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[An die Eltern]

[Berlin-Zehlendorf, 12. Februar 1924]


Liebste Eltern, die neue Wohnung scheint sich zu bewähren, noch ein wenig stiller dürfte sie werden, sonst ist sie schön und zeigt noch neue Vorteile gegenüber der frühern. Ich lag schon im Schaukelstuhl bei offenem Fenster in der Sonne, nächstens wage ich mich auf die Veranda. - Vom Onkel hatte ich einen freundlichen Brief. Was ich über Teater schrieb, mißversteht er zwar ein wenig, es ist aber nicht gar wichtig. Daß es ihm bei uns so gefällt, freut mich sehr, schließlich wird er Euch ein angenehmerer Sohn scheinen, als ich es bin. Hat er nicht übrigens, fällt mir ein, schon seinen Geburtstag bei uns gefeiert, im Jänner? - Die Bestätigung von der Polizei werde ich mir zu verschaffen suchen, hoffentlich bekomme ich sie; wenn nicht, würde sich wieder die von mir und andern gefürchtete tschechische Korrespondenz ergeben. - Meine Telephonnummer ist Zehlendorf 2434 aber bitte lieber nicht telephonieren, nicht nur wegen der Angst und meiner Unfähigkeit etwas zu hören, auch wegen der Umständlichkeit, die es hier hat.

Ich wohne im ersten Stock, das Telephon ist unten, frei, in der Halle, recht unangenehm und doch wieder sehr angenehm, weil es das Telephonieren fast hindert. Was täte ich, wenn Prag anläutet und D. wäre nicht zuhause? Herzlichste Grüße

Eueres F


Pakete, bitte auf meinen Namen schicken, es ist einfacher.

Herzlichsten Gruß.  D.




Postkarte, 15,5 x 10,5 cm, beide Seiten mit Tinte beschrieben, einschließlich der Adresse: Hermann Kafka, Prag, Staroměstská náměstí č 6/III posch., Tschechoslowakei. Frankierung: 15.

Undatiert; Zuordnung nach dem Poststempel, 12.2.24, bestimmt.


1] nächstens wage ich mich auf die Veranda: Vgl. dazu den Brief an Robert Klopstock, den Brod mit Anfang März 1924 datiert: "Sonst, trotzdem, ist es ja sehr schön hier, auf der Veranda zu liegen und zuzusehen, wie die Sonne an zwei der Schwere nach so verschiedenen Aufgaben arbeitet: mich und die Birke neben mir zu natürlichem Leben zu wecken (die Birke scheint Vorsprung zu haben)." (Br, 478)


2] vom Onkel: Siegfried Löwy war zu dieser Zeit bei Kafkas Eltern zu Besuch in Prag (vgl. Nr. 9, Anm.6) und kam bald darauf nach Berlin, um Franz zur Abreise in ein Kursanatorium zu bewegen. Vgl. die Nr. 16-18.


3] Die Bestätigung von der Polizei: Vgl. Nr. 11, Anm. 3.


4] Unfähigkeit etwas zu hören, auch: Hier folgt das gestrichene Wort etwas.


5] Pakete, bitte: Zusatz von Dora Diamant.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at