nur für mich." Er habe - nicht seine Gedichtet vertont? - "immer auch aus seinem Leben einen Roman gesponnen, eine Erzählung gemacht." (15 Uhr 22) Er sei Sammler der amerikanischen, jungen Mythen. Die herausgedeuteten politischen Botschaften seien zu 85 % in die Lyrics projiziert. Dezidiert politische Lieder gäbe es sehr wenige. Für Schlag ist Dylan der wichtigste amerikanische Schriftsteller, Rimbaud und Eliot die Referenz dazu. Köhlmeier bezieht sich jedoch auf Allen Ginsbergs "The Howl", über welches Gedicht Dylan zu Eliot gefunden habe. Frage an Köhlmeier: "Wie haben Sie die Kritik erlebt? Die Kritik ist ja sehr gespalten?" (16 Uhr 04) Köhlmeier indirekt: "Lyrik kommt von Lyra und enthält dieses Musikinstrument in sich." Lyrik, geschrieben, sei nur eine relativ kurze Epoche. "Ursprünglich ist die Lyrik gesungen worden." Dabei gäbe es einen Unterschied zur Vertonung im Lied, denn ein Song sei etwas anderes. Dylan sei ein "poetischer Staffellauf ... Poetische Bilder, die bekommen eine Metamorphose, indem sie von einem anderen verwendet werden. ... poetischer Strom". (16 Uhr 27) Dann spricht Köhlmeier noch von "Rhapsoden zur Zeit des alten Homer, und auch diese haben rezitativ die Mythen vorgetragen, auch ihnen hätte man mit großer Freude so etwas wie den Nobelpreis verliehen."

Natürlich, man kann das so stehen lassen. Man kann Köhlmeier das erste wirkliche und das letzte Wort überlassen. Dass Lyrik etymologisch von der altgriechischen Lyra kommt, geschenkt. Aber so wie sich der Roman aus dem versgebundenen Epos herauslöste, verselbständigte sich die Lyrik, die es erst in der Neuzeit gibt, aus der Strophe. Oder will Köhlmeier behaupten, dass Dylan den Tanz pflegt? Denn eine körperliche Wendung im Tanz ist die Strophe ursprünglich, und erst in der Neuzeit wird die Strophe zur metrischen Struktur von Silben und Zeilen. Weiters sind Lyrics noch nicht Lyrik. Lyrics sind Lyrisches. Das bedeutet, dass nicht jedes Wort des Gesungenen lyrisch sein muss - eben weil das Gesungene der Mitteilung und Message dient, die aber im Song extern begründet und partikulären, etwa zeitbedingten Motiven geschuldet sein kann. Nicht so Lyrik. Seit 1800 und mit der Erfindung der Literatur im frühen 19. Jahrhundert (Roland Barthes), muss hier jedes Wort stimmen und zwar in der gesamten Konstruktion des Gedichts, in dem es vorkommt. Dieser Autonomie der belles lettres ist auch der Nobelpreis für Literatur verpflichtet. Das schließt nicht aus, dass zurecht Grenz- und Sonderfälle ausgezeichnet werden wie Philosophen und Reportageschriftstellerinnen und eben auch Sänger. Das wäre zu diskutieren gewesen. Schlag war dazu nicht in der Lage. Fast drängt sich der Eindruck auf, dass die Ö1-Direktion keine Diskussionsrunde erlauben wollte, für die es wie natürlich in den folgenden Wochen und Monaten den Platz in den zwei- beziehungsweise dreistündigen Sendungen von "Diagonal" und "Freitagnacht" gegeben hätte. Die fällige Diskussion, die auch aus Abteilungen von Ö1 bestritten hätte werden können (Betriebsklima!), fand jedenfalls nicht statt. Auch so werden Klassiker gemacht: indem man sie einfach aufs Podest stellt. Eine Institution wie Ö1 gibt sich dafür her.

Zudem hat Theoretisches, wie es auch in der Literaturkritik stattfindet, in Ö1 allgemein so gut wie keinen Platz. Die monatliche "Literarische Soirée", die der Literaturkritik neuer Literatur Platz in der Art und auf dem Niveau des Reich-Ranickischen Literarischen Quartetts Platz bot, gibt es nur mehr alle paar Monate, wird nur mehr zum Teil von der Literaturredaktion moderiert und in der Sendereihe "Passagen" versteckt. Auch sonst hat es Literaturtheorie in Ö1 schwer, siehe "Ex libris": Der Sendung zu Handkes 70er (http://oe1.orf.at/programm/20121202) wurde signifikanterweise - Pop! - eine Übersetzung aus Van Morrisons "Song of Being a Child" vorangestellt. Dann kam O-Ton Handke aus einem Fernsehinterview (?). Der Beitrag wurde als 30 Minuten lang angekündigt, war dann aber nur ein 20 Minuten langes, unsachte geschnittenes, wenn auch gut eingeführtes Buchbesprechungsgespräch von Peter Zimmermann und Klaus Kastberger über drei Bücher von und über Handke inklusive des von Kastberger mitherausgegebenen Buchs über "Peter Handke und das Theater". (Interessenkonflikt?) Kastberger nützte die Gelegenheit, dem Strukturalismus eins auszuwischen: Handkes Literatur sei nur über die Person verständlich, wie als ob Barthes' Rede vom Tod des Autors“ Blödsinn wäre. Dem hätte sogar der Nichtstrukturalist Handke widersprochen.

