Ch. SITTE: Entwicklung des Unterrichtsgegenstandes Geographie, Erdkunde, Geographie u. Wirtschaftskunde an allgemeinbildenden Schulen in Österreich nach 1945. Dissertation an der Grund- u. Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. 1989, 2 Bde

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Kap. 7.3    DAS  BEGUTACHTUNGSVERFAHREN  UND LETZTE WIDERSTÄNDE

7.3.1  Das  LP - Begutachtungsverfahren  1988 :

Das offizielle Begutachtungsverfahren für die LP-Inhalte der AHS-Oberstufe fand bis Juli 1988 statt (Die in dem vom BMUKS am 19. August den Koordinatoren zugesendeten Ergebnisse (Zl. 11012/125-I/2/88) der einzelnen begutachtenden Stellen vermerken durchwegs Datumsangaben von Ende Juni bis Mitte Juli).  Eine derart breite Veröffentlichung der zur Begutachtung ausgesendeten Entwürfe wie bei der Reform der Schulen der 10-14jährigen (vergl. die Hefte der österreichischen pädagogischen Zeitschrift beim ÖBV "Erziehung u. Unterricht" Hefte 7/1984 und 9/1985) fand  n i c h t  statt. Kopien der zur Begutachtung ausgesendeten LP-Verordnung  (BMUKS GZ. 13.890/2-III/2/88)   kursierten zwar in Arbeitsgemeinschaften und politischen Lehrervereinen  (so mancher aber nicht parteipolitisch organisierte Kollege konnte nur schwer an den zukünftigen Verordnungstext seiner Gegenstände herankommen).

Meines Wissens nach war  GW  der einzige Gegenstand, in dem (sicherlich bedingt durch das  Publikationsmedium  der fachdidaktischen Zeitschrift GW-UNTERRICHT, Hrsg von der Bank-Austria) spätestens seit Anfang (!) des Jahres 1988 für eine breite Öffentlichkeit die Ausgangsbasis des Schulversuchstextes ( drei unterschiedliche Diskussionsstände sind dokumentiert abgedruckt bei SITTE W /WOHLSCHLÄGL: 1975, SITTE W: 1978  u. WOHLSCHLÄGL /SITTE Ch.:1986) ferner die  Struktur des zukünftigen LPs  (bei MALCIK : 1987 b im September 1987) und die LP-Entwurfstexte der 5. und 6. Klasse  (bei  MALCIK : 1988 a  im Jänner 1988)  zur Einsicht und Diskussion für eine breite Fachöffentlichkeit offenlagen (interessant ist, dass von der Seite der betroffenen Lehrer fast kein leserbriefmäßiges Diskussionsecho erfolgte ).

Das Schreiben des BMUKS  (MR E.Benedikt)  vom 19.August 1988 ging mit den dringlichen Zeilen     "... im Hinblick auf die Forderungen  nach einer grundsätzlichen Änderung des LP-Entwurfs  GW zur Sicherung von Mindestanforderungen wird hiemit eine Besprechung der Projektgruppe   Geographie und Wirtschaftskunde  über die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens  festgesetzt,  zu der auch einige Vertreter der Kritik vom BMUKS eingeladen werden.   Termin dieser Dienstbesprechung Do. 8.September 1988 (ganztägig)" - auf diese Sitzung soll später eingegangen werden :    vergl. dazu dann Kap. 7.3.2 ).

Doch zunächst das Ergebnis der schriftlichen  Stellungnahmen in der oben genannten Verständigung des BMUKS an die LP- Gruppe.

