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Postkarte an Julie und Hermann Kafka O 157

[Stempel: Wien: 26. V. 24]
 

Liebste Eltern, nur eine Richtstellung: meine Sehnsucht nach Wasser (wie es bei uns immer in großen Gläsern nach dem Bier auf dem Tisch kommt!) und nach Obst ist nicht kleiner als nach Bier, aber vorläufig gehst nur langsam.

Herzl. Grüße




Der Text ist überliefert auf einer an die Eltern Kafkas gerichteten Karte Dora Dymants (er mußte aus Platzmangel auf die Ränder schreiben), deren erster Teil so lautet: "Ich will, wenn auch sehr verspätet, auf die so schöne letzte Karte von Sonntag antworten. Was das für ein Freuden-Austausch war! Ihre Karte und Franzens Brief. Wenn es doch immer so wäre. Sie hat nicht weniger Freude zu Folge gehabt als der Expressbrief. Franz hat sie beinahe auswendig gelernt. Ganz besonders stolz ist er auf die Möglichkeit, mit seinem ehrwürdigen und lieben Vater, ein Glas Bier zu trinken. Ich möchte von Weitem stehen und zusehen. Ich bin von den bloßen häufigen Unterhaltungen über Bier, Wein, (Wasser), und anderen schönen Dingen sehr oft beinahe betrunken. Franz ist ein leidenschaftlicher Trinker geworden. Kaum eine Mahlzeit ohne Bier oder Wein. Allerdings in nicht zu großen Mengen. Er trinkt wöchentlich eine Flasche Tokayer, oder anderen guten Feinschmekker-Wein aus. Wir haben 3erlei Wein zu Verfügung, um es, so nach rechter Feinschmecker-Art, recht abwechslungsreich zu machen." Bei dem erwähnten Brief Kafkas handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Nr. 119. Der Expressbrief der Eltern enthielt, wie aus der Fortsetzung von Doras Bericht und einem Brief Klopstocks zu erschließen ist, Mitteilungen über einen Ausflug Ellis und ihrer Familie und erreichte Kafka wahrscheinlich am Samstag, dem 17. Mai: "Wie er das gehört hat, sagte er - mit leuchtenden Augen, wie eine Sonne, "dann haben sie auch Bier getrunken", das sagte er aber in einer solchen Begeisterung, und Aufgehen in der Freude, dass wir, die es gehört haben, mehr jenes Bier, das dort getrunken wurde, genossen haben, als die, die es wahrhaftig getrunken hatten. Er trinkt, wie ich schon einmal geschrieben jetzt zu jeder Mahlzeit Bier, es so genießend, dass es ein Ergötzen ist, ihn anzuschauen." (Klopstock am 17. V. 1924 an die Prager Angehörigen Kafkas) Vgl. auch Br 488 ("Warum waren wir in keinem Biergarten") und Br 491 ("Bei dieser Trinkfähigkeit kann ich noch nicht mit dem Vater in den Zivilschwimmschul-Biergarten gehn").

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at