Allgemein hat es die 'autonome', das heißt musikungebundene Lyrik in Ö1 selbst immer schwerer. "Du holde Kunst" meint Poesie, sonntags 8 Uhr 15! Und doch ist immer öfter Prosa zu hören, etwa von Gerhard Amanshauser oder einem Nichtdichter wie Erich Fromm. Es könnte an diesem Sendeplatz mehr Lyrik fremdsprachiger Autoren, auch mitunter etwas modernere Lyrik geben. Aber die romantische, überwiegend langsamere Musik muss bleiben, um dem lyrischen Interesse der HörerInnen, in sich gehen zu können, Entfaltung zu bieten. Innerlichkeit bleibt gefragt.

Diese Spannungslage der Lyrik in Ö1, die mit der permanenten Fraglichkeit der Präsenz von Literatur in Ö1 - das Hörspiel eingeschlossen - verknüpft ist, zeigt sich auch im doppelten Fortschritt zurück in der Reform 2011, nämlich mit der damaligen Zusammenlegung von „Ex librismit der Leseprobe, sodass das „Kunstradiowieder eine Stunde dauern konnte. Die vorangegangene Streichung von 15 Minuten Kunstradio war ohnehin reine Willkür von Alfred Treiber, Ö1-Chef bis 2010, der gegen das Kunstradio“ gewesen war. Im Rückblick zeigt sich auch, dass der heutige Ö1-Chef Peter Klein, Autor von Dokumentationen und Hörspielen unter anderem mit Michael Köhlmeier sowie in Ö1 seit 1999 Leiter der Redaktion „Features & Feuilleton“ und seit 2007 des Ressorts „Literatur, Hörspiel und Feature“, von seinen vor mehr als zwei Jahren angekündigten neun Reformpunkten ohne Abstriche acht durchbringen konnte. (fid, Ö1 wird umgebaut: Für Literatur ist es zehn vor zwölf 3. April 2015, 05:30 290 Postings http://derstandard.at/2000013825663/Oe1-wird-umgebaut-Fuer-Literatur-ist-es-zehn-vor-zwoelf) Und den neunten auch, denn dass die Literatur von 20 auf 10 Minuten halbiert werden würde, war wohl nur als Scherz und Test gegenüber denjenigen SchriftstellerInnen gedacht, die in den Jahren zuvor gegen die mehrmals erfolgte Kürzung der "Radiogeschichten" vor 12 Uhr lautstark protestiert hatten. Im Endeffekt kamen sogar fünf, wenn auch nicht mehr Minuten zurück.

Den Nobelpreis bekam Dylan an dem Tag verliehen, als Christine Nöstlinger achtzig wurde. Wie wenig bekannt, schreibt die großartige Kinderbuchautorin Nöstlinger für die Sendung "Rudi! Radio für Kinder" von Anbeginn seit 2003 Geschichten, die inzwischen nur mehr jeden zweiten Dienstag ausgestrahlt werden, davor auch jeden Freitag. Das Jubiläumsprogramm war eindrucksvoll: "Die Hörspiel-Galerie" am Samstag, den 8. Oktober 2016 um 14 Uhr, die "Nachtbilder - Poesie und Musik" am Samstag, den 8. Oktober 2016 um 22 Uhr 05 unter dem Titel "wos i mir wünsch", von Nöstlinger selbst gelesen, die Interview-Einladung in das "Café Sonntag" am 9. Oktober 2016, die "Radiogeschichten" am Montag, den 10. Oktober 2016 um 11 Uhr 40, eine Ex-Libris-Nachlese Best of Christine Nöstlinger in den "Tonspuren" von Peter Zimmermann, gelesen von Chris Pichler, am Montag, den 10. Oktober 2016 und 21 Uhr und schließlich "Rudi! Radio für Kinder" am 11., 12. und 13. Oktober 2016, jeweils um 14 Uhr 55. Eine würdige Feier.

Weniger würdig die Sendungen zu Elfriede Jelineks 70. Geburtstag am 20. Oktober 2016. Der Zufall wollte es, dass am Samstag nach der Dylan-Nobelpreisverleihung unmittelbar vor der extra angesetzten Dylan-Hommage von Schlag/Köhlmeier in der Sendung "Apropos Musik" am 15. 10. 2016 das Hörspiel "Jackie"