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Eine Auswertung von 26 eingegangenen Stellungnahmen zum LP

GW-Oberstufe AHS  (vom Koordinator W.MALCIK  als manuskriptartig vervielfältigtes Arbeitsparpier, 5.9.1988) zeigt folgende Zusammenstellung:

1. ALLGEMEINE BEURTEILUNG :    

p o s i t i v e   Urteile                                                  Häufigkeit

 

Freie Rahmenbedingungen für den Lehrer                                  7

Themenzentrierung an Stelle der L„nderkunde                            6

Neukonzeption der Bildungsaufgaben                                        6

Abschaffung der ARGE mit HSK in der 8.Klasse                        6

Präzisierung der Jahresthemen                                                 5

Bessere Integration der Wirtschaftskunde in Geographie             4

Höhere Bildungskategorien statt bloßem Wissenserwerb            4

Geglückte Anpassung an die Unterstufe                                    4

Sicherstellung topographischer Kenntniss                                  3

moderne sozialgeographische Inhalte                                        3

Zentraler Beitrag zur Politischen Bildung                                    3

Einbeziehung der Arbeitswelt                                                    3

Projekte, Fallstudien, fächerübergreifende Hinweise                    3

Umfang der Wirtschaftskunde (gestiegen)                                  2

Verankerung des Aktualitätsprinzips                                          2

Berücksichtigung ökologischer Fragen                                       2

Berücksichtigung der Landwirtschaft                                          1

Berücksichtigung der Konsumentenerziehung                             1

Gute Nützung der zusätzlichen Wiku-Stunde                              1

K r i t i k :

 

Erwerb topographischer Kenntnisse erschwert                            5

Querverbindungen fehlen                                                           4

Fehlendes Lernfeld mit Politischer Bildung in der 8.Kl.                 3

Gleiche Themenfolge wie Unterstufenlehrplan                              2

Fallbeispiele statt Gesamtüberblick                                            1

zu allgemeine Formulierungen                                                    1

thematisches Konzept                                                               1

fehlende Wirtschaftsgeographie                                                  1

fehlende Frauenthematik                                                            1

Vernachlässigung der Physischen Geographie                             1  

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2. BEURTEILUNG  DER KLASSEN  DER   AHS - OBERSTUFE:

5. K l a s s e  AHS-Oberstufe :

 

positiv:  Dominanz der Physischen Geographie                           1

          Gute Integration der WiKu                                               1

Kritik :  zu wenig Physische Geographie                                     1

          Lernen der Topographie erschwert                                    1

          Kap. 5  nicht altersgemäß                                               1

          Landwirtschaft zu Kap. 3                                                 1

 

6. K l a s s e :

 

positiv:  Gute Integration der Wirtschaftskunde                            1

Kritik :  Keine Sicherstellung topogr.Wissenserwerbes                 2

          dürftiger Themenkatalog                                                  1

          Fehlen des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft         1

 

 

7. K l a s s e :

 

positiv:  Gute Integration der Wirtschaftskunde                            2

          in Wiku-RG die Berücksichtigung der Arbeitswelt              2

Kritik :  Vernachlässigung des Naturraumes (d.Phys.Gg.)            4

          Naturr„umliche Darstellung gehört an Beginn                     3

          Stoffülle                                                                         1

          fehlende Darstellung d.einzelnen Wirtschaftssektoren        1

          wirtschafts- u.sozialpol. Inhalte nicht altersgemäß             1

          Arbeitsmarkt nicht zur demographischen Entwicklung        1

          fehlende Berufsinformationen                                           1

          WiKu-RG Inhalte für alle Schüler wichtig                           1  

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8. K l a s s e :

 

positiv:  viel Wirtschaftskunde                                                    1

          altersadäquat                                                                 1

Kritik :  Wiku-RG Ausweitung dürftig                                          1

          Themen 1,2  wichtiger als  3, 4                                        1

          Wahrnehmung von Staaten, ohne je einen Staat

                      vorher behandelt zu haben                                   1

 

W a h l p f l i c h t f a c h :

 

positiv:  gewährt dem Lehrer Eigeninitiative                                  1

          breite Streuung der Themen                                             1

          Ausgewogenheit zwischen G und W                                 2

          viel Wirtschaftskunde                                                       1

Kritik :  manche Themen gehörten ins Pflichtfach                         1

          Dominanz der Wirtschaftskunde                                       1 

          sollte nur "Wirtschaftskunde" sein                                     1  

 

 

Liest man die einzelnen Gutachten (Anmerkung : obwohl die österreichische Rektorenkonferenz im Verteiler der Begutachtung aufscheint, existiert  keine Stellungnahme  von der universitären Geographie zu den Lehrplänen) so stellt man ihre starke Heterogenität fest.

