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An Julie und Hermann Kafka O Nr. 118

[Kierling, Ende April 1924]
 

Liebste Eltern, der Postweg hierher scheint sehr lang zu sein, also auch der Weg von hier, laßt Euch dadurch nicht beirren. Die Behandlung besteht vorläufig - das Fieber hindert anderes - in sehr schönen Wickeln und in Inhalieren. Gegen Arseninjektionen wehre ich mich. Vom Onkel bekam ich gestern eine lang umhergeirrte Karte aus Venedig. Von täglichen Regenfällen stand dort aber nichts, vielmmehr das Gegenteil. Das Fieber dürft Ihr Euch nicht zu arg vorstellen, jetzt früh habe ich z. B. 37.

Herzl. Grüße F




Auf der Adressenseite einer Postkarte überliefert, die Dora Dymant an Kafkas Eltern in Prag sandte ("Franz wird schon brummen, dass ich ihm so wenig Platz frei gelassen habe").

Nachdem Mitte April 1924 in einer Wiener Klinik endgültig Kehlkopftuberkulose diagnostiziert worden war, brachte Dora den Schwerkranken am 19. des Monats in das nahe gelegene Sanatorium Dr. Hoffmann in Kierling (vgl. Br 481 f.). Aus dem Anfang der Karte und Doras Worten (im Zusammenhang mit einer von ihr am 15. IV. an Kafkas Eltern geschriebenen Karte) ist erschließbar, dass Nr. 117 ganz am Anfang des Kierlinger Aufenthalts abgefaßt worden sein muß.


das Fieber hindert anderes: In einem ungefähr gleichzeitigen Schreiben Doras an Elli Hermann - ihr Mann hatte offenbar Kafka in Wien besucht -, in dem sie sich offener über Kafkas Gesundheitszustand äußern konnte als den besorgten Eltern gegenüber, heißt es über diesen Punkt: "Der Hals macht keine Beschwerden, und gibt äußerlich wenigstens keinen Anlaß zur Unruhe. Mehr beunruhigend ist das hartnäckige Fieber. 38:6 - 38:8 am Abend. Bis Mittag fast fieberfrei. Das Wesentliche dabei ist, dass Franz seit gestern durch das Fieber sehr deprimiert ist."

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at