Japanbilder



In: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren. H.7, 2001, S. 75-80.
Herausgeberin: Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie

50 Textbilder von einer Reise in Japan 1992 zu folgenden Themen (jeweils 10 Bilder): Wege, Häuser, Zeichen, Spuren und Begegnungen
Fünf Beispiele aus dem Text:

Wege:
In den ersten Tagen bemerken wir, daß keiner der Männer, die nicht aufstehen, die schöne junge Frau beachtet, die durch den Waggon geht. Später sehen wir, wie sie uns anschauen. Wer hat sich verändert?
Häuser:
Das Haus in ehemals ruhiger Lage hat einen fast leeren Raum, von dem aus man den Bambusbrunnen zwischen den Steinen des Gartens sieht. Hier wird der Tee bereitet und die Farbe der Bäckerei besprochen. Die Fremde bedient uns knieend. Sie lebt erst ein Vierteljahrhundert in diesem Haus, ihr Mann ist tot, die Kinder erwachsen.
Zeichen:
Es ist ganz einfach, sagte er, du mußt nur verstehen, was die Form und was der Inhalt von ein paar Dutzend Zeichen ist, und was die alten Chinesen sich gedacht haben, als sie damit die anderen bildeten. Bei meinen morgendlichen Übungen denke ich manchmal, er sollte es mir noch einmal erklären.
Spuren:
Die Todai ist eine würdige Stätte. In den Speichern des Instituts für Orientalische Studien zeigt mir der Professor etwas, was die wahrscheinlich kompletteste Sammlung alter chinesischer Bücher sei. Wie sie hinkam, erfahre ich später: nach dem Sino-Japanischen Krieg hatte China kein Geld, die Reparationen zu bezahlen.
Begegnungen:
Den Gang zu einer Bank, die Euroschecks einlöst, sollte nur antreten, wer viel Zeit und ein empfängliches Gemüt hat. Noch bei der sechsten glaube ich lieber dem kunstvollen Blick, der mir sagt, wie schön es doch sei, daß ich geboren bin, als dem ablehnenden Wort. Ich glaube dem Telefonat, dem Bankenverzeichnis, dem Stadtplan mit dem leuchtfarben markierten Weg, dem Angestellten, der mich zur nächsten Bank begleitet und Mozarts wegen nach Wien möchte. Wer es eilig hat, überquert einfach den Platz vor dem Zentralbahnhof, aber er wird eine Fülle ergebnisloser Umarmungen nicht erleben.


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Dezember 2002