 

Nur in 4 Gutachten ist eine einigermaßen fachdidaktisch vorgehende Argumentationslinie bemerkbar;  alle vier stammen aus dem Wiener Raum.  In ihnen werden die bessere Verbindung von G und W, der aufsteigende Charakter der Niveauanforderungen in den vier Klassen,  die Nichtfestschreibung bestimmter regionaler  Vorgaben für die einzelnen Themen und auch die Möglichkeiten ein topographisches Orientierungswissen (dessen Aufbau von diesen 4 Gutachten

richtigerweise als ein methodisches Problem und nicht als eines, das in der Auswahl der Inhalte und Regionen liegt, gesehen wird) erkannt.

 

Gerade letzter Punkt ist bei den das Kommissionsergebnis ablehnenden Stellungnahmen der (nach drei Jahren Unterstufenarbeit mit dem LP 1985 - und unzähligen fachdidaktischen Artikeln in verschiedenen Zeitschriften, nicht zuletzt in der 1978 gegründeten österreichischen fachdidaktischen Zeitschrift "GW-UNTERRICHT"- ein von manchen Lehrern noch immer nicht begriffene und daher) wichtigste Kritikpunkt.

Immer wieder forderten dieses Stellungnahmen eine Festschreibung bestimmter Regionen:

"In der 6.Kl. werden Prozesse ... behandelt und wir gewinnen den Eindruck, daß die Schüler zwar über Stadtpläne von Denver und Madras minutiös Bescheid wissen, aber mangels Vermittlung topographischer Grundkenntnisse noch immer nicht wissen, wo Innsbruck oder Eisenstadt liegt. ...Und am Ende der 8.Klasse wird plötzlich die Wahrnehmung von Völkern und Staaten verlangt, ohne daß zuvor ein Staat in seiner historischen Entstehung behandelt wurde." (Stellungnahme der Bischofskonferenz, verfaßt von Professoren des Gymnasiums "Maria Regina" Wien XIX).

"Die thematische Gliederung des Stoffes ... scheint jedoch die Gefahr gegeben, daß aufgrund zu starker überblicksmäßiger Auslegung des Lehrstoffes ein zu oberflächliches Wissen vermittelt wird" (für den LSR v.NÖ, B.Sonnleitner/ BG Gänserndorf).

Fast skurril mutet eine Zusatzstellungnahme zum Gutachten der ARGE GW in Wien von Dir. E.Meier an: "Das Gesamtkonzept erscheint mir sehr gelungen und auch entsprechend umsetzbar.  Mir fehlen aber fallweise klare Hinweise auf die Notwendigkeit  die räumlichen, bzw  topographischen Gegebenheiten neuerlich zu wiederholen ... ... daher für eine speziellen Hinweis ... 6.Kl.: topographische Einordnung der großen Industrieräume der Erde und ihre physischen

Voraussetzungen (Anm.: Im Gutachten der Bundeswirtschaftskammer stand hingegen "Bei den Standortbedingungen der Betriebe sollten die betriebswirtschaftlichen Präferenzen in den Vordergrund gerückt werden") ; 7.Kl. zu Beginn der Jahresarbeit eine Behandlung der Großlandschaften Österreichs; 8.Kl. zu Beginn des Jahres eine Wiederholung der großlandschaftlichen Gliederung der Kontinente (physische Grundvoraussetzungen)."

