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[An die Eltern]

[Ortmann, Sanatorium Wienerwald, 9. April 1924]
 


2      Liebste Eltern verzeiht die anfängliche Unregelmäßigkeit der Post, es ist hier ein wenig entlegen, jetzt wird es aber schon in Ordnung kommen. - Der Hals ist noch immer das unangenehmste neben dem Husten, aber ich bekom verschiedene Sachen dagegen, heute zwei neue, morgen eine dritte, irgendwie wird es schon gelingen und viel Geld kosten wird es freilich auch. Vielleicht könntet Ihr dem Onkel schreiben, dass mir die 10 % die ihm zugesagt wurden, nicht abgezogen werden, ich selbst will davon nicht hier reden. übrigens ist der Arzt, der Onkels Bekannter ist, seit gestern auch auf Urlaub. - D. ist bei mir, das ist sehr gut, sie wohnt in einem Bauernhaus neben dem Sanatorium, nur paar Tage, dann fährt sie nachhause. Herzlichste Grüße allen


Viele herzliche Grüße. Es ist noch nicht sicher, dass ich nach Hause fahre. Wenn es möglich ist, werde ich die Reise hinausschieben.

Für den schönen lieben Brief tausend Dank.

D.




Postkarte, 14 x 9 cm, beide Seiten mit Tinte beschrieben, einschließlich der Adresse des Empfängers: Hermann Kafka, Prag, Altstädter Ring 6, III Stock (geschrieben von Kafka) und des Absenders: Sanatorium Wienerwald, Ortmann, Niederösterreich. Dr Kafka (geschrieben von Dora Diamant). Vor der Anrede von Kafka mit der Ziffer 2 versehen. Über der Adresse des Absenders hinzugefügt 9/4 1924, offensichtlich von der Hand der Mutter. Frankierung: 1500 österreichische Kronen.

Undatiert; Zuordnung nach dem Poststempel, 9.IV.24, bestimmt.


1] viel Geld kosten wird es freilich auch: Eine analoge Mitteilung sendet Kafka am selben Tag Brod: ". . . es kostet und wird unter Umständen entsetzliches Geld kosten, Josefine muß ein wenig helfen, es geht nicht anders . . . Was mich betrifft, es ist doch offenbar der Kehlkopf. Dora ist bei mir..." (BRK II, 453)


2] der Arzt, der Onkels Bekannter ist: Es handelt sich offensichtlich um Dr. Hugo Kraus, aus Iglau (Jihlava) gebürtig, der gemeinsam mit Dr. Arthur Baer Besitzer des Kurhauses war (vgl. RH, 100-102). Dr. Kraus hat wahrscheinlich die Aufnahme Kafkas in das Sanatorium Wienerwald besorgt und Dr. Löwy, dem Landsmann, einen Preisnachlaß und Protektion bei der Kur versprochen. Kafka schrieb jedoch am 7. April, dem dritten Tag seines Aufenthalts im Sanatorium, an Klopstock: ". . . von Protektion habe ich nichts bemerkt." (Br, 480; vgl. Nr. 20, Anm. 2).


3] Viele herzliche Grüße: Zusatz von Dora Diamant.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at