 

Auch das Gutachten des LSR-Tirol (v.J.Knoflach, Ch.Mader G.Moser) begrüßte zwar die bessere Verankerung der Wirtschaftskunde und im Prinzip die thematische Gliederung wünschten aber (hier schlägt traditionelles didaktisches Verständnis durch) für die 5.und 6. Klasse "eine räumliche Zuordnung der Beispiele" –

 

"Die rein thematisch-globale Themenabfolge stößt bei einem Teil der Kollegen auf Skepsis bis Ablehnung,  insbesondere in der 5. Klasse Thema 4 (Primärsektor) und in der 6.Klasse Thema 1 (Sekundärsektor). ... Durch die rein thematisch-globale  Themenbehandlung erscheint die Vertiefung der topographischen Kenntnisse erschwert ...  damit dürften  räumliche Vorstellungen und topographische Einordnungssysteme vernachlässigt sein. ... Es ist völlig unverständlich,  daß zu Beginn der österreichklasse keine Themenbehandlung der Großlandschaften und der physischen Grundlagen angeboten werden" (etwas später aber kritisiert er die "Fülle in der  7.Klasse " -  um weiter unten mehr  wirtschaftsgeographische Belange" hineinzumonieren) - Stellungnahme der ARGE-GW in Wien  durch Dir. Wöginger)

 

Die Inhalte und Aufgaben des LP-Biologie und Umweltkunde dürften die Verfasser der Gutachten nicht zur Kenntnis genommen haben, die die Verringerung physiogeographischer Inhalte bemängelten. Deutlich kommt aber bei diesen Stellungnahmen heraus, dass sie mit dem modernen landschaftsökologischen Ansatz der Physiogeographie nichts anzufangen wußten.

Im schon oben erwähnten Gutachten vom LSR-Tirol wünschte man für die 5.Klasse eine stärkere Ausführung und Konkretisierung der Inhalte zu "Großformen des Reliefs"   (mit Landschaftsentwicklung, Talbildung etc),  lehnte aber den Inhalt "Modell eines geoökologischen Systems anhand eines Kleinlebensraumes" ab.

 

Auffällig ist, daß diese Argumentation oft gepaart ist, mit der Bemerkung einer "Überbetonung wirtschaftlicher Inhalte" im  LP geführt wird (zB. stark im Gutachten des LSR NÖ  - s.o. -wo die "Überbetonung rein wirtschaftlicher Lerninhalte abgelehnt wird".).

Schwächer werden sie von den Tirolern kritisiert, die Inhalte wie "Preiskalkulation als der AHS nicht angemessen sahen" (obwohl sie im gesamten die Wirtschaftskunde im LP begrüßten).

Auch der LSR-Stmk meinte, daß  "physiogeographische Aspekte ein wenig zu kurz gerieten. ...die Anliegen der Wirtschaft aber recht gut integriert wurden ... wenn sich auch die Einflüsse und Anforderungen der Wirtschaft bei diesem LP nicht wegleugnen lassen".

 

Nicht alle Gutachten sind gleich gewichtig (anzusehen) !

Ausschlaggebend für den LP sind im allgemeinen die Gutachten der Sozialpartner (die ja in der LP-Arbeitsgruppe mit eingebunden waren).

Dennoch lassen sich in den Stellungnahmen auch Unterschiede feststellen   (primär kam es diesen Stellen ja auf eine stärkere Verankerung der Wirtschaftskundeinhalte an).

Die Bundeswirtschaftskammer scheint wesentlich konzilianter und stärker befriedigt als die Industriellenvereinigung. Die VÖI bemängelte nicht nur Formulierungen bezüglich des Konsumentenschutzes ("...privat und öffentlich vertreten..." zu"...kennen") , sondern auch, daß der Wahlpflichtgegenstand  eigentlich primär der Erweiterung wirtschaftskundlicher Inhalte dienen sollte !

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7.3.2   Der letzte Versuch den LP-Entwurf zu verhindern - vom 8.9.1989

Die Sitzung vom 8.September 1989, kurz nach Schulbeginn, wirft einen weiteren Lichtstrahl hinter einen Ausschnitt der Realität in der Durchsetzung von Lehrplänen.

Die in der Folge angeführten Aussagen stützen sich (es gab nach dieser Sitzung im BMUKS kein Protokoll)  auf mündliche Aussagen  und Vermutungen von LP-Kommissionsmitgliedern  und handschriftliche Aufzeichnungen dieser aus der Diskussion.

Auf Wunsch (Druck ?) des ÖVP Schulsprechers SCHÄFFER ( ehemals Lehrer für Geographie / Leibeserziehung in Salzburg und z.Z. Präsident des Landesschulrates von Salzburg)  wurde im BMUKS unter Vorsitz MR BENEDIKT diese Sitzung der LP-Arbeitsgruppe mit Kritikern des LP-Begutachtungsentwurfs einberufen. Es war ein letzter Versuch SCHÄFFERs (angeblich soll er verkündet haben, daß dieser LP < - der die Länderkunde beseitigte 45) und zu stark "gesellschaftlich" ausgerichtet sei- > nur "über seine Leiche" verwirklicht werde), den Wandel in GW zu verhindern. Interessant ist dazu ein die allgemeine schulpolitische Entwicklung beleuchtender Leitartikel in den "Salzburger Nachrichten" v. 10.9.1988 mit dem Titel "Die vergewaltigte Schule", wo zur AHS Oberstufenreform zu lesen stand: "...in den Fächern Deutsch und Geographie (! sic !) hagelte es zwar Proteste der Fachlehrer und an der Ausbildung interessierter Universitätsprofessoren. In dem einem Fall wird der nur bruchstückhaft vorgesehene Literaturunterricht kritisiert, in dem anderen Fall das eklatante zurückdrängen der ursprünglichen Länderkunde." - Eine Entgegnung dazu kam in der SN-Ausgabe vom 17.9.88 vom Vorsitzenden der Bundes-ARGE und LP-Kommissionsmitglied F. Forster und von A. Dobart (BMUKS).

(Es gibt Indizien, daß auch die im Kap. 8.2.4  geschilderten Umstände mit ihm zu tun hatten)

In der bis zum späten Nachmittag dauernden Sitzung, versuchte sich vor allem der für Politische Bildung im BMUK zuständige MinRat Mag. E.POPP (er ist damals leider der höchstrangige Vertreter mit einer geographischen Lehramtsausbildung im BMUKS gewesen - vgl. seine Argumentation in einem Leserbrief in GW-UNTERR. H. 31/1988, S. 107) zu profilieren. Daneben waren die Einwendungen des Wiener ARGE-Leiters Dir. Mag. K.WÖGINGER  (SPÖ in Wien - und daher auch Mitglied der Approbationskommission AHS-Oberstufe), Fr. Dir. Mag .E. Meier (ebenfalls Wien - freiheitliche Vertreterin, später auch SPÖ) schwächer.

Gänzlich "versagte" in der auch mit fachdidaktischen Argumenten geführten Diskussion der von Schäffer nach Wien geschickte Direktor des Akademischen Gymnasiums in Salzburg/Stadt MÜHLBACHER. (Taktisch interessant war, daß nur Wöginger und Meier- über die ARGE-Wien schriftliche Stellungnahmen im Rahmen der Begutachtung abgefaßt hatten; weder von Popp - obwohl "im Haus" (=BMUK), noch von Schäffer lagen solche vor)  . Dem BMUKS , vor allem MR BENEDIKT, war "das Ganze unangenehm,  da zu diesem Zeitpunkt die Druckfahnen für alle anderen Fächer in der Staatsdruckerei schon gesetzt waren".

     Trotzdem:

     Interessant einige Bemerkungen während dieser Sitzung (zitiert aus Mitschriften der LP-Kommissionsmitglieder):

     Dir. MÜHLBACHER eröffnete die Kritik damit, daß er zwar einräumte, den LP-Entwurf im Großen und Ganzen zu akzeptieren, "aber bestimmte wichtige Formulierungen, die sonst nur verschleiert zum Ausdruck kämen, zu verändern wären".  Kantiger dann MR POPPs Kritik: "bei der Bildungs- und Lehraufgabe sei der Anspruch von Geographie 'als Welt- und Gegenwartskunde' problematisch"...

"Es fehle, bzw stehe nichts im LP über 'Wissen erwerben' – sogar im Unterrichtserlaß PB sei vom 'Erwerb von Wissen' zu lesen !"... "Es gebe keinen Gegenstand, der so heterogen sei wie Geographie"

POPP beanstandete die "soziologischen Formulierungen".

Im LP-Aufbau sah POPP überhaupt nur eine Wiederholung der Unterstufe : ländlicher Raum und städtischer Raum. Schon in der Unterstufe "sei zuviel Dritte Welt drinnen :

1.Klasse Negerkinder hungern, 2.Klasse Slums, 3.Klasse Ungerechtigkeit in Österreich, 4.Klasse Schwerpunkt Dritte Welt, jetzt in der 5., 6., 7., 8. Klasse geht es so weiter, er (Popp) habe Angst, daß das zu viel sei" (Anm.Ch.S. bei diesen protokollierten Aussagen muß man bedenken, daß es sich um einen für Politische Bildung zuständigen Ministerialrat handelt !!! 49 ).

POPP trat daher für „eine Beibehaltung der Länderkunde“ ein.  In der Abschlußklasse sollte dann erst Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre unterrichtet werden.      

MALCIK präsentierte daraufhin eine Auswertung der Begutachtungsergebnisse (siehe oben Kap. 7.3.1) und fragte nach, ob es denn noch weitere Gutachten gäbe, die die Kommission (noch) nicht bekommen hätte. BENEDIKT meinte (lakonisch) "von Schäffer und anderen ..."

MALCIK stellt klar, daß die Forderung nach grundsätzlicher Änderungen nur hier und hier auch nur mündlich erfolgte, aber aus den zur Verfügung stehenden Papieren keine grundsätzliche Ablehnung herauslesbar sei.

  Aus der folgenden Wortmeldung zum LP sei noch I. GELDNERs Einschätzung der LP-Arbeitsvoraussetzungen (vom BMUKS aus) angemerkt: "der Vorgang der LP-Erstellung würde unter 'abschreckend' in einem Organisationshandbuch als Beispiel angeführt sein können.

Auch der Vertreter der Industriellenvereinigung kritisierte in der Folge die organisatorischen Rahmenmängel vom BMUKS bei der LP-Erstellung. Auch er könnte sich, wie auch die AK ein Mehr an Wirtschaftskunde im LP vorstellen, dieser sei aber ein Kompromiß, schloß er seine positive Stellungnahme zum neuen LP-Aufbau.

WÖGINGER brachte seine beiden bekannten Einwände zur Sprache, daß der LP rein thematisch sei  ("und daß es so nicht geht..."), und daß in der 7.Klasse bei Österreich der Naturraum und die Topographie zu kurz kommen, aber auch daß "zu viel drinnen sei in dieser Klasse".   MEIER  verlangte daraufhin zumindest bei der  5.Klasse die Kulturerdteile als prägendes Element  beizubehalten,  sie "stehe aber zu den Bildungs- und Lehraufgaben". Auch sie forderte die Verankerung der Großlandschaften am Beginn der   "Österreichklasse" als natürliche Grundlage der Wirtschaft (!) .

Auf MALCIKs  Verweis auf den erklärenden Kommentar , fiel MR BENEDIKTs markante Aussage "schauen wir uns die Realität an, die Lehrer haben keine Zeit LP und Kommentar zu lesen !" Und "es müsse doch möglich sein, heute - die Sitzung ist ganztägig - die Sache soweit abzuändern"

(Anm.Ch.S. was nochmals starke Rückschlüsse auf die offizielle Einschätzung mancher BMUKS-Beamter zu LP-Theorien und -Konzepten eröffnet ! ).

     Dieses zweite Beispiel eines LP-Begutachtungsverfahrens mit seinen Argumenten und Querschüssen verdeutlicht, daß auch sogenannte "akademisch ausgebildete" Lehrer an Höheren Schulen, auf ihrem fachdidaktischen (Fortbildungs-)Niveau nicht höher stehen als "nur auf den PädAks ausgebildete" Hauptschullehrer.

      Die Argumente verdeutlichen aber auch, daß Theorielosigkeit nur allzuoft gepaart ist  mit Bequemlichkeit den eigenen Standpunkt  in Frage zu stellen,  die nur allzugut  bekannten Geleise zu verlassen und das zu entwickeln, was für den Beruf des Lehrers wohl am wichtigsten erscheint :    Kreativität  